Skip to main content
Erschienen in: Die Dermatologie 8/2022

13.06.2022 | Pruritus | Leitthema

Neurobiologie des Pruritus: neue Konzepte

verfasst von: Konstantin Agelopoulos, Henning Wiegmann, Martin Schmelz, Prof. Dr. Sonja Ständer

Erschienen in: Die Dermatologie | Ausgabe 8/2022

Zusammenfassung

Hintergrund

Die dem Pruritus, insbesondere dem chronischen Pruritus (CP), zugrundeliegenden Mechanismen sind nach wie vor nicht hinreichend verstanden. Aktuelle Forschungen zeigen jedoch vielversprechende neue Konzepte auf, bei denen die Bedeutung der Interaktion von neuronalen Zellen verschiedener Klassen, Immunzellen und Keratinozyten immer klarer wird.

Fragestellung

In diesem Übersichtsartikel sollen aktuelle Konzepte in Pruritusforschung dargestellt und zusammengeführt werden.

Material und Methode

Es handelt sich um eine Übersichtsarbeit, für die aktuelle Literatur zugrunde gelegt wurde.

Ergebnisse

Verschiedene Klassen von sensorischen Afferenzen wie mechanoinsensitive C‑Fasern (histaminerger Pruritus) und nichthistaminerge prurizeptive C‑ und Aδ-Fasern sind an CP beteiligt. Die zentrale Sensibilisierung bei CP äußert sich als Hyperknesis und Alloknesis, wobei letztere durch Aβ-Fasern und Merkel-Zellen ausgelöst wird. In den vergangenen Jahren ist die Bedeutung von Entzündungszellen wie Th1- und Th2-Zellen, aber auch basophilen-, eosinophilen Granulozyten und Mastzellen deutlich geworden. Bei CP scheint eine enge Kommunikation zwischen neuronalen Zellen, Immunzellen und Keratinozyten zu bestehen. Neuere Studien konzentrierten sich auf proinflammatorische Interleukine (IL), wie IL-31, IL‑4 und IL-13, und deren Rezeptoren. In den ausgelösten Signalkaskaden, die letztlich zur Prurituswahrnehmung führen, spielt auch der JAK/STAT(Januskinase/„signal transducers and activators of transcription“)-Signalweg eine wichtige Rolle. In aktuellen Therapiestudien werden daher nicht nur die Interleukine und ihre Rezeptoren, sondern auch der JAK/STAT-Signalweg direkt angegangen.

Schlussfolgerung

Die Entdeckung neuer Mechanismen und Interaktionen bei CP machen die Komplexität dieser Erkrankung deutlich. Auch wenn diese und die hieraus abgeleiteten Therapieoptionen bereits sehr vielversprechend sind, ist ein noch besseres Verständnis der Mechanismen bei CP dringend notwendig, um weitere Optionen für eine optimierte Therapie zu ermöglichen.
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Die Entstehung des oft sehr belastenden chronischen Pruritus (CP) ist noch immer nicht ausreichend verstanden. In den letzten Jahren wurden zunehmend komplexe Mechanismen untersucht, an denen verschiedene Klassen von prurizeptiven und nozizeptiven Neuronen (z. B. C‑, Aδ-Fasern), Immunzellen (z. B. eosinophile/basophile Granulozyten, Th1‑/Th2-Zellen, Mastzellen) und Epithelzellen (z. B. Keratinozyten) beteiligt sind. Auf dieser Grundlage werden derzeit viele, sehr vielversprechende zielgerichtete Therapien entwickelt. Im Folgenden werden die an der akuten Prurituswahrnehmung und dem CP beteiligten Interaktionen zwischen verschiedenen Zelltypen und entscheidende Schlüsselmediatorsysteme beschrieben.

Pruritus und Chronifizierung

Pruritus ist ein unangenehmes Gefühl, das den Drang zum Kratzen hervorruft und ab einer Dauer von 6 Wochen als CP bezeichnet wird. Die Lebenszeitprävalenz von Pruritus wird auf 22 % geschätzt und stellt sowohl im persönlichen Sektor als auch im gesellschaftlichen Leben eine schwere Belastung dar. CP kann dermatologischen Ursprungs sein, insbesondere als Resultat entzündlicher Dermatosen, oder durch nicht-dermatologische Krankheiten entstehen, insbesondere durch systemische oder neuropathische Erkrankungen. Die dem CP zugrunde liegende Pathophysiologie ist komplex, wobei verschiedenste Mediatorsysteme, Immun- und Nichtimmunzellen, sowie Nervenfaserklassen miteinander interagieren und so Sensibilisierungsprozesse in der Haut sowie im peripheren und zentralen Nervensystem initiieren und aufrechterhalten [5]. An der Prurizeption sind nozizeptive Mechanismen und Signalwege beteiligt, die jedoch auch spezifische Nervenfasern, Rezeptoren und Mediatoren besitzen. Der Juck-Kratz-Zyklus, der bei einem großen Teil der Patienten auftritt, kann einerseits schon vorbestehende entzündliche Reaktionen verstärken oder sie als neuen Faktor hinzufügen und so zu einem höheren Schweregrad und einer Chronifizierung des CP beitragen [15].
Die Bedeutung des sehr engen Zusammenspiels zwischen peripheren Nerven, Immunzellen und Keratinozyten bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Pruritus rückt immer stärker in den Fokus der Pruritusforschung. Ziel dieses Übersichtsartikels ist es daher, die Rolle der einzelnen Zelltypen für Pruritus und insbesondere ihre Kommunikation untereinander näher zu beleuchten.

Unterschiedliche Klassen von Neuronen für die periphere/zentrale Prurizeption

Die behaarte und unbehaarte Haut von Nagetieren und Menschen wird von einem Geflecht an Nervenfasern verschiedener Nervenfaserklassen dicht innerviert [2]. Während Haarfollikel und Schweißdrüsen gemeinsam von sensorischen und efferenten autonomen Nervenfasern innerviert werden [2], ist die Epidermis mit einem dichten Netz ausschließlich sensorischer Afferenzen versorgt (Abb. 1). Ihre Axone werden anhand der Myelinhülle in myelinisierte A‑Fasern und nicht myelinisierte C‑Fasern eingeteilt. Eine weitere Unterteilung der Nervenfaserklassen ist bei Nagetieren anhand des Peptidgehalt (neuropeptidhaltige vs. nichtpeptiderge Fasern) etabliert [2], wobei das Einzelzelltranskriptom bei Mäusen weitere Unterteilungen ermöglicht [28]. Aktuelle Ergebnisse zeigen jedoch, dass diese Einteilung – einschließlich des Peptidgehalts – nicht unmittelbar auf den Menschen übertragbar ist [25] und daher eine neue Nomenklatur für humane Untersuchungen etabliert werden muss. Funktionell sind unmyelinisierte und dünn myelinisierte Afferenzen in der Epidermis und der papillären Dermis für die kutanen Empfindungen von Wärme, Kälte, Schmerz und Pruritus verantwortlich. Neben den Unterschieden in den Expressionsprofilen ergaben sich auch in funktionellen elektrophysiologischen Eigenschaften auffällige Unterschiede in den neuronalen Klassen und der Pruri‑/Nozizeption zwischen Mensch (und nichtmenschlichen Primaten) und Maus [25].
Murine Nervenfaserklassen sind nicht direkt auf den Menschen übertragbar
C‑Fasern sind langsam leitend (Geschwindigkeit von 1 m/s), während Aδ-Fasern eine Leitungsgeschwindigkeit von 10 m/s aufweisen [2]. Epidermale C‑Fasern sind für Wärme‑, Pruritus- und Schmerzempfindungen verantwortlich, sind aber auch in die affektive Berührungswahrnehmung involviert. Ein Teil der mechanoinsensitiven, „stummen“ C‑Fasern vermitteln histaminergen Pruritus und neurogene Entzündungen mit einem Axonreflexerythem [2]. Die nichthistaminergen polymodalen Nozizeptoren stellen die häufigste Nozizeptorklasse in der Haut dar, mögliche Untergruppen und ihre genaue Rolle für den Pruritus beim Menschen sind noch unklar [6]. Bei Mäusen werden prurizeptive Neurone insbesondere durch Expression unterschiedlicher Rezeptoren der Familie der mit Mas-verwandten G‑Protein-Rezeptoren (MRGPRs) definiert. Diese Ergebnisse sind jedoch aufgrund von Speziesunterschieden nicht auf den Menschen übertragbar. Dagegen werden prurizeptive Neurone, die das natriuretische Polypeptid B (Nppb) als auch Rezeptoren für Histamin und Interleukin(IL)-31-Rezeptor exprimieren, in gleicher Weise bei Mensch und Maus gefunden [23]. Die Rezeptoraktivierung durch Pruritogene führt entweder direkt oder über die Aktivierung von Signalkaskaden zur einer Depolarisierung der sensorischen Nervenendigungen, was schließlich durch die Aktivierung von spannungsgesteuerten Natriumkanälen Aktionspotenziale auslöst [22].
Die Signalweiterleitung erfolgt über die primären Afferenzen, die über die Hinterwurzel in die oberflächlichen Laminae des Hinterhorns des Rückenmarks projizieren. Für die Verarbeitung dieses prurizeptiven Eingangs im Hinterhorn wurden bei Nagetieren eine Reihe von Interneuronen identifiziert, als spezifisches Neuropeptid das Gastrin-Releasing-Peptid (GRP) bzw. dessen Rezeptor (GRPR) [22]. Interneurone, welche die Pruritusverarbeitung im Rückenmark hemmen, waren insbesondere für Somatostatin und Dynorphin positiv [5].

Strukturelle Veränderungen der epidermalen Nervenfasern bei CP

In der Epidermis sind die sensorischen Nervenendigungen der afferenten Fasern nicht nur den Pruritogenen direkt ausgesetzt, sondern auch solchen Mediatoren, die das Nervenwachstum fördern bzw. blockieren. Während man konzeptionell die akut aktivierenden Pruritogene von den Wachstumsfaktoren unterscheidet, haben die dermalen Immunmediatoren, wie IL 31 und 13, eine duale Wirkung, d. h. sie können Prurizeptoren sowohl akut aktivieren als auch deren Aussprossung bewirken [10]. Es ist daher zu erwarten, dass sich im Verlauf von CP die Neuroanatomie der epidermalen Nervenfasern verändert. Tatsächlich berichteten mehrere klinische Studien über reduzierte intraepidermale Nervenfaserdichten in CP im Vergleich zu alters-, geschlechts-, lokalisations- und/oder pruritusfreien Hautkontrollen. Hier zeigte sich eine reduzierte intraepidermale Nervenfaserdichte, u. a. bei atopischer Dermatitis (AD), chronischer nodulärer Prurigo (CNPG) und brachioradialem Pruritus [20]. Diese Reduktion der epidermalen Innervierungsdichte führt jedoch zu keiner Einschränkung der sensorischen Funktion, da die sensorische Schwellen im Wesentlichen ungestört waren [20]. Es ist damit wichtig festzuhalten, dass man allein an der Nervenfaserdichte die neuronale Empfindlichkeit nicht bestimmen kann und sie damit als Erklärung für CP, ähnlich wie beim chronischem Schmerz [11], nicht infrage kommt. Darüber hinaus ist es möglich, dass der Rückgang der Nervenfasern auf eine mechanische Verletzung durch Kratzen zurückzuführen ist [3].
Kürzlich wurde die Rolle der kutanen Schwann-Zellen hinsichtlich der epidermalen Innervationsdichte diskutiert [19]. Es wurde eine Interdependenz von dermalen Schwann-Zellen und epidermaler Hautinnervation bei neuropathischen Schmerzen festgestellt. Dieser Mechanismus könnte natürlich auch bei CP von Bedeutung sein. Aktivierte Schwann-Zellen sind für die Regeneration von Axonen nach Verletzungen verantwortlich [4]. Kratzen könnte damit durch einen Zellschaden der Nerven nachfolgend Schwann-Zellen für die Reparatur aktivieren [4]. Aktivierte Schwann-Zellen sind allerdings auch in der Lage, Entzündungsmediatoren zu sezernieren sowie die Proliferation von Keratinozyten einschließlich der Freisetzung von Nervenwachstumsfaktoren zu fördern, und exprimieren die beiden nozizeptiven Rezeptoren TRPV1 und TRPA1 [4]. Die exakte Rolle der Schwann-Zellen für strukturelle und funktionelle Veränderungen der Nervenfasern bei Pruritus muss jedoch noch bestimmt werden.

Neuroimmunologische Kommunikation bei CP

Eine enge Wechselwirkung zwischen peripheren Neuronen und Immunzellen wurde für einige CP-Diagnosen bereits beschrieben. So wird seit langem diskutiert, dass Mastzellen an Pruritus unterschiedlichen Ursprungs beteiligt sind. Neuronen und Mastzellen befinden sich in unmittelbarer Nähe zueinander, was eine direkte Kommunikation ermöglicht. Einer der am besten beschriebenen Wege der Mastzellaktivierung, der zu histaminergem Pruritus führt, beinhaltet ihre Degranulation durch Quervernetzung der hochaffinen IgE(Immunglobulin E)-Rezeptoren (FcεRI) nach Antigenbindung an das gebundene IgE. Nach entsprechender Aktivierung werden zahlreiche Mediatoren, wie Histamin, Prostaglandine, NGF (Nervenwachstumsfaktor, „nerve growth factor“), TNFα (Tumornekrosefaktor α) und Leukotriene, freigesetzt [9]. Kürzlich wurde die Bedeutung der letzteren für entzündlichen und chronischen Pruritus bei Menschen und/oder Mäusen sowie deren Wirkung auf Nppb-Neuronen bestätigt [23]. Der IgE-Weg beschreibt jedoch nur teilweise die Beteiligung von Mastzellen in der Pathogenese des Pruritus, wie die fehlende Wirksamkeit der Histaminblockade bei den meisten Pruritusarten zeigt. Von Bedeutung ist auch der MRGPR-Signalweg. Verschiedene Untergruppen dieser Rezeptoren werden bei der Maus auf sensorischen C‑Fasern gefunden und können u. a. durch Mucunain, einen aktiven Bestandteil der Juckbohne („cowhage“), stimuliert werden. Darüber hinaus wurde in letzter Zeit die Bedeutung eines mastzellspezifischen MRGPR bei Mäusen (MrgprB2) und im Menschen (MRGPRX2) beschrieben. MRGPRX2/MrgprB2 kann durch verschiedene Effektormoleküle aktiviert werden und dadurch histaminunabhängigen Pruritus auslösen [30].
Charakteristisch für CP ist die Rekrutierung zusätzlicher Entzündungszellen
Neben diesen direkten Wirkungen von Mastzellen auf Neurone ist die Rekrutierung zusätzlicher Entzündungszellen, wie Th2-Zellen, basophile- oder eosinophile Granulozyten, charakteristisch für CP. Diese Zellen exprimieren und setzen entzündungsfördernde Moleküle frei, die direkt auf prurizeptive Neuronen einwirken, was in Pruritus resultiert. Die Neurone wiederum sezernieren Neurotransmitter und Peptide, die direkt auf die Immunzellen einwirken.

Zytokine/Chemokine und ihre Rezeptoren in der Neuro-Immun-Kommunikation

IL-31 und Oncostatin M

Beim Menschen wird IL-31 besonders bei juckenden Hautkrankheiten diskutiert, darunter AD, kutanes T‑Zell-Lymphom, Psoriasis und CNPG. IL-31 war eines der ersten Zytokine, das nachweislich als Pruritogen fungiert, indem es seinen Rezeptorkomplex IL-31RA/OSMRβ direkt an prurizeptiven TRPV1+ TRPA1+-Neuronen aktiviert. Nach der Bindung an den Komplex findet die Aktivierung einer Vielzahl von nachgeschalteten Signalwegen statt, darunter JAK/STAT (Januskinase/„signal transducers and activators of transcription“), RAS/ERK und PI3K/AKT. Ursprünglich wurde beschrieben, dass IL-31 von Th2-Zellen als Hauptquelle exprimiert wird. Neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass IL-31 auch von eosinophilen-, basophilen Granulozyten und Mastzellen exprimiert und freigesetzt wird [21]. Mehr noch, diese Immunzellen produzieren nicht nur IL-31, sondern können auch selbst durch IL-31 aktiviert werden, was zur Ausschüttung der wichtigsten Zytokine bei AD, i.e. IL‑4 und IL-13, führen kann. Darüber hinaus exprimieren diese Zellen einen weiteren Faktor, Oncostatin‑M (OSM), der über OSMR wirkt und dessen wichtige Rolle bei akutem und chronischem Pruritus erst kürzlich erkannt wurde [27]. Nach Bindung an einen Rezeptorkomplex, der Glykoprotein 130 (gp130) und OSMR-Untereinheiten enthält, zeigen sich ähnliche Reaktionen und aktivierte Signalwege wie bei IL-31. OSM wirkt jedoch weniger als kanonisches Pruritogen, sondern scheint vielmehr prurizeptive Neuronen für andere Pruritogene zu sensibilisieren [27]. Darüber hinaus kann OSM über die Aktivierung von Keratinozyten, ähnlich wie IL-31, zur Auslösung und Aufrechterhaltung von Hautentzündungen beitragen. Ob es jedoch auch direkt auf Immunzellen einwirken kann, z. B. zur Freisetzung von IL-4/IL-13 beiträgt, wurde noch nicht nachgewiesen.

IL-4/IL-13 und IL-4RA

Eine relevante Expression von IL‑4 und IL-13 wurde vor allem bei entzündlichen Hauterkrankungen wie AD und CNPG nachgewiesen. IL-4/IL-13 werden von hämatopoetischen Zellen wie eosinophilen-, basophilen Granulozyten, Th2-Zellen und Mastzellen exprimiert und freigesetzt. Sowohl IL‑4 als auch IL-13 können über den gemeinsamen Rezeptor IL-4RA direkt auf prurizeptive TRPV1+ TRPA1+ Neuronen wirken, wobei der JAK-Signalweg beteiligt ist. Im Gegensatz zu IL-31 ist bisher unklar, ob die beiden Zytokine die Neuronen nur sensibilisieren oder direkt Pruritus auslösen [18]. Da IL-4RA ubiquitär, also auch in den produzierenden Zellen, exprimiert wird, sind weitere Pruritus-auslösende Effekte wahrscheinlich. Auf diese Weise kann IL‑4 die Expression und Freisetzung von IL-31 in Th2-Zellen induzieren und die Entzündung in einer Art Rückkopplungsschleife fördern.

Interaktionen von epidermalen Zellen und Neuronen bei CP

Keratinozyten

Die enge Neuro-Immun-Kommunikation wird durch eine Interaktion mit epidermalen Zellen ergänzt. Hierbei können durch, beispielsweise, Allergene oder (chronisches) Kratzen „gestresste“ Keratinozyten die Aktivierung und Rekrutierung der oben genannten Immunzellen auslösen, indem sie Alarmine, wie thymisches stromales Lymphopoietin (TSLP) oder IL-33, freisetzen. Da Keratinozyten die Expression von Zytokinen und deren Rezeptoren mit Immunzellen und Neuronen teilen, wirken die entsprechenden Moleküle auch auf Keratinozyten. So erwies sich IL‑4 in Zytokinkombinationen, die eine TSLP-Induktion in Keratinozyten bewirken können, als besonders wirksam. TSLP wiederum löst die Expression von IL-31 in Th2-Zellen aus, was zu einer erhöhten Freisetzung von IL-4/IL-13 führen kann [24]. Darüber hinaus wurde für beide Alarmine eine direkte Aktivierung sensorischer Neuronen und eine Pruritusinduktion in Mausmodellen für AD und Pruritus bei trockener Haut gezeigt [26, 29]. Weitere neu entdeckte Faktoren, die von Keratinozyten sezerniert werden und zur Entstehung von Pruritus beitragen, sind die Kallikreine (KLK), die zur Familie der Serinproteasen gehören. In AD-Mausmodellen wirkten sie entweder über die Aktivierung von PAR2 (KLK5) oder über nichtentzündliche Mechanismen (KLK7; [8]). All diese Faktoren und weitere, deren Bedeutung für den Pruritus noch nicht geklärt ist, sind nicht nur wichtig, um das sehr komplexe Zusammenspiel der einzelnen Zelltypen zu verstehen, sondern auch, um neue, dringend benötigte Therapien zu entwickeln. Aber auch andere Zelltypen, wie z. B. die mechanosensorischen Merkel-Zellen, sind von großer Bedeutung, um das Bild zu vervollständigen.

Merkel-Zellen bei der Wahrnehmung von Pruritus

Merkel-Zellen sind mechanosensorische Zellen in der Basalschicht der Epidermis, die mit Nervenendigungen von niederschwelligen, langsam adaptierenden Aβ-Fasern assoziiert sind und zur Kommunikation synapsenähnliche Scheiben, sog. Merkel-Scheiben, ausbilden. Lange Zeit waren der genaue Mechanismus und die Rolle der Merkel-Zellen in den Scheiben nicht bekannt, aber schließlich konnte gezeigt werden, dass eine selektive Aktivierung der Merkel-Zellen ausreicht, um eine afferente Aktivierung über den Piezo2-Ionenkanal bei Mäusen hervorzurufen [16]. Beim Menschen und im Zusammenhang mit Pruritus ist wenig über ihre Rolle bekannt. Eine erste Studie aus dem Jahr 1994 zeigte ein vermehrtes Auftreten von Merkel-Zellen bei CNPG, aber es fehlen ähnliche Studien für andere Pruritusarten. Anhand eines Mausmodells mit trockener Haut konnte jedoch die Rolle der Merkel-Zellen bei Sensibilisierungsprozessen, die in Pruritus resultieren, gezeigt werden. Die Alloknesis (Wahrnehmung von Pruritus nach einer nichtpruritogenen Stimulation) ging mit einer Reduzierung der Merkel-Zellen einher und konnte allein durch die genetische Deletion der Merkel-Zellen ausgelöst werden [7].

Spinale Sensibilisierung bei CP

Die zentrale Sensibilisierung, ein Zustand hoher Reaktivität des zentralen Nervensystems auf peripheren Input, verstärkt die Schwere des Pruritus und trägt zur Chronifizierung des Pruritus bei. Klinisch können Alloknesis (d. h. Wahrnehmung von Pruritus nach nichtpruritogenen Reizen) und Hyperknesis (verstärkte Reaktion auf pruritogene Reize; [1]) in und um juckende Hautareale von Patienten mit CP auftreten, sie werden als zentrale Sensibilisierungsphänomene angesehen. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist sowohl für die Alloknesis als auch für die Hyperknesis die Sensibilisierung spinaler Neuronen essenziell. Allerdings wird diese Sensibilisierung durch die permanente Aktivität eventuell ebenso sensibilisierter Prurizeptoren ausgelöst und aufrechterhalten. Die Alloknesis wird akut durch Aktivierung niedrigschwelliger Aβ-Fasern (z. B. durch leichte Berührung) ausgelöst, während der tonische Eingang von aktiven peripheren Prurizeptoren die Sensibilisierung fazilitatorischer spinaler Interneuronen aufrechterhält [1].
Für Alloknesis und Hyperknesis ist die Sensibilisierung spinaler Neuronen essenziell
Endogene Opioide sind an der Entwicklung der Alloknesis beteiligt, da das in einem Mausmodell durch leichte Berührung ausgelöste Kratzverhalten durch einen μ‑Opioid-Antagonisten gehemmt wurde. Bei der Hyperknesis kann die Aktivierung mechanisch empfindlicher Aδ-Fasern schon leichtes Jucken auslösen; nach Sensibilisierung von fazilitatorischen spinalen Interneuronen aber wird dieser Pruritus verstärkt. Auf diese Weise führt leichter Schmerz, der durch mechanische Stimulation (z. B. durch Nadelstiche) ausgelöst wird, zu einer Verstärkung des Juckens [1].
Es wird angenommen, dass mehrere Mechanismen zur zentralen Sensibilisierung bei CP beitragen. GRP und sein entsprechender Rezeptor werden im Rückenmark hochreguliert. Mehrere andere Rezeptoren und Mediatoren wurden mit der zentralen Bahnung von Pruritus in Verbindung gebracht. NK1R-Rezeptoren und ihr Ligand SP, Toll-like-Rezeptoren, der spannungsabhängige Natriumkanal NaV1.7, Ionenkanäle wie TRPA1 und endogene Opioide sind von besonderem Interesse [13]. Die spinale Sensibilisierung wird durch nichtneuronale Zellen weiter verstärkt. Astrozyten des Hinterhorns fördern die Sensibilisierung von GRPR+-Neuronen über Lipocalin-2-Signale [12]. TLR4 (Toll-like-Rezeptor 4) und STAT‑3 (Signal transducer and activator of transcription 3) regulieren die spinale Gliaaktivierung und tragen auf diese Weise zur Pruritussensibilisierung und zu Sensibilisierungsphänomenen wie der Alloknesis bei [14].
Auch enthemmende Mechanismen spielen bei der spinalen Verarbeitung von Pruritus eine Rolle. Die Disinhibition von Bhlhb5+-Interneuronen führt bei Mäusen zu einer verstärkten Pruritusübertragung, während die Aktivierung von Neuropeptid Y exprimierenden Interneuronen des Hinterhorns histaminergen und mechanischen Pruritus hemmt [17]. Auch beim Menschen ist ein Verlust inhibitorischer Mechanismen bei verschiedenen CPs bereits gezeigt worden [20].

Fazit für die Praxis

  • Chronischer Pruritus (CP) kann bei interdisziplinären Erkrankungen entstehen.
  • Verschiedene Klassen sensorischer Afferenzen sind am CP beteiligt.
  • Die bidirektionale Kommunikation zwischen sensorischen Afferenzen, Entzündungszellen und Keratinozyten führt zur Auslösung und Chronifizierung und kann schließlich zum Juck-Kratz-Zyklus führen.
  • Beim Juck-Kratz-Zyklus liegt häufig eine neuronale Sensibilisierung im peripheren und zentralen Nervensystem vor.
  • Zentrale Sensibilisierung äußert sich als Hyperknesis und Alloknesis.
  • Die Bedeutung von Entzündungszellen wie Th1-Zellen, Th2-Zellen, basophile- und eosinophile Granulozyten ist in den letzten Jahren deutlicher geworden.
  • Neue Studien und Therapieansätze bei Pruritus konzentrieren sich auf die Blockierung proinflammatorischer Interleukine, wie z. B. IL(Interleukin)4/IL13/IL31, OSM (Oncostatin-M) und auch den JAK/STAT(Januskinase/ „signal transducers and activators of transcription“)-Signalweg.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

K. Agelopoulos, H. Wiegmann, M. Schmelz und S. Ständer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Unsere Produktempfehlungen

Die Dermatologie

Print-Titel

Aktuelle, praxisnahe Leitthemen verständlich aufbereitet

Von Allergologie bis Venerologie

Fortbildung für Klinik und Praxis

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

e.Dent – Das Online-Abo der Zahnmedizin

Online-Abonnement

Mit e.Dent erhalten Sie Zugang zu allen zahnmedizinischen Fortbildungen und unseren zahnmedizinischen und ausgesuchten medizinischen Zeitschriften.

Weitere Produktempfehlungen anzeigen
Literatur
2.
Zurück zum Zitat Arcilla CK, Tadi P (2022) Neuroanatomy, unmyelinated nerve fibers. StatPearls Arcilla CK, Tadi P (2022) Neuroanatomy, unmyelinated nerve fibers. StatPearls
Metadaten
Titel
Neurobiologie des Pruritus: neue Konzepte
verfasst von
Konstantin Agelopoulos
Henning Wiegmann
Martin Schmelz
Prof. Dr. Sonja Ständer
Publikationsdatum
13.06.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Pruritus
Erschienen in
Die Dermatologie / Ausgabe 8/2022
Print ISSN: 2731-7005
Elektronische ISSN: 2731-7013
DOI
https://doi.org/10.1007/s00105-022-05017-1

Weitere Artikel der Ausgabe 8/2022

Die Dermatologie 8/2022 Zur Ausgabe

In der Diskussion

Some like it hot!

One Minute Wonder

Chronische Prurigo