Eine 53-jährige Patientin stellte sich notfallmäßig wegen seit 2 Tagen plötzlicher Visusminderung mit Gesichtsfeldausfall am linken Auge in unserer Ambulanz vor. Die Patientin hatte vor 6 Monaten am betroffenen linken Auge eine perforierende Keratoplastik bei Keratokonus erhalten. Außerdem litt sie unter arterieller Hypertonie, Adipositas (BMI 37 kg/m2) und hatte im Jahr 2001 ein Zervixkarzinom.
Klinischer Befund
Der Visus betrug korrigiert 0,4 am betroffenen linken Auge. Der Augeninnendruck lag mit 11 mm Hg im Normbereich. Klinisch zeigte sich links ein reizfreier Vorderaugenabschnitt mit klarem Hornhauttransplantat ohne Abstoßungszeichen. Fundoskopisch zeigten sich am rechten Auge eine vitale randscharfe Papille und am linken Auge eine Papillenschwellung mit Ödem und Streifenblutung (Abb. 1). Makula, Gefäße und periphere Netzhaut waren unauffällig.
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Diagnostik
Die optische Kohärenztomographie (OCT) der Makula zeigte beidseits einen unauffälligen regelrechten Befund. In der Fluoreszenzangiographie fand sich am linken Auge eine Papillenexsudation in der Spätphase (Abb. 2). Die OCT der Papille ergab einen unauffälligen Befund am rechten Auge und eine inferiore sowie beginnend superiore parapapilläre retinale Nervenfaserschichtverdickung am linken Auge (Abb. 3), was dem Befund der Fundoskopie entsprach. Bei der Gesichtsfelduntersuchung zeigten sich ein unauffälliger Befund rechts und ein tiefes kraniales Skotom links, das zum OCT-Papillenbefund passt (Abb. 4). Die Laborwerte der Patientin waren unauffällig, die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) betrug 20/76 mm, das C‑reaktive Protein lag bei 1,6 mg/l. Ein Temporalis-Doppler zum Ausschluss Arteriitis temporalis erfolgte und zeigte einen unauffälligen Befund.
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Therapie und Verlauf
Bei Verdacht auf eine nichtarteriitische anteriore ischämische Optikusneuropathie (N-AION) wurde die Patientin zur weiteren Abklärung stationär aufgenommen und trotz fehlender Evidenz mit systemischen Steroiden und Pentoxifyllin-Infusionen behandelt.
Ein Thrombophiliescreening zum Ausschluss einer Blutgerinnungsstörung sowie eine serologische Untersuchung zum Ausschluss einer Papillitis erfolgten und waren beide unauffällig. Der Karotis-Doppler ergab keinen Hinweis auf eine Stenose. Die Magnetresonanztomographie des Kopfes (cMRT) zum Ausschluss einer Metastase in Anbetracht der Vorgeschichte der Tumorerkrankung zeigte keinen Hinweis auf eine Metastase. Die Entlassung erfolgte 3 Tage nach dem Aufenthalt mit einem Visus von 0,4.
Eine Dauertherapie mit ASS 100 mg zur Vorbeugung und Behandlung von Durchblutungsstörungen wurde empfohlen.
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Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich bei der N‑AION um eine akute Sehnervendegeneration handelt, deren Pathogenese weitgehend unerforscht ist und für die es derzeit keine allgemein akzeptierten Behandlungsmöglichkeiten gibt [8].
In der Nacht nach der Entlassung stellte sich die Patientin erneut notfallmäßig aufgrund einer subjektiven Zunahme des Gesichtsfeldausfalls mit Ausbreitung bis zum Zentrum (Abb. 5) und Visusabnahme auf 0,16 am betroffenen linken Auge vor.
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Wie bereits oben erwähnt, lagen bereits bei Erstvorstellung eine recht starke Papillenschwellung sowie eine beginnende superiore parapapilläre retinale Nervenfaserschichtverdickung vor, sodass eine Verschlechterung des Visus und Gesichtsfelds innerhalb der ersten Tage nach Auftreten der N‑AION durchaus nicht ungewöhnlich ist, sondern bei bis zu einem Drittel der Patienten zu erwarten ist [8].
Bei Verdacht auf eine intrakranielle Hypertension bei Adipositas und bei anamnestisch persistierenden Kopfschmerzen wurde eine Lumbalpunktion durchgeführt, wobei eine idiopathische intrakranielle Hypertension (Pseudotumor cerebri [PTC]) nachgewiesen wurde (Liquoreröffnungsdruck 31 cm H2O). Die durchgeführte cMRT zeigte leicht erweiterte Sehnervenscheiden. Eine langfristige Therapie mit Acetazolamid (Diamox®) 250 mg 2‑mal/Tag wurde vonseiten der Neurologie eingeleitet. Außerdem wurde eine Gewichtreduktion empfohlen.
Wie lautet Ihre Diagnose?
Bei der Kontrolle 6 Wochen nach der Entlassung zeigte sich ein Visusanstieg von 0,16 auf 0,3 mit Abnahme der Tiefe des Skotoms und Abnahme der Papillenschwellung (Abb. 6).
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Diskussion
Die Papillenschwellung ist ein unspezifisches klinisches Zeichen, welches bei Erkrankungen des Sehnerven, des zentralen Nervensystems und anderen Systemerkrankungen vorkommen kann [4].
Diese sind in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit:
1.
anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION),
2.
Entzündung durch Autoimmunreaktion,
3.
intrakranielle Hypertension,
4.
Infektion,
5.
zerebrale Tumoren und Anomalien.
Bei der AION werden 2 verschiedene Formen unterscheiden: 1. die nichtarteriitische ischämische Optikusneuropathie (N-AION) nichtentzündlicher Ätiologie sowie 2. die arteriitische ischämische Optikusneuropathie (A-AION) beim Morbus Horton [2, 5].
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Die Patienten berichten bei N‑AION über einen (sub)akuten, schmerzlosen Visusverlust. Die Gesichtsfeldausfälle sind meist altitudinal. Fundoskopisch findet man typischerweise eine Papillenschwellung mit peripapillären Blutungen. CRP und BSG sind im Normbereich. Die genaue Pathogenese von N‑AION wurde noch nicht nachgewiesen. Es scheint sich um eine multifaktorielle Erkrankung zu handeln, von der angenommen wird, dass sie aus Hypoperfusion und Ischämie aufgrund einer vorübergehenden Störung der Zirkulation des Sehnervkopfes resultiert. Die wichtigsten systemischen Risikofaktoren bei der Entstehung der N‑AION sind systemische Hypertonie, Diabetes mellitus, obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS) und nächtliche Hypotonie. Andere Risikofaktoren sind ein erhöhter intrakranieller Druck, intraokulare Eingriffe und Papillenanomalien wie „crowded discs“ oder Drusenpapillen [2, 5, 8].
Diagnose: Einseitige N‑AION assoziiert mit Pseudotumor cerebri
Bei N‑AION steht die internistische Ursachenabklärung im Vordergrund, um das Risiko eines Rezidivs des Partnerauges zu minimieren [8]. Bei unbehandeltem OSAS ist das Risiko für das Auftreten einer N‑AION für das Partnerauge extrem hoch. Da bei unserem Fall sowohl eine arterielle Hypertonie als auch eine Adipositas bekannt waren, die das OSAS als bekannten Risikofaktor für die N‑AION begünstigen, wurde eine Polysomnographie mit Schlaflaboruntersuchung zum Ausschluss OSAS empfohlen. Die häufigsten Symptome wie unregelmäßiges lautes Schnarchen, ein nichterholsamer Schlaf und ständige Tagesmüdigkeit mit vermehrter Einschlafneigung am Tag wurden von der Patientin und dem Lebenspartner jedoch verneint. Bei bekannter arterieller Hypertonie erfolgten insbesondere Echokardiographie, 24-h-RR und 24-h-EKG zur Optimierung der kardiovaskulären Risikofaktoren und waren regelrecht.
Stauungspapillen hingegen sind definitionsgemäß Folge eines erhöhten intrakraniellen Drucks. Da der Subduralraum des Gehirns mit dem des Sehnerven kommuniziert, wird der Druck in die Sehnervenscheide fortgeleitet und führt dort zu einer Blockade des axoplasmatischen Flusses, was die Axone anschwellen lässt [4]. Ursachen einer intrakraniellen Hypertension sind in drei Viertel der Fälle intrakranielle Tumoren. Der Rest wird durch Erkrankungen wie Sinusvenenthrombose, Meningoenzephalitis oder idiopathische intrakranielle Hypertension, auch Pseudotumor cerebri (PTC) genannt, ausgelöst [4].
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Es handelt sich bei PTC um eine Liquordrucksteigerung ohne verursachenden intrakraniellen Tumor ohne Hydrozephalus. Typischerweise sind übergewichtige Frauen im gebärfähigen Alter betroffen [3].
Stauungspapillen bei PTC entwickeln sich langsam innerhalb von mehreren Tagen bis Wochen. Eine beidseitige, weitgehend symmetrische Papillenschwellung findet sich in mehr als der Hälfte der Fälle, wobei keine klare Korrelation zwischen der Höhe des Hirndrucks und der Ausprägung der Papillenschwellung ersichtlich ist. Lediglich Patienten mit einer sehr geringen Hirndruckerhöhung unter 25 cm H2O wiesen durchweg eine geringe Papillenprominenz auf. Selten kann aufgrund von angeborenen oder erworbenen Verwachsungen im Subduralraum der Druck in einem Sehnerv nicht weitergeleitet werden, sodass nur eine Papille anschwillt [1, 7].
Bei ca. 20 % der Patienten fand sich eine einseitige oder sehr stark asymmetrische Papillenschwellung, die zunächst als einseitige Papillenschwellung gedeutet wurde, was zu einer Verzögerung der Diagnosestellung führt [7].
Bei frischer Stauungspapille sind Sehschärfe und Gesichtsfeld zunächst praktisch normal. Bei länger bestehender Stauungspapille treten Gesichtsfeldausfälle auf, typischerweise beginnend mit Vergrößerung des blinden Flecks, in der Folge eher diffus, parazentral oder auch konzentrisch möglich [1]. Eine rasche, einseitige Gesichtsfeldverschlechterung kann auch durch eine N‑AION verursacht werden, für die der PTC möglicherweise einen Risikofaktor darstellt [6].
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Aufgrund der typischen klinischen Zeichen der Papillen und des Gesichtsfelds, der normalen Laborwerte und des Nachweises einer idiopathischen intrakraniellen Hypertension stellten wir die Diagnose einer einseitigen N‑AION assoziiert mit PTC.
Die Therapie des PTC muss zum einen die Symptomatik des jeweiligen Patienten, zum anderen den klinischen Schweregrad berücksichtigen. Dabei spielt die mögliche Schädigung des Sehnerven eine entscheidende Rolle, häufig jedoch auch das Ausmaß des Kopfschmerzes. In den häufigen Fällen des Auftretens bei Übergewicht stellt die Gewichtsreduktion einen wesentlichen therapeutischen Schritt dar. Die Sofortbehandlung besteht in der Gabe von Acetazolamid bei Erwachsenen von 2‑mal 250 mg/Tag. Es senkt den intrakraniellen Druck durch Verminderung der Liquorproduktion. Hier ist aber eine interdisziplinäre Betreuung wichtig, insbesondere auch eine neurologische Anbindung mit regelmäßigen Liquordruckmessungen zur Entlastung und eine Therapieüberwachung. Verschlechtern sich trotz Acetazolamid-Therapie die Gesichtsfelder, kann dann die Sehnervenscheidenfensterung als Ultima Ratio erwogen werden [4, 6].
Fazit für die Praxis
Eine rasche, einseitige Gesichtsfeldverschlechterung kann durch eine N‑AION verursacht werden, für die der PTC einen Risikofaktor darstellt. Im Gegensatz dazu entwickeln sich Stauungspapillen bei PTC langsam innerhalb von mehreren Tagen bis Wochen. Typischerweise treten sie beidseitig auf. Selten kann der Druck in einem Sehnerv nicht weitergeleitet werden, sodass auch hier nur eine Papille anschwillt.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. El Halabi, B. Seitz und A.D. Abdin geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
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