Zum Inhalt
Der Nervenarzt

Die gegenwärtige Rechtspraxis der gerichtlichen Überprüfung von Fixierungen

Erschienen in:

Auszug

Die Rechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen sind in Deutschland in den letzten Jahren durch zahlreiche Gesetze und Modifikationen des regulativen Rahmens für die Anwendung von Zwangsbehandlungen und Zwangsmaßnahmen kontinuierlich gestärkt worden. Die gesetzliche Stärkung der Rechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist sehr zu begrüßen und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen, insbesondere Fixierungen, im Rahmen der stationären psychiatrischen Versorgung in Deutschland wichtig [1]. Den Beginn dieser gesetzlichen Veränderungen markieren zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2011 (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011, BvR 882/09 und BVerfG, Beschluss vom 12.10.2011, 2 BvR 663/11): Teile des Unterbringungsgesetzes von Baden-Württemberg und des Maßregelvollzugsgesetzes Rheinland-Pfalz wurden damals als verfassungswidrig erklärt, da diese aufgrund fehlender klarer gesetzlicher Regelungen hinsichtlich der Zulässigkeit und Durchführung einer Zwangsbehandlung keinen wirksamen Grundrechtsschutz boten. Kurze Zeit danach stellte der Bundesgerichtshof (BGH) fest, dass es an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung fehle (BGH, Beschluss vom 20.06.2012 – XII ZB 99/12 u. XII ZB 130/12). In der Folge waren Zwangsbehandlungen im Rahmen betreuungsrechtlicher Unterbringungen in ganz Deutschland und im Rahmen des öffentlichen Rechts bzw. im Bereich des Maßregelvollzugs in Baden-Württemberg bzw. Rheinland-Pfalz nicht mehr möglich, sodass für einen mehrmonatigen Zeitraum (etwa 06/2012 bis 02/2013) in vielen Bundesländern Zwangsbehandlungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen lediglich im Rahmen des rechtfertigenden Notstands (gem. § 34 StGB) bzw. bei „Gefahr im Verzug“ möglich waren. Erst mit dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßahme vom 18.02.2013, das Veränderungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorsah und als Kriterien für die rechtliche Durchführbarkeit einer Zwangsbehandlung insbesondere die fehlende Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen, das Vorliegen eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens, die Alternativlosigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sowie zahlreiche Dokumentations- und Aufklärungspflichten forderte, waren Zwangsbehandlungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland wieder möglich. Weitere für die rechtliche Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen neue Kriterien waren der sog. „Überzeugungsversuch“1 sowie die Forderung, dass der zwangsbehandelnde Arzt nicht Sachverständiger im Genehmigungsverfahren sein soll (s. § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG). Entsprechend diesen Kriterien wurden die Unterbringungsgesetze bzw. Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetze (PsychKHG) oder Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKG) der Länder in der Folge angepasst. …
Titel
Die gegenwärtige Rechtspraxis der gerichtlichen Überprüfung von Fixierungen
Verfasst von
Prof. Dr. Maximilian Gahr, MA
Prof. Dr. Bernhard J. Connemann
Prof. Dr. Dominikus Bönsch
Prof. Dr. Markus Jäger
Publikationsdatum
15.11.2024
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Der Nervenarzt / Ausgabe 5/2025
Print ISSN: 0028-2804
Elektronische ISSN: 1433-0407
DOI
https://doi.org/10.1007/s00115-024-01779-2
Dieser Inhalt ist nur sichtbar, wenn du eingeloggt bist und die entsprechende Berechtigung hast.
Dieser Inhalt ist nur sichtbar, wenn du eingeloggt bist und die entsprechende Berechtigung hast.

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Bundesverfassungsgericht: Triage-Regelung nicht mit Grundgesetz vereinbar

Das Bundesverfassungsgericht hat Regelungen zur Triage für nichtig erklärt. Es gab damit Verfassungsbeschwerden von Intensiv- und Notfallmedizinern statt. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, betont das Gericht.

Was lindert kindliche Kopfschmerzen?

Die Migräne-Inzidenz steigt auch bei Kindern und Jugendlichen. Medikamentös gibt es nur wenige Optionen, insbesondere für die Prophylaxe. Multimodale Ansätze sind gefragt. Hilft dabei auch ein strukturiertes Riechtraining? 

Polypharmazie bei Krebs – so gelingt die Delirprävention

Die medikamentöse Versorgung älterer Krebskranker ist oft komplex – viele nehmen bereits vor der Tumordiagnose mehrere Arzneimittel ein. Diese Polypharmazie birgt Risiken, insbesondere für die Entwicklung eines Delirs. Auf der DGHO-Jahrestagung gab Dr. Nina Rosa Neuendorff, Herne, Tipps zur Prävention bei Hochbetagten.

Migräne in der Schwangerschaft: Welche Therapie ist überhaupt möglich?

CGRP-Antikörper und Rimegepant werden in der Schwangerschaft nicht eingesetzt. Worauf können schwangere Migräne-Patientinnen also akut und prophylaktisch zurückgreifen? Diese Frage wurde auf dem Schmerzkongress in Mannheim beantwortet. 

Bildnachweise
Junge Ärztin vor einem Triage-Zelt/© Milos / Stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell), Kranker Junge mit erhöhter Temperatur/© Imgorthand / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell), Senior nimmt Medikament an/© Yuri Arcurs / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodellen), Schwangere mit Medikament/© Stockbyte / Thinkstock (Symbolbild mit Fotomodell)