Erschienen in:
01.09.2009 | Originalien
Psychische Beschwerden und Störungen von Studierenden
Vergleich von Feldstichproben mit Klienten und Patienten einer psychotherapeutischen Beratungsstelle
verfasst von:
Prof. Dr. Rainer M. Holm-Hadulla, Frank-Hagen Hofmann, Michael Sperth, Joachim Funke
Erschienen in:
Die Psychotherapie
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Ausgabe 5/2009
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Zusammenfassung
Hintergrund
Psychische Beeinträchtigungen von Studierenden finden in der Öffentlichkeit zunehmend Beachtung. Zur Behandlung dieser Beeinträchtigungen und Störungen von Studierenden existiert heute ein breites Versorgungsnetz. So verfügen die meisten Studentenwerke und Universitäten über psychologische und psychotherapeutische Beratungsstellen oder zentrale Studienberatungsstellen. Die epidemiologische Forschung ist jedoch nur rudimentär und spärlich ausgebildet.
Fragestellung
Um Prävalenz, Ausprägungsgrad und Art der psychischen Störungen von Studierenden und ihre Veränderung in der Zeit darzustellen, wurde untersucht, welche psychischen Beschwerden und Störungen bei Studierenden vorliegen, die eine psychotherapeutische Beratungsstelle konsultierten. Diese wurden mit psychischen Beeinträchtigungen einer studentischen Feldstichprobe verglichen. Weiterhin wird dargestellt, wie sich psychische Beeinträchtigungen und Störungen von Studierenden im Laufe von 10 und 15 Jahren verändert haben.
Methode
Die Prävalenz und zeitliche Veränderung psychischer Syndrome bei Studierenden wurde an einer unselektierten Stichprobe von Klienten einer psychotherapeutischen Beratungsstelle im Vergleich mit mehreren Klienten- und Feldstichproben aus den letzten 15 Jahren bestimmt. Art und Schwere der Beeinträchtigung wurden mithilfe einer Symptomcheckliste (SCL-90-R), der psychosozialen Beschwerdeliste (PSB), der Lebens- und Studienzufriedenheitsskala (LSZ), der diagnostischen Einschätzung nach International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10th Revision (ICD-10), dem Beeinträchtigungsschwere-Score (BSS) und dem Global Assessment of Functioning (GAF) untersucht.
Ergebnisse
Frühere Untersuchungsergebnisse, wonach 20–25% der Studierenden unter psychischen Störungen leiden, können auch aktuell bestätigt werden. Bei Klienten einer Beratungsstelle liegen mit 60–65% deutlich mehr klinisch relevante psychische Störungen vor. Als wesentliche Beschwerdebereiche ragen depressive Verstimmungen, mangelndes Selbstwertgefühl und Prüfungsängste heraus. Diagnostisch werden diese zumeist Anpassungsstörungen, depressiven und Angststörungen zugeordnet. Der Vergleich mit früheren Studien zeigt, dass die Häufigkeiten psychischer Beschwerden in den letzten 15 Jahren konstant geblieben sind, bis auf eine Ausnahme: Prüfungsängste! Diese haben nach eigenen Studien zwischen 1993 und 2008 um 51% zugenommen. In Bezug auf Alkoholmissbrauch wurden deutlich geringere Beeinträchtigungen gefunden, als auf der Grundlage früherer Untersuchungen angenommen wurde.
Schlussfolgerungen
Psychische Beeinträchtigungen und Störungen finden sich bei Studierenden häufig. Sie verursachen individuelles Leid und volkswirtschaftliche Kosten. Auffallend ist die erkennbare Zunahme an klinisch relevanten Prüfungsängsten. Die psychologisch-psychotherapeutischen Beratungsstellen leisten einen wichtigen Beitrag zur Diagnostik, Erstversorgung sowie Prävention und verzeichnen in den letzten Jahren ständig steigende Fallzahlen. Weitere Forschung, insbesondere zur Prozess- und Ergebnisqualität der zumeist eklektischen Beratungspraxis ist nötig. Im Folgenden werden Möglichkeiten hierfür aufgezeigt.