06.11.2019 | Psychotherapie | Schwerpunkt: Grenzverletzungen in der Psychotherapie – Originalien
Von schleichenden Grenzverletzungen zu sexuellem Missbrauch in Psychotherapien
Systematische Auswertung von Patientenberichten
verfasst von:
Hannah Stuhler, M.Sc. Reha-Psych., Lena Kontny, Dr. Andrea Schleu, Prof. Dr. phil. habil. Bernhard Strauß
Erschienen in:
Die Psychotherapie
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Ausgabe 6/2019
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Zusammenfassung
Hintergrund
Professioneller sexueller Missbrauch (PSM) von Patienten durch Psychotherapeuten steht durch aktuelle Fälle im Fokus öffentlicher Debatten um das Patientenwohl. In der einschlägigen Literatur gilt PSM als Ergebnis eines eskalativen Prozesses zunehmender Grenzverletzungen („slippery slope“). Es liegen keine verlässlichen, auf empirischen Forschungsergebnissen basierenden Systematisierungen relevanter Grenzverletzungen vor.
Material und Methode
Zur systematischen Erforschung der einem PSM vorausgehenden Grenzverletzungen wurden mithilfe eines eigens entwickelten Kategoriensystems 53 Betroffenenberichte und Beratungsprotokolle des Ethikverein e. V. qualitativ inhaltsanalytisch aufbereitet und quantitativ ausgewertet.
Ergebnisse
Die Patienten schildern eine Vielzahl relevanter sexueller und nichtsexueller Grenzverletzungen (u. a. verbale Erotisierung, Körperkontakt, unangemessene Selbstoffenbarungen, Delegitimation).
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse bestätigen, dass leichte Grenzverletzungen Vorboten eines PSM sein können. Auf Basis der vorliegenden Berichte werden diese jedoch interpretiert als ein offener und manipulativer Machtmissbrauch durch die Psychotherapeuten. Zentrale Elemente sind eine zunehmende Sexualisierung in Verbindung mit nichtsexuellen Grenzverletzungen und eine manipulative Fixierung der Abhängigkeit bei unklaren Therapiebedingungen. Es finden sich deutliche Parallelen zum Vorgehen der Täter beim Kindesmissbrauch.