In psychiatrisch/neurologischen Lehrbüchern der NS-Zeit kommt die Psychoanalyse nicht immer, aber zumeist schlecht weg, auch wenn antisemitische Zungenschläge fehlen. Kurt Kolle billigt ihr nur noch eine historische Bedeutung zu und favorisiert die schulübergreifende Psychotherapie, die ab 1936 am „Göring-Institut“ gepflegt wurde. Bemerkenswert ist ein Handbuchbeitrag von Josef Reinhold (Gräfenberg/Tschechoslowakei), der von großer Sachkenntnis zeugt und demonstriert, wieviel positive Würdigung der Psychoanalyse aus der Feder eines nichtdeutschen Autors damals in der Fachliteratur möglich war. Oswald Bumke, seit 1921 der vehementeste Freud-Gegner überhaupt, brachte seine Ablehnung 1943 dadurch zum Ausdruck, dass er seine Erörterung der Psychoanalyse aus der Neuauflage seines Lehrbuchs ganz strich. In einem Pamphlet von 1938 dehnte er seinen Kampf auf Adler und Jung aus, in denen „getarnt“ immer noch viel zu viel Freud stecke. Sein Oberarzt Max Mikorey verstärkte diesen Angriff mit rassistischen Argumenten. Beide Äußerungen fügen sich ein in den anhaltenden Konflikt der Universitätspsychiatrie mit der sich verselbständigenden NS-Psychotherapie. In der Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, die zuvor das wichtigste Forum der fachlichen Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse gewesen war, versiegte diese Auseinandersetzung ab 1934, in welchem Jahr erstmals ein wissenschaftlicher Beitrag erschien, der die Eigenart von Freuds Lehre auf ihre Verankerung im gehobenen jüdischen Bürgertum Wiens zurückführte. Einen parallelen Rückgang ihrer Präsenz erlebte die Psychoanalyse in Der Nervenarzt.