2. Rolle der universitären Psychiatrie und Psychotherapie in Deutschland in der Aus- und Weiterbildung
Zum Wintersemester 2022/23 wurden deutschlandweit 108.130 Studierende der Humanmedizin gezählt [
11], wovon jedoch nur die Hälfte direkt in der klinischen Medizin berufstätig wird. Die andere Hälfte orientiert sich im Ausland oder wird in Deutschland in der Industrie oder im Verwaltungsbereich tätig. In Deutschland arbeiten insgesamt 14.625 Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenheilkunde; im Jahr 2022 wurden 555 neue Facharzttitel für Psychiatrie und Psychotherapie anerkannt [
7]. Die fachärztliche Versorgung außerhalb der Ballungszentren ist nach wie vor schwierig, und es zeigt sich kein Trend zur Verbesserung dieser Situation. Im Gegenteil ist eine weitere Verschlechterung der ambulanten psychiatrischen Versorgung zu erwarten, da ein großer Anteil der niedergelassenen Psychiater sich dem Rentenalter annähert, während die Inanspruchnahme psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung zunimmt.
1. Lehre in der Psychiatrie und Psychotherapie ist stark interdisziplinär ausgerichtet
Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sind Teile der jeweiligen Universitätsmedizin und somit auch Bestandteil der fachübergreifenden und interdisziplinären Lehre. Hierzu gehören gemeinsame oder aufeinander abgestimmte Lehrveranstaltungen wie z. B. mit der medizinischen Psychologie, der psychosomatischen Medizin, der Neurologie, der Altersmedizin, der Notfallmedizin, der Rechtsmedizin, den Grundlagenfächern der Gesundheitswissenschaften (Anatomie, Physiologie, Pharmakologie) oder anderen Fachgebieten wie z. B. der Psychologie.
2. Aus- und Weiterbildung in der Psychiatrie und Psychotherapie sichern die kontinuierliche Gewinnung von Nachwuchskräften
Insbesondere die Ausbildung von Medizinstudierenden bietet eine sehr gute Möglichkeit, Interesse für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie zu wecken und somit den fachärztlichen Bestand stabil zu halten oder optimalerweise sogar zu erhöhen. Psychiatrische Universitätskliniken sind hierfür prädestiniert, da sie nicht nur ein umfassendes, multidisziplinäres Lehrangebot vorhalten, sondern zudem eine Verbindung zu aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen gewährleisten, was die Lehre interessant und abwechslungsreich macht und eine evidenzbasierte Versorgung sichert. Zudem obliegt es den psychiatrischen Universitätskliniken, auf dem Wege der Lehrforschung neue Lehrformate zu entwickeln, die die Entwicklungen im Fach, z. B. den trialogischen Gedanken, aufgreifen. So werden in jüngster Zeit über die üblichen Patientenvorstellungen hinaus in trialogischen Veranstaltungen lebensnah die Bedürfnisse psychisch erkrankter Menschen und ihrer Familien anschaulich gemacht und das Stigmaproblem von Menschen mit psychischen Erkrankungen behandelt. Wenn wie an vielen Standorten die psychiatrische Lehre jedoch am Ende des Medizinstudiums (z. B. im 10. Semester) angesiedelt wird, gestaltet sich u. a. die Vergabe von Doktorarbeiten bzw. Qualifizierungsarbeiten an interessierte und leistungsfähige Medizinstudierende schwierig. Eine stärkere Integration der Forschung im Rahmen einer durchzuführenden Seminararbeit im letzten Studienabschnitt ist hilfreich, aber nicht ausreichend.
Die Forderung der DFG, ca. 10 % der Weiterbildungsplätze für Clinician Scientists zu reservieren, ist sehr zu unterstützen: In diesem Forschungs-Track wird den angehenden Fachärztinnen und -ärzten die Möglichkeit gegeben, neben einer profunden klinischen Ausbildung auch eine ebenso profunde wissenschaftliche Ausbildung, wie z. B. in molekularen oder bildgebungsbasierten Techniken, zu erlangen. Dass dies möglich ist, zeigen viele von den Fakultäten selbst oder beispielweise der DFG oder privaten Stiftungen wie der Else Kröner-Fresenius-Stiftung finanzierte Clinician-Scientist-Programme. Solche Programme sind beispielsweise in den Niederlanden bereits etabliert und bringen einen klinisch wie wissenschaftlich sehr gut qualifizierten Nachwuchs hervor. Da viele dieser Programme nur temporär zur Verfügung stehen, sollte darauf gedrängt werden, dass diese ein strukturierter Teil der Aus- und Weiterbildung an Universitätskliniken werden.
3. Lehre in der Psychiatrie ist durch substanziellen Lehrexport und Lehrlast geprägt
Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie gewährleisten die studentische Ausbildung im Fach Psychiatrie und Psychotherapie, wozu die Gewährleistung von Kapazitäten für das Praktische Jahr (PJ) und Famulaturen gehört. Darüber hinaus ermöglichen sie die Weiterbildung einer Vielzahl von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung und garantieren damit die Aufrechterhaltung der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie unterstützen aber nicht nur die Lehre im Fach Psychiatrie und Psychotherapie, sondern leisten Lehrexport z. B. in die Psychologie, psychosomatische Medizin, Allgemeinmedizin, Medizinpsychologie, Jura, Biologie, Gesundheitswissenschaften und Pharmakologie. Das „Direktstudium Psychotherapie“ erfordert für den Bachelor, aber insbesondere für den Master eine substanzielle klinische Unterstützung durch psychiatrische Universitätskliniken. Nur an den Universitätskliniken kann eine hochqualitative Ausbildung in klinischen Fragestellungen erfolgen. Neben der Gewährleistung einer Forschungsinfrastruktur soll der Landeszuführungsbetrag auch die Lehrleistung adäquat finanzieren. Hier tut sich wegen der Ausweitung von Lehrleistung, z. B. zur Unterstützung des Direktstudiengangs Psychotherapie, ein zunehmendes Defizit auf.
Dieses Positionspapier wurde unter Beteiligung folgender Lehrstuhlinhaber und Mitglieder der Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie e. V. in Deutschland (LIPPs) (in alphabetischer Reihenfolge) gemeinschaftlich erarbeitet:
Michael Bauer, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden
Bernhard Baune, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Münster
Stefan Borgwardt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Integrative Psychiatrie, Campus Lübeck
Katharina Domschke, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg
Kiefer Falk, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin
Andreas J. Fallgatter, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Tübingen
Jürgen Gallinat, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
Alkomiet Hasan, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Augsburg
Sabine Herpertz, Klinik für Allgemeine Psychiatrie der Universitätsmedizin Heidelberg
Rene Hurlemann, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Kamila Jauch-Chara, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Zentrum für Integrative Psychiatrie, Campus Kiel
Frank Jessen, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik Köln
Tilo Kircher, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Marburg
Johannes Kornhuber, Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik, Uniklinik Erlangen
Klaus Lieb, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz
Andreas Meyer-Lindenberg, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Eva Meisenzahl, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Christian Otte, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Benjamin Franklin, Charité Berlin
Andreas Reif, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Matthias Riemenschneider, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum des Saarlandes
Martin Walter, Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik, Universitätsklinikum Jena
Jens Wiltfang, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen
Hinweis des Verlags
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