In Deutschland besteht neben approbierten Psychotherapeut:innen auch die Möglichkeit für Heilpraktiker:innen, im Bereich der Psychotherapie tätig zu werden. Die z. T. unscharfen Berufsbezeichnungen führen häufig zu Unklarheiten und Verwechslungsgefahr bei Patient:innen bezüglich der Qualifikation der Anbieter:innen.
Ziel der Arbeit
Die Studie untersuchte, ob Patient:innen eine klare Präferenz für qualifizierte Psychotherapeut:innen gegenüber Heilpraktiker:innen haben, und ob die Bezeichnung sowie akademische Titel die Präferenz beeinflussen.
Material und Methoden
Es wurde eine Online-Befragung mit 2332 Teilnehmenden durchgeführt, die Erfahrung mit oder Interesse an Psychotherapie hatten. Den Teilnehmenden wurden Praxisschilder mit unterschiedlichen Berufsbezeichnungen, akademischen Titeln und Spezialisierungen präsentiert. Mittels Conjoint-Analyse wurden die Präferenzen analysiert.
Ergebnisse
Es konnte eine klare Präferenzhierarchie festgestellt werden: Approbierte Psychotherapeut:innen werden bevorzugt, gefolgt von Heilpraktiker:innen mit Psychologiestudium und schließlich Heilpraktiker:innen. Verschiedene Berufsbezeichnungen für Heilpraktiker:innen führen zu unterschiedlichen Präferenzen und werden durch Doktorgrade, Master-Abschlüsse und bestimmte Spezialisierungen aufgewertet, obwohl diese nicht zwangsläufig auf eine psychotherapeutische Qualifikation hinweisen.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass die geschickte Wahl der Berufsbezeichnung zu einer positiveren Bewertung von Heilpraktiker:innen führt. Damit steigt das Risiko einer möglichen Verwechslung des Therapieangebots mit dem von approbierten Berufsgruppen. Die Lösung liegt sowohl in klarer Bezeichnungsregulierung als auch in der Etablierung von Ausbildungsstandards für ein niederschwelliges Angebot.
Hinweise
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Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hinführung zum Thema
In Deutschland gibt es neben approbierten ärztlichen und psychologischen Psychotherapeut:innen auch Heilpraktiker:innen, die psychotherapeutisch tätig sind. Dies führt häufig zu Unklarheiten bei Patient:innen bezüglich der Qualifikation der Anbieter:innen. Die vorliegende Studie untersucht mittels einer Conjoint-Analyse die Präferenzen von Psychotherapieinteressierten hinsichtlich verschiedener Berufsgruppen, Bezeichnungen und akademischer Titel.
Hintergrund und Fragestellung
Erhebungen zeigen, dass in Deutschland 37 % der Frauen und 25 % der Männer innerhalb eines Jahres eine psychische Störung durchleben, und dass psychische Krankheiten mitunter der häufigste Grund für gesundheitsbedingte Frühberentungen sind (RKI 2008). In Anbetracht der steigenden Prävalenz psychischer Erkrankungen (IGES 2022) sind lange Wartezeiten, Unklarheiten über die verschiedenen Anbieter und deren Qualifikationen sowie die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Behandlungsangeboten für Hilfesuchende mit großen Herausforderungen verbunden.
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Eine Auswertung der Bundespsychotherapeutenkammer ergab, dass 4 von 10 Patient:innen zwischen 3 und 9 Monate auf einen Therapieplatz warten müssen (BPtK 2021). Ende 2023 nahmen 153.726 Ärztinnen und Ärzte sowie 33.715 Psychologische Psychotherapeut:innen an der vertragsärztlichen Versorgung teil (KBV 2024). In Deutschland umfasst das Spektrum der psychotherapeutisch tätigen Berufsgruppen neben den approbierten Berufsgruppen auch Heilpraktiker:innen, die sowohl körperliche als auch psychische Erkrankungen behandeln dürfen, sowie Heilpraktiker:innen für Psychotherapie, die ausschließlich auf dem Gebiet der Psychotherapie tätig werden dürfen. Gemäß der Gesundheitspersonalrechnung 2022 des Statistischen Bundesamts (2024) sind rund 40.000 Heilpraktiker:innen und rund 10.000 als Heilpraktiker:innen für Psychotherapie (Gesamtkonferenz Deutscher Heilpraktikerverbände und Fachgesellschaften 2024) in eigener Praxis tätig.
Für Patient:innen ist es oft unklar, welche Qualifikationen die verschiedenen Anbieter haben, und welche Behandlungsmethoden am besten geeignet sind. Der Mangel an approbierten Psychotherapeut:innen führt zu Unsicherheiten, wie zeitnah eine fachlich fundierte Behandlung erhalten werden kann. Heilpraktiker:innen für Psychotherapie könnten ein ergänzendes Angebot bieten, jedoch bestehen Unsicherheiten über deren Qualifikationen und die fachliche Angemessenheit ihrer Behandlungsangebote.
Rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen
Das Gebiet der Heilpraktik sorgt für Irritationen, da es keine Ausbildungsrichtlinien gibt und die Erlaubnis zur Heilkunde auf dem Heilpraktikergesetz von 1939 basiert. Dieses sieht keine Erlaubnis, die sich ausschließlich auf spezifische Bereiche wie die Psychotherapie beschränkt, vor. Eine solche beschränkte Zulassung entwickelte sich jedoch durch Urteile des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts (BVerwG, 21.01.1993 – 3 C 34.90 und BVerfG, 02.03.2004 – 1 BvR 784/03).
Ursprünglich sollte eine auf psychotherapielimitierte Heilpraktikererlaubnis Diplom-Psycholog:innen den Weg in die heilkundliche Versorgung öffnen, da vor der Psychotherapiereform 1999 nur Ärztinnen und Ärzte Psychotherapie ausüben durften. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, 10.02.1983 – 3 C 21.82) erkannte an, dass das Heilpraktikergesetz auch für Diplom-Psycholog:innen mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung gilt, sofern sie sich auf Psychotherapie beschränken. Da das Gesetz keine spezifische Ausbildung voraussetzt, kann seitdem jede Person, die die gesetzlichen Anforderungen – u. a. einen Hauptschulabschluss, das Erreichen des 25. Lebensjahres und eine von den Gesundheitsämtern durchgeführte Überprüfung der Unbedenklichkeit – erfüllt, eine Erlaubnis für psychotherapeutische Heilkunde erlangen.
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Heilpraktiker:innen dürfen psychotherapeutische Behandlungen durchführen, wenn sie entweder eine uneingeschränkte Erlaubnis oder eine eingeschränkte Erlaubnis für den Bereich Psychotherapie besitzen (Raille 2023, Fydrich 2021). Die Erlaubnis wird erworben durch das Bestehen einer Überprüfung durch die Gesundheitsämter, welche sowohl schriftliche als auch mündlich-praktische Elemente umfasst und Kenntnisse in verschiedenen medizinischen und psychotherapeutischen Bereichen abfragt (Stock 2022). Die schriftliche Überprüfung ist seit 2018 bundesweit einheitlich geregelt und besteht aus 28 Multiple-Choice-Fragen. Die mündlich-praktische Überprüfung variiert je nach Gesundheitsamt (Stoecker 2021).
Eine regulierte Ausbildung zum/zur Heilpraktiker:in für Psychotherapie existiert nicht. Private Anbieter offerieren Ausbildungsgänge, deren Absolvierung jedoch weder obligatorisch noch hinreichend ist, um die Heilerlaubnis zu erlangen. Eine Untersuchung von Heudorf et al. (2010) zeigt, dass lediglich 43,9 % der Heilpraktiker:innen-Anwärter eine ein- oder mehrjährige Ausbildung an einer Heilpraktikerschule absolvieren. Kritiker wie die Landesärztekammer und die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz setzen sich daher für die Abschaffung der speziell auf Psychotherapie limitierten Heilpraktikererlaubnis ein, da die Gefahr einer Überschätzung der Kompetenz von Heilpraktiker:innen bestehe (Marburger Bund Rheinland-Pfalz 2017).
Seit der gesetzlichen Neuregelung im Jahr 1999 ist für Ärzt:innen eine spezialisierte Weiterbildung erforderlich, psychotherapeutisch arbeiten zu dürfen. Psycholog:innen können nach einem 5‑jährigen Studium und einer mehrjährigen Ausbildung die Approbationsprüfung ablegen, welche staatlich geregelt ist und abgenommen wird (Raille 2023, Fydrich 2021).
Ärztliche und psychologische Psychotherapeut:innen sind für die Behandlung von psychischen und Verhaltensstörungen ausgebildet, wobei die Verschreibung von Medikamenten Ärzt:innen vorbehalten ist. Alle Berufsträger:innen, einschließlich unreguliert ausgebildeten Heilpraktiker:innen, sind befugt, u. a. leichte affektive Störungen, Anpassungs‑, Zwangs‑, Angst‑, Schlaf- und Essstörungen zu behandeln.
Diese Störungen machen einen signifikanten Anteil der Einjahresprävalenz psychischer Erkrankungen aus (Daten der DEGS1-Studie, Tab. 1).
Tab. 1
Zwölfmonatsprävalenzen psychischer Störungen (DSM-IV-TR) in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung (Jacobi et al. 2014); aktuellere Daten liegen laut DGPPN (2024) nicht vor
Diagnose
Männer (in %)
Frauen (in %)
Gesamt (in %)
Irgendeine psychische Störung (ohne Nikotin)
22,1
33,5
27,8
Angststörungen
9,3
21,4
15,4
Somatoforme Störungen
1,7
5,3
3,5
Affektive Störungen
6,4
13,1
9,8
Störungen durch Substanzmissbrauch (ohne Nikotin)
8,0
3,5
5,7
Zwangsstörungen
3,3
4,0
3,6
Posttraumatische Belastungsstörungen
0,9
3,6
2,3
Mögliche psychotische Störungen
2,1
3,1
2,6
Essstörungen
1,4
0,5
0,9
Sowohl Patient:innen mit einer psychischen Störung als auch ihre Angehörigen haben es oft schwer, sich in der Fülle der angebotenen Hilfen zurechtzufinden. Häufig werden die Berufsbezeichnungen Psychiater:in, Psycholog:in und Psychotherapeut:in synonym verwendet. Zusätzlich besteht Unklarheit über die Angebote von Heilpraktiker:innen für Psychotherapie. Laut Stellpflug (2015) besteht ein besonderes Spannungsverhältnis zwischen Heilpraktiker:innen mit einer eingeschränkten Erlaubnis für Psychotherapie und approbierten Psychotherapeut:innen, da die Bezeichnung „Psychotherapeut:in“ Approbierten vorbehalten ist.
Eichelberger (2003) identifiziert die Gefahr, dass Bezeichnungen von Heilpraktiker:innen von durchschnittlichen Beurteilern mit approbierten Psychotherapeut:innen verwechselt werden könnten, insbesondere wenn die Berufsbezeichnung in die Tätigkeitsbeschreibung „Psychotherapie“ umgewandelt wird. Auch Bezeichnungen wie „Praxis für Psychotherapie“ hält er für unzulässig, da der Anschein erweckt werden könnte, dass die therapeutisch-tätige Person zum Kreis der approbierten Psychotherapeut:innen gehöre; dem folgt u. a. die Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg (2011). Sasse (2018) hingegen erachtet eine „Praxis für Psychotherapie“ unter Hinweis auf die Stellung als Heilpraktiker:in als zulässig.
Die Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg (2011) stellt zur Berufsbezeichnung fest, dass folgende Bezeichnungen „erlaubt und zulässig“ sind: „Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, Heilpraktiker:in für Psychotherapie, Heilpraktiker:in nur für Psychotherapie, Heilpraktiker:in (Psychotherapie)“. Es ist zu beachten, dass die Bezeichnung „Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie“ der gesetzlichen Beschränkung noch Rechnung trägt, dies bei der häufig verwendeten Form „Heilpraktiker:in für Psychotherapie“ allerdings nicht der Fall ist. Vielmehr wird die Beschränkung potenziell zu einer Spezialisierung und Aufwertung verkehrt.
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Die mögliche Unkenntnis über die Unterschiede aus Sicht der Patient:innen zeigt sich auch in einer Untersuchung zur Nutzung psychotherapeutischer Angebote in Deutschland (Albani et al. 2010). Auch die Darstellung von „Heilpraktiker:innen für Psychotherapie“ und psychologischen Psychotherapeut:innen im Internet trägt zur Verwirrung bei (Liebetrau und Strauß 2016). Die Verwendung von Bezeichnungen wie „HP (Psychotherapie)“, „HP Psych“ oder „HPP“, v. a. in Profilbeschreibungen auf Instagram, entspricht nicht den zulässigen Berufsbezeichnungen und kann bei den Follower:innen zu Verwirrung führen, da wesentliche Informationen zur Einschätzung der Qualifikation fehlen.
Während einige Verbandsvertreter:innen eine Reform des Berufsbildes befürworten, sprechen sich Fachvertreter:innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen für eine Abschaffung des Heilpraktikerberufs aus. Im „Münsteraner Memorandum“ schlagen Wissenschaftler:innen des Münsteraner Kreises eine „Abschaffungslösung“ oder eine „Kompetenzlösung“ vor (Münsteraner Kreis 2017). Die Kompetenzlösung sieht die Einführung eines „Fach-Heilpraktikers“ mit wissenschaftlicher Ausbildung und staatlicher Prüfung für Personen mit Ausbildung in einem Heilberuf vor. Dies würde allerdings die Ausübung heilpraktischer Tätigkeiten im Bereich der Psychotherapie ausschließen, da hierfür kein Ausbildungsberuf existiert.
Wissenschaftliche Studien zur Wahrnehmung der Qualität psychotherapeutischer Angebote verschiedener Berufsträger:innen liegen bislang nicht vor. Die vorliegende Untersuchung soll klären, ob eine Präferenz für qualifizierte psychotherapeutische Berufsträger:innen gegenüber Heilpraktiker:innen besteht, und ob die Bezeichnung der heilpraktischen Tätigkeit sowie akademische Titel die Präferenz beeinflussen. Ziel ist es, eine mögliche Verwechslungsgefahr aus Sicht der Patient:innen zu identifizieren.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Zur Untersuchung der Präferenzen und Einstellungen gegenüber verschiedenen Psychotherapieangeboten wurde eine Online-Befragung unter 2332 Teilnehmenden, die entweder bereits psychotherapeutische Angebote wahrgenommen haben oder es sich vorstellen können, durchgeführt. Die Teilnehmenden wurden über Social-Media-Plattformen (Instagram, Facebook) und Umfrageportale rekrutiert. Einschlusskriterien waren: Mindestalter von 18 Jahren, Wohnsitz in Deutschland sowie die Bereitschaft, grundsätzlich an einer psychotherapeutischen Behandlung teilzunehmen oder bereits Erfahrungen damit zu haben. Die demografischen Merkmale und psychotherapeutischen Erfahrungen der Teilnehmenden sind in Tab. 2 dargestellt.
Tab. 2
Demografische Merkmale und psychotherapeutische Erfahrung
Kategorie
Merkmal
n
%
Geschlecht
Weiblich
2065
91,0
Männlich
173
7,6
Divers
23
1,0
Keine Angabe
9
0,4
Alter
18–20 Jahre
51
2,2
21–30 Jahre
653
28,8
31–40 Jahre
834
36,7
41–50 Jahre
493
21,7
51–60 Jahre
202
8,9
Über 60 Jahre
37
1,6
Bildung
Ohne Schulabschluss
2
0,1
Hauptschulabschluss
30
1,3
Mittlere Reife
200
8,8
Fachhochschulreife
174
7,7
Allgemeine Hochschulreife (Abitur)
301
13,3
Berufsausbildung
530
23,4
Studienabschluss (Bachelor o. Ä.)
479
21,1
Studienabschluss (Master, Diplom o. Ä.)
495
21,8
Promotion
55
2,4
Habilitation
2
0,1
Psychotherapeutische Erfahrung
Ja
1827
80,9
Nein
432
19,1
Psychotherapeutische Erwägung
Ja, ich könnte es mir vorstellen
374
86,6
Nein, ich könnte es mir nicht vorstellen
13
3,0
Unsicher
45
10,4
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Um zu überprüfen, wie die Präferenz bezüglich der verschiedenen Berufsträger:innen ist, wurden den Teilnehmenden automatisch generierte Praxisschilder paarweise angezeigt. Sie wurden dann gebeten, sich für das Praxisschild des Berufsträgers zu entscheiden, den sie eher aufsuchen würden. Zur Vergleichbarkeit wurde der Name „Max Mustermann“ verwendet, um eine vereinfachte Darstellung und Generierung der verschiedenen Praxisschilder zu ermöglichen. Auf diesen Umstand wurde explizit in der Umfrage hingewiesen. In allen anderen Teilen der Umfrage wurde konsequent eine geschlechterinklusive Sprache umgesetzt.
Es wurden 5 Parameter in den Praxisschildern dargestellt: Berufsbezeichnung, Doktorgrad, Master-Titel und zwei Spezialisierungen. Die Auswahl der Ausprägungen dieser Parameter erfolgte basierend auf einer Literaturrecherche zu gängigen Berufsbezeichnungen, Abschlüssen und Spezialisierungen im Bereich der Psychotherapie (Hollunder et al. 2017, Eichelberger 2003 und Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg 2011). Insbesondere die Spezialisierungen EMDR, Achtsamkeit, Integrative Psychotherapie und Verhaltenstherapie wurden ausgewählt, da sie eine Mischung aus Richtlinienverfahren, Fortbildungen und unregulierten Bezeichnungen darstellen. Da nicht alle Ausprägungen sinnvoll kombinierbar sind (z. B. Dr. med. nur bei Ärztinnen/Ärzten, M.Sc. nicht bei Ärztinnen/Ärzten), wurden 228 verschiedene Praxisschilder generiert (Abb. 1).
×
Es wurde eine Conjoint-Analyse mit R 4.3.2 und mlogit durchgeführt (R Core Team 2024), um die Präferenzen der Befragten zu untersuchen. Den Befragten wurden jeweils 2 Praxisschilder-Varianten zur Entscheidung vorgelegt. Dabei müssen sie implizit Auswahlentscheidungen treffen, aus denen sich mittels einer Conjoint-Analyse Rückschlüsse auf ihre Präferenzen ziehen lassen. Conjoint-Analysen werden in der Marktforschung häufig eingesetzt, um Präferenzen zu bewerten (Kulshreshtha et al. 2018, 2021), und finden zunehmend auch im Gesundheitsbereich Anwendung (Al-Omari et al. 2022). Der transformierte Conjoint-Datensatz umfasst 32.992 Beobachtungen, die die Entscheidungen von 2332 Personen in 10 verschiedenen Entscheidungssituationen mit jeweils 2 Praxisschildern widerspiegeln. Zehn Entscheidungssituationen wurden gewählt, um eine ausreichende Varianz in den Präferenzen zu erfassen und die notwendige Anzahl von Teilnehmenden auf ein vertretbares Maß zu begrenzen. Gleichzeitig wurde darauf geachtet, die kognitive Belastung der Teilnehmenden gering zu halten und eine aufmerksame Bearbeitung sicherzustellen. Beobachtungen mit fehlenden Werten wurden verworfen.
Ergebnisse
Das Modell zeigt eine Log-Likelihood von −9268 und ein AIC von 18.563. Signifikante Ergebnisse legen eine Präferenzhierarchie innerhalb der Berufsattribute offen, wobei „Heilpraktiker:in“ (−2,352, p < 0,001) am wenigsten bevorzugt wird, im Vergleich zur Konstanten bzw. Referenzkategorie (Facharzt/-ärztin für Psychotherapie und psychosomatische Medizin). Folglich werden die Koeffizienten der anderen Kategorien relativ zu dieser Referenz interpretiert. Es ist bemerkenswert, dass „Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie“ (−1,960, p < 0,001) besser wahrgenommen wird als unbeschränkte „Heilpraktiker:in“. Noch bemerkenswerter ist, dass „Heilpraktiker:in für Psychotherapie“ (−1,498, p < 0,001) noch besser wahrgenommen wird. Danach folgt „Psycholog:in/Heilpraktiker:in für Psychotherapie“ (−0,695, p < 0,001). Zwischen der Berufsbezeichnung „Psychologische/r Psychotherapeut:in“ und der Referenzkategorie ließ sich kein signifikanter Unterschied finden (−0,114, p = 0,208, Tab. 3).
Tab. 3
Ergebnisse der Conjoint-Analyse
Variable
Wert
Std.-Fehler
Z‑Wert
Pr (> |z|)
Heilpraktiker:in
−2,352
0,092
−25,461
0,000
Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie
−1,960
0,091
−21,500
0,000
Heilpraktiker:in für Psychotherapie
−1,498
0,090
−16,621
0,000
Psycholog:in/Heilpraktiker:in für Psychotherapie
−0,695
0,091
−7,669
0,000
Psychologische/r Psychotherapeut:in
−0,114
0,091
−1,260
0,208
Dr. med.
0,317
0,118
2,674
0,007
Dr. phil.
0,249
0,035
7,070
0,000
Dr. rer. medic.
0,269
0,041
6,549
0,000
Dr. rer. nat.
0,205
0,035
5,869
0,000
M.Sc
0,133
0,026
5,179
0,000
EMDR
0,082
0,041
2,024
0,043
Integrative Psychotherapie
0,482
0,041
11,774
0,000
Verhaltenstherapie
0,418
0,031
13,461
0,000
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In Bezug auf die Wahrnehmung von Doktorgraden weisen alle getesteten Doktorgrade eine Präferenz gegenüber nichtpromovierten Berufsträger:innen auf, mit einer leichten Hierarchie der Abschlüsse. Die medizinischen Doktorgrade werden bevorzugt: „Dr. med.“ (0,317, p < 0,001) und „Dr. rer. medic.“ (0,269, p < 0,001), gefolgt von „Dr. phil.“ (0,249, p < 0,001) und „Dr. rer. nat.“ (0,205, p < 0,001). Einen kleineren positiven Effekt hat ein Master-of-Science-Abschluss für alle nichtmedizinischen Berufsträger:innen (0,133, p < 0,001). Bei einem paarweisen Vergleich der verschiedenen Doktorgrade wird jedoch deutlich, dass sich diese untereinander in der Präferenz nicht unterscheiden (Zs ≤ 1,196, ps ≤ 0,232).
Spezialisierungen in „Integrativer Psychotherapie“ und „Verhaltenstherapie“ werden positiv im Vergleich zur Referenzkategorie „Achtsamkeit“ bewertet (0,482 bzw. 0,418, p < 0,001), was auf eine Präferenz für therapeutische Richtlinienverfahren hindeuten kann.
Zur Überprüfung der Ergebnisse wurde die Analyse erneut durchgeführt, jedoch wurden ausschließlich Teilnehmende (n = 432), die noch keine Erfahrung mit psychotherapeutischen Angeboten gesammelt haben, einbezogen. Die Ergebnisse zeigen vergleichbare Werte in gleicher Präferenzhierarchie wie in der Analyse mit der Gesamtstichprobe, wobei sich ein etwas stärkerer „Experten-Bias“ bei Doktorgraden zeigt.
Bei einem direkten Vergleich der verschiedenen Spezialisierungen miteinander und nicht nur im Vergleich zur Konstanten, zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Berufsträger:innen und den Behandlungsmethoden. Im Vergleich zur Behandlungsmethode EMDR werden sowohl Integrative Psychotherapie (Z = −6,935, p < 0,001) als auch Verhaltenstherapie (Z = −8,976, p < 0,001) signifikant positiver bewertet.
In Tab. 4 sind die Ergebnisse der paarweisen Vergleiche der Berufsträger:innen abgebildet. Es zeigt sich, dass die „große“ Heilpraktiker-Erlaubnis im Vergleich zu allen Berufsträger:innen negativer bewertet wird (Zs ≤ −3,022, ps ≤ 0,003). Es zeigt sich außerdem, dass Berufsträger:innen mit abgeschlossenem Studium und/oder Approbation signifikant positiver bewertet werden als alle Heilpraktiker:innen-Varianten (Zs ≤ −6,286, ps < 0,001).
Tab. 4
Ergebnisse des paarweisen Vergleichs der Berufsträger
Paar
Z‑Wert
p-Wert
Heilpraktiker:in vs. Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie
−3,022
0,003
Heilpraktiker:in vs. Heilpraktiker:in für Psychotherapie
−6,621
0,000
Heilpraktiker:in vs. Psycholog:in/Heilpraktiker:in für Psychotherapie
−12,811
0,000
Heilpraktiker:in vs. Psychologische/r Psychotherapeut:in
−17,287
0,000
Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie vs. Heilpraktiker:in für Psychotherapie
−3,606
0,000
Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie vs. Psychologe/Heilpraktiker:in für Psychotherapie
−9,846
0,000
Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie vs. Psychologische/r Psychotherapeut:in
−14,354
0,000
Heilpraktiker:in für Psychotherapie vs. Psychologe/Heilpraktiker:in für Psychotherapie
−6,286
0,000
Heilpraktiker:in für Psychotherapie vs. Psychologische/r Psychotherapeut:in
−10,822
0,000
Psycholog:in/Heilpraktiker:in für Psychotherapie vs. Psychologische/r Psychotherapeut:in
−4,528
0,000
Diskussion
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass sowohl psychotherapeutisch erfahrene als auch interessierte Teilnehmende eine Präferenz für approbierte Psychotherapeut:innen haben, während psychotherapeutisch tätige Heilpraktiker:innen signifikant weniger präferiert werden. Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass sich die Wahrnehmung der Kompetenz einzelner Berufsgruppen durch die Benennung weiterer Merkmale steigern lässt, beispielsweise durch die Nennung akademischer Titel oder Therapieverfahren. Dies trifft auf alle Berufsträger:innen zu.
Diese Ergebnisse bergen das Risiko einer gezielten Beeinflussung von Patient:innen hinsichtlich der Qualifikationen von Psychotherapieanbietern. Die Möglichkeit einer Beeinflussung ist hauptsächlich bedingt durch die strategische Wahl von Berufsbezeichnungen, die zu einer positiveren Bewertung von Heilpraktiker:innen führen können. Zusätzlich zur Präferenz für approbierte Psychotherapeut:innen präferieren sie Berufsträger:innen, die promoviert sind und einen Master-Abschluss angeben. Diese Attribute stehen allerdings in keinem Zusammenhang mit psychotherapeutischer Ausbildung.
Ein weiterer Befund ist, dass die Bezeichnung „Heilpraktiker:in für Psychotherapie“ positiver wahrgenommen wird als die gesetzlich korrekte Bezeichnung „Heilpraktiker:in beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie“. Dies bestätigt die von Eichelberger (2003) beschriebene Verwechslungsgefahr und zeigt, wie durch geschickte Benennung ein Präferenzvorteil erzeugt werden kann, ohne dass damit eine höhere Qualifikation einhergeht. So können fachfremd promovierte „Heilpraktiker:innen für Psychotherapie“ mit Master-Abschluss besser erscheinen als ausgebildete Psycholog:innen, die mit Heilerlaubnis praktizieren. Dies unterstreicht die Bedeutung transparenter Qualifikationsdarstellung.
Des Weiteren wird in der Studie auf das Risiko einer Verwechslung, welches durch die Verwendung von Abkürzungen wie „HP“ für Heilpraktiker:innen und „HPP“ für „Heilpraktiker:innen für Psychotherapie“ entsteht, hingewiesen. Diese Abkürzungen können mit approbierten Psychotherapeut:innen verwechselt werden, was zu potenziellen Missverständnissen über die Qualifikationen führen kann.
Diese Ergebnisse legen die Notwendigkeit einer Regulierung von Berufsbezeichnungen nahe. Zusätzlich wird argumentiert, dass die Einführung rigoroser Ausbildungsstandards für ein niedrigschwelliges Angebot erforderlich ist. Dieser Ansatz würde sicherstellen, dass Patient:innen von qualifiziertem Fachpersonal betreut werden.
Limitationen
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung lassen sich sowohl Stärken als auch Schwächen ableiten. Als Stärke ist insbesondere die hohe Anzahl an Teilnehmenden zu nennen, die sich aus bereits therapieerfahrenen sowie therapieinteressierten Personen zusammensetzt. Die komplexe und umfassende statistische Analyse stellt eine weitere Stärke der vorliegenden Studie dar. Neben den Stärken lassen sich jedoch auch Limitationen der Studie benennen:
überwiegend weibliche Stichprobe,
möglicher Einfluss des beruflichen Hintergrunds der Befragten (z. B. selbst Psycholog:in, Mediziner:in, Heilpraktiker:in),
exploratives Studiendesign, Ergebnisse sollten in weiteren Studien repliziert werden,
ausschließliche Nutzung männlicher Form in Praxisschildern aus Praktikabilitätsgründen.
In zukünftigen Studien sollten diese Limitationen im Rahmen der Untersuchungsplanung berücksichtigt werden, um die Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse zu erhöhen.
Schlussfolgerungen
Unsere Studie eröffnet Wege für weitere Forschungen und gesellschaftliche Diskussionen. Wir sind der Überzeugung, dass ein umfassendes Verständnis der Patientenpräferenzen und der Faktoren, die diese Präferenzen beeinflussen, entscheidend für die Entwicklung von effektiven und umsetzbaren Lösungen ist. Wir erhoffen uns, dass unsere Ergebnisse weitere Forschungen in diesem Bereich anregen und zur laufenden Diskussion über die Regulierung und Standardisierung der Psychotherapiepraxis in Deutschland beitragen werden. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit, Patient:innen vor einer Irreführung durch geschickte Vermarktungsstrategien zu schützen und die Qualität psychotherapeutischer Angebote durch transparente Qualifikationsstandards sicherzustellen. Nur so kann gewährleistet werden, dass Hilfesuchende eine fundierte Behandlung durch entsprechend ausgebildete Fachkräfte erhalten. Die Ergebnisse liefern somit wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgungslandschaft in Deutschland.
Fazit für die Praxis
Durch die geschickte Kombination von Attributen wie akademischen Graden, Titeln und verkürzten Berufsbezeichnungen kann die Präferenz für bestimmte psychotherapeutische Angebote von Patient:innen gesteigert werden, ohne dass eine höhere psychotherapeutische Qualität gewährleistet ist.
Abkürzungen wie „HP“ für Heilpraktiker:in und HPP für „Heilpraktiker:in für Psychotherapie“ können bei Patient:innen zu Verwechslungen mit approbierten Psychotherapeut:innen führen. Stattdessen sollten die vollständigen, gesetzlichen Berufsbezeichnungen verwendet werden müssen.
Mindestanforderungen und Ausbildungsstandards für Heilpraktiker:innen für Psychotherapie könnten die Qualität sichern und ein fachlich fundiertes, niederschwelliges Angebot schaffen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J. Pippig, J. Meyer und J.P. Ehlers geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke positiv votiert (S-47/2024).
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