Hat ein Zahnarzt aus Gera hunderte Intimvideos gedreht? Die junge Auszubildende hatte gleich ein mulmiges Gefühl. Nur in einem bestimmten Raum dürfe sie sich umziehen und könne dort auch duschen, habe ihr der Zahnarzt gesagt. Nach nur einem Monat sei ihr gekündigt worden – weil sie sich auf der Toilette umzog oder in Arbeitskleidung in die Praxis kam, wie die 22-Jährige vermutet. Eine langjährige Angestellte berichtete, dass der Arzt seine Mitarbeiterinnen auch zum Duschen gezwungen habe. „Im Nachhinein wissen wir ja warum“, sagte sie am 20. September vor dem Amtsgericht Gera. Denn in dem Umkleideraum mit Dusche war eine Kamera versteckt, die dem heute 52-Jährigen jahrelang intime Aufnahmen mehrerer Frauen geliefert haben soll. Knapp 7500 Dateien haben Kriminalisten auf dem Rechner des Mannes gefunden oder wiederstellen können. Die ältesten stammen nach Angaben eines Kripobeamten von 2007. Die Anlage sei im Frühjahr 2012 so gefunden worden, dass eine Art Bewegungsmelder die Aufnahmen steuerte, erläuterte der Experte. Mitarbeiterinnen waren von vorne und hinten zu sehen Auf den Clips sei der Blickwinkel teils so gewesen, dass der Po der Frauen im Fokus stand; und teils auf einen Spiegel, so dass sie von hinten und vorn zu sehen waren. „Wir konnten auch nachweisen, dass diese Dateien über den Media Player angeschaut worden sind“, sagte der 44-Jährige. Hinweise, dass sie ins Internet übertragen wurden, gebe es aber nicht. Und noch etwas wurde aus den Schilderungen des Ermittlers deutlich. So wie andere Menschen ihre Briefmarken sortieren, hat der Zahnarzt die intimen Aufnahmen wohl fein säuberlich geordnet: „Es wurde ausgesucht und selektiert.“ Die technischen Schilderungen zur Funktionsweise der Videoanlage ließen Gericht sowie Staatsanwaltschaft und Nebenklage am 20. September hellhörig werden. Denn demnach könnte die Videoaufnahme häufiger als bisher vermutet von dem Arzt direkt eingeschaltet worden sein – teils mehrmals am Tag. Richter will Verfahren eventuell ans Landgericht übergeben Ob das so war, sollen weitere Tests des Kripobeamten klären. Unter Umständen könnten aus den 73 angeklagten Fällen dann mehrere Hundert werden, sagte Richter Siegfried Christ. Er warf gar die Frage auf, das Verfahren ans Landgericht zu übergeben, da Amtsgerichte nur Haftstrafen von bis zu vier Jahren verhängen können. Der Angeklagte – in grauem Anzug und mit gelber Krawatte – hüllte sich weiter in Schweigen. Ohne aufzublicken, machte er sich im Prozess Notizen. Vor dem Arbeitsgericht hat er sich schon dazu verpflichtet, mehreren Opfern Entschädigungen zu zahlen. Die Betroffenen leiden teils bis heute unter psychischen Problemen. „Ich werde keinen Beruf mehr machen, bei dem ich mich umziehen muss“, betonte eine seiner Ex-Angestellten vor Gericht. Auch von Belästigungen des Mannes war die Rede. So soll er einst eine Auszubildende mit eindeutigen Anspielungen massiv bedrängt haben. Neben einer Verurteilung droht dem Arzt, der weiterhin in Gera praktiziert, auch ein berufsrechtliches Verfahren. „Wir werden aber erst tätig, wenn das Urteil rechtskräftig ist“, sagte der Geschäftsführer der Landeszahnärztekammer, Henning Neukötter, der Nachrichtenagentur dpa. Die Sanktionen reichten über Geldbußen bis hin zum Entzug der Approbation.