Es gibt viele Faktoren, die sich auf die postoperative Zufriedenheit nach Implantation von Intraokularlinsen mit Extended Depth-of-Focus (EDoF) und Multifokallinsen der Patienten auswirken können (z. B. photische Phänomene, postoperative Komplikationen und das Vorhandensein eines trockenen Auges). Das Erreichen der Zielrefraktion sollte jedoch ebenso als signifikanter Faktor für die Zufriedenheit angesehen werden. Dieser Beitrag zeigt die Fallstricke auf, die mit der Refraktionsbestimmung bei Patienten mit einer Multifokal- oder EDoF-Linse einhergehen und wie sich der unkorrigierte und korrigierte Visus auf die Zufriedenheit des Patienten auswirken können.
Hinweise
Wissenschaftliche Leitung
Franz Grehn, Würzburg
Horst Helbig, Regensburg
W.A. Lagrèze, Freiburg
Uwe Pleyer, Berlin
Berthold Seitz, Homburg/Saar
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Hinweis des Verlags
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Lernziele
Nach Lektüre dieses Beitrags …
kennen Sie die Abbildungseigenschaften von Multifokal- und EDoF(Extended Depth-of-Focus)-Linsen und wissen um die daraus resultierenden Schwachstellen der objektiven Refraktionsbestimmung,
sind Ihnen die Besonderheiten bei der Visusbestimmung und der subjektiven Refraktion bei Patienten mit Multifokal- oder EDoF-Linsen bekannt,
wissen um die Besonderheiten bei der Brillenglasverordnung und Straßenverkehrstauglichkeit,
erkennen Sie die möglichen refraktiv bedingten Schwierigkeiten eines Patienten mit Multifokal- oder EDoF-Linsen beim Sehen in unterschiedlichen Entfernungen.
Einleitung
Patienten, die sich einer Kataraktoperation unterziehen, können aus einer Vielzahl von Optionen wählen, von einfachen monofokalen Intraokularlinsen (IOL) über monofokal plus IOL, IOL mit erweiterter Tiefenschärfe (Extended-Depth-of-Focus [EDoF]) bis hin zu bifokalen und trifokalen IOL. Die hier genannten Linsen sind entsprechend der allgemein anerkannten Reihenfolge ihrer Fähigkeit, Nahsehen zu ermöglichen, aufgeführt [1, 2]. Das höchste Maß an Brillenfreiheit wird mit der Implantation von trifokalen IOL erreicht [3]. Allerdings besteht bei jeder der IOL-Optionen zur Korrektur der Presbyopie eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine verringerte Kontrastempfindlichkeit und mehr photische Phänomene im Vergleich zu einer monofokalen IOL [4].
Die Anzahl der Implantationen dieser Linsen an der Gesamtzahl aller Linsenimplantationen in Deutschland lag im Jahr 2023 bei insgesamt 6,9 % (Multifokallinsen 3,1 % und EDoF-Linsen 3,8 %) mit steigender Tendenz [5]. Daher gewinnt die konservative Nachsorge dieser Patienten immer mehr an Bedeutung. Da sich die moderne Kataraktchirurgie zu einem refraktiven Verfahren entwickelt hat, haben Patienten – besonders nach Wahl einer solchen IOL – oft hohe Erwartungen an ein postoperativ hervorragendes Sehergebnis. Die Auswirkung eines Restrefraktionsfehlers auf den Visus und die Sehqualität des Patienten ist recht komplex und hängt von den Komponenten und der Art des Refraktionsfehlers ab.
Abbildungseigenschaften von Monofokal‑, Extended-Depth-of-Focus- und Multifokallinsen
Für die Betreuung der Patienten ist neben der Ermittlung der Refraktion die Kenntnis der Funktionsweise dieser Linsen wichtig. Aus diesem Grund werden im Folgenden zunächst die Abbildungseigenschaften der verschiedenen IOL-Typen vorgestellt.
Da sich das Portfolio für IOLs stetig erweitert und jede Linse durch eine neue Bezeichnung von den Konkurrenzprodukten abzugrenzen sein soll, sind in Abb. 1 zur besseren Unterscheidung und erleichterten Übersicht die Strahlengänge einer Monofokal‑, EDoF- und einer Multifokallinse dargestellt. Tiefer gehende Informationen sind bei Rampat und Gatinel (2020) zu finden [6].
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Vergleicht man die Strahlengänge, so wird deutlich, dass eine monofokale Linse (Abb. 1A) nur in einer Entfernung die einfallenden Lichtstrahlen zu einem scharfen Punkt bündelt. Wird die Zielrefraktion für diese Linse beispielsweise auf −2,5 dpt gelegt (Abb. 1B), so kann der Patient später rein rechnerisch in einem Abstand von 40 cm (\(\frac{1}{2{,}5\,\mathrm{dpt}}=40\,\mathrm{cm}\)) zum Auge scharf sehen.
Eine auf Emmetropie berechnete EDoF-Linse (Abb. 1C) ermöglicht dem Patienten das Sehen in der Ferne und der mittleren Distanz. Mit einer EDoF-Linse besteht entsprechend auch die Möglichkeit, als Zielrefraktion eine leichte Myopie anzustreben, um ein Sehen im Zwischen- und Nahbereich zu ermöglichen (Abb. 1D), wenn der Patient eine Fernbrille zur Korrektur der leichten Myopie (z. B. für das Autofahren) akzeptiert.
Bei der trifokalen MIOL (Multifokalintraokularlinse) (Abb. 1E) sind 3 Sehbereiche für Ferne, mittlere Distanz und Nähe zu erkennen.
Eine Übersicht aktueller Multifokal- und EDoF-Linsen sowie Beschreibungen des jeweiligen Aufbaus der Linsen (refraktiv und diffraktiv) sind in Breyer et al. (2017) und Megiddo-Barnir et al. (2023) gegeben [7, 8]. Für die verschiedenen EDoF- und Multifokallinsen gibt es zahlreiche Unterschiede in Höhe der Addition, der Asphärizität und der Lichtverteilung.
Durch die Aufteilung des einfallenden Lichts in mehr als einen Fokus bildet eine Multifokallinse aus verschiedenen Distanzen auf der Netzhaut ab (Abb. 2A, B). Durch diese Aufteilung des einfallenden Lichts in mehr als einen Fokus ist allerdings die Kontrastempfindlichkeit dieser Patienten postoperativ reduziert: Im Vergleich zur optischen Abbildung einer Monofokallinse (Abb. 1A, B), sehen Patienten durch eine implantierte Multifokallinse beim Blick in die Ferne ein kontrastärmeres Bild, das durch das unscharfe, gleiche Bild des Intermediär- und Nahfokus überlagert wird (Abb. 2C).
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Um eine Brillenunabhängigkeit zu ermöglichen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an (Tab. 1).
Tab. 1
Verschiedene Kombinationsmöglichkeiten von Intraokularlinsen (IOLs) und die jeweilige Erfolgschance hinsichtlich Brillenunabhängigkeit
Zielrefraktion RA
Zielrefraktion LA
Brillenunabhängigkeit
EDoF-IOL
Emmetropie
Emmetropie
(+)
EDoF-IOL
Emmetropie
−0,75 dpt
+
EDoF-IOL
Emmetropie
−1,50 dpt
++
Trifokale IOL
Emmetropie
Emmetropie
+++
RA rechtes Auge, LA linkes Auge, IOL Intraokularlinse, EDoF Extended-Depth-of-Focus
Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit, bei bilateraler Kataraktoperation 2 verschiedene IOL-Modelle („Mix-and-Match-Ansatz“) miteinander zu kombinieren, um den gewünschten Effekt zu erzielen [9].
Was passiert, wenn die Zielrefraktion nicht erreicht wird?
Wenn keine Emmetropie erreicht wird, führt dies zu einem Visusabfall in der Ferne. Landet der Patient in der Myopie, ist der Visusabfall stärker ausgeprägt als bei einer postoperativen Hyperopie. Dementsprechend führt jedes Viertel Dioptrien Abweichung von der Emmetropie Richtung Myopie zu einer Erhöhung unzufriedener MIOL-Patienten um 25 % [10]. Eine postoperative Hyperopie geht allerdings zulasten der Tiefenschärfe. In einer aktuellen Studie wird als Zielrefraktion die der Emmetropie am nächsten liegende IOL-Stärke empfohlen, auch wenn damit eine leichte Hyperopie angestrebt wird [10].
Besonders nachts können Patienten mit einer Multifokallinse die Überlagerung des Fernfokus als hellen Ring (Halo) um Lichtquellen herum wahrnehmen. Die Ausprägung dieser Halos hängt v. a. von dem postoperativen Refraktionsfehler des Auges ab. Zusätzlich spielen bei der Wahrnehmung von Halos die Nahaddition der Multifokallinse, wie in Abb. 2b zu sehen, und die Pupillenweite eine Rolle [11, 12]. Bezüglich der Pupillenweite bei Patienten mit Multifokal- und EDoF-Linsen gilt: Je größer der Pupillendurchmesser, desto eher werden Halos wahrgenommen [13].
Merke
Insbesondere das Konzept einer Multifokallinse kann nur dann funktionieren, wenn Emmetropie erreicht wird. Dies bedeutet erfahrungsgemäß, dass ein Refraktionsfehler von max. 0,5 dpt in Sphäre oder Zylinder vorliegen darf.
Die Abb. 3 zeigt ein Beispiel, wie sich ein postoperativer Refraktionsfehler bei einer EDoF-IOL auf den Fernvisus und die Sehbereiche auswirkt: Ziel war es, mit der EDoF-Linse in der Ferne und im mittleren Bereich sehen zu können (vgl. Abb. 1C) und für die Nähe eine Lesebrille zu nutzen. Dementsprechend war als Zielrefraktion eine Emmetropie angepeilt (blaue Markierung). Bei einer postoperativen Hyperopie (grüne Markierung) entsteht ein Verlust an Tiefenschärfe, also folglich ein Verlust in der Nähe. Der Fernvisus bleibt (je nach Ausprägung der postoperativen Hyperopie) stabil. Bei einer postoperativen Myopie (rote Markierung) kann der Patient unkorrigiert besser in der Nähe sehen, allerdings sinkt der Fernvisus.
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Bei Vorliegen eines Restrefraktionsfehlers verschieben sich bei EDoF- oder Multifokallinsen im unkorrigierten Zustand nicht nur die Sehbereiche, sondern natürlich leidet auch der Visus unter einem unkorrigierten Refraktionsfehler. Die Abb. 4 zeigt den Visusverlust in Abhängigkeit des Restrefraktionsfehlers (ausgedrückt in sphärischem Äquivalent und Defokus-Äquivalent) für die Bereiche Sph +1 bis −1 dpt und Cyl 0 bis −1,0 dpt, berechnet gemäß der Formel aus [14]. Das sphärische Äquivalent (SEQ) berechnet sich aus dem sphärischen Wert addiert zur Hälfte des Zylinders (SEQ = Sph + 0,5 × Cyl). Die Achse des Zylinders ist dabei unerheblich. Beim Defokus-Äquivalent (DEQ) wird der Zylinder noch stärker berücksichtigt, und durch den Ausdruck in absoluten (ABS) Zahlen kommt es auch nicht durch ein „Ausgleichen“ von Sphäre und Zylinder, wie es beim SEQ vorkommen kann [15]: DEQ = ABS(SEQ) + ABS(0,5 × Cyl). Im Vergleich zum SEQ eignet sich das DEQ daher besser zur postoperativen Beurteilung bei torischen IOLs.
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Beispielhaft zeigt Tab. 2 für einen Patienten mit maximal möglichem Visus von 1,25, mit welchem Visus bei welchem Restrefraktionsfehler zu rechnen ist.
Tab. 2
Beispiel: Welcher Visus ist bei welchem Restrefraktionsfehler zu erwarten (anhand eines maximalen Visus von 1,25)?
Sphäre [dpt]
Zylinder [dpt]
Sphärisches Äquivalent (SEQ) [dpt]
Defokus-Äquivalent (DEQ) [dpt]
Dezimalvisus
+1,00
−0,00
+1,00
+1,00
0,74
+0,5
−0,25
+0,375
+0,50
0,97
0
−0,75
−0,375
+0,75
0,85
−0,50
−0,50
−0,75
+1,00
0,74
−1,00
−1,00
−1,5
+2,00
0,44
Voraussetzungen zur postoperativen Bestimmung der Sehleistung und des Refraktionsfehlers
In der DIN EN ISO 8596 für Augenoptik – Sehschärfenprüfung sind die Messbedingungen in Deutschland definiert [16]. Dadurch wird eine Standardisierung gewährleistet, und es werden vergleichbare und wiederholbare Messergebnisse erreicht.
Sehzeichen
Als Sehzeichen ist der Landolt-Ring das einzige, international bei Gutachten akzeptierte Sehzeichen. In der täglichen Routine werden ebenfalls Zahlen und Buchstaben verwendet. Allerdings führt die Verwendung von Buchstaben nur dann zu gleichen Ergebnissen, wenn bestimmte Buchstaben verwendet (abhängig von der Schriftart z. B. C, D, N, Z) werden und diese 5 % kleiner als der dazugehörige Landolt-Ring dargeboten werden. Zahlen hingegen sind hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit nicht gleichwertig. Insbesondere Zahlen wie 5, 8 und 9 sind schwerer aufzulösen. Sie müssen in ihrer Größe 20 % kleiner sein als der dazugehörige Landolt-Ring [17]. Sobald man sich in der Praxis für eine Zeichenart entschieden hat, sollte man diese aus Wiederholbarkeitsgründen standardmäßig verwenden.
Leuchtdichte
Laut DIN EN ISO 8596 sind durchleuchtete Sehprobentafeln zu verwenden. In der unmittelbaren Umgebung der Sehzeichen sollte die Leuchtdichte zwischen 80 und 320 cd/m2 liegen, wobei die Leuchtdichte des Sehzeichens lediglich 15 % von der Leuchtdichte des Prüffeldes beträgt. Im Gesichtsfeld des Patienten sind direkte und indirekte Lichtquellen zu vermeiden, und evtl. vorhandene Lichtquellen dürfen aus Patientensicht nicht heller als die Prüftafel sein.
Messentfernung
Die Prüfentfernung muss mindestens 4 m zwischen Pupille des Patienten und der Prüftafel betragen und sollte in der Routine immer gleichbleiben, um wiederholbare Ergebnisse zu erzielen. Bei der Verordnung einer Brille sollte allerdings berücksichtigt werden, dass 4 m noch nicht der „optischen Ferne“ entsprechen und bei einer Refraktion in 4 m + 0,25 dpt zu viel (Richtung Hyperopie) gemessen werden. Nach der Refraktion in 4 m sollte daher noch ein Raum-Fern-Ausgleich erfolgen. Alternativ werden 0,25 dpt von der ermittelten Refraktion abgezogen. Ein Patient, der auf 4 m Abstand keine Korrektur annimmt, ist tatsächlich −0,25 dpt myop.
Ferner ist dieser Umstand bei der Konstantenoptimierung von Intraokularlinsen zu berücksichtigen, um eine systematische Fehlerquelle auszuschließen.
Merke
Messbedingungsvorgaben für Sehschärfenprüfung sind in der DIN EN ISO 8596 festgelegt.
Bestimmung des postoperativen Visus
Der mögliche postoperative Refraktionsfehler des Auges kann in den ersten 2 Wochen nach der Operation durch die Veränderung der effektiven Linsenposition schwanken [18]. Nach 2 Wochen kann erstmals eine Refraktion zur Bestimmung des Refraktionsfehlers bzw. eine Visusbestimmung mit anschließender Brillenverordnung durchgeführt werden [19, 20]. Ein Makulaödem hat keinen klinisch relevanten Einfluss auf die Refraktion [21]. Ein bereits präoperativ bestehender instabiler Tränenfilm wird dagegen auch postoperativ einen schwankenden Einfluss auf die Refraktionsbestimmung haben.
Unkorrigierter Fernvisus
Ein Refraktionsfehler des Auges führt zu einer Verringerung des unkorrigierten Fernvisus. Schon bei einem Restastigmatismus von 0,25 und 0,50 dpt erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, einen Visus von 1,0 nicht zu erreichen, um den Faktor 1,7 bzw. 1,9 (p < 0,0001). Noch deutlicher wird der Einfluss auf die Zufriedenheit bei einem Restastigmatismus von 0,75 und 1,00 dpt: Dort steigt die Wahrscheinlichkeit, mit dem Sehvermögen unzufrieden zu sein, bei Patienten mit monofokaler IOL um den Faktor 2,0 und bei Patienten mit multifokaler IOL um den Faktor 1,5 [10]. Bei einem solchen Restastigmatismus betrug die Odds Ratio für das Nichterreichen einer Sehschärfe von 1,0 im Vergleich zu Augen ohne Astigmatismus für monofokale IOLs 6,1 und für multifokale IOLs 6,5 (p < 0,0001).
Die Bestimmung des postoperativen unkorrigierten Visus erfolgt sowohl monokular als auch binokular bei einem standardisierten Abstand von 4–6 m (Sehzeichentafel muss für verwendete Distanz berechnet sein). Der binokulare Visus, der ohne Brille gemessen wird, spiegelt auch die Sehschärfe für die Teilnahme am Straßenverkehr wider. Gegenüber monokularer Testung kann bei binokularer Testung ein Visusgewinn beobachtet werden. Dieses Phänomen wird als binokulare, neuronale Summation bezeichnet. Bei Multifokallinsen und EDoF-Linsen wird diese Visussteigerung deutlicher als bei Monofokallinsen [22]. Viele Patienten erleben deshalb trotz geringfügiger monokularer Sehfehler ein komfortables Sehen in verschiedenen Sehbereichen, was eine dauerhafte Brillenkorrektur bei alltäglichen Tätigkeiten überflüssig macht.
Um den Visus für spezifische Sehanforderungen, insbesondere im Straßenverkehr, zu optimieren, bleiben eine sorgfältige postoperative Refraktionsbestimmung und Korrektur des Sehfehlers jedoch sinnvoll. Beispielsweise kann bei einer Monovision (mit EDoF-Linsen) durch Fernkorrektur des Leseauges entsprechend der binokulare Fernvisus verbessert werden.
Merke
Nur der unkorrigierte Fernvisus gibt Aufschluss darüber, wie gut ein Patient im Alltag ohne Brille zurechtkommt.
Postoperative Refraktionsbestimmung nach Extended-Depth-of-Focus- und multifokaler Intraokularlinse
Objektive Refraktionsbestimmung
Abhängig vom Material weisen Intraokularlinsen höhere Brechungsindizes als die natürliche Augenlinse auf, was zu fehlerhaften Messungen mit dem Autorefraktor führt [23]. Die unterschiedlichen Brechungsindizes zwischen den Intraokularlinsen wiederum führen zu einem Unterschied bis zu 0,3 dpt. Der objektive Refraktionsfehler bei Augen mit monofokalen Linsen wird oft als leicht myop falsch interpretiert, was die Aussagekraft des unkorrigierten Visus über das postoperative Sehen des Patienten beeinträchtigt. Eine Übersicht der Abweichung verschiedener Linsen bei der Refraktionsbestimmung objektiven Verfahren ist in Bellucci et al. gegeben. Im Mittel wird der Refraktionsfehler mit einer halben Dioptrie „zu myop“ ausgegeben [24].
Nach der Implantation von EDoF- oder Multifokallinsen ist die Nutzung der objektiven Refraktion noch weniger geeignet. Die ermittelten Ergebnisse zeigen postoperativ oft einen zu hohen Restastigmatismus, verursacht durch einen Phasenversatz bei diffraktiven Optiken [23]. Dies wird vom Autorefraktometer als Astigmatismus interpretiert. Zudem können Komafehler bei torischen IOLs auftreten, die häufig ebenfalls als Astigmatismus berechnet werden. Zusätzlich ist unklar, welche Abbildung der EDoF- oder Multifokallinse der Autorefraktometer zur Ermittlung der Fernrefraktion verwendet. Durch den Verzicht auf die objektive Refraktion wird die Patientenkommunikation effektiver und klarer, da falsch gemessene Werte nicht erläutert werden müssen.
Merke
Bei Patienten mit Multifokal- und EDoF-Linsen kann auf die objektive Refraktion verzichtet werden, was die Gesprächszeit deutlich verkürzt. Diskutieren Sie einen möglichen postoperativen Refraktionsfehler erst, wenn das Ergebnis der subjektiven Refraktion vorliegt.
Subjektive Refraktionsbestimmung
Bei einer subjektiven Refraktion findet eine direkte Kommunikation zwischen Patienten und Untersucher statt. Das Ergebnis dieser Bestimmung ist daher abhängig von der Tageszeit, dem Untersucher und den korrekten Angaben des Patienten, was zu Schwankungen im Ergebnis führen kann [25]. Einen ersten Anhaltspunkt auf die bestehende postoperative Ametropie erhält man über den unkorrigierten Visus (Tab. 3) oder die Keratometrie der Hornhaut.
Tab. 3
Höhe des ersten Korrektionsglases (Sphäre) in Relation zum unkorrigierten Visus für die Ferne [4]
Visus sc
Erstes Korrektionsglas – Sphäre
< 0,1
+2,0 dpt
0,1–0,2
+1,0 dpt
0,2–0,5
+0,5 dpt
> 0,5
+0,25 dpt
Ein Fließdiagramm zum Ablauf einer Refraktion ist in Abb. 5 dargestellt. Genauere Details zu Refraktionstechniken können der weiterführenden Literatur entnommen werden [4, 25]. Objektive Refraktionswerte können – wie schon erwähnt – nicht als Ausgangswerte verwendet werden, sondern die Auswahl der Gläser sollte anhand des monokularen unkorrigierten Fernvisus stattfinden. Dabei werden immer das stärkste Plusglas, das zu keinem Visusabfall führt, und das schwächste Minusglas, mit dem ein scharfes Bild gesehen wird, aufgeschrieben.
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Merke
Das stärkste Plusglas bzw. das schwächste Minusglas, mit dem es bei dem Patienten zu keinem Visusabfall kommt, beschreibt die Fernpunktrefraktion.
Ziel der subjektiven Refraktionsbestimmung ist, das Auge in den refraktiven Status der Emmetropie, wie in Abb. 1A, C und Abb. 2a gezeigt, zu versetzen. Auf einen abschließenden binokularen Feinabgleich (Rot-Grün-Abgleich) kann verzichtet werden, da durch die IOL-Implantation keine Akkommodation möglich ist und die chromatischen Aberrationen reduziert sind.
Aus dem Fließdiagramm zur Refraktion in Abb. 5 ergibt sich, dass das Ergebnis der subjektiven Refraktionsbestimmung jene Refraktion sein sollte, mit welcher der bestmögliche Visus erreicht wird. In der Praxis wird häufig ein Visus von 1,0 als „voller Visus“ und damit als ausreichend betrachtet. Auch Patienten nach einer Kataraktoperation sehen postoperativ aber häufig besser und sollten auch entsprechend gründlich refraktioniert werden, um den tatsächlichen Restrefraktionsfehler zu ermitteln.
Merke
Patienten nach einer Kataraktoperation können Sehschärfen von über 1,0 erreichen. Die Refraktion ist erst beendet, wenn der maximale Visus erreicht wurde.
Erheben einer Defokuskurve
Zur Überprüfung der Refraktion bietet es sich an, eine Defokuskurve zu erheben. Dabei werden dem Patienten zusätzlich zur Fernkorrektion positive und negative sphärische Linsen vorgehalten (z. B. Bereich von +1,5 bis −5 dpt). Durch das Vorhalten negativer Linsen wird die Addition der IOL ausgeglichen, was eine Visusüberprüfung mit der entsprechenden Addition ermöglicht, ohne tatsächlich eine Sehtafel in verschiedene Entfernungen platzieren zu müssen. Als Ergebnis erhält man eine Kurve, die das Verhältnis von Visus zu Defokus (entsprechend der Nahentfernung) zeigt und damit die Leistung der IOL bei unterschiedlichen Entfernungen angibt. Bei korrekter Refraktion liegt die maximale Sehschärfe bei einem Defokus von 0 dpt. Liefert die Defokuskurve eine maximale Sehschärfe bei einem anderen Defokus liegt der Fernfokus dort, und die zuvor ermittelte Refraktion war vermutlich fehlerhaft. Die Kenntnis der Defokuskurven verschiedener IOL-Modelle vereinfacht die Interpretation der eigenen Ergebnisse.
Die Abb. 6 zeigt die Defokuskurven verschiedener IOL-Typen; rot markiert ist der jeweilige Fernfokus. Die Ermittlung des Fernfokus ist umso schwieriger, je breiter die Tiefenschärfe der IOL, erkenntlich an einem flachen Abfall der Defokuskurve, ist. Bei einem schmalen Peak in der Defokuskurve fällt es dem Patienten einfacher, genauere Angaben machen.
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Bestimmung der Nahrefraktion
Die Korrektion der Nähe erfolgt durch Vorschalten von Plusgläsern (Addition) zusätzlich zur Fernrefraktion und mittels Nahsehproben. Mit diesen werden ebenfalls die unkorrigierte und korrigierte Visusbestimmung für die Nähe durchgeführt [26]. Bei Multifokallinsen wird der Patient in der Nähe prinzipiell mit der Nahkorrektur immer besser sehen als mit der Fernkorrektur, weil der Fernfokus der IOL die beste optische Abbildungsqualität (Abb. 7) und höchste Lichtverteilung hat (vgl. Abb. 13.2 aus [27]).
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Merke
Die Nahaddition muss individuell getestet werden.
Brillenverordnung
Postoperativer Refraktionsfehler im Straßenverkehr
Bezugnehmend auf die Teilnahme am Straßenverkehr gilt: „Liegt postoperativ ein Refraktionsfehler vor, der durch eine Brille korrigierbar ist und dessen Ausgleich zu einer merklichen Verbesserung der Sehschärfe führt, muss für die Teilnahme am Straßenverkehr eine Brille (oder Kontaktlinse oder beides) getragen werden.“ [28] In der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) heißt es hierzu: „Fehlsichtigkeiten müssen – soweit möglich und verträglich – korrigiert werden.“ [29] Für die Anwendung dieser Regelung im Praxisalltag heißt es in Lachenmayr et al. zu minimalen Refraktionsfehlern, die beispielsweise unkorrigiert noch eine Sehschärfe von 0,7 erlauben, dass diese nicht notwendigerweise zum Tragen einer Brille oder Kontaktlinsen führen sollten [30].
Merke
Refraktionsfehler, deren Korrektion zu einer merklichen Verbesserung der Sehschärfe führen, müssen zur sicheren Teilnahme am Straßenverkehr verordnet werden.
Verordnung von Einstärkenbrillengläsern
Durch eine Fernkorrektur werden Lichtstrahlen aus unendlicher Entfernung auf der Netzhaut fokussiert. Dies schafft die optischen Bedingungen für EDoF- und Multifokallinsen, um beispielsweise die gesamte Tiefenschärfe oder die gewünschten Zusatzfunktionen zu nutzen und die photischen Phänomene zu reduzieren. Aus diesem Grund ist bei Abweichungen von der Emmetropie oft eine Fernbrille ausreichend.
Merke
Bei einer postoperativ bestehenden Fehlsichtigkeit können photische Phänomene durch die Verordnung einer Fernbrille reduziert werden.
Auf Basis der oben genannten Anforderungen für die Teilnahme am Straßenverkehr ergibt sich, dass bei einer Versorgung mit Monovision mit EDoF-Linsen eine Brille verordnet werden sollte – auch wenn diese im Alltag nicht benötigt wird. Über diesen Umstand sollte ein Patient präoperativ informiert werden.
Merke
Bei Monovision muss der Patient präoperativ darüber aufgeklärt werden, dass zum Führen eines Fahrzeugs eine Brille notwendig sein könnte.
Für längeres Lesen, handwerkliche Tätigkeiten in kurzen Abständen oder bei schwacher Beleuchtung kann der Nahfokus einer multifokalen IOL ggf. nicht ausreichend sein. Eine einfache Abhilfe kann eine Nahbrille mit der entsprechend für die Tätigkeit benötigten Addition schaffen, indem der Patient nun den Fernfokus der IOL „nutzt“, der für gewöhnlich die größte Lichtverteilung aufweist (s. Abschn. „Bestimmung der Nahrefraktion“).
Verordnung von Gleitsichtgläsern
Gleitsichtgläser bieten gegenüber Einstärkengläsern den Vorteil, dass sie mehrere Stärken in einem Glas vereinen. So kann eine Fehlsichtigkeit ausgeglichen und eine Unterstützung in der Nähe gegeben werden. Bei der Verwendung von Gleitsichtgläsern in Kombination mit EDoF- und Multifokallinsen sind verschiedene Szenarien denkbar.
Sollte ein Patient den Intermediär- oder Nahfokus der IOL nicht zufriedenstellend nutzen können, besteht die Möglichkeit, mit einer Gleitsichtbrille mit einer Addition von z. B. +2,5 dpt ausschließlich den Fernfokus der IOL (größte Lichtverteilung, s. Abb. 7) zu nutzen und das Sehen im Intermediär- oder Nahbereich entsprechend über das Gleitsichtglas zu realisieren.
Ebenso kann ein Gleitsichtglas mit geringer Nahaddition (z. B. +1 dpt) angenehm sein, da der Progressionskanal entsprechend breit gehalten werden kann.
Fazit für die Praxis
Beurteilen Sie das postoperative Sehen des Patienten am unkorrigierten monokularen und binokularen Visus.
Verzichten Sie auf die objektive Refraktion und die Erhebung des Visus mit den in der objektiven Refraktion ermittelten Werten.
Zeigt sich in der subjektiven Refraktion ein Refraktionsfehler, der durch eine Brille korrigierbar ist und dessen Ausgleich zu einer merklichen Verbesserung der Sehschärfe führt, muss für die Teilnahme am Straßenverkehr eine Brille (oder Kontaktlinse oder beides) getragen werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
Gemäß den Richtlinien des Springer Medizin Verlags werden Autoren und Wissenschaftliche Leitung im Rahmen der Manuskripterstellung und Manuskriptfreigabe aufgefordert, eine vollständige Erklärung zu ihren finanziellen und nichtfinanziellen Interessen abzugeben.
Autoren
H. Kaymak: A. Finanzielle Interessen: Referententätigkeit für HOYA. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Leitender Operateur; Breyer Kaymak Klabe Augenchirurgie GbR, Düsseldorf; Leitender Operateur; MVZ Breyer Kaymak Klabe Makula-Netzhaut-Zentrum GbR, Düsseldorf; Professor für Epidemiologie und Prävention von Myopie; Universität des Saarlandes, Homburg/Saar; Internationale Innovative Ophthalmochirurgie GbR, Düsseldorf; Myopia Solutions GbR, Düsseldorf | Mitgliedschaften: DOG, Euretina, RWA, ARVO, EVER. A. Messerschmidt-Roth: A. Finanzielle Interessen: keine. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Angestellte Leitung Studien- und Forschungszentrale, Philipps-Universität Marburg, Marburg; Angestellte Leitung Refraktivabteilung (Smile Eyes), Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Marburg; CEO: Klinischer Trainings und Coaching auf dem Gebiet der optometrischen und refraktiven Chirurgie, Refractionmed GmbH, Marburg | Mitgliedschaften: DOG, Hirschberggesellschaft.
Wissenschaftliche Leitung
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Der Verlag
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Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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