„To break or not to break“ – Wie gehen wir mit der Gegenkortikalis um? Das ist die Frage, die sich die Kindertraumatologie seit vielen Jahren hinsichtlich der Therapie von Grünholzfrakturen des Unterarmschafts stellt.
Fragestellung
Häufigkeit der Grünholzfrakturen des diaphysären Unterarms im Kindes- und Jugendalter; Einfluss des Durchbrechens der Gegenkortikalis auf die Refrakturrate.
Material und Methode
Analyse und Diskussion relevanter Arbeiten, Analyse der Refrakturrate von kindlichen Grünholzfrakturen des Unterarmschafts im eigenen Patientenkollektiv.
Ergebnisse
Grünholzfrakturen treten im Bereich des Unterarmschafts häufig auf, und eine inkomplette Konsolidierung führt zu einer erhöhten Refrakturrate. Im Patientenkollektiv der Autoren von 420 Kindern mit Grünholzfrakturen des Unterarmschafts zeigte sich eine Refrakturrate von 9,5 %, wobei die Rate bei nichtkomplettierten Frakturen signifikant höher war, im Vergleich zur Gruppe der komplettierten Frakturen (15,2 % vs. 3 %). Während in der Subgruppe der konservativ behandelten Grünholzfrakturen (n = 234) das Durchbrechen der Gegenkortikalis die Refrakturrate signifikant verringerte, führte das Durchbrechen im Rahmen einer operativen Versorgung mithilfe der elastisch-stabilen intramedullären Nagelung (ESIN) zu keiner Veränderung der Refrakturrate.
Schlussfolgerungen
Im Rahmen der konservativen Therapie von Grünholzfrakturen des diaphysären Unterarms kann das Durchbrechen der Gegenkortikalis empfohlen werden, um die Refrakturrate zu minimieren. Das Komplettieren der Grünholzfraktur scheint im Rahmen einer operativen Behandlung mithilfe der ESIN nicht nötig zu sein.
Hinweise
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„To break or not to break“ – das ist die Frage, die sich die Kindertraumatologie seit vielen Jahren hinsichtlich der Therapie von Grünholzfrakturen des Unterarmschafts stellt. Kaum eine andere Fraktur wird bezüglich ihres therapeutischen Ansatzes so kontrovers diskutiert und unterliegt einer ähnlich dynamischen Entwicklung ihrer Behandlung wie die diaphysäre Grünholzfraktur des kindlichen Unterarmschafts, gilt es doch, bekannte Komplikationen wie Refrakturen und Bewegungseinschränkungen aufgrund persistierender Fehlstellungen zu vermeiden.
Die durch zahlreiche Studien belegte Bandbreite der konservativen Therapieformen von Grünholzfrakturen des Unterarms reicht vom Vertrauen in das wachsende Skelett und dessen Korrekturpotenzial über die geschlossene Reposition und Gipsruhigstellung bis hin zum Durchbrechen der Gegenkortikalis und zur Überführung einer primär per se stabilen Fraktur in eine instabile Fraktur mit allen daraus resultierenden Vor- und Nachteilen [1‐4]. Darüber hinaus ist im Laufe der Jahre ein deutlicher Trend zur chirurgischen Sanierung der Unterarmschaftfrakturen, insbesondere zur operativen Versorgung mithilfe der elastisch-stabilen intramedullären Nagelung (ESIN), festzustellen; wohl auch als Zeichen der Limitationen der konservativen Therapie mit der Sorge über persistierende Deformitäten und dem Bedürfnis nach achsengerechter Versorgung [5]. Die veränderten Freizeitgewohnheiten, vermehrte Ausübung von Rasanzsportarten mit höherem Verletzungsrisiko sowie die Ansprüche der Patient*innen und der Angehörigen nach rascher Mobilisierung und gutem funktionellem Ergebnis werden als weitere Gründe für die Zunahme der operativen Therapie angesehen [6].
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Epidemiologie: Wie häufig ist die diaphysäre Unterarmfraktur?
So, wie die Therapieformen der Unterarmfraktur über die Zeit einem Wandel unterliegen, verändert sich auch die Inzidenz der Unterarmfrakturen selbst. Mehrere Studien berichten von einer Steigerung der Inzidenz von über 30 % über die Jahrzehnte hinweg [7, 8]. Körner et al. haben 2019 die Häufigkeit von Frakturen der oberen Extremität bei Kindern und Jugendlichen, die in deutschen Krankenhäusern versorgt wurden, über einem Zeitraum von 16 Jahren untersucht und konnten eine signifikante Erhöhung der Inzidenz von Unterarmschaftfrakturen in der Altersgruppe von 0 bis 14 Jahren mit einem standardisierten Inzidenzverhältnis ≥ 1,44 feststellen [9]. Der Altersgipfel der diaphysären Unterarmfrakturen fand sich in dieser Studie bei 8 Jahren und scheint im Vergleich zu früheren Berichten konstant zu bleiben [10].
Die Inzidenz der Unterarmfrakturen ist im Laufe der letzten Jahrzehnte über 30 % angestiegen
Unterarmfrakturen treten bei Schulkindern (65 %) und Jugendlichen (63 %) deutlich häufiger auf als bei Kleinkindern (42 %) und im Vorschulalter (50 %) [11]. Jungen sind gut doppelt so häufig betroffen wie Mädchen mit in zunehmendem Alter steigender Tendenz [9, 12]. In der aktuellen Literatur variieren die Angaben zum Anteil der Unterarmfrakturen an der Gesamtzahl aller kindlichen Frakturen von 17,8 % bis zu 41 % [13‐15]. Die diaphysären Unterarmfrakturen werden mit einer Inzidenz von 3–5,4 % angegeben [15, 16]. Die mit über 82 % häufigste Frakturform des kindlichen Unterarms ist die Grünholzfraktur [17]. Auch bei den diaphysären Unterarmfrakturen beträgt ihr Anteil noch gut 33 % [18].
Korrekturpotenzial: Was remodelliert der kindliche Unterarmschaft spontan?
Die Behandlung der diaphysären Unterarmschaftfraktur war über Jahrzehnte eine Domäne der konservativen Therapie [4, 5, 19]. Innerhalb altersabhängiger Fehlstellungsgrenzen werden gute Ergebnisse mithilfe der Gipsruhigstellung ohne Reposition beschrieben [2, 20]. Achsabweichungen von bereits 10° können je nach Richtung und Lokalisation zu signifikanten Einschränkungen der Umwendbeweglichkeit führen. Schmittenbecher hat 2005 in seiner Übersichtsarbeit über die Behandlung der Unterarmschaftfrakturen die Limitationen der konservativen Therapie und die Vorteile der operativen Versorgung mithilfe der ESIN bei bestimmten Frakturtypen aufgezeigt [21].
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Je jünger die Betroffenen und je distaler die Unterarmfraktur, desto größer ist das Korrekturpotenzial
Bezüglich der Spontankorrektur gilt die goldene Regel: Je jünger die Patient*innen und je distaler die Unterarmfraktur lokalisiert ist, desto größer ist das Korrekturpotenzial [10]. Im Bereich der Diaphyse und des proximalen Unterarms ist dieses jedoch kaum noch vorhanden. Ellenbogennahe Frakturen tolerieren nahezu keine persistierenden Fehlstellungen mehr. Ausnahme von dieser Regel ist das proximale Radiusende, das Achsabweichungen in der Frontal- und Sagittalebene im weiteren Wachstum ausgleichen kann [10].
Kadaverstudien haben gezeigt, dass Angulationen des Unterarmschafts ab 10° zu messbaren Bewegungseinschränkungen führen und ab 20° mit deutlichen funktionellen Defiziten zu rechnen ist [22, 23]. Diese Erkenntnis wurde von Sarmiento et al. 1992 anhand klinischer Untersuchungen validiert [24] und in weiterer Folge auch für die pädiatrische Population bestätigt [25‐27]. Nebst kosmetischer Defizite stellt eine persistierende Deformität im diaphysären Bereich des Unterarms v. a. für die Umwendbewegungen ein erhebliches Problem dar [27]. Pro- und Supination sind keine reine Rotationsbewegungen um einen Drehpunkt, sondern vielmehr komplexe Abfolgen von Rotations- und Translationsbewegungen [28]. Jede Deformität, die den interossären Raum im Bereich der Überkreuzungsstelle der beiden Unterarmknochen einengt, führt unweigerlich zu einem Funktionsverlust. Die komplexe Bewegung des Unterarms in Kombination mit seinem anspruchsvollen anatomischen Aufbau macht es schwierig, die genaue Ursache für die Bewegungseinschränkungen zu lokalisieren und diese in weiterer Folge zu korrigieren [26]. Auf die Spontankorrektur von Rotationsfehlstellungen gibt es kaum Hinweise, und die Studienlage ist sehr inkonsistent [29].
Wie Valone et al. 2020 in ihrer Studie zeigen konnten, kommen Kinder mit einem Bewegungsumfang von 35°Extension und 147° Flexion im Ellenbogengelenk sowie 56° Supination und 64° Pronation im Routinealltag, einschließlich Handytelefonieren, Computermaus- und Tastaturbedienung, sehr gut zurecht [30]. Um diese Funktionalität der Umwendbewegungen zu gewährleisten, sollten proximal der Schaftmitte keine Achsfehlstellungen akzeptiert werden. In einer prospektiven Kohortenstudie untersuchten Barvelink et al. 2020 das Korrekturpotenzial von kindlichen Unterarmfrakturen und berichteten über eine durchschnittliche Spontankorrektur von 8° innerhalb eines Jahres bei Kindern mit einem Durchschnittsalter von 9 Jahren [2]. In diese Studie wurden sowohl isolierte Radiusfrakturen als auch Unterarmschaftfrakturen inkludiert; die Frakturlokalisation wurde jedoch nicht berücksichtigt. Das Korrekturpotenzial des diaphysären Unterarmschafts beträgt bis zum Abschluss des Wachstums hingegen „nur“ 1–2° pro Jahr [31‐33]. Dies sollte bei der Planung einer konservativen Therapie keinesfalls außer Acht gelassen werden.
Generell haben sich die Empfehlungen von Noonan und Price hinsichtlich der Toleranzgrenzen von Achsabweichungen bei der Behandlung von Unterarmschaftfrakturen bewährt und seit 1998 kaum verändert [34]. Scotcher et al. haben 2022 in ihrem systematischen Review aus initial 2058 Arbeiten als Ergebnis die Toleranzgrenzen in der Sagittalebene um Toleranzgrenzen in der Frontalebene ergänzt [29]. Die Autoren empfehlen tolerable Achsabweichungen für Kinder jünger als 10 Jahre < 15° in der Sagittal- und < 10° in der Frontalebene sowie eine < 50 %ige Translationsfehlstellung. Für Kinder älter als 10 Jahre werden als Toleranzgrenzen < 10° in der Sagittal- und in der Frontalebene sowie ebenfalls eine < 50 %ige Translationsfehlstellung empfohlen [29].
Was ist bei der Therapie zu beachten?
Soll eine Grünholzfraktur des Unterarmschafts aufgrund ihrer Achsfehlstellung reponiert werden, ist Folgendes zu bedenken und entsprechend vorzugehen:
Nach der Reposition sperrt die in Abheilung befindliche Kortikalis die Heilung der Gegenkortikalis
Die Grünholzfrakturen sind typische Frakturen des wachsenden Skeletts. Sie gehören zu den Biegungsbrüchen und weisen somit immer eine Achsabweichung auf. Die Biegungsbrüche werden in 3 Formen unterteilt: die frühkindliche gestauchte Form (< 5 Jahre), die gebogene Form bekannt als „bowing fracture“ und die klassische Grünholzfraktur, die das zentrale Thema dieser Arbeit darstellt. Bei dieser Frakturform ist die Kortikalis auf der konvexen Seite der Angulation durchgebrochen, aber auf der konkaven Seite lediglich nur angebrochen. Wird die Fraktur reponiert oder innerhalb der weiter oben beschriebenen Toleranzgrenzen belassen, heilt die Fraktur auf der konkaven Seite der Fehlstellung rasch ab, während auf der konvexen Seite die nötige Kompression zur Konsolidierung der Fragmente fehlt. Die in Abheilung befindliche Kortikalis sperrt die Heilung der Gegenkortikalis. Hier kommt es zu einer verzögerten bis ausbleibenden Konsolidierung. Daran ändert auch eine protrahierte Ruhigstellung nichts. Die periostale Überbrückung des Frakturspalts auf der konvexen Seite der Angulation bleibt aus und birgt die Gefahr einer Refraktur in sich [10, 35‐37].
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Die meisten diaphysären Grünholzfrakturen sind bedingt durch Stürze auf die ausgestreckte Hand mit axialer Krafteinwirkung auf den supinierten Unterarm [34, 36]. Es entsteht eine konvexe Angulation nach palmar, und der Unterarm wird in einer Supinationsfehlstellung gehalten [1, 34]. Die Zugrichtungen des M. pronator teres und des M. supinator neutralisieren sich, und lediglich der M. biceps brachii übt eine flektierende Kraft über den proximalen Radius aus [36]. In einem ambulanten Setting wird nach entsprechender Aufklärung und Analgosedierung unter Bildwandlerkontrolle die Fraktur unter Zug mit einer Pronationsbewegung reponiert, sprich die Handfläche rotiert in Richtung der Fehlstellung (eine adäquate gewichts- und altersadaptierte Schmerztherapie nach institutionellen Richtlinien wird unbedingt empfohlen; [1, 4, 34]). Richtet sich die Konvexität der Angulation nach dorsal, so wird unter Zug supiniert, und die Handfläche rotiert wieder in Richtung der Fehlstellung [1, 4, 34]. Nach erfolgter Reposition muss entschieden werden, ob die Gegenkortikalis durchbrochen wird oder nicht. Dies hängt sicherlich auch von den örtlichen Gegebenheiten des ambulanten Settings sowie der Erfahrung des Ambulanzteams mit dieser Therapieform ab. An der Institution der Autoren stehen 2 Gipszimmer mit Bildwandler und Narkosemaschine sowie einem Gipszimmerarzt und professionellen Gipsassistenten für das Komplettieren einer Grünholzfraktur in Analgosedierung zur Verfügung. Das Überführen einer Grünholzfraktur durch Durchbrechung der Gegenkortikalis in eine potenziell instabile Frakturform birgt immer das Risiko einer sekundären Dislokation in sich. In einem Setting, in dem die Gegenkortikalis im Rahmen der konservativen Therapie in Narkose im OP durchgebrochen wird, stellt sich die Frage, ob gleich eine definitive Versorgung mithilfe der ESIN angestrebt werden sollte. Diese Entscheidungen beschäftigen die Kindertraumatologie schon seit Jahrzehnten.
Komplettierung der Grünholzfraktur – obligatorisch oder fakultativ?
In ihren Arbeiten hatten Malagaigne schon 1859 und Blount 1942 diese Frage erörtert und die Komplettierung der Grünholzfraktur des diaphysären Unterarms befürwortet. Sie warnten auch explizit vor den Gefahren einer Kompromittierung des interossären Raumes durch verbleibende Achsabweichungen, da diese bleibende funktionelle Einschränkungen zur Folge hätten. Refrakturen innerhalb der ersten 6 Monate nach dem Trauma wurden bei den konservativ behandelten Unterarmschaftfrakturen häufig beobachtet; jedoch wurde kein Zusammenhang mit Grünholzfrakturen als Risikofaktoren hergestellt [3, 38].
Noonan et al. beschrieben zwar den theoretischen Vorteil des Durchbrechens der Gegenkortikalis, da der Kallus vergrößert und dadurch das Risiko einer Refraktur verringert würde, gaben jedoch einer achsengerechten Reposition mit Aufhebung des Drehfehlers den Vorzug [34]. Nach Bould und Bannister haben Frakturen der Unterarmdiaphyse ein 8fach höheres Refrakturrisiko als distale Unterarmfrakturen [39]. Schwarz et al. [40] untersuchten in ihrer retrospektiven Studie die Ursachen für 28 Refrakturen der Unterarmdiaphyse. In ihrer Arbeit zeigten 96 % noch eine Achsabweichung und 84 %, alle initial Grünholzfrakturen, keine vollständige Konsolidierung vor der Refraktur. Die Autoren favorisierten die Komplettierung der Grünholzfrakturen und sahen in der inkompletten Konsolidierung von erfolgten Grünholzfrakturen einen maßgeblichen Risikofaktor für eine Refraktur [40]. Sie traten ähnlich wie Lascombes et al. für eine längere Ruhigstellung bis zu 6 Monate mithilfe von Gips und konsekutiver Schiene ein [40, 41].
Den Stellenwert der inkompletten Konsolidierung als Risikofaktor für eine Refraktur unterstreichen auch die Ergebnisse von Baitner et al. Sie definierten die Refraktur als neuerliche Fraktur an derselben Stelle innerhalb von 18 Monaten. In ihrer retrospektiven Studie wiesen mehr als doppelt so viele Kinder in der Refrakturgruppe Zeichen einer inkompletten Konsolidierung auf als in der Kontrollgruppe (48 % Radius und 67 % Ulna vs. 21 % Radius und 18 % Ulna). Die Häufigkeit der diaphysären Frakturen war in der Refrakturgruppe mit 30 % ebenfalls mehr als doppelt so hoch im Vergleich zur Kontrollgruppe mit 12 %. Die Autoren vermuteten zwar, dass eine persistierende Achsabweichung ein Refrakturrisiko darstellte, konntes dies jedoch nicht signifikant beweisen [42].
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Tisosky et al. konnten in ihrer Arbeit eine direkte Beziehung zwischen persistierender Achsabweichung und Zeitpunkt der Refraktur herstellen. Über 60 % der Patient*innen mit einer Fehlstellung > 10° erlitten innerhalb von 6 Wochen eine Refraktur. In ihrem Patientenkollektiv wiesen 31 % eine inkomplette Konsolidierung nach Aufhebung der Ruhigstellung auf. Deshalb propagierten die Autoren eine Gipsruhigstellung für 4 Wochen im Oberarm- sowie 3 bis 4 Wochen im Unterarmgips mit konsekutiver Schienenversorgung bis zur vollständigen Konsolidierung nach durchschnittlich 73 Tagen. Die durchschnittliche Zeit bis zur Refraktur betrug 16 Wochen, und 78 % der Refrakturen betrafen die Diaphyse [43].
In der prospektiven Studie von Schmuck et al. zeigte die Gruppe mit Komplettierung der Grünholzfrakturen zwar eine raschere knöcherne Konsolidierung nach Aufhebung der Ruhigstellung, wies jedoch im Fall einer inkompletten Konsolidierung mit 21 % die höchste Refrakturrate auf. Die Freigabe für alle Aktivitäten erfolgte in 80 % der Fälle aufgrund vermeintlicher radiologischer Konsolidierung, wohingegen die Nachuntersuchung in der Hälfte der Fälle eine inkomplette Ausheilung ergab. Aus der Gruppe der reponierten, aber nichtkomplettierten Frakturen zeigte ein Drittel persistierende Achsabweichungen > 10° im Follow-up. In der Gruppe der komplettierten Frakturen betrug diese Rate nur 7 %, was für ein Durchbrechen der Gegenkortikalis als Prävention gegen Bewegungseinschränkungen spricht. Die Autoren sehen das Durchbrechen der Gegenkortikalis zwar nicht als Risikominimierung einer Refraktur, empfehlen die Komplettierung jedoch bei Überschreitung der Fehlstellung über die altersentsprechende Toleranzgrenzen hinaus. In der radiologischen Kontrolle stellten sich 9 % der Komplettierungen als nicht erfolgreich dar, und nur 5 % wurden nach Durchbrechen der Gegenkortikalis instabil. Die Refrakturen traten durchschnittlich 11 Wochen nach dem Traumaereignis mit einer Häufigkeit von 6,7 % auf [17].
Um die Frage des Einflusses des Komplettierens von diaphysären Grünholzfrakturen des Unterarms auf die Refrakturrate besser beantworten zu können, führten die Autoren des vorliegenden Beitrags nach Genehmigung durch die Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz (EK Nummer: 36-332 ex 23/24) in ihrem Patientenkollektiv eine retrospektive Studie aller Kinder und Jugendlichen, die zwischen 2010 und 2023 mit diaphysären Grünholzfrakturen des Unterarms vorstellig wurden, durch. Patientendaten und die Röntgenbilder wurden retrospektiv analysiert, um die Rate des Durchbrechens und die Refrakturrate zu ermitteln.
Für die Datensammlung wurde Microsoft Excel (Microsoft Excel 2021, Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) genutzt. Zur statistischen Auswertung wurde IBM SPS Statistics Version 29.0 (IBM SPS Statistics, IBM Corp., Armonk, NY, USA) eingesetzt. Metrische Daten sind als Mittelwert und Standardabweichung (SD) dargestellt, kategorische Daten als Anzahl und Prozente. Nach Testung auf Normalverteilung mithilfe von Kolmogorow-Smirnow-Tests erfolgte der Gruppenvergleich metrischer Daten durch Anwendung von Mann-Whitney-U-Tests. Gruppenvergleiche kategorischer Daten erfolgten mithilfe des χ2-Tests. Die Sankey-Diagramme wurden mit https://sankeymatic.com/ erstellt. p-Werte < 0,05 wurden als statistisch signifikant gewertet.
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Im Studienzeitraum von 14 Jahren (zwischen 2010 und 2023) wurden 420 Kinder und Jugendliche mit einem durchschnittlichen Alter von 6,9 Jahren (SD ± 3,3 Jahre, Spanne 0 bis 16 Jahre) aufgrund von diaphysären Grünholzfrakturen des Unterarms behandelt. Es waren 61 % (n = 255) der Patient*innen männlich und 39 % (n = 165) weiblich. Das Alter der männlichen Patienten unterschied sich nicht signifikant vom Alter der weiblichen Patientinnen (m: 7,2 ± 3,2 Jahre vs. w: 6,5 ± 3,2 Jahre, p = 0,088, Mann-Whitney-U-Test). Von den Frakturen betrafen 55 % (n = 230) die linke Seite und 45 % (n = 190) die rechte Seite.
Während bei knapp über 60 % (63,8 %, n = 268) der Unterarmfrakturen die Grünholzfrakturen an Radius und Ulna lokalisiert waren, fand sich eine Grünholzfraktur nur des Radius bei 81 (19,3 %) bzw. der Ulna bei 71 (16,9 %) der Patient*innen.
Über die Hälfte der Frakturen (56 %, n = 234) wurden konservativ behandelt; bei 44 % (n = 186) wurde eine operative Behandlung indiziert. Die operative Therapie bestand bei 98 % (n = 183) aus einer Versorgung mithilfe der ESIN. In nur 3 Fällen (2 %) wurde eine Reposition der Fraktur in Narkose mit anschließender Gipsruhigstellung durchgeführt. Im Rahmen der Behandlung wurde bei 223 (53,1 %) der 420 Patient*innen die Grünholzfraktur nicht durchgebrochen; in 197 (46,9 %) Fällen wurde die Therapie mit Durchbrechen der Gegenkortikalis durchgeführt. In diesen 197 Fällen wurde in 105 Fällen (53,3 %) beide Knochen vollständig durchgebrochen, in 52 Fällen (26,4 %) der Radius und in 40 Fällen (20,3 %) die Ulna.
Insgesamt wurden in der Studienpopulation 40 Refrakturen (9,5 %) nach einer durchschnittlichen Zeit von 103 ± 68 Tagen verzeichnet. Das durchschnittliche Alter der Kinder und Jugendlichen mit Refraktur unterschied sich nicht signifikant vom durchschnittlichen Alter der Patient*innen ohne Refraktur (Refraktur 6,3 ± 3 vs. keine Refraktur 6,9 ± 3,4, p = 0,232, Mann-Whitney-U-Test). Die Proportion an Refrakturen war signifikant höher in Fällen, in denen die Gegenkortikalis nicht durchgebrochen wurde (nicht durchgebrochen 34 von 223 (15,2 %) vs. durchgebrochen 6 von 197 (3 %), p < 0,001, χ2-Test) (siehe Abb. 1, 2, 3, 4, 5). Eine entsprechende grafische Darstellung findet sich im Sankey-Diagramm in Abb. 6.
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Der Anteil an Refrakturen war in der operativ behandelten Gruppe signifikant geringer, verglichen mit der konservativ behandelten Gruppe (operativ 6 von 186 (3,2 %) vs. konservativ 34 von 234 (14,5 %), p < 0,001, χ2-Test).
Um den Einfluss der initialen Behandlung bzw. des Durchbrechens der Gegenkortikalis näher zu beleuchten, wurde eine Subgruppenanalyse durchgeführt. Von den insgesamt 234 konservativ behandelten Frakturen wurden 59 Frakturen in gewichts- und altersadaptierter Analgosedierung durchgebrochen und 175 nicht durchgebrochen. In der Gruppe der komplettierten Frakturen kam es in 3,4 % der Fälle (n = 2) zu einer Refraktur und in der Gruppe der nichtkomplettierten Frakturen in 18,3 % (n = 32). Dieser Unterscheid war statistisch signifikant (p = 0,005, χ2-Test). Es wurden 138 der insgesamt 186 operativ behandelten Frakturen durchgebrochen und 48 nicht durchgebrochen. In der Gruppe der durchgebrochenen Gegenkortikalis kam es in 2,9 % der Fälle (n = 4) zu einer Refraktur und bei den nichtdurchgebrochenen Frakturen in 4,2 % der Fälle (n = 2). Dieser Unterscheid war statistisch nicht signifikant (p = 0,668, χ2-Test). Die Abb. 7 stellt diese Unterschiede grafisch dar.
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Das Durchbrechen der Gegenkortikalis ist bei konservativer Versorgung zu empfehlen
Der Großteil der Refrakturen (n = 33, 82,5 %) wurde mithilfe der ESIN behandelt; nur 7 Fälle (17,5 %) wurden konservativ therapiert. Erneute Probleme bzw. Refrakturen traten in keinem der Fälle auf.
Die Refrakturrate der diaphysären Unterarmfrakturen wird in der Literatur über die Jahre hinweg bis auf wenige Ausnahmen relativ konstant mit 3,2–4,9 % angegeben [39, 43‐45]. In der vorgestellten Studie war diese Rate etwas höher (9,5 %), wobei ausschließlich Grünholzfrakturen des diaphysären Unterarms inkludiert wurden. Die höchste Rate der Refrakturen zeigte sich in der konservativ behandelten Patientengruppe, in denen die Gegenkortikalis nicht durchgebrochen wurde. Im Unterschied dazu hatte das Durchbrechen der Gegenkortikalis in der operativ behandelten Patienten keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Refrakturrate. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass das Durchbrechen der Gegenkortikalis einer Grünholzfraktur des diaphysären Unterarms im Fall eines konservativen Vorgehens empfohlen werden kann, im Rahmen der operativen Versorgung mithilfe der ESIN jedoch keinen Einfluss auf die Refrakturrate zu haben scheint.
Fazit für die Praxis
Frakturen des Unterarmschafts sind im Kindes- und Jugendalter häufige Ereignisse; ein Drittel von ihnen sind Grünholzfrakturen.
Die klassische Grünholzfraktur des diaphysären Unterarms weist immer eine Achsabweichung auf.
Bei Kindern älter als 10 Jahre dürfen Achsabweichungen > 10° in der Sagittal- und in in der Frontalebene nicht toleriert werden.
Bei Kinder jünger als 10 Jahre dürfen Achsabweichungen < 15° in der Sagittal- und < 10° in der Frontalebene sowie eine < 50 %ige Translationsfehlstellung toleriert werden.
Therapieziele sind die Vermeidung der Ausheilung in Fehlstellung und der Erhalt der vollen Funktionalität
Um die Funktionalität der Umwendbewegungen zu gewährleisten, dürfen proximal der Schaftmitte keine Achsfehlstellungen akzeptiert werden.
Die inkomplette Konsolidierung der Grünholzfraktur führt zu einer erhöhten Refrakturrate. Die Freigabe für alle Aktivitäten sollte erst nach vollständiger Konsolidierung erfolgen.
Im Rahmen der konservativen Therapie von Grünholzfrakturen des Unterarmschafts verringert das Durchbrechen der Gegenkortikalis die Refrakturrate.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
T. Petnehazy, M. Münnich, F. Füsi, S. Hankel, A. Erker, E. Friehs, H. Elsayed, H. Till und G. Singer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die in diese Arbeit inkludierte retrospektive Studie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz genehmigt (EK Nummer: 36-332 ex 23/24).
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