Affenpocken in Deutschland: Seien Sie wachsam!

Auch in Deutschland werden immer mehr Fälle von Affenpocken gemeldet. Die Münchner Infektiologin Dr. Camilla Rothe empfiehlt Ärztinnen und Ärzten, vor allem auf die Konstellation akutes Fieber, Lymphknotenschwellungen und juckende Läsionen an Haut und Schleimhäuten zu achten. Die Affenpocken breiten sich in Deutschland immer weiter aus: Mittlerweile (Stand: 27. Mai) sind hierzulande 16 Fälle aus sechs Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt) ans RKI übermittelt worden. Laut WHO wurden bis zum 26. Mai insgesamt 257 bestätigte Fälle und 120 Verdachtsfälle aus 23 Mitgliedsstaaten gemeldet, neben Europa auch USA, Kanada, Südamerika und Australien. Ausgelöst wird die Erkrankung durch ein Orthopoxvirus (Monkeypox virus), das Tropenmediziner eigentlich als zoonotischen Erreger mit Verbreitung vor allem in Zentral- und Westafrika kennen. Immer mehr Fälle mit autochthoner Übertragung Auch in früheren Jahren habe es immer wieder einzelne importierte Fälle von Affenpocken gegeben, z. B. aus Nigeria, berichtete Dr. med. Camilla Rothe, Tropenmedizinerin und Infektiologin am Klinikum der LMU München. Die aktuelle Lage sei jedoch anders: Mittlerweile stehe fest, dass sich Menschen infizieren, die keinen wissentlichen Kontakt zu Erkrankten hatten und schon gar keine Reiseanamnese im Zusammenhang mit Afrika. „Während wir sprechen, gibt es mehr und mehr Meldungen von ähnlichen Fällen“, sagte Rothe auf dem Infektio Update am Samstag vor einer Woche. Der erste Fall in Deutschland war am 20. Mai bekannt geworden. Dabei handelt es sich um einen 26-jährigen Mann, der an der vergleichsweise milden westafrikanischen Variante erkrankt ist und derzeit im Klinikum München Schwabing stationär behandelt wird. Der Patient kommt ursprünglich aus Brasilien. Er war über Portugal und Madrid nach Deutschland eingereist. Bevor er nach München kam, hatte er sich in Frankfurt, Köln und Düsseldorf aufgehalten. „Alte“ Pockenimpfung schützt Ganz erklären kann man sich laut Rothe den aktuellen Ausbruch derzeit noch nicht. Als Erregerreservoir scheinen, anders als die Bezeichnung „Affenpocken“ nahelegt, vor allem Nagetiere eine Rolle zu spielen, Affen gelten als Fehlwirte. Mittlerweile spricht vieles dafür, dass es zu einer veränderten Übertragbarkeit gekommen ist, die die Transmission von Mensch zu Mensch begünstigt. In Afrika seien die Affenpocken gerade „im Kommen“, so Tropenmedizinerin Rothe. Das liege wohl auch daran, „dass dort eine junge und ungeimpfte Bevölkerung nachwächst“. Eine Pockenimpfung, wie sie früher auch in Deutschland durchgeführt wurde, scheint einen Kreuzschutz zu bewirken. Eine in Europa zugelassene Vakzine speziell gegen Affenpocken existiert derzeit nicht. Zum Einsatz kommen könnte jedoch der in den USA für diese Indikation zugelassene Impfstoff Imvanex®, der mit deutlich weniger Nebenwirkungen verbunden ist als die frühere Pockenimpfung. Eine Therapiemöglichkeit besteht theoretisch mit dem Virustatikum Tecovirimat; dessen Verfügbarkeit ist jedoch begrenzt. Juckende Läsionen an Haut und Schleimhäuten Nach Rothe geht man derzeit von einer Ansteckung bei engem körperlichen Kontakt aus, möglicherweise in Form einer Schmier- oder auch einer Tröpfcheninfektion. Soweit man es schon jetzt sagen könne, seien zu einem Großteil MSM betroffen, also Männer, die Sex mit Männern haben. An möglichen klinischen Symptomen nennt das RKI: Fieber, Schüttelfrost, Myalgie, Cephalgie, Fatigue, Arthralgien, Rückenschmerzen, Lymphadenopathien sowie makulopapulöse bis vesikulopustulöse Läsionen, die vor allem perioral und im Genitalbereich auftreten. Die Hautläsionen durchlaufen simultan die Stadien Macula, Papula, Vesicula und Pustula. Laut Rothe ähneln die Effloreszenzen morphologisch eher den Pocken als den Windpocken, ohne den für Letztere charakteristischen „Sternenhimmel“. Sie lösen Juckreiz aus, teilweise auch Schmerzen, und heilen unter Narbenbildung ab. Die Inkubationszeit beträgt zwischen 5 und 21 Tage, die Erkrankung gilt im Normalfall als selbstlimitierend. Erhöhte Wachsamkeit im HIV-Bereich! Bei Fällen in Nigeria habe man „mitunter sehr ausgeprägten Schleimhautbefall“ gesehen, berichtete Rothe, „sowohl genital als auch oral“. Welche Rolle eine Immunsuppression, konkret eine Infektion mit HIV, bei der Erkrankung spiele, werde man noch lernen müssen. Die Infektiologin rief vor allem Kollegen, die im HIV-Bereich arbeiten, zu verstärkter Wachsamkeit auf: „Ich möchte Sie alle darauf aufmerksam machen, dass da noch mehr kommt.“ Das RKI bittet Ärztinnen und Ärzte, Verdachtsfälle umgehend zu melden. MSM mit ungewöhnlichen Hauteffloreszenzen und Läsionen sollten unverzüglich eine medizinische Versorgung aufsuchen. Lauterbach: Prophylaktisch Impfstoff bestellt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte auf einer Pressekonferenz an, „hart und früh“ auf den Ausbruch zu reagieren. Damit habe man „noch sehr gute Chancen, diesen Erreger zu stoppen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa“. Zusammen mit RKI-Chef Lothar Wieler stellte Lauterbach die aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zur Eindämmung der Affenpocken vor. Demnach wird im Fall einer diagnostizierten Erkrankung zur Isolation bis zum Abfallen der Krusten, mindestens aber über 21 Tage geraten. Personen mit engem Kontakt zu Infizierten sollten sich ebenfalls für 21 Tage in Quarantäne begeben. Eine Impfung der Allgemeinbevölkerung sei derzeit nicht im Gespräch, so Lauterbach. Enge Kontaktverfolgung, Vermeiden von engen Kontakten zu Infizierten sowie Hygienemaßnahmen seien der beste Schutz. Das Risiko einer Übertragung wird vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) allgemein als gering eingeschätzt, für Personen mit mehreren Sexualpartnern dagegen als moderat. Man wolle auf eine mögliche Ringimpfung vorbereitet sein, so Lauterbach, d. h. die Impfung von Kontaktpersonen rund um Infizierte. Für Deutschland hat das Gesundheitsministerium prophylaktisch bereits den Impfstoff Imvanex® bestellt. Dieser basiert auf einer modifizierten Form des Vacciniavirus „Ankara“. Eine Reserve von bis zu 40.000 Dosen könnte nach Lauterbach in Kürze geliefert werden. Basierend auf: Vortrag von C. Rothe, Infektio Update, 20./21. Mai 2022, Mainz/online; aktualisiert am 30.05.2022

Springer Medizin

Affenpocken in Deutschland: Seien Sie wachsam!

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet Innere Medizin

Vergiftet durch Nahrungsergänzungsmittel

Nierenfunktion mit eGFR oft falsch eingeschätzt

Ovarialkrebs: Erhaltungstherapie mit Taxanen ist wenig erfolgreich

COVID-19 ist eine der Haupttodesursachen in den USA

Newsletter

Fallbeispiele zur Gastroenterologie