Der Effekt auf die Entstehung von Krebserkrankungen kann zum Teil noch detaillierter auf einzelne Lebensmittelgruppen und Nahrungsbestandteile zurückgeführt werden. Jedoch liegen die Schätzungen für die einzelnen Risikofaktoren teils deutlich auseinander [
1,
7,
11,
20,
21]. Diese Unterschiede zwischen den Schätzungen der einzelnen Studien sind auf drei Dinge zurückzuführen, auf (a) die Stärke des Zusammenhangs zwischen einem Risikofaktor und einer Krebserkrankung („relatives Risiko“), (b) die Prävalenz einer Exposition/des Risikofaktors in einer Bevölkerung und (c) die relative Häufigkeit der einzelnen Krebsentitäten, die zwischen den einzelnen Ländern variiert. Die attributablen Anteile berechnen sich aus den relativen Risiken und der Prävalenz einer Exposition/eines Risikofaktors in der Bevölkerung. Kommt eine Exposition häufiger vor in einer Bevölkerung, ist der attributable Anteil auch bei gleichem Risikoschätzer größer, d. h., es werden mehr Krebsfälle durch diese Exposition erklärt. Da alle Krebsarten ein unterschiedlich hohes Präventionspotenzial haben, führen diese Unterschiede zu einem insgesamt unterschiedlichen Präventionspotenzial. Es scheint jedoch klar, dass Adipositas den stärksten Effekt auf die Krebsentstehung hat, gefolgt von Alkoholkonsum. Alle Studien zeigen für die meisten Risikofaktoren eine höhere Prävalenz bei Männern im Vergleich zu Frauen, wodurch das Präventionspotenzial bei Männern deutlich höher ist als bei Frauen [
11].
Risiko erhöhende Faktoren
Es gibt starke Evidenz, dass
Übergewicht (Body-Mass-Index [BMI] 25–<30 kg/m2) und insbesondere
Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) im Erwachsenenalter ein Risikofaktor für eine Vielzahl von Krebsarten (Abb.
1) ist [
26]. Für Deutschland wird geschätzt, dass etwa 7 % aller Krebserkrankungen auf zu hohes Körpergewicht zurückzuführen sind [
7]; in den USA und Großbritannien sind die Zahlen ähnlich (Tab.
1). Dabei sind die attributablen Anteile je nach Krebsentität sehr unterschiedlich; besonders stark ist der Zusammenhang für das Endometriumkarzinom (35 %) sowie für Leber- und Nierenkrebs mit je etwa 25 % [
7].
Der Anteil der Bevölkerung mit Adipositas steigt über die letzten Jahrzehnte weltweit stetig an. Dies ist das Resultat der Tatsache, dass mehr Energie aufgenommen als verbraucht wird. Während die zu geringe körperliche Betätigung hier nicht weiter thematisiert werden soll, gehören Faktoren, die zur Aufnahme von überschüssiger Energie führen können, durchaus zu den ernährungsbedingten Risikofaktoren für Krebserkrankungen. So weisen industriell sehr stark verarbeitete Lebensmittel („ultra processed foods“ [UPF]) sowohl meistens eine hohe Energiedichte als auch oft große Portionsgrößen auf. Sie tragen somit zusammen mit zuckerhaltigen Getränken zur Entwicklung von Adipositas bei [
26]. Eine prospektive Studie zeigte einen stark positiven Zusammenhang zwischen dem Verzehr von UPF und dem Krebsrisiko auf: eine 10 %ige Erhöhung des Anteils von UPF in der Ernährung war mit einem signifikanten Anstieg des Risikos für Gesamt- und Brustkrebs um mehr als 10 % assoziiert [
14]. Aufgrund der derzeitigen Forschungsergebnisse im WCRF/AICR-Bericht wird empfohlen, den Verzehr von verarbeiteten Lebensmitteln mit hohem Fett‑, Stärke- oder Zuckergehalt – einschließlich „Fastfood“, vieler vorbereiteter Gerichte, Snacks, Backwaren und Desserts sowie Süßwaren (Süßigkeiten) – zu limitieren.
Der Einfluss von Adipositas auf das Krebsrisiko ist vielfältig und umfasst Entzündungsmechanismen und die Veränderung der Östrogen‑, Androgen- und Insulinkonzentration sowie der Konzentration von Wachstumsfaktoren wie „insulin-like growth factors“ [
26].
Für
Alkohol liegt die beste Evidenz bezüglich einer Erhöhung des Krebsrisikos vor, und so wurde Alkohol von der International Agency for Research on Cancer (IARC) bereits im Jahr 2007 als krebserregend eingestuft [
6]. Basierend auf der WCRF/AICR-Evaluation ist der Zusammenhang zwischen Alkohol und dem Risiko für Tumoren des Mund- und Rachenraums, der Speiseröhre, des Magens, der Leber, des Dickdarms und Rektums sowie der Brust überzeugend oder zumindest wahrscheinlich [
26]. Ein Mehrkonsum von 50 g Alkohol pro Tag (etwa 3 alkoholische Getränke) ist mit einer relativen Risikoerhöhung um 50 % für Brustkrebs und um 40 % für Dickdarmkrebs assoziiert [
6]. Für Tumoren im oberen Atmungs- und Verdauungstrakt ist Alkoholkonsum mit einer Verdopplung bis Verdreifachung des Risikos verbunden, wobei Rauchen die Effekte des Alkoholkonsums zu verstärken scheint. Im Gegensatz dazu ist der Konsum von Alkohol möglicherweise mit einem verringerten Nierenkrebsrisiko verbunden [
26].
Mons und Kollegen schätzen für Deutschland, dass etwa 2,2 % aller Krebsfälle bei Männern (
n = 8177) und 0,7 % bei Frauen (
n = 1471) auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind [
20]. In der Abschätzung für Deutschland ist der attributable Anteil am höchsten für Tumoren des Mund- und Rachenraums (Männer: 34 %; Frauen: 6 %) sowie für Plattenepithelkarzinome der Speiseröhre (Männer: 30 %, Frauen: 5 %; [
20]). Darüber hinaus ist der attributable Anteil von Alkohol für Dickdarm- (8,4 % bei Männern, 1,4 % bei Frauen), Leber- (14,1 % bei Männern, 2,3 % bei Frauen) und Kehlkopfkrebs (18,2 % bei Männern, 3,0 % bei Frauen) sowie Brustkrebs bei Frauen (1,3 %) bedeutsam. Alle Studien kommen zum Schluss, dass Alkohol wegen des höheren Konsums bei Männern ein wichtigerer Risikofaktor ist als bei Frauen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, dass Männer nicht mehr als 20 g und Frauen nicht mehr als 10 g Alkohol täglich aufnehmen sollten [
13]. 10 g Alkohol entspricht zum Beispiel einem Glas Bier, Wein oder Schnaps.
Alkohol kann auf verschiedenen Wegen das Krebsrisiko erhöhen. Am wichtigsten ist die Metabolisierung von Ethanol zu Acetaldehyd, das wiederum an die Desoxyribonukleinsäure (DNS) binden und damit kanzerogene Effekte auslösen kann. Daneben werden weitere krebserregende Faktoren, z. B. die Blutkonzentration von Östrogenen und die DNS-Methylierung [
25] durch den Konsum von Alkohol negativ beeinflusst. Zusätzlich fungiert der aufgenommene Alkohol als Lösungsmittel für Karzinogene in Zigarettenrauch [
9].
Auch der Effekt von
rotem und verarbeitetem Fleisch auf das Krebsrisiko wurde von der IARC [
10] und dem WCRF/AICR [
27] untersucht. Der Verzehr von verarbeitetem Fleisch wurde von der IARC als kanzerogen für den Menschen eingestuft, der Verzehr von rotem Fleisch als wahrscheinlich kanzerogen [
10]. Für Deutschland wurde geschätzt, dass 2,4 % aller Krebsfälle auf den Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch zurückzuführen sind, wobei sich der Konsum vor allem auf die Entstehung von Dickdarmkrebs auswirkt (12 % aller Fälle dieser Entität; [
7]). Es wird davon ausgegangen, dass sich pro 50 g täglichem Mehrverzehr von verarbeitetem Fleisch das relative Dickdarmkrebsrisiko moderat um 18 % erhöht. Um den krebserregenden Effekt von verarbeitetem Fleisch zu veranschaulichen, hat das Robert Koch-Institut errechnet, dass das absolute Risiko eines 65-jährigen Mannes, in den nächsten 10 Jahren an Dickdarmkrebs zu erkranken, derzeit 2,4 % beträgt; wird jedoch die tägliche Verzehrmenge um zusätzliche 100 g verarbeitetes Fleisch erhöht, steigt dieses Risiko auf 3,3 % an. Für andere Tumorentitäten ist der Zusammenhang eher schwach und die Ergebnisse verschiedener Studien sind nicht eindeutig [
27]. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine maximale Verzehrmenge von 600 g Fleisch und Fleischerzeugnissen (inkl. Wurstwaren) pro Woche [
13].
Die Mechanismen, die das erhöhte Dickdarmkrebsrisiko infolge von hohem Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch bewirken, sind nicht vollständig geklärt (ausführlicher diskutiert in [
24]). Unter anderem wird die direkte Aufnahme von N‑Nitroso-Verbindungen (NOC; z. B. Nitrosamine) durch den Verzehr von gesalzenen und gepökelten Lebensmitteln (vor allem Fleisch, aber auch Fisch) und die NOC-Bildung im Magen-Darm-Trakt als potenziell krebserregende Substanz diskutiert. Das Vorhandensein von Hämeisen scheint bei diesem Prozess eine wichtige Rolle zu spielen. Zusätzlich werden bei der Zubereitung von Fleisch, in Abhängigkeit von Garmethode, Temperatur und Dauer, heterozyklische aromatische Amine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe gebildet, die von der IARC als kanzerogen eingestuft wurden [
16]. Zusätzlich könnte eine hohe Aufnahme gesättigter Fette, die mit einem hohen Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch einhergeht, für die Entstehung von Brustkrebs eine Rolle spielen.
Für Magenkrebs gilt
Salz als Risikofaktor [
27]. Insgesamt sind in Deutschland schätzungsweise lediglich 0,3 % aller Krebsfälle, jedoch 8,7 % aller Magenkrebsfälle auf einen übermäßigen Salzkonsum zurückzuführen [
7]. Die DGE gibt als Obergrenze einen Orientierungswert von bis zu 6 g Speisesalz/Tag (ca. 1 TL) an [
13]. Es wird vermutet, dass das Salz die Magenschleimhaut angreifen, die endogene NOC-Bildung fördern, die Wirkung von Karzinogenen im Magen verstärken kann. Zusätzlich wird angenommen, dass Salz die Besiedlung durch
Helicobacter pylori im Magen fördert [
2,
12].
Derzeit wird auch die
glykämische Last als Risikofaktor für das Krebsrisiko diskutiert; bisher wird ein positiver Zusammenhang mit dem Risiko für Endometriumkarzinome als wahrscheinlich angesehen [
26]. Der WCRF/AICR-Bericht diskutiert in diesem Zusammenhang die Effekte erhöhter postprandialer Glukose- und Insulinspiegel auf die Entwicklung von Insulinresistenz, Diabetes und Adipositas, die selbst Risikofaktoren für Endometriumkarzinome darstellen [
26].
Während in den Industrieländern der Verzehr von
verschimmelten Nüssen und Getreideprodukten und die damit verbundene Aflatoxinaufnahme kaum eine Rolle spielt, stellt die Aufnahme dieser Substanzen in Ländern mit schlechteren Lagerbedingungen von Lebensmitteln (feucht-warmes Klima, fehlende Kühlmöglichkeiten) einen Risikofaktor für Leberkrebs dar [
26].
Protektive Faktoren
Obst und Gemüse sind reich an Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse sowohl aus In-vitro-Studien als auch aus frühen Fall-Kontroll-Studien wurde diesen Lebensmitteln lange Zeit ein schützender Effekt in Bezug auf die Krebsentstehung zugesprochen. Neuere, große prospektive Studien zeigten aber, dass dieser Effekt deutlich schwächer als vermutet ist. Die Evaluation des WCRF/AICR zeigt lediglich einen wahrscheinlich vorteilhaften Zusammenhang zwischen Gemüse- und Obstkonsum und dem Risiko von Tumoren im Mund- und Rachenraum [
26]. Für andere Lokalisationen, zum Beispiel Dickdarm und Lunge, werden zwar auch teils protektive Effekte gesehen, die aber nicht konsistent sind [
26]. Eine Auswertung der European-Prospective-Investigation-into-Cancer-and-Nutrition(EPIC)-Studie zeigte, dass ein um 200 g höherer Verzehr von Obst und Gemüse pro Tag das Gesamtkrebsrisiko um 3 % (95 %-Konfidenzintervall 1–4 %) senkt [
8]. Für Deutschland wird das Krebspräventionspotenzial von Obst und Gemüse auf 2 % geschätzt [
7], ganz ähnlich der US-Einschätzung [
17]. Als mögliche Erklärungen für protektive Zusammenhänge gelten die vielfältigen Effekte von Vitaminen und anderen sekundären Pflanzenstoffen. Die DGE empfiehlt eine tägliche Zufuhr von rund 400 g Gemüse (z. B. 200 g gegartes Gemüse und 200 g Rohkost/Salat) und etwa 250 g Obst [
13].
Ein Teil des protektiven Effekts von Obst und Gemüse auf das Dickdarmkrebsrisiko wird wahrscheinlich über
Ballaststoffe vermittelt. Der WCRF/AICR stufte den Zusammenhang zwischen der höheren Aufnahme von Ballaststoffen und einem geringeren Dickdarmkrebsrisiko als wahrscheinlich ein [
27]. Laut einer Metaanalyse von 25 prospektiven Kohortenstudien senkt eine Mehraufnahme von 10 g/Tag das Darmkrebsrisiko relativ um 10 % [
3], wobei aber vor allem die Ballaststoffaufnahme aus Getreiden und Vollkornprodukten wichtig zu sein scheint. Die Schätzungen zum Präventionspotenzial gehen hier etwas auseinander: Während für Deutschland und Großbritannien eine Vermeidung von etwa 3 % aller Krebsfälle als möglich gesehen wird [
7,
11], sind es in den USA lediglich 0,9 % [
17]. Neben Effekten der Ballaststoffe auf die Verweildauer des Stuhls und damit möglicher Karzinogene im Darm werden die Fermentation von Ballaststoffen zu kurzkettigen Fettsäuren mit antiproliferativem Potenzial und die verminderte Bildung von sekundären Gallensäuren diskutiert [
26]. Die DGE nennt eine Menge von mindestens 30 g/Tag als Richtwert für die Zufuhr von Ballaststoffen bei Erwachsenen [
13].
Kaffee gerät immer stärker in den Fokus der Forschung, und Kaffeekonsum wird nun als protektiver Faktor für einige Krebslokalisationen diskutiert. Der WCRF/AICR hält einen risikosenkenden Effekt auf das Risiko von Endometrium- und Leberkrebs für wahrscheinlich [
27]. Da gerösteter Kaffee eine komplexe Mischung aus über 1000 bioaktiven Verbindungen ist, werden die möglichen krebshemmenden Mechanismen noch diskutiert. Einige dieser Verbindungen haben antioxidative, entzündungshemmende und/oder antifibrotische Wirkungen [
22].
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