Warum bei Kreuzschmerz zu oft geröntgt wird – und wie man das ändern kann

Obwohl das Röntgen bei unspezifischen Rückenschmerzen in den allermeisten Fällen nachweislich nichts bringt, möchten viele Patienten und teilweise auch Ärzte die Bildgebung in dieser Situation nicht missen. Australische Forscher haben versucht, die Motivationen hierfür zu ergründen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Bildgebung bei Rückenschmerzen im Lendenbereich ist eine Maßnahme, die vor allem in der Primärversorgung deutlich überbeansprucht wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass bildgebende Verfahren bei jedem vierten Rückenschmerzpatienten angefordert werden, obwohl in weniger als 1% der Fälle eine ernste Ursache zugrunde liegt, die dringend z. B. per Röntgenaufnahme zu klären wäre. Bei rund 95% der Patienten handelt es sich um unspezifische Schmerzen, bei denen eine Bildgebung das Behandlungsergebnis nachweislich nicht verbessert, dafür aber das Risiko für Überdiagnostik und unnötige Therapiemaßnahmen erhöht. Um herauszufinden, warum sich Ärzte und Patienten für eine Bildgebung entscheiden, haben Forscher der Universität Sydney in einem systematischen Review 69 Studien mit insgesamt 1747 Teilnehmern aus Europa, Australien, Nordamerika und Asien ausgewertet. Beteiligt waren Patienten, Ärzte sowie Angehörige anderer Gesundheitsberufe. "Schmerzursache eruieren" Die Ergebnisse von 33 Studien zeigten insbesondere einen deutlichen Trend auf: Sowohl Patienten als auch Ärzte, Chiropraktiker und Physiotherapeuten waren der Ansicht, mit der Bildgebung lasse sich möglicherweise die Schmerzursache lokalisieren. Insbesondere die Chiropraktiker vermochten damit angeblich die Stelle an der Wirbelsäule zu identifizieren, an der sie mit der Manipulation ansetzten. Von ärztlicher Seite kamen allerdings auch gegenteilige Aussagen: So berichtete ein Allgemeinmediziner, er versuche den Patienten immer wieder beizubringen, dass man im Röntgenbild „nicht wirklich etwas sieht“. Für die meisten sei das Röntgen trotzdem „so eine Art diagnostischer Wunderwaffe“. "Rechtfertigung vor Ärzten und Angehörigen" Die Auswertung von Patientenberichten aus zwölf Studien förderte noch ein anderes Problem zutage: Vor allem Patienten mit chronischen Rückenschmerzen sahen in der Bildgebung eine Rechtfertigungshilfe. Erst damit, so die Argumentation, könnten sie Ärzten, Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen beweisen, dass die Schmerzen „echt“ und nicht etwa vorgeschoben seien. Ein positiver Befund verschaffte manchen Patienten paradoxerweise ein Gefühl der Erleichterung, nach dem Motto: „Hier ist der Beweis, schwarz auf weiß, ich habe mich damit nicht nur verrückt gemacht!“ Insofern habe die „Diagnose“ auch einen sozialen Stellenwert, so Sharma und ihr Team: Patienten, die sich stigmatisiert fühlten, könnte der Befund im Röntgenbild entlasten. "Relevante Befunde nicht übersehen" Bei den gesammelten Antworten der Ärzte tauchten dagegen zwei Argumente immer wieder auf: So senke die Bildgebung das Risiko, einen relevanten Befund zu übersehen; damit müsse man sich auch weniger Sorgen machen, etwa vor Gericht belangt zu werden. Ein Arzt meinte, er habe dann „wenigstens die Bestätigung, dass keine knöcherne Verletzung vorliegt“. Außerdem könne die nachweisliche Abwesenheit eines pathologischen Befunds zur Beruhigung der Patienten dienen. Von den Patienten allerdings wurde das durchaus nicht genauso gesehen. Sharma et al. berichten von Betroffenen, bei denen eine unauffällige Bildgebung eher Frustration auslöste. Unklare Befunde konnten den Patienten aber auch stressen. Das gleiche galt für Befunde, die als permanent, degenerativ oder irreversibel bezeichnet wurden. Einig waren sich Ärzte und Patienten, dass die diagnostische Bildgebung sowohl nützlich als auch schädlich sein kann, Letzteres z. B. im Hinblick auf Strahlenexposition, Ängste oder Übertherapie. Dabei schien allerdings für beide Gruppen der vermutete Nutzen der Bildgebung bei Rückenschmerzen zu überwiegen. Was kann man tun? Für Sharma und ihr Team geht es nun um Strategien, um die Zahl unnötiger bildgebender Untersuchungen zu reduzieren. Diese müssten vor allem auf zwei falsche Annahmen abzielen: bei den Ärzten darauf, dass die Bildgebung zur Beruhigung der Patienten beitrage, bei den Patienten auf die Vorstellung, dass es sich um eine Routinemaßnahme handle, mit dem Ziel, die Ursache der Schmerzen zu finden. Vor allem aber müsse man sich überlegen, wie sich die Schmerzerfahrung eines Patienten auch ohne diagnostische Tests legitimieren lässt. Für das Patientengespräch schlagen die Forscher folgende Anknüpfungspunkte vor: erklären, dass die Bildgebung im unteren Rückenbereich nur sehr begrenzt in der Lage ist, die Quelle der Schmerzen zu entdecken, die möglicherweise negativen Folgen einer nicht indizierten Bildgebung ansprechen, falsche Vorstellungen auf Patientenseite eruieren. Bei alldem sollte der Arzt dem Patienten genug Zeit einräumen, um etwaige Bedenken zu äußern, und ihm das Gefühl geben, dass man ihm zuhört, Glauben schenkt und seine Meinung wertschätzt. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche subjektiven Ansichten und Erfahrungen führen Ärzte und Patienten dazu, bei unspezifischen Rückenschmerzen eine Bildgebung zu befürworten? Antwort: Beide Gruppen waren der Meinung, die Bildgebung liefere entscheidende Hinweise, um die Schmerzursache zu lokalisieren. Ärzte setzen sie zudem ein, um sich vor Regressansprüchen zu schützen, Patienten suchen darin u. a. die Bestätigung, dass ihre Schmerzen nicht erfunden sind. Bedeutung: Die möglicherweise negativen Auswirkungen einer unnötigen Diagnostik werden von beiden Gruppen unterschätzt. Einschränkung: Synthese aus einer Vielzahl unterschiedlicher Studien.

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