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2016 | Buch

Rückenschmerzen und Nackenschmerzen

Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie, Versorgungspfade, Patientenedukation, Begutachtung, Langzeitbetreuung

herausgegeben von: Hans-Raimund Casser, Monika Hasenbring, Annette Becker, Ralf Baron

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Das vorliegende Buch beschreibt umfassend und aus interdisziplinärer Sicht alle wesentlichen Aspekte zu Diagnose, Therapie und Prävention von akuten und chronischen Rücken- und Nackenschmerzen und wendet sich insbesondere an Orthopäden, Neurologen, Psychologen, Schmerztherapeuten, Internisten und Allgemeinmediziner. Alle Inhalte orientieren sich an den Nationalen Versorgungsleitlinien "Kreuzschmerz" und sind, soweit es die Datenlage zulässt, evidenzbasiert.

Hinweise auf Besonderheiten, Fallbeispiele, zusammenfassende Darstellungen und Praxistipps machen das Werk besonders praxistauglich. So gelingt die optimale Versorgung von Rücken- und Nackenschmerzpatienten, auch in schwierigen Fällen.

Aus dem Inhalt

Entstehung und Chronifizierung des Rücken- und Nackenschmerzes

Versorgungspfade bei akuten/subakuten oder chronischen Schmerzen in Form von Algorithmen mit ergänzenden Informationen, u. a. primärmedizinischer Diagnostik, inkl. Triage, Befunde, Klinik, SymptomeEdukation und die Sichtweise des PatientenBewährte Therapieverfahren und neue TherapieansätzeRehabilitation und LangzeitbetreuungSpezielle Krankheitsbilder mit den spezifischen Diagnostik- und TherapieoptionenBesondere Patientengruppen wie Sportler, Kinder, ÄltereManagement: Versorgungseinrichtungen, Begutachtung, Abrechnung

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Bedeutung des Rücken- und Nackenschmerzes

Frontmatter
1. Vom akuten zum chronischen Schmerz
Zusammenfassung
Rückenschmerzen zählen in Deutschland und anderen Industrienationen zu den größten Gesundheitsproblemen. Sie bedingen eine erhebliche individuelle Beschwerdelast sowie hohe Kosten im Gesundheitssystem und in der Volkswirtschaft. Betroffen sind im Laufe eines Jahres rund 55–75 % der Erwachsenenbevölkerung. Der Begriff Rückenschmerz beschreibt zahlreiche Formen schmerzhafter Beschwerden im Rücken, denen nur minderheitlich medizinisch eindeutige Ursachen zugeordnet werden können. Insbesondere bildgebende Verfahren haben nur eine begrenzte diagnostische und therapieleitende Aussagekraft. Unter den sog. spezifischen Ursachen dominieren degenerative Erkrankungen. Die Mehrheit der akuten unspezifischen Rückenschmerzen klingt innerhalb weniger Wochen ab. Wichtige Risikofaktoren für die Chronifizierung sind psychosoziale Faktoren wie Depressivität oder Stress. Während Rückenschmerzen in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommen, sind beeinträchtigende Rückenschmerzen in sozial schwachen Schichten stark überrepräsentiert.
A.-R. Fahland, T. Kohlmann, C.O. Schmidt

Entstehungs- und Chronifizierungmechanismen des Rücken- und Nackenschmerzes

Frontmatter
2. Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird die Anatomie der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, insbesondere die der Wirbel und Gelenkverbindungen, der Bandscheiben, des Bandapparats, der Muskulatur, des Rückenmarks, der Spinalnerven, der spinalen Kompartimente und der Gefäßversorgung dargestellt. Des Weiteren werden Grundlagen der Physiologie des stabilisierenden Systems der Wirbelsäule erläutert, unterteilt in die Komponenten passives und aktives System sowie motorische Kontrolle. Funktionelle Aspekte der Rumpfmuskulatur während statischer und dynamischer Belastung werden im folgenden Abschnitt diskutiert. Kardinale Pathomechanismen, die zur Entstehung von akuten und chronischen Rücken- sowie Nackenschmerzen beitragen, werden in weiteren Abschnitten vermittelt.
H.-C. Scholle, C. Anders, T. Scholle
3. Entstehung der Schmerzchronifizierung
Zusammenfassung
Die Empfindlichkeit des nozizeptiven Systems ist nach einer Gewebeschädigung durch periphere und zentrale Sensibilisierung gesteigert. Hieraus resultieren Hyperalgesie und Allodynie, normalerweise eine relativ kurz dauernde Modulation des nozizeptiven Systems, die in eine lang dauernde Modifikation mit veränderter Genexpression übergehen kann. Die molekularen Mechanismen der so entstehenden Schmerzchronifizierung sind klinisch bisher nicht messbar. In der praktischen Schmerztherapie sollte man als Arbeitshypothese davon ausgehen, dass die Chronifizierung ein reversibler Prozess ist. Behandlungsansätze können sich ex iuvantibus aus der diagnostischen Lokalanästhesie und aus pharmakologischen oder verhaltensmedizinischen Eingriffen in Gedächtnisprozesse ergeben. Das implizite assoziative Gedächtnis, das in Form von klassischer oder operanter Konditionierung an der Chronifizierung von Schmerz beteiligt ist, wird umgekehrt auch zur Behandlung chronischer Schmerzen eingesetzt. Die Verhinderung der Konsolidierung des Schmerzgedächtnisses sowie seine Extinktion sind zentrale Ziele einer rationalen Schmerztherapie.
R.-D. Treede
4. Myofasziale Schmerzentstehung
Zusammenfassung
Muskelschmerz unterscheidet sich stark vom Hautschmerz. Bei Muskelschmerz treten keine Flexorreflexe auf, und die zentrale Verschaltung der Afferenzen von Muskelnozizeptoren ist anders. Muskelnozizeptoren werden durch Bradykinin und Prostaglandine sensibilisiert, die bei Muskelläsionen freigesetzt werden. Die Folge ist das Auftreten von Schmerzen bei leichten Reizen. Eine starke Aktivität von Muskelnozizeptoren führt zu einer Sensibilisierung von Hinterhornneuronen. Die Neurone reagieren dann verstärkt auf periphere Reize. Ein Merkmal von Muskelschmerzen ist die Übertragung der Schmerzen. Übertragung bedeutet, dass die Schmerzen entfernt von der Muskelläsion empfunden werden. Das Konzept, dass Muskelschmerz zu Spasmen im schmerzenden Muskel führt, ist überholt. Ein schmerzender Muskel wird zentralnervös abgeschaltet. Beim nichtspezifischen Rückenschmerz scheint die Fascia thoracolumbalis eine wichtige Rolle als Schmerzquelle zu spielen.
S. Mense
5. Körperliche Aktivität und biomechanische Mechanismen der Schmerzchronifizierung
Zusammenfassung
In der Therapie von Kreuz- und Nackenschmerzen ist die rasche Wiederherstellung der körperlichen Aktivität im Alltag ein vorrangiges Ziel für den individuell Betroffenen wie für die Gesellschaft. Der Beitrag beleuchtet die Schwierigkeit, ein »normales« Maß an Aktivität zu definieren, da sowohl Inaktivität als auch Formen von Überaktivität mit einem erhöhten Risiko chronischer Schmerzen einhergehen. Basierend auf neurobiologischen Grundlagen sowie auf klinischer Forschung wird aufgezeigt, welche Mechanismen die Beziehung zwischen körperlicher Aktivität und Schmerz vermitteln und welche Rolle Lebenskontexte (u. a. Beruf/Hausarbeit, Freizeit/Sport) auf der einen Seite, individuelle Muster der Schmerzverarbeitung auf der anderen spielen. Die Autoren empfehlen für verschiedene therapeutische Settings (z. B. Physiotherapie, Rehabilitation, Psychotherapie) individualisierte Maßnahmen, die zur Verbesserung der Flexibilität zwischen körperlicher Belastung und Erholung beitragen.
M.I. Hasenbring, H. Plaas
6. Risikofaktoren und psycho biologische Mechanismen der Chronifizierung
Zusammenfassung
Die Chronifizierung von Schmerzen ist ein großes Problem, ihre Verhinderung daher anzustreben. Prinzipiell ist davon auszugehen, dass die Chronifizierung von Rückenschmerzen durch ein komplexes Zusammenwirken zahlreicher Einflussgrößen aus sehr unterschiedlichen Merkmalsbereichen zustande kommt. Es liegt für den individuellen Fall vermutlich eine Summation von Risikofaktoren aus verschiedenen Bereichen vor, sodass ihre frühzeitige individuelle Identifikation einen besonders großen Stellenwert hat. Ziel ist es, Personen mit einem hohen Chronifizierungsrisiko durch psychosoziale Faktoren frühzeitig zu identifizieren und sie ggf. einer spezifischen Behandlung zuzuführen, um damit das Risiko eines langwierigen, komplizierten und kostenintensiven Krankheitsverlaufs abzuwenden.
M. Pfingsten
7. Genetik
Zusammenfassung
Die Kenntnisse über die genetische Variabilität und daraus folgende molekularbiologische Prozesse der Nozizeption erlauben ein zunehmend besseres Verständnis sowohl der Entstehung des Schmerzes als auch der analgetischen Therapie. So tragen genetische Faktoren zum Risiko der Bandscheibendegeneration mit bis zu 35 % bei, sind jedoch nur zu einem kleinen Teil auch mit Rückenschmerzen assoziiert. Zu Rückenschmerzen liegen für Varianten der GTP-Cyclohydrolase 1 die stärksten belastbaren Daten vor. Für die analgetische Wirkung von Opioiden und NSAIDs dagegen bestehen eindeutige Assoziationen zu genetischen Varianten jedoch nur in wenigen Fällen. Ein Beispiel ist der polymorphe Metabolismus von Codein. Für die personalisierte Therapie des Schmerzes bedarf es vielmehr eines systempharmakologischen Ansatzes, der genomweite Daten, Medikation und die Charakterisierung des individuellen Phänotyps einschließt.
I. Cascorbi
8. Spezifischer, nichtspezifischer, akuter/subakuter und chronischer Rückenschmerz: Definition
Zusammenfassung
Rückenschmerz ist ein Symptom, aber keine Diagnose. Die Versuche, den Rückenschmerz zeitlich oder anatomisch zu erfassen, sind unbefriedigend und werden der Multidimensionalität des Rückenschmerzes nicht gerecht. Eine Einteilung in nichtspezifische und spezifische Rückenschmerzen ermöglicht eine pragmatische Ersteinschätzung. Es besteht erheblicher Fortbildungsbedarf bei der differenzierten Erfassung und der individuellen Therapieplanung akuter und chronischer Rückenschmerzen.
H.-R. Casser

Versorgungspfade

Frontmatter
9. Akuter/subakuter lumbaler Rückenschmerz
Zusammenfassung
Akute Kreuzschmerzen bedürfen einer differenzierten Beurteilung mit entsprechend abgestimmter Behandlung. Bei Hinweisen für »red flags« ist unverzüglich eine weiterführende Abklärung in einem spezialisierten Zentrum zu veranlassen. Liegen spezifische Rückenschmerzen vor, sollten weiter gehende diagnostische Schritte eingeleitet werden und eine Überweisung zum Fachspezialisten erfolgen. Ergibt sich anamnestisch als auch klinisch kein Hinweis für eine nachweisbare Pathologie oder einen gefährlichen Verlauf, sollte von weiteren diagnostischen Maßnahmen abgesehen werden und stattdessen der weitere Verlauf nach eingehender Beratung und Unterstützung eigener Aktivitäten kurzfristig kontrolliert werden. Spätestens nach 6 Wochen therapieresistenter Beschwerden sollte ein interdisziplinäres Assessment erfolgen, um ggf. ein multimodales Therapieprogramm einzuleiten.
J.-F. Chenot, A. Becker, R. Baron, H.-R. Casser, M. Hasenbring
10. Chronischer Rückenschmerz
Zusammenfassung
Chronische bzw. chronifizierte Rückenschmerzen sind charakterisiert durch ihre Multidimensionalität, d. h. auf der physiologisch-organischen Ebene durch Mobilitätsverlust und Funktionseinschränkung, auf der kognitiv-emotionalen Ebene durch Störung von Empfindlichkeit und Stimmung sowie durch ungünstige Denkmuster, auf der Verhaltensebene durch schmerzbezogenes Verhalten und auf der sozialen Ebene durch Störung der sozialen Interaktion und Behinderung der Arbeit. Dieses multifaktorielle Geschehen erfordert eine sehr verantwortungsbewusste und vorurteilsfreie Abklärung mit differenziertem Einsatz diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Fachspezialisten ist erforderlich. Dabei steht nicht die ständige, in der Regel unergiebige apparative Abklärung chronischer Rückenschmerzen im Vordergrund, sondern vielmehr eine eingehende Untersuchung möglicher schmerzunterhaltender Faktoren. Dabei treten häufig psychosoziale Konflikte in den Vordergrund. Die Anbindung chronischer Schmerzpatienten an den vertrauten Arzt ist für den weiteren Verlauf entscheidend, um sich wiederholende Diagnose- und Therapiemaßnahmen, ggf. auch invasive Behandlungen, zu vermeiden. Dies setzt eine fachlich kompetente und vertrauensvolle Führung voraus, um ein Ärzte-Hopping mit frustranem Ausgang zu verhindern.
A. Becker, J.-F. Chenot, H.-R. Casser, R. Baron, M. Hasenbring

Diagnostik

Frontmatter
11. Diagnostik der Schmerzintensität
Zusammenfassung
Die Schmerzintensität kann durch den Selbstbericht, durch Verhaltensbeobachtung und eingeschränkt als Stressreaktion auch durch physiologische Parameter bestimmt werden. Der Selbstbericht stellt den Goldstandard dar. Er soll nur dann verlassen werden, wenn er aufgrund entwicklungspsychologischer oder kognitiver Bedingungen nicht möglich ist. – Skalen für den Selbstbericht sind die visuelle Analogskala (VAS, die verbale Ratingskala (VRS und die numerische Ratingskala (NRS Letztere weist die meisten Vorteile auf. – Kinder können ab dem 8. Lebensjahr Skalen für Erwachsene anwenden. Vom 4. Lebensjahr an kann die Faces Pain Scale eingesetzt werden. Bei noch jüngeren Kindern ist eine Verhaltensbeobachtung erforderlich (z. B. mithilfe der KUSS-Skala). Auch bei Neugeborenen ist eine Beobachtung des Schmerzverhaltens möglich. – In der Geriatrie sollte bei leichter kognitiver Beeinträchtigung die VRS eingesetzt werden. Bei starker Einschränkung oder Demenz und fehlender verbaler Kommunikationsfähigkeit muss auf Beobachtungsverfahren zurückgegriffen werden (z. B. BESD). – Bei verbal nicht kommunikationsfähigen Patienten auf der Intensivstation sollen ebenfalls Beobachtungsverfahren eingesetzt werden (z. B. Behavioral Pain Scale). Werden die Patienten beatmet und sediert, muss die Sedierungstiefe bei der Interpretation der erzielten Werte berücksichtigt werden.
H.-D. Basler
12. Untersuchungstechniken
Zusammenfassung
Untersuchungstechniken bei Rücken- und Nackenschmerzen umfassen klinische neuroorthopädische Untersuchungen sowie apparative Verfahren inklusive der apparativen Funktionsdiagnostik, der Bildgebung, der Neurophysiologie und Laboruntersuchungen. Die klinische Untersuchung erhebt funktionelle und strukturelle Befunde des Bewegungssystems und des vegetativen Nervensystems, identifiziert »red flags« und Diskrepanzen zwischen Befund und Schmerzerleben des Patienten. Sie ist Ausgangspunkt für weitere diagnostische Schritte und Voraussetzung für die Therapie. Eine gute klinische Untersuchung fördert darüber hinaus die Arzt-Patienten-Beziehung. Die apparative Diagnostik dient vor allem der Erhärtung klinischer Diagnosen und ist Grundlage für eventuell notwendige interventionelle oder operative Therapien. Elektrophysiologische Untersuchungen sind bei klinisch-neurologischen Defiziten indiziert und umfassen Nadelelektromyografie, Neurografie und evozierte Potenziale. Ihr Einsatz sollte pragmatisch erfolgen. Die apparative Funktionsdiagnostik erweitert die körperliche funktionelle Untersuchung, unterstützt die Trainingsplanung und dient als Feedback für den Patienten.
K. Niemier, H.-R. Casser, R. Baron, J. Raethjen
13. Psychosoziale Diagnostik
Zusammenfassung
Psychosoziale Faktoren wie z. B. chronischer Stress im Alltag, eine depressive Stimmungslage oder eine ungünstige Schmerzverarbeitung können sowohl an der Entstehung als auch, und dies im Besonderen, an der Aufrechterhaltung von Schmerzen beteiligt sein. Sie tragen dazu bei, dass z. B. akute Kreuz- oder Nackenschmerzen trotz adäquater medizinischer Maßnahmen nicht angemessen ausheilen, d. h., Betroffene versäumen ihre Genesungsphase, ohne dass sie dies bewusst erleben. Hinzu kommen Folgen anhaltender Schmerzen wie z. B. Schlafstörungen, vermehrte Konzentrationsprobleme, erhöhte muskuläre Anspannungen, Ängste und weitere depressive Verstimmungen. Diese Faktoren sollten niemals in Form einer Ausschlussdiagnostik – d. h. wenn keine organischen Schädigungen feststellbar sind – »erfasst« werden, sondern immer anhand zuverlässiger diagnostischer Maßnahmen. Erste Orientierungen sollten in allen Stadien einer Schmerzerkrankung realisiert werden, beim akuten Schmerz in der ärztlichen Praxis, im subakuten Stadium zudem im physiotherapeutischen Setting, im chronischen Stadium in der multiprofessionellen Zusammenarbeit von Arzt, Physiotherapeut und Psychotherapeut. Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die verschiedenen diagnostischen Schritte psychosozialer Faktoren, die sich an den biopsychosozialen Krankheitsmodellen sowie an der psychosozialen multiaxialen Schmerzklassifikation (MASK-P) orientieren.
M.I. Hasenbring, M. Pfingsten
14. Interdisziplinäres Assessment zur multimodalen Schmerztherapie
Indikation und Leistungsumfang
Zusammenfassung
Nach den Empfehlungen der Nationalen VersorgungsLeitlinie »Kreuzschmerz« sollte bei 6-wöchiger Schmerzdauer trotz leitliniengerechter Therapie bei positivem Nachweis von Risikofaktoren zur Chronifizierung ein umfassendes interdisziplinäres Assessment stattfinden, um die Indikation zu einem multimodalen Therapieprogramm zu prüfen. In diesem Beitrag werden die notwendigen Themenbereiche, die Inhalte und die beteiligten Disziplinen sowie der Umfang eines interdisziplinären schmerztherapeutischen Assessments beschrieben, die von der Ad-hoc-Kommission »Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie« der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. erarbeitet wurden.
H.-R. Casser, B. Arnold, I. Gralow, D. Irnich, K. Klimcyk, B. Nagel, M. Pfingsten, M. Schiltenwolf, R. Sittl, W. Söllner, R. Sabatowski, T. Brinkschmidt

Edukation und Patientenperspektive

Frontmatter
15. Information und Edukation des Patienten
Zusammenfassung
Patienten mit Schmerzen wünschen sich nachvollziehbare Informationen über ihr Beschwerdebild sowie Wertschätzung, Ermutigung und eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Edukation bedeutet, Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren. Wissenschaftliche Studien und klinische Erfahrungen bestätigen, dass die Vermittlung sachgerechter Informationen über Krankheits- oder Beschwerdebild bereits für sich genommen eine therapeutisch wirksame Intervention ist. Die Erklärung biospsychosozialer Zusammenhänge stellt auch eine pädagogische Herausforderung dar. Als Orientierungshilfe werden daher Informationsbausteine in der Schmerzedukation und zentrale Strategien zur Vermittlung der Edukationsinhalte vorgestellt. Weiterführend werden ausführliche Empfehlungen zur zielgerichteten Vermittlung schmerzrelevanter Informationen gegeben. Eine gelungene Kommunikation und Informationsvermittlung fördert auf beiden Seiten Motivation, Compliance und die therapeutische Effektivität.
H.-G. Nobis, A. Pielsticker
16. Gesprächsführung
Zusammenfassung
Bei chronischen Schmerzpatienten ist eine patientenzentrierte Gesprächsführung bedeutsam, um eine gute Beziehung zwischen Arzt bzw. Therapeut und Patient wachsen zu lassen. Das Kapitel beschreibt notwendige Haltungen und Techniken einer solchen Gesprächsführung. Sollte es zu Störungen in der Kommunikation kommen, ist es hilfreich, die von Schulz-von-Thun beschriebenen vier Ebenen einer Nachricht zu reflektieren und sensibel dafür zu sein, was Patienten »zwischen den Zeilen« mitteilen möchten. Als Beratungskonzept wird das Motivational Interviewing vorgestellt sowie die sog. 5-A-Strategie, die sich vor allem in der primärärztlichen Versorgung als Rahmenkonzept für die Versorgung und Lebensstilberatung chronisch Kranker eignet. Je nach Motivation des Patienten sollten unterschiedliche Strategien genutzt werden, um sie zu Verhaltensänderungen im Alltag oder zu besserer Therapiemitarbeit zu ermutigen.
C. Leonhardt
17. Biopsychosoziale Krankheitsmodelle
Zusammenfassung
Die Bedeutung psychologischer und sozialer Anteile an der Aufrechterhaltung von Rücken- und Nackenschmerzen wurde in den vergangenen 30 Jahren eindrucksvoll belegt. Dennoch werden selbst bei Patienten, bei denen psychosoziale Befunde festgestellt werden können, primär organbezogene Inhalte angesprochen. Der fehlende Transfer in die klinische Praxis gilt ebenso für die Aus- und Weiterbildung verschiedener Gesundheitsberufe, die an der breiten Versorgung beteiligt sind. Wichtig scheint uns hier zunächst auf der Sachebene, dass die Vielfalt möglicher psychosozialer Faktoren in plausible, leicht verständliche und damit gut vermittelbare Modellvorstellungen integriert wird und Wechselwirkungen mit biomedizinischen Befunden verdeutlicht werden. In diesem Beitrag schlagen wir ein Basismodell vor, das einheitlich von verschiedenen Gesundheitsberufen in kurzen Gesprächsabschnitten vermittelt und, bei Bedarf, durch spezifische Modelle ergänzt werden kann. Basierend auf einer zuverlässigen psychosozialen Diagnostik sollten, vor allem beim chronischen Schmerz, Anbieter eines multiprofessionellen Behandlungsverbunds möglichst identische Krankheitsmodelle verwenden, um sich gegenseitig sinnvoll ergänzen zu können…
M.I. Hasenbring

Behandlung

Frontmatter
18. Medikamente
Zusammenfassung
Entsprechend der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz wird für die medikamentöse Therapie des nichtspezifischen Kreuzschmerzes ein gestuftes medikamentöses Vorgehen empfohlen. In erster Linie sollen peripher wirksame Analgetika wie Paracetamol und traditionelle nichtsteroidale Antiphlogistika/Antirheumatika wie Ibuprofen oder Diclofenac zur Therapie herangezogen werden. Erst bei Nichtansprechen wird der Einsatz von schwachen Opioidanalgetika wie z. B. Tramadol empfohlen und erst bei Notwendigkeit auf stark wirksame Opioide verwiesen, die im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts angewendet werden sollen. Zusätzlich kommt kurzfristig der Einsatz von zentral wirksamen Muskelrelaxanzien in Betracht, wenn nichtopioide Analgetika keine Besserung bewirken. Ferner kann der Einsatz noradrenerg-serotonerg wirksamer Antidepressiva erwogen werden.
I. Cascorbi
19. Physiotherapie
Zusammenfassung
Der physiotherapeutischen Behandlung geht ein gezieltes Assessment voraus, das sich an den Kategorien der ICF für Erkrankungen des Bewegungsapparats orientiert. Dabei werden weitestgehend überprüfte Fragebögen und Tests genutzt, deren vorrangiges Ziel der Ausschluss von Risikofaktoren, die Klassifizierung der betroffenen Patienten und die Zuordnung relevanter Befunde zu evidenten Therapiemaßnahmen ist. Dieses Kapitel beschreibt ferner Optionen, die nicht Gegenstand aktueller Leitlinien sind, und definiert Subgruppen, die von solchen Maßnahmen profitieren können. Neben der Darstellung der physiotherapeutischen Maßnahmen im Einzelnen wird deren Bedeutung zusätzlich in den Kontext des jeweiligen Chronifizierungsstadiums gestellt. Neben dem unspezifischen Nacken- und Rückenschmerz wird auch der Symptomenkomplex »whiplash associated disorders« angesprochen. Am Ende des Kapitels steht eine kritische Betrachtung der aktuellen Situation der Physiotherapie und der sich abzeichnenden Entwicklungen.
U. Wolf
20. Nackenschmerzen und sensomotorische Kontrolle
Zusammenfassung
Nackenschmerzen sind oft eine stark beeinträchtigende und rezidivierende Störung, die von Phasen der Remission und Exazerbation charakterisiert ist. Es ist evident, dass Schmerz oder eine Verletzung initiale Trigger für Veränderungen der neuromuskulären Kontrolle sein können – Veränderungen, die auch jenseits der akuten Schmerzphase erhalten bleiben und zum Wiederauftreten der Symptome beitragen können. Zudem haben Studien gezeigt, dass sich die veränderte Muskelaktivität trotz Abmilderung der Symptome nicht automatisch mit der Zeit zurückbildet. Das unterstreicht den Bedarf für eine hochwertige und spezifische Rehabilitation, insbesondere wenn die veränderten Muskelaktivitätsmuster weniger effiziente Kombinationen von Muskelsynergien beinhalten, was die Anfälligkeit der zervikalen Region für Verspannungen und weiteren Schmerz erhöht. – Das Kapitel »Nackenschmerzen und sensomotorische Kontrolle« untersucht Studienergebnisse, die Änderungen der zervikalen sensomotorischen Kontrolle bei Patienten mit Nackenschmerzen beschreiben, und hebt die Bedeutung dieser Erkenntnisse für die Behandlung von Halswirbelsäulenstörungen hervor.
D. Falla
21. Physikalische Verfahren
Zusammenfassung
Der frühzeitige Einsatz physikalischer Therapiemaßnahmen bei Rückenschmerzen fördert die rasche Besserung und vermeidet eine Chronifizierung. Vor dem differenzialindikativen Einsatz physikalischer Therapieoptionen ist jedoch eine Klassifikation der Rückenschmerzen sowie eine Aktualitätsdiagnostik unabdingbar. Das Kapitel »Physikalische Verfahren« fokussiert auf evidenzbasierte Empfehlungen von physikalischen Therapiemaßnahmen für den nichtspezifischen Rückenschmerz im akuten, subakuten und chronischen Stadium. Ergänzend werden Verfahren, für die derzeit keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz besteht, aufgeführt.
U. Lange
22. Manuelle Medizin
Zusammenfassung
Die manuelle Medizin hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich weiterentwickelt. Ursprünglich verstand sie sich als eine von der Erfahrungsmedizin geprägte eigene Entität. Geprägt von einem naturwissenschaftlichen Verständnis ist sie heute ein wesentlicher und nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Untersuchung von Haltungs- und Bewegungssystem. Sie erweitert und ergänzt die üblichen anamnestischen, klinischen und bildgebenden Befunde. Neben strukturellen Veränderungen werden insbesondere auch Funktionsstörungen von Gelenken und Muskeln erfasst. Therapeutisch umfasst sie weit mehr als die bekannte Manipulation von Gelenken; viele Weichteiltechniken an Muskeln, Sehnen, Faszien und bindegewebigen Strukturen haben in den letzten Jahren das Spektrum wesentlich erweitert. Eingebunden in ein therapeutisches Gesamtkonzept ist sie eine Bereicherung jeglicher Schmerztherapie.
W.F. Beyer
23. Orthopädische Hilfsmittel
Zusammenfassung
Orthopädische Hilfsmittel sind eine wichtige Therapieoption bei Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane, insbesondere der Wirbelsäule; entsprechende Empfehlungen sind auch aktuellen Leitlinien zu entnehmen. Ziel muss es sein, die orthopädietechnischen Hilfsmittel patientenindividuell in ein Behandlungskonzept zu integrieren, idealerweise in der Zusammenarbeit eines medizinischen Spezialistenteams, bestehend aus Arzt, Physiotherapeut und Orthopädietechniker. Dabei reicht das Behandlungsspektrum der technischen Orthopädie von unspezifischen Rückenschmerzen bis hin zu degenerativen Veränderungen der Wirbelkörper, Osteoporose und traumatischen Frakturen. Die Verordnung muss das Stadium der Erkrankung bzw. Heilung (akut, subakut, chronisch) ebenso berücksichtigen wie den Krankheitsverlauf, von besonderer Bedeutung ist auch die Compliance der Patienten.
S. Middeldorf
24. Ergotherapie
Zusammenfassung
Ergotherapie hilft Menschen mit chronischen Rücken- oder Nackenschmerzen, die Aktivitäten, die sie durchführen wollen und müssen, zufriedenstellend durchzuführen. Einer umfassenden Befunderhebung auch anhand von Anamnese, Assessementinstrumenten und persönlichen Gesprächen folgt eine individuell angepasste Intervention. Diese Behandlung beinhaltet Beratung zur Lebensgestaltung in allen Bereichen, wie z. B. Produktivität, Selbstversorgung und Freizeit, außerdem Edukation zu Gesundheitszustand und Ergonomie, Training in der Pacingtechnik, um eine möglichst schmerzfreie Ausdauer aufzubauen, Handlungsbalance, eine Hilfsmittelberatung wo notwendig, eine individuelle berufliche Wiedereingliederung und eine Rückenschulung.
P. Higman

Zur Zeit gratis

25. Potenzial des analgetischen Placeboeffekts in der Rückenschmerztherapie
Zusammenfassung
Die Forschung zur Placebowirksamkeit gewinnt in den letzten Jahren eine zunehmende klinisch-praktische Bedeutung. Es wird nicht mehr nur von einem allgemeinen, unspezifischen Placeboeffekt ausgegangen, sondern es konnte gezeigt werden, dass es viele, krankheitsspezifische Placeboeffekte gibt. Die Erkenntnisse auf diesem Gebiet, insbesondere auch der verschiedenen zugrundeliegenden Mechanismen, machen den Placeboeffekt zu einem potenziell nachvollziehbaren Prozess, der klinische Therapien, medikamentöse wie auch psychotherapeutische, effektiver gestalten kann. Der analgetische Placeboeffekt nimmt hierbei eine zentrale Position ein, er ist am weitesten erforscht und wird in der S3-Leitlinie der AWMF zur »Behandlung akuter und perioperativer Schmerzen« zur klinischen Nutzung empfohlen. Diese Empfehlung ist eine bedeutsame Innovation in der Anwendung medikamentöser Schmerztherapie und eröffnet auch innovative Wege zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen.
R. Klinger, H. Flor
26. Psychologische Verfahren
Zusammenfassung
Psychologische Verfahren sind zu einem zentralen Baustein im Rahmen multimodaler Therapieansätze bei chronischen Kreuz- und Nackenschmerzen geworden. Dazu zählen neben kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen auch Entspannungsverfahren. Ihre Wirksamkeit ist vielfach belegt, dennoch zeigen Effektstärkenanalysen, dass die Effekte eher marginal sind, vor allem im Hinblick auf die Intensität der erlebten Schmerzen. Eine Reduktion der Schmerzen ist jedoch das primäre Anliegen des Patienten und sollte daher zum Motor für Verbesserungsansätze in der Entwicklung therapeutischer Strategien werden. Neben einem möglichst frühen Einsetzen dieser Maßnahmen, z. B. bereits wenige Wochen nach (Wieder-)Auftreten eines Schmerzproblems, lassen individualisierte Ansätze eine höhere Wirksamkeit erwarten. Eine Möglichkeit der Individualisierung besteht darin, nur solchen Patienten eine entsprechende Behandlung anzubieten, die tatsächlich psychosoziale Risikofaktoren aufweisen. Eine weitere berücksichtigt darüber hinaus die persönlichen Muster der Schmerzverarbeitung – z. B. ob jemand auch leichte Schmerzen ängstlich vermeidet oder ob er zunächst ein ausgesprochen suppressives Muster zeigt. Erste randomisierte Studien, in denen z. B. das Angebot kognitiv-verhaltenstherapeutischer Verfahren auf Befunden einer standardisierten Risikodiagnostik beruht, sind hier sehr vielversprechend.
J.A. Glombiewski, M.I. Hasenbring, C.G. Levenig, Z. Karimi
27. Injektionstherapie und Injektionstechniken an der Wirbelsäule
Zusammenfassung
Die Injektionstherapie hat einen hohen Stellenwert bei der Behandlung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen. Wenn alle konservativen Maßnahmen auch nach konsequentem Einsatz kein befriedigendes Resultat erzielen, sollte nicht gleich operiert werden. Es ist sinnvoll zu prüfen, ob man nicht eines der segmentnahen Injektionsverfahren einsetzen kann. Therapieresistente radikuläre Wirbelsäulensyndrome mit einer Korrelation zwischen klinischem und bildgebendem Befund sind meistens die Hauptindikationen. Die Behandlung erfolgt ambulant und in einigen Fällen auch stationär. Die meisten Injektionstechniken lassen sich nach anatomisch-palpatorischen Orientierungspunkten durchführen. Mit Ausnahme einiger Techniken sollte eine routinemäßige Durchführung der Injektionen unter Zuhilfenahme von Röntgenstrahlen vermieden werden. In der Literatur sind die epiduralen Techniken am häufigsten untersucht. Die strahlenfreie epidural-perineurale Einmalinjektion (»single shot«) schneidet dabei am besten ab.
T. Theodoridis
28. Anästhesiologische Schmerztherapie bei Rückenschmerzen
Zusammenfassung
Bei einer Lumboischialgie werden neben der kausalen Therapie mit großem Erfolg anästhesiologische Methoden zur Schmerztherapie eingesetzt. Die therapeutische Lokal- und Regionalanästhesie führt mit verschiedenen, den jeweiligen Indikationen angepassten Methoden zu einer sofortigen Unterbrechung der Schmerz-Verspannungs-Spirale mit sehr guter Schmerzlinderung und Muskelentspannung. Darüber hinaus werden entzündliche Prozesse, ödematöse Wurzelveränderungen und Durchblutungsstörungen zuverlässig mitbehandelt. Zusätzlich zu Triggerpunktinfiltrationen, Facettendenervierungen und einzelnen Wurzelblockaden werden anästhesiologisch Kathetertechniken eingesetzt, um eine kontinuierliche, langanhaltende Schmerzbeseitigung zu erreichen und im Anschluss eine wirksame Physiotherapie und Krankengymnastik zur Stabilisierung des Effekts zu ermöglichen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Chronifizierungsvorgänge verhindert oder abgeschwächt werden.
W. Hoerster
29. Neuromodulation
Zusammenfassung
Neuromodulationsverfahren haben die früher praktizierten Läsionsverfahren in der invasiven Schmerztherapie weitgehend abgelöst. Heute versucht man durch die Applikation elektrischer Reize oder durch die Gabe intraspinal verabreichter Medikamente eine Beeinflussung der Schmerzleitung und verarbeitung zu erzielen. Die Vorteile der Modulationsverfahren sind ihre Reversibilität, die Möglichkeit einer Austestung vor der endgültigen Implantation und eine bedarfsgerechte postoperative Steuerung. Bislang liegen keine kontrollierten Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit (>1 Jahr) beim reinen Rückenschmerz vor. Es gibt allerdings eine Reihe von Beobachtungsstudien beim Postdiskotomieschmerz und bei kombinierten Rücken-Bein-Schmerzen. Insbesondere auf dem Gebiet der Stimulationsverfahren versucht man heute durch neue Stimulationsorte und Stimulationsparameter sowie durch neue Implantate auch den axialen Rückenschmerz besser zu beeinflussen.
V. Tronnier
30. Operative und minimal-invasive Verfahren bei Rücken- und Nackenschmerz
Zusammenfassung
Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule sind häufige und geläufige pathologische Befunde mit teils erheblichem Einfluss auf die Lebensqualität des betroffenen Patienten. Muskuläre Dysbalancen ausnehmend, lässt sich meist ein kausaler Zusammenhang zwischen Schmerzen und degenerativen Veränderungen, Frakturen, Infektionen oder Tumoren an der Wirbelsäule finden. Neben den konservativen Maßnahmen ist die Wirbelsäulenchirurgie eine bedeutende Säule in der Behandlung dieser Erkrankungen und repräsentiert ein stetig wachsendes Gebiet der heutigen Medizin. Bedingt durch die immer älter werdende Bevölkerung wird künftig die Nachfrage nach chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen, insbesondere von Lenden- und Halswirbelsäule, zunehmen. Daher sind Kenntnisse über die operativen Therapieoptionen unerlässlich, um den Beschwerden des Patienten interdisziplinär begegnen und gerecht werden zu können.
T. Koy, M.J. Scheyerer, P. Eysel
31. Akupunktur bei Rückenschmerzen
Zusammenfassung
Die Akupunktur hat sich in Deutschland zu einer Standardtherapie entwickelt. Erkrankungen des Bewegungsapparats sind das Hauptindikationsgebiet der Akupunktur. Die Nachweislage zur Wirksamkeit der Akupunktur bei chronischem Kreuzschmerz entspricht der Evidenzklasse 1a für chronischen Kreuzschmerz. Akuter Kreuzschmerz, HWS-Syndrome, Radikulitiden, Failed-back-Syndrome lassen sich ebenfalls mit Akupunktur gut behandeln; hierfür gibt es weniger Studien, die Empfehlung beruht auf Expertenkonsens. Die Akupunktur ist eine sichere Therapiemethode. Langfristige Therapieerfolge bis hin zur Ausheilung können bei chronischen Erkrankungsverläufen erzielt werden. Entscheidend für den Therapieerfolg ist die Einhaltung definierter Qualitätskriterien. Die Akupunkturtherapie lässt sich gut in multimodale Therapieprogramme integrieren.
A. Molsberger
32. Multimodale Schmerztherapie
Konzepte und Indikation
Zusammenfassung
Als »multimodale Schmerztherapie« wird eine inhaltlich eng abgestimmte multidisziplinäre und integrative Behandlung in Kleingruppen bezeichnet. Eingebunden sind somatische, körperlich und psychologisch übende sowie psychotherapeutische Verfahren. Bei chronischen Schmerzsyndromen mit komplexen körperlichen, seelischen und sozialen Folgen ist eine Therapieintensität von mindestens 100 h notwendig. Unter diesen Voraussetzungen ist das Verfahren anderen Therapiearten nachweislich überlegen, und im Falle eines Versagens monodisziplinärer und/oder ambulanter Maßnahmen haben gesetzlich Versicherte einen rechtlichen Anspruch darauf. Eine medizinische Indikation besteht bei Patienten mit bereits chronifizierten Schmerzsyndromen, aber auch bei erhöhtem Chronifizierungsrisiko mit dem Ziel, den Chronifizierungsprozess aufzuhalten. Relative Kontraindikationen sind fehlende Veränderungsmotivation, ausgeprägte psychische Störungen, schwerere Psychopathologien und Suchtproblematik. Die Versorgungslage ist in der BRD derzeit ungenügend.
B. Arnold, T. Brinkschmidt, H.-R. Casser, I. Gralow, D. Irnich, K. Klimcyk, G. Müller, B. Nagel, M. Pfingsten, M. Schiltenwolf, R. Sittl, W. Söllner
33. Bewegungstherapie in der Behandlung von Rückenschmerz
Zusammenfassung
Bewegungstherapeutische Interventionen sind ein zentraler Bestandteil in der Behandlung von Rückenschmerzen. Sowohl international als auch national werden darunter sehr heterogene Übungsformen und Bewegungsprogramme verstanden. Auch unterscheiden sich bewegungstherapeutische Interventionen mit einem funktionsorientierten Ansatz stark von jenen mit einem biopsychosozialen Ansatz. Der folgende Beitrag vermittelt zunächst einen kurzen Überblick über internationale und nationale Begrifflichkeiten von Bewegungstherapie. Darauf aufbauend erfolgt die Darstellung potenzieller Wirkmechanismen zwischen Rückenschmerz und Bewegung sowie der Wirksamkeit bewegungstherapeutischer Interventionen bei Rückenschmerz anhand systematischer Reviews. Abschließend werden Konsequenzen für die Gestaltung bewegungstherapeutischer Interventionen in der Behandlung von Rückenschmerzen und offene Forschungsfragen beschrieben.
J. Semrau, W. Geidl, K. Pfeifer

Rehabilitation und Langzeitbetreuung

Frontmatter
34. Wiedereingliederung
Zusammenfassung
Die Wiederaufnahme einer Arbeit stellt bei chronischen Rückenschmerzpatienten eine besondere Herausforderung dar. Neben der medizinisch-therapeutischen Behandlung und Rehabilitation ist der Planung der beruflichen Eingliederung in der Betreuung besonderes Augenmerk zu schenken. Behandlungsprogramme haben zunehmend den Fokus auf eine patientenorientierte arbeits- und berufsbezogene Therapie gerichtet. Die sozialmedizinische Beurteilung ist Bestandteil von Therapiemaßnahmen, um Aussagen zum leidensgerechten Einsatz der Patienten treffen zu können. In schwierigen Fällen und bei Unklarheiten ist der Einsatz von Profilvergleichsverfahren zu erwägen. Das Sozialrecht sieht zahlreiche Möglichkeiten von Leistungen verschiedener Kostenträger zur Teilhabe am Arbeitsleben vor, die insbesondere auch die stufenweise Wiedereingliederung umfassen und im Folgenden ausgeführt werden.
B. Kladny, J. Betz
35. Ergonomie – Arbeitsplatzgestaltung
Zusammenfassung
Ergonomie in allen Lebenslagen – bei der Arbeit, zu Hause und in der Freizeit – ist für die Rückengesundheit notwendig. Optimale Bedingungen sind präventiv und machen es möglich, ein aktives Leben trotz Rücken- oder Nackenschmerzen zu führen. Bei der Gestaltung eines bestmöglichen Arbeitsplatzes soll die Umgebung auch mitberücksichtigt werden, z. B. unter dem Apekt von Lärm-, Licht- und Geruchsneutralität. Techniken zum gesunden Heben und Tragen sollten gelernt und geübt werden, bis sie zur Gewohnheit geworden sind. Die Anwendung von höhenverstellbaren Möbeln sowie die Unterstützung bei der Gestaltung von Aktivtäten des täglichen Lebens bei der Arbeit, zu Hause und in der Freizeit können helfen, den Rücken zu schonen, Schmerzen nicht mehr zu provozieren sowie Ängste abzubauen. Rückenschulung kann hilfreich sein, aber da es keine Normen dafür gibt, kann die Qualität von individuellen Programmen sehr unterschiedlich sein.
P. Higman
36. Chronic-Care-Management
Zusammenfassung
Der demografische Wandel, ein bewegungsarmer Lebensstil und der medizinische Fortschritt haben zu einer Verschiebung in der Medizin geführt: Akuterkrankungen nehmen ab und chronische Erkrankungen werden zunehmend relevant. Dies betrifft auch Patienten mit chronischem Schmerz. Das hier vorgestellte Chronic-Care-Modell betont die große Bedeutung von engagierten und informierten Patienten, von klinischen Leitlinien und effektiver medizinischer Informationsverarbeitung sowie einer gut organisierten Versorgung für chronisch kranke Schmerzpatienten. Hierzu müssen tradierte Strukturen aufgebrochen werden, und ein Umdenken in der Patientenversorgung muss erfolgen: Ziel ist der kompetent handelnde Patient, der in einem tragfähigen Netz von Gesundheitssystem und Gemeinwesen seiner Krankheit gerecht werden kann und eine interdisziplinäre und kooperative Unterstützung erfährt.
J. Gensichen, A. Becker
37. Arbeitsmedizinische Aspekte
Zusammenfassung
Primäre Ziele der Arbeitsmedizin sind die Förderung, der Erhalt und die Mitwirkung bei der Wiederherstellung von Gesundheit sowie Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit. Grundlage sämtlicher arbeitsmedizinischer Präventionsmaßnahmen ist die Gefährdungsbeurteilung. Arbeitsmedizinische Prävention umfasst neben der Gesundheitsförderung Maßnahmen der Primärprävention (Verhältnis- und Verhaltensprävention), der Sekundärprävention (arbeitsmedizinische Vorsorge mit Pflichtvorsorge, Angebotsvorsorge und Wunschvorsorge) und der Tertiärprävention (berufliche Wiedereingliederung). Unter Einhaltung der sozialrechtlichen Randbedingungen können einzelne Erkrankungen des Rückens als Berufskrankheit anerkannt und in Abhängigkeit ihrer Schwere ggf. entschädigt werden. In der Regel bedürfen Erkrankungen und Beschwerden im Bereich von Rücken und Nacken bei berufstätigen Personen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit unter Einbeziehung des Betriebsarztes/der Betriebsärztin.
S. Letzel

Spezielle Krankheitsbilder

Frontmatter
38. Nackenschmerzen
Zusammenfassung
Nackenschmerzen nehmen allein aufgrund ihrer anatomischen Lage eine Sonderstellung im Rahmen der Wirbelsäulenbeschwerden ein, wenn auch wie beschrieben viele Parallelen zu den übrigen Wirbelsäulenabschnitten bestehen. Die Verbindung zum Schädel mit den zentralnervösen Strukturen wie auch zur hypomobilen Brustwirbelsäule ergibt eine Vielzahl von strukturellen sowie funktionellen Störungen, die einer gesonderten Betrachtung bedürfen. Die Halswirbelsäule ist somit prädestiniert für Funktionsstörungen, aber auch für gravierende Verletzungen. Konsequenzen für Diagnostik, Therapie und Prävention werden hier gesondert dargestellt.
H.-R. Casser, M. Graf
39. Osteoporose
Zusammenfassung
Die Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes charakterisiert ist, mit einem konsekutiven Anstieg der Knochenfragilität und der Neigung zu Frakturen. Sind bereits eine oder mehrere Frakturen als Folge der Osteoporose aufgetreten, liegt eine manifeste Osteoporose vor. Die Osteoporose ist nach den Ergebnissen der BEST-Studie als eine Volkskrankheit anzusehen. Die WHO hat die Erkrankung in die Liste der 10 bedeutsamsten weltweit auftretenden Erkrankungen aufgenommen. Die klinische Bedeutung der Osteoporose liegt im Auftreten von Knochenbrüchen und in deren Folgen. Die Diagnose einer Osteoporose basiert auf der Evaluation von Risikofaktoren, z. B. einer niedrigen Knochendichte. Zusätzlich zur niedrigen Knochendichte tragen mikroarchitektonische Störungen sowie extraossäre Faktoren wesentlich zur vermehrten Knochenbrüchigkeit bei einer Osteoporose bei.
A.A. Kurth, P. Hadji
40. Bandscheibenvorfall
Zusammenfassung
Ein Bandscheibenvorfall (BSV) ist eine Verlagerung von Bandscheibengewebe nach dorsal oder lateral, häufig verbunden mit neurologischen Ausfallerscheinungen durch Kompression nervaler Strukturen. Im HWS- und LWS-Bereich (C5/6, C6/7 und C7/8 sowie L4/5 und L5/S1) sind vor allem die unteren Segmente betroffen. Länger bestehende Kreuzschmerzen sind ein Leitsymptom. Der Verlauf der Schmerzausstrahlung ins Bein lässt eine relativ exakte Höhenlokalisation des Vorfalls mittels differenzierter klinischer Untersuchung zu. Radiologisch ist die MRT allen anderen Verfahren überlegen. Absolute OP-Indikationen sind das Konus-Kauda-Syndrom und Paresen. Alle anderen Formen des BSV sollten zunächst konservativ therapiert werden. Bei persistierendem Schmerz nach Ausschöpfen aller konservativen Maßnahmen ist individuell mit dem Patienten die Entscheidung über eine Operation zu treffen. Es besteht postoperativ die Gefahr eines Postdiskotomiesyndroms. Evidenzbasierte Studien hinsichtlich OP-Verfahren und OP-Technik fehlen. Die richtige Indikationsstellung und die Erfahrung des Operateurs sind entscheidend für den Erfolg einer Bandscheibenoperation.
R.H. Richter, S. Richter, R. Forst
41. Spinalkanalstenose
Zusammenfassung
Die lumbale Spinalkanalstenose (LSS) ist ein Beschwerdekomplex aus Rückenschmerz und belastungsabhängigen Schmerzen in den Beinen. Die Inzidenz symptomatischer LSS nimmt aufgrund des steigenden Lebensalters der Patienten und des hohen Anspruchs an Lebensqualität exponentiell zu. Nach ausführlicher Anamneseerhebung und klinischer Untersuchung erfolgt eine weiterführende radiologische Diagnostik mittels Röntgen und ggf. Schnittbilddiagnostik. Die Therapie ist in erster Linie vom Beschwerdebild der Patienten abhängig und sekundär vom Ergebnis der bildgebenden Verfahren. Nach Ausschöpfen aller konservativen Maßnahmen im Sinne einer multimodalen Schmerztherapie steht die operative Therapie im Vordergrund. Aufgrund der großen Vielfalt an Operationsmethoden ist es schwierig, einen Behandlungsalgorithmus zu definieren. Die Wahl des Operationsverfahrens sollte immer individuell für den Patienten getroffen werden.
R.H. Richter, S. Richter, R. Forst
42. Spondylitis und Spondylodiszitis
Zusammenfassung
Hauptmanifestationsorte der Spondylitis/Spondylodiszitis sind die thorakolumbale und die lumbale Wirbelsäule. Bei der unspezifischen Form stehen Staphylokokken, gramnegative Bakterien und Streptokokken im Vordergrund, bei der spezifischen Form die Tuberkelbakterien. Der Altersgipfel liegt im 5.–7. Lebensjahrzehnt. Als wichtigste Differenzialdiagnose ist die erosive Osteochondrose zu nennen. Klinische Symptome sind sehr unspezifisch und reichen von diskreten Rückenschmerzen bis zur völligen Immobilität. Der wichtigste Laborparameter ist das CRP. Die Diagnosestellung ist oft schwierig und verzögert. Die MRT ist das radiologische Mittel der Wahl. Eine CT-gesteuerte Punktion sollte nach Möglichkeit zur Keimgewinnung und gezielten antibiotischen Therapie durchgeführt werden. Konsequente Ruhigstellung des befallenen Gebiets ist neben einer testgerechten Antibiose Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Therapie. Je nach Ausmaß der Destruktion des Wirbelsäulenabschnitts sind verschiedene operative Verfahren einzusetzen.
S. Richter, R.H. Richter, R. Forst
43. Skoliose
Zusammenfassung
Die idiopathische Skoliose ist mit ca. 85 % die häufigste Form. Mädchen sind 3,5-mal häufiger betroffen als Jungen. In der Regel verursacht die idiopathische Skoliose keine Schmerzen, was die Diagnosestellung erschwert. Im sog. Vorneigetest wird das Ausmaß der Skoliose ersichtlich. Ein Beckengeradstand ist Voraussetzung für eine exakte klinische Beurteilung der Skoliose und muss immer vorher überprüft werden. Die klinische Untersuchung wird durch Röntgenbilder der gesamten Wirbelsäule in 2 Ebenen komplettiert. Anhand der Seitausbiegung der Wirbelsäule wird der Cobb-Winkel berechnet, die Rotation der Wirbelkörper wird nach Nash und Moe geschätzt. Die Therapie richtet sich nach dem Cobb-Winkel und nach der Wachstumsreserve. Bei noch vorhandenem Wachstum und einem Cobb-Winkel über 20° ist zusätzlich zur Physiotherapie ein Korsett indiziert. Ab einem Cobb-Winkel von 45° bzw. 50° ist eine Operation zu diskutieren. Operationsindikation und verfahren sind individuell mit dem Patienten zu besprechen.
S. Richter, R.H. Richter, R. Forst
44. Wirbelsäulentumoren und -metastasen
Zusammenfassung
10 % aller primären Knochentumoren und 30 % aller Skelettmetastasen sind in der Wirbelsäule lokalisiert. Mammakarzinom bei Frauen und Prostatakarzinom bei Männern haben die größte Skelettmetastasierungstendenz. BWS und LWS sind die Hauptlokalisationsorte. Leitsymptom ist der Schmerz. Wirbelsäulenmetastasen bergen neben der Problematik der Instabilität vor allem die Gefahr der irreversiblen Schädigung des Rückenmarks sowie peripherer Nervenwurzeln. Eine ausführliche Anamnese und die klinische Untersuchung werden durch eine radiologische Diagnostik komplettiert. Diese beinhaltet MRT und CT der Wirbelsäule, ggf. Skelettszintigrafie sowie weitere bildgebende Verfahren, je nach Primarius. Die Therapie von Wirbelsäulenmetastasen sollte interdisziplinär erfolgen. Neben der operativen Therapie stehen Chemotherapie und Radiotherapie zur Verfügung. Die operative Behandlung (Indikation und Technik) ist abhängig von der Tumorart und Ausbreitung. Hierzu wurden verschiedene Scores entwickelt. Aufgrund des zumeist palliativen Behandlungsregimes stehen Schmerzreduktion und Stabilisierung mit daraus resultierender frühzeitiger Mobilisation der Patienten im Vordergrund.
R.H. Richter, S. Richter, R. Forst
45. Rheumatologische und neurologische Differenzialdiagnosen
Zusammenfassung
Rückenschmerzen können im rheumatologischen Praxisalltag vielfältige Ursachen haben. Zur genauen Analyse sind bei der Differenzialdiagnostik die Anamnese, die klinische Untersuchung, Laborchemie und Bildgebung essenziell. Es werden mögliche rheumatologische Differenzialdiagnosen mit entsprechenden Behandlungsoptionen dargestellt. – Die auf neurologischem Fachgebiet für die Entstehung akuter oder chronischer Rückenschmerzen infrage kommenden Erkrankungen werden zusammenfassend dargestellt unter schwerpunktmäßiger Erläuterung ihrer neuroanatomischen Zuordnung und Syndromatologie. Die differenzialdiagnostischen Implikationen der im Rahmen der klinischen Untersuchung zu evaluierenden Befunde werden vorgestellt, darüber hinaus der hieraus abzuleitende apparativ-technische Klärungsaufwand und die erforderlichen therapeutischen Konsequenzen. Zeitliche Dringlichkeitsabstufungen werden erläutert.
U. Lange, V. Lindner

Besondere Patientengruppen

Frontmatter
46. Rücken- und Nackenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen
Zusammenfassung
Nacken- und Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind eine diagnostische Herausforderung. Die Differenzialdiagnosen in dieser Altersgruppe umfassen einen weiten Bereich möglicher Pathologien: traumatische, systemische, neoplastische, infektiöse, kongenitale, psychosomatische Erkrankungen neben muskulären oder konstitutionellen Ursachen. Die Häufigkeit von Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen kann bisher nur geschätzt werden und wird je nach Studienbedingungen mit einer Häufigkeit zwischen 20 und 80 % angegeben. In mehr als 50 % kann eine morphologische Ursache der Beschwerden trotz aufwendiger Diagnostik nicht gefunden werden. Aus der strukturierten Anamnese und dem subtilen klinischen Befund lassen sich Kriterien für eine frühzeitige erweiterte Diagnostik (Röntgen, MR, Labor, CT, Szintigrafie) ableiten.
J. Forst
47. Rücken- und Nackenschmerz im Leistungssport
Zusammenfassung
Der Einfluss körperlicher Aktivität auf die Entstehung und den Verlauf von Rücken- und Nackenbeschwerden wird in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur ambivalent beurteilt. Die Betrachtung der derzeitigen Literatur weist auf einen komplexen Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität und dem Auftreten von Rücken- und Nackenschmerzen hin. So stehen die ausgeübte Sportart, der zeitliche Umfang und die technische Ausführung des Sports im Zusammenhang mit Rücken- und Nackenschmerzen. Auch das Alter und die psychische Belastung der Leistungssportler konnten in Studien als relevante Faktoren identifiziert werden. Im Beitrag »Rücken- und Nackenschmerz im Leistungssport« werden die Erkenntnisse zu diesen und weiteren Faktoren zusammengefasst und diskutiert.
T. Mierswa, M. Kellmann
48. Ältere Patienten
Zusammenfassung
Ältere Menschen weisen im Vergleich zu jüngeren eine veränderte Physiologie sowie eine altersspezifische psychosoziale Situation auf. Sie stellen jedoch keine homogene Gruppe dar und müssen entsprechend ihrer kognitiven, affektiven und sozialen Situation mit altersspezifischen diagnostischen und therapeutischen Verfahren versorgt werden. Kombinierte Rücken- und Nackenschmerzen mit spezifischer Ursache kommen bei ihnen öfter vor als bei jüngeren Menschen. Die häufig vorhandene physische und psychische Komorbidität ist in Diagnostik und Therapieplanung zu berücksichtigen. Statt schriftlicher Fragebögen sollte auf ein strukturiertes Schmerzinterview zurückgegriffen werden. In der Funktionsdiagnostik sind Beobachtungsverfahren valider als Selbst- oder Fremdberichte. Da im Alter eine kausale Therapie des Schmerzes häufig nicht möglich ist, werden neben der Schmerzreduktion die Verbesserung der Funktion und der Lebensqualität als angemessene Erfolgsparameter angesehen. Medikamentöse Verfahren sind durch Physiotherapie und psychologische Therapie zu ergänzen.
C. Leonhardt, H.-D. Basler
49. Geschlechtsunterschiede bei chronischem Muskel- und Rückenschmerz
Zusammenfassung
Dieses Kapitel beschäftigt sich überwiegend mit zwei Fragen: Erstens, gibt es Geschlechtsunterschiede bei chronischen Muskelschmerzen, speziell bei chronischem Rückenschmerz, und zweitens, gibt es dafür schon Erklärungsansätze? Kurz gesagt, scheinen die meisten Studien Geschlechtsunterschiede nahezulegen. Frauen leiden offenbar häufiger unter Muskelschmerzen als Männer, wobei die Geschlechtsunterschiede beim Rückenschmerz nicht sonderlich ausgeprägt zu sein scheinen. Epidemiologische Daten, die in diesem Beitrag präsentiert werden, können über die mit den Geschlechtsunterschieden assoziierten Faktoren erste Auskünfte geben. Weitergehende Aufschlüsse können gewonnen werden, wenn zusätzlich experimentelle Ergebnisse herangezogen werden, die im zweiten Teil des Beitrags überblicksartig dargestellt werden.
S. Lautenbacher

Management

Frontmatter
50. Versorgungskonzepte in der Schmerzmedizin
Zusammenfassung
Die Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten in Deutschland ist nach wie vor mangelhaft, obwohl mehr als 5.000 ausgebildete Schmerzmediziner zur Verfügung stünden. Im ambulanten Versorgungssektor sind die wichtigsten Gründe dafür die ungenügende Umsetzung multidisziplinär-integrativer Versorgung und die insgesamt geringe Zahl an niedergelassenen Schmerztherapeuten, was u. a. der geringen wirtschaftlichen Attraktivität der Fachrichtung geschuldet ist. Deutlich besser ist die Situation im (teil-)stationären Sektor, da hier die strukturellen Vorgaben integrative Versorgung ermöglichen, wenn auch nicht durchweg ausreichende Therapieintensität. Umfassender Verbesserungsbedarf besteht zudem im Bereich der Rehabilitation.
B. Arnold
51. Struktur der schmerzmedizinischen Versorgung in Deutschland: Klassifikation schmerzmedizinischer Einrichtungen
Konsens der »Gemeinsamen Kommission der Fachgesellschaften und Verbände für Qualität in der Schmerzmedizin«
Zusammenfassung
Im Auftrag der schmerzmedizinischen/psychologischen Fachgesellschaften, der Selbsthilfeorganisation der Schmerzpatienten und des Berufsverbandes der Schmerztherapeuten und Schmerzpsychologen hat die »Gemeinsame Kommission der Fachgesellschaften und Verbände für Qualität in der Schmerzmedizin« unter Mitwirkung der jeweiligen Präsidenten überprüfbare Struktur- sowie Prozesskriterien entwickelt, um schmerzmedizinische Einrichtungen in Deutschland klassifizieren zu können. Grundlage ist das in Deutschland etablierte System der abgestuften Versorgung sowie bestehende Qualifikationen, Weiterbildungen und Zusatzbezeichnungen. Die Einführung eines Fachkundenachweises Schmerzmedizin wird empfohlen. Neben den erstmals beschriebenen schmerzpsychotherapeutischen Einrichtungen können anhand der Kriterien fünf Ebenen von der Einrichtung mit Fachkunde Schmerzmedizin über spezialisierte Einrichtungen bis zum Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzmedizin definiert werden. Ziel der Empfehlungen ist es, verbindliche und überprüfbare Kriterien zur Qualitätssicherung in der Schmerzmedizin zu etablieren und die Versorgung zu verbessern.
G.H.H. Müller-Schwefe, J. Nadstawek, T. Tölle, P. Nilges, M.A. Überall, H.J. Laubenthal, F. Bock, B. Arnold, H.R. Casser, T.H. Cegla, O.M.D. Emrich, T. Graf-Baumann, J. Henning, J. Horlemann, H. Kayser, H. Kletzko, W. Koppert, K.H. Längler, H. Locher, J. Ludwig, S. Maurer, M. Pfingsten, M. Schäfer, M. Schenk, A. Willweber-Strumpf
52. Leitlinie Nackenschmerz der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
Zusammenfassung
Bei der Behandlung von Patienten mit Nackenschmerzen folgen hausärztliche Behandlungsoptionen zumeist dem Modell einer monokausalen Pathophysiologie. Da jedoch die Wirksamkeit der meisten Behandlungsmaßnahmen häufig fraglich und unzureichend durch klinische Studien gestützt ist, fehlte es lange an einer deutschsprachigen Behandlungsempfehlung. Für die Versorgung von Patienten mit unspezifischen Nackenschmerzen wurde von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) die Leitlinie Nackenschmerzen für die hausärztliche Praxis entwickelt. Im vorliegenden Beitrag sollen an einem Beispiel hausärztliche Fragestellungen zum Thema unspezifische Nackenschmerzen aufgeworfen und beantwortet werden. Im Vordergrund stehen dabei neben der Entstehungsgeschichte und den wichtigsten Inhalten der Leitlinie das Erkennen abwendbar gefährlicher Verläufe sowie die Entscheidung über zu erfolgende Diagnostik und Therapie.
M. Scherer, A. Wollny
53. Integrierte Versorgung für Patienten mit Rückenschmerzen
Zusammenfassung
Integrationsversorgungs-IV-Projekte sind wegen der Häufigkeit von Rückenschmerzen, der Differenzierung nach Risikogruppen und der verschiedenen Diagnostik- und Behandlungsoptionen sinnvoll. In diesem Beitrag sind jahrelange Erfahrungen und eine Übersicht über Projekte zusammengestellt. – IV-Konzepte bieten die Chance, Patienten mit Rückenschmerzen nach einer entsprechenden Diagnostik nach ihrem Versorgungsbedarf zu steuern und solche mit Risikofaktoren frühzeitig multimodal schmerztherapeutisch zu behandeln. Die laufenden Projekte haben die diesbezüglichen Leitlinien umgesetzt und um wichtige Informationen ergänzt. Die Konzeptdiskussion, die Vorbereitung und die gemeinsame Umsetzung der Konzepte mit den multiprofessionellen Versorgungspartnern nutzen den Patienten. Allerdings fehlen bei insgesamt fehlender Transparenz des Versorgungsgeschehens auch in den entsprechenden IV-Projekten patientenbezogene Erfahrungen und Kostendaten zum Nachweis der Chronifizierungsvermeidung und ganz besonders der Folgekosten.
G. Lindena
54. Lendenwirbelsäulenbegutachtung
Zusammenfassung
Die Begutachtung chronischer bzw. chronifizierter Rückenschmerzen ist eine interdisziplinäre Aufgabe und erfordert Kompetenz in der Beurteilung sowohl körperlicher als auch psychischer Störungen. Zur sicheren Bewertung des Sachverhalts können daher weitere diagnostische Maßnahmen oder eine Zusatzbegutachtung durch andere Fachgebiete erforderlich sein. Ein »Schmerzgutachten« setzt eine interdisziplinäre Befundung und Beurteilung voraus, die entsprechend einem Assessment z. B. orthopädische, neurologische und psychotherapeutische Beteiligung erfordert. Die schmerztherapeutische Begutachtung betrifft vornehmlich vorsorgungsärztliche Gutachten des Sozialentschädigungsgesetzes und des Schwerbehindertengesetzes. Zivilrechtliche und strafrechtliche Aspekte gewinnen allerdings zunehmend an Bedeutung.
J. Kuhn
55. Halswirbelsäulenbegutachtung
Zusammenfassung
Die gutachtliche Feststellung einer Behinderung oder körperlichen Leistungsbeeinträchtigung, die aus einer Erkrankung oder Verletzung der Halswirbelsäule resultiert, sollte für einen orthopädischen Facharzt selbst ohne spezielle gutachtliche Fortbildung einfach zu bewältigen sein. Sehr viel aufwendiger und schwieriger gestaltet sich jedoch die gutachtliche Beurteilung einer Kausalitätsverknüpfung zwischen Unfalleinwirkung und nachfolgend bestehenden Halswirbelsäulenbeschwerden ohne fassbares organpathologisches Korrelat. Der Beitrag »Halswirbelsäulenbegutachtung« soll speziell für diese gutachtliche Problematik Hilfestellungen geben, gestützt auf den derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. – Bei strukturellen Verletzungen der Halswirbelsäule bereitet die gutachtliche Beurteilung kaum Probleme, da hierbei letztendlich nur die eingetretenen Dauerfolgen einer Bemessung unterzogen werden müssen – in verschiedenen Rechtsbereichen nach unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben. Diese Art der Begutachtung unterscheidet sich kaum vom gutachtlichen Prozedere nach Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule.
F. Schröter
56. Gesundheitsökonomische Aspekte von Rückenschmerzen
Zusammenfassung
Rückenschmerzen gehen nicht nur mit bedeutenden Einschränkungen der Lebensqualität der Betroffenen durch Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen einher, sondern stellen auch eine enorme wirtschaftliche Belastung für die Gesellschaft dar. Der größte Teil der durch Rückenschmerzen verursachten Kosten ist auf Produktionsausfallkosten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit und verminderter Produktivität am Arbeitsplatz zurückzuführen. Daher sollten aus gesundheitsökonomischer Perspektive vornehmlich Therapiestrategien zum Einsatz kommen, die eine Verringerung der Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben. Die Frage nach der kosteneffektivsten Therapieform bei Rückenschmerzen kann jedoch derzeit aufgrund der Vielzahl an möglichen Behandlungsalternativen sowie der teilweise sehr heterogenen Ergebnisse bisheriger Evaluationsstudien nicht abschließend beantwortet werden.
O. Damm, D. Bowles, W. Greiner
57. Leitlinien für die Primär versorgung: vom runden Tisch zur realen Praxis
Zusammenfassung
Die Zahl der Krankenhausfälle und Operationen zur Behandlung von Rückenschmerzpatienten ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Auch weiterhin gehören muskuloskeletale Erkrankungen zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeitszeiten. Sieht man die Zahlen, scheint die Verabschiedung einer interdisziplinären Versorgungsleitlinie zum Thema keinen nennenswerten Einfluss auf die Versorgung der Patienten gehabt zu haben. Noch immer erhalten Rückenschmerzpatienten Spritzen, »yellow flags« finden zu wenig Beachtung, und multimodale Therapien werden kaum eingesetzt. Aus der Perspektive von Hausärzten diskutieren die Autoren mögliche Gründe, warum die Leitlinienempfehlungen nur unzureichend umgesetzt werden: die Schwierigkeit, alltägliche und etablierte Routinen zu ändern, die kommunikative Herausforderung, Schmerzpatienten zu Aktivität zu ermuntern, und strukturelle Defizite, die etwaiges Ringen um evidenzbasierte Vorgehensweisen erfolglos enden lassen. Gerade bei Rücken- und Nackenschmerzen müssen Implementierungsbemühungen alle Bereiche einer komplexen Versorgungslogistik adressieren, um Erfolge zeigen zu können.
G. Egidi, A. Becker
Backmatter
Metadaten
Titel
Rückenschmerzen und Nackenschmerzen
herausgegeben von
Hans-Raimund Casser
Monika Hasenbring
Annette Becker
Ralf Baron
Copyright-Jahr
2016
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-642-29775-5
Print ISBN
978-3-642-29774-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-642-29775-5

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