Physiotherapie mit Ganzkörper-Elektromyostimulation ist effektiv

Bei Patient*innen mit chronischem nicht spezifischem Rückenschmerz entwickelt sich häufig ein Teufelskreis aus Schmerz, Angst vor Bewegung, Bewegungsvermeidung und eingeschränkter Beweglichkeit [1]. Mit physiotherapeutischen Übungen plus Medizinischer Elektromyostimulation (EMS) kann dem nicht spezifischen Rückenschmerz entgegengewirkt werden. Studien zufolge ist die Ganzkörper-EMS schon bei einem geringen Zeitaufwand von 20 Minuten pro Woche wirksam [1, 2]. Damit ist dieses Verfahren für viele Patient*innen eine Alternative zu konventionellen Methoden, die ein mehrmaliges Training pro Woche erfordern. Robert Kneschke / Fotolia × Rückenschmerzen zählen zu den am meisten verbreiteten Beschwerden [3]. Sie sind der häufigste Grund für eine Arbeitsunfähigkeit und die zweithäufigste Ursache für eine frühzeitige Berentung [3]. In vier von fünf Fällen liegen nicht spezifische Rückenschmerzen vor, bei denen keine eindeutige Ursache auszumachen ist [4]. Sie entstehen auf Basis von muskulären Dysbalancen oder einer schwachen Rumpfmuskulatur [5]. Bei rund zwei Drittel aller Betroffenen werden die nicht spezifischen Rückenschmerzen chronisch [3]. Zur Vorbeugung wird die dauerhafte Stärkung der Rumpfmuskulatur durch regelmäßige körperliche Bewegung empfohlen [3]. Bei subakuten und chronischen nicht spezifischen Kreuzschmerzen wird zur nicht medikamentösen Therapie primär ein multimodaler Ansatz empfohlen. Bewegungstherapie kombiniert mit edukativen Maßnahmen nach verhaltenstherapeutischen Prinzipien soll unterstützend zur körperlichen Aktivität angewendet werden [3]. Patient*innen mit chronischem Rückenschmerz haben jedoch häufig Angst, sich über das alltägliche Maß hinaus zu bewegen, vermeiden somit Bewegung und damit auch konventionelle Trainingskonzepte [1]. Die durch Medizinische EMS unterstützte Bewegungstherapie unter individueller physiotherapeutischer Betreuung ist eine zeiteffiziente, gelenkschonende Therapiealternative. Vergleich der EMS mit multimodaler Therapie Eine prospektive klinische Interventionsstudie verglich die Ganzkörper-EMS (20min, einmal pro Woche, für sechs Monate; Gerät: miha bodytec GmbH) mit einem multimodalen Behandlungskonzept (fünf Tage pro Woche, 9:00–16:00 Uhr, für vier Wochen) als aktive Kontrolle [1]. Die Studienteilnehmer*innen bewerteten ihre Rückenschmerzen zu verschiedenen Zeitpunkten anhand einer numerischen Bewertungsskala (Numeric Rating Scale, NRS) mit 0 (kein Schmerz) bis 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz) und den validierten Fragebögen Oswestry Disability Index (ODI), North American Spine Society Instrument (NASS) und Short Form 36 Health Survey (SF-36) [1]. Außerdem erfolgten Kontrollmessungen der muskulären Funktion und der posturalen Stabilität. Schmerzen nach 24 Wochen reduziert In der EMS-Gruppe zeigte sich nach 24 Wochen eine klinisch relevante Verbesserung des NRS-Werts für den Rückenschmerz um im Mittel 2 Punkte (vor EMS-Beginn: 4,45 Punkte, in Woche 24: 2,40 Punkte; p<0,01; Abb. 1) [1]. Auch 14 weitere sekundäre Endpunkte weisen auf gelinderte Beschwerden unter der EMS hin. So verbesserten sich der ODI innerhalb von 24 Wochen um 19,7 Punkte (vor EMS-Beginn: 33,8 Punkte, in Woche 24: 14,1 Punkte; p<0,01) und der NASS-Lumbar-Pain-Score um 0,54 Punkte (vor EMS-Beginn: 2,84 Punkte, in Woche 24: 1,94 Punkte; p<0,01). Abb. 1: Patient*innen mit nicht spezifischem Rückenschmerz gaben nach der Elektromyostimulation geringere Schmerzen an (modifiziert nach [1]) Springer Medizin Verlag GmbH × Die Ergebnisse mehrerer Subskalen des SF-36 zeigten darüber hinaus in der EMS-Gruppe eine verbesserte Lebensqualität und verringerte Beeinträchtigungen durch das Rückenleiden an. Der Schmerzscore des SF-36 verbesserte sich über 24 Wochen von 48,89 Punkte auf 66,22 Punkte (p<0,01), die soziale Rollenfunktion nach dem SF-36 von 76,13 Punkte auf 92,67 Punkte (p<0,05). In der Gruppe mit multimodalem Behandlungskonzept sank der Schmerzwert auf der NRS nicht signifikant und nur in vier sekundären Endpunkten zur muskulären Funktion zeigte sich eine Verbesserung [1]. Zeitsparende und wirksame Alternative Diese Studie ergab eine mindestens gleichwertige Wirksamkeit von Medizinischer EMS und multimodaler Therapie bei nicht spezifischen Rückenschmerzen. Die eingesetzte Ganzkörper-EMS ermöglichte zusätzlich eine Schmerzreduktion. Aufgrund des geringen wöchentlichen Zeitaufwands ist diese Methode eine zeitsparende und dieser Studie zufolge eine wirksame Alternative zu etablierten multimodalen Therapiemodellen. Vergleich der EMS mit Rückenkräftigungstraining In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde die EMS (20min, einmal pro Woche, über 12 Wochen) mit einem konventionellen Rückenkräftigungstraining (45min pro Woche, über 12 Wochen) verglichen [2]. An der Studie nahmen 110 Patient*innen mit nicht spezifischem Rückenschmerz im Alter zwischen 40 und 70 Jahren teil. Die Übungen waren in beiden Gruppen darauf ausgerichtet, die Rumpfmuskulatur zu stärken und zu stabilisieren. Die Teilnehmer*innen führten in den vier Wochen vor Beginn der Physiotherapie und während der letzten vier Wochen der Therapie ein Schmerztagebuch. In beiden Gruppen sank die mittlere Schmerzintensität (primärer Endpunkt der Studie) signifikant, in der EMS-Gruppe um 22,3% (± 20,9%; p≤0,001), bei konventionellem Training um 30,2% (± 43,9%; p≤0,001). Der nicht spezifische Rückenschmerz verringerte sich in beiden Gruppen vergleichbar stark (p=0,160). Die maximale isometrische Kraft der Rumpfmuskulatur nahm in beiden Gruppen signifikant zu: Sie stieg in der EMS-Gruppe um 15,6% (± 24,9%; p≤0,001), bei konventionellem Training um 23,0% (±30,9%; p≤0,001), ohne signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen (p=0,297). Auch die isometrische Kraft des Rumpfbeugers nahm zu, in der EMS-Gruppe um 17,6% (±24,8%) und bei konventionellem Training um 18,1% (± 24,8%), wobei der Trainingserfolg vergleichbar war (p=0,707). Fazit Die Ganzkörper-EMS ist bei nicht spezifischem Rückenschmerz vergleichbar wirksam wie konventionelles Rückenkräftigungstraining oder die multimodale Therapie [1, 2]. Dabei ist der Zeitaufwand mit 20min einmal pro Woche deutlich geringer. Die präventiv und therapeutisch eingesetzte EMS mit einem Medizinprodukt unter Anleitung einer fachkundigen Person ist damit auch für Patient*innen geeignet, die begrenzte zeitliche Ressourcen haben oder aus anderen Gründen nicht an einer konventionellen Trainingsmethode teilnehmen wollen. Das Prinzip der Elektromyostimulation (EMS) Die Medizinische EMS ist ein Ganzkörper-Krafttraining, bei dem eine durch Elektroden ausgelöste Stimulation mit willkürlichen Muskelkontraktionen kombiniert wird, die in bestimmten Winkelstellungen haltend (isometrisch) oder dynamisch ausgeführt werden. Im Gegensatz zur lokalen Anwendung an einzelnen Muskelstrukturen können mit der Medizinischen Ganzkörper-EMS mehrere Muskelgruppen angesprochen sowie Agonisten und Antagonisten simultan aktiviert werden [6, 7]. Dabei dringen die elektrischen Impulse bis in tiefe abdominelle und lumbale Muskelstrukturen vor, sodass auch die schwer zu erreichende Tiefenmuskulatur gekräftigt wird [8]. Die Medizinische EMS wird mit einem zertifizierten Medizinprodukt (Anbieter: miha bodytec GmbH) unter definierten Bedingungen sowie unter Anleitung von fachkundigen Betreuer*innen mit dem Fokus auf Prävention und Therapie durchgeführt. Die bei medizinischen Indikationen eingesetzte EMS ermöglicht ein breites Spektrum an effektiven und attraktiven Übungen, insbesondere auch bei nicht spezifischem Rückenschmerz [4, 9]. Durch die Kombination mit statisch oder dynamisch ausgeführten Übungen können passive Strukturen der Wirbelsäule gestärkt sowie tiefliegende Muskelstrukturen im Wirbelsäulenbereich angesprochen und gekräftigt werden (Abb.). miha bodytec GmbH × Die Medizinische EMS ist zeiteffizient und gelenkschonend. Sie sollte nur unter Anleitung von Physiotherapeut*innen oder speziell ausgebildetem Fachpersonal durchgeführt werden. Durch die fachkundige individuelle Betreuung kann die Therapie auf die gesundheitlichen Bedürfnisse und bewegungsphysiologischen Möglichkeiten der Patient*innen abgestimmt werden. Damit ist auch gewährleistet, dass die Empfehlungen zur sicheren und wirksamen Therapiedurchführung beachtet werden [9]. Literatur Konrad KL et al., PLoS ONE 2020,15:e0236780 Weissenfels A et al., Biomed Res Int 2019, 2019:5745409 Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz; Langfassung. 2. Auflage, 2017, AWMF-Register-Nr. nvl-007; https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-007l_S3_Kreuzschmerz_2017-03-abgelaufen.pdf (letzter Abruf: 25.01.2022) Bork H, Orthopädie Unfallchir up2date 2017, 12:625–641 Chibuzor-Hüls J et al., Schmerzmedizin 2020, 36:40–48 Kemmler W et al., Front Physiol 2018, 9:573 Filipovic A et al., J Strength Cond Res 2012, 26:2600–2614 Baek SO et al., Ann Rehabil Med 2014, 38:506–513 Kemmler W et al., Dtsch Z Sportmed 2016, 67:218–221 Impressum „Chronischer nicht spezifischer Rückenschmerz: Physiotherapie mit Ganzkörper-Elektromyostimulation ist effektiv“ Literaturarbeit Bericht: Friederike Klein, München Artikel gedruckt in Der Schmerz 2/2022 Orthopädie & Rheuma 2/2022 Manuelle Medizin 2/2022 Mit freundlicher Unterstützung der miha bodytec GmbH, Gersthofen Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Sabine Jost Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF - download: Chronischer nicht spezifischer Rückenschmerz - Physiotherapie mit Ganzkörper-Elektromyostimulation ist effektiv

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