Nachfolgend werden die Ergebnisse der Interviews zusammengefasst.
Frage 1: In welchen Situationen kann die App TeleCOVID neben der COVID-19-Behandlung sinnvoll eingesetzt werden?
Für Verlegungen hin zu Weaning- oder Rehakliniken ist bereits ein Button auf der Startseite der TeleCOVID Hessen App angelegt. Alle Befragten der Krankenhäuser und des Weaning-Zentrums gaben an, dass sie Patienten von der Intensivstation zur neurologischen Frührehabilitation verlegen. Fünf von 6 Krankenhäuser gaben auch an, dass sie Patienten in Weaning-Zentren verlegen würden.
Die befragten Experten der neurologischen Rehaklinik und des Weaning-Zentrums gaben an, dass sie ihre Patienten teilweise wieder in die Ursprungsklinik zurückverlegen müssten. In diesem Fall würden beide Partner von einer Abstimmung über die App profitieren, da bei einer notwendigen Rückverlegung in die Ursprungsklinik der Patient bereits in der App angelegt wäre.
Ein Krankenhaus und das Weaning-Zentrum gaben an, Patienten in die Geriatrie zu verlegen. Zudem verlegt das Weaning-Zentrum auch in andere Rehakliniken, beispielsweise zur Behandlung von Lungenkrankheiten.
Eine Verlegung in heimatnahe Krankenhäuser sei eher selten, gaben 2 Befragte aus Krankenhäusern der umfassenden Notfallversorgung an.
Die Krankenhäuser der Basis- und der erweiterten Notfallversorgung verlegen ihre Patienten regelmäßig von der Intensivstation in Häuser mit anderen Fachrichtungen oder in Häuser einer höheren Versorgungsstufe. Die Fachrichtungen, in die sie verlegen, sind dabei ganz unterschiedlich und hängen in erster Linie davon ab, welche Fachrichtungen oder Geräte den Kliniken selbst fehlen.
Für die Fachrichtungen oder Abteilungen Neurologie/Neurochirurgie (4), Thoraxchirurgie/Herzchirurgie (3), Viszeralchirurgie (2), ARDS-Zentrum (1), operative Intensivstation (1), Onkologie (1), Urologie (1), Gefäßchirurgie (1), HNO (1), nephrologisches Zentrum (1), Kardiologie (allgemein) (1), Herzkatheterlabor (1) besteht nach Einschätzung der Befragten Bedarf für zukünftige Verlegungen. Verlegungen in die Viszeralchirurgie wurden nur von der Rehaklinik und dem Weaning-Zentrum genannt, da alle anderen Basisnotfallversorger in Hessen gemäß dem deutschen Krankenhausverzeichnis eine Viszeralchirurgie haben [
3].
Drei Experten gaben an, in der Vergangenheit neurologische Konsile angefordert zu haben. Zwei Experten ließen CT-Bilder befunden. Drei Experten forderten Konsile zu Beatmungsfragestellungen an. Außerdem wurden die Gastroenterologie (1), Handchirurgie (1), HNO (1) und Infektiologie (1) als Abteilungen genannt, an die in der Vergangenheit eine Konsilanfrage gestellt wurde. Ein Experte gab zudem an, eine telefonisch-konsiliarische Beatmungsberatung durchgeführt zu haben, wenn eine Übernahme vereinbart wurde, aber aus Kapazitätsgründen erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich war.
Diese Konsile könnten ebenfalls via TeleCOVID durchgeführt werden, jedoch gaben 4 Experten an, dass Konsile über die App nur denkbar seien, wenn die Finanzierung der Konsile geklärt sei; aktuell würden die Konsile kostenfrei durchgeführt. Ein Experte gab außerdem zu bedenken, dass eine schnelle Rückmeldung der konsiliarisch hinzugezogenen Ärzte sichergestellt sein müsse. Zwei Experten hingegen gaben an, dass Konsile ohnehin nur selten gebraucht würden.
Frage 2: Welche Modifikationen müssen an der App vorgenommen werden, um sie sinnvoll in einem erweiterten Kontext verwenden zu können?
Alle Experten gaben an, dass die übertragenen Bilder in Befundungsqualität übertragen werden sollten und eine Übertragung in das PACS des Empfängers möglich sein sollte.
Eines der größten Probleme im Gesamtprozess sei die teilweise schlechte Erreichbarkeit der anderen Häuser über das Tablet gewesen. Folgende Vorschläge für die Verbesserung des Prozesses wurden gemacht: Pop-up-Benachrichtigung am PC (3), automatisierter Anruf auf dem Dienst- oder Funktionstelefon bei Eingang einer Konsilanfrage (2) und eine automatisch generierte SMS (2). Jeweils einmal wurden folgende Vorschläge genannt: Terminabsprache über anderes Medium (z. B. WhatsApp), Benachrichtigung im KIS mit direktem Link zur Konsilanfrage, automatisierte E‑Mail an zuständigen Arzt, Benachrichtigung aller Intensivmitarbeiter, Benachrichtigung auf Smartwatch.
Ein Experte gab an, dass er es weiterhin für sinnvoll halten würde, die angefragte Klinik telefonisch über die Konsilanfrage zu informieren. Vier andere Experten gaben allerdings an, dass sie die Patienten auch gleich am Telefon übergeben und die App gar nicht mehr nutzen würden, wenn sie ohnehin anrufen müssten.
Fünf Befragte würden es bevorzugen, die Konsilanfrage auf einem Smartphone zu empfangen und zu bearbeiten. Davon wären 3 Experten sogar damit einverstanden, dass die App auf ihrem privaten Smartphone läuft, wenn dies datenschutzrechtlich möglich sei. Drei Teilnehmer würden es ablehnen. Lediglich ein Experte empfand die Display-Größe eines Smartphones als zu gering.
Die von den Experten als erforderlich genannten Stamm- oder Patientendaten stimmten mit den von TeleCOVID abgefragten Daten überein, sodass hier kein Anpassungsbedarf besteht. Eine Telefonnummer für Rückfragen könnte als zusätzlicher Parameter abgefragt werden. Weitere Pflichtfelder wurden generell abgelehnt.
Folgende Informationen sollten nach Ansicht der Befragten bei allen Intensivpatienten abgefragt werden: Infektionsstatus (6), Beatmungssituation (6), Kreislaufsituation (4), Medikamente (4), Vorerkrankungen (3), verlegungsbegründende Diagnose (2), Allergien (2), Labor (2), Ausscheidungssituation (2), Liegedauer (1), aktuelle und zuvor bestehende Vigilanz (1), Erhebungsmethode der Kreislaufsituation (1), letzter Routineabstrich multiresistenter Erreger (1), Epikrise (1), Anzahl der Perfusoren (1), Horovitz-Quotient (1), relevante Bildgebung (1), aktuelle BGA (1), Hauptproblem und Begleitprobleme (1).
Die Experten wurden ebenfalls nach ihrer Einschätzung hinsichtlich einer Standardisierung der Anamnese gefragt. Ein Experte gab an, dass er eine Standardisierung nach Organsystemen für möglich halte. Ein anderer hingegen gab an, dass eine generelle Standardisierung nicht möglich sei. Wieder eine weitere Person sagte, dass sie zumindest in Bezug auf die apparative Diagnostik keine Standardbefunde nennen könne.
Um die App für Konsile oder Verlegungen in andere Fachgebiete zu nutzen, müsse auch die Benutzeroberfläche angepasst werden. Daher wurden die Experten gefragt, wie sie die Startseite, auf der bis jetzt nur die drei Optionen „Intensivmedizin“, „pharmakologisches Konsil“ und „COVID-19“ aufgeführt sind, verändern würden. Ein Experte gab an, dass er mit dem Button „Konsil/Zweitmeinung“ unzufrieden sei und ihn um einen weiteren Button „Verlegungen“ erweitern würde, da eine Verlegung manchmal unumgänglich sei.
Sieben Experten würden es befürworten, wenn zusätzliche Abteilungen adressiert werden könnten. Nachfolgende Abteilungen wurden genannt: Infektiologie (3), operative Intensivmedizin (2), allgemeininternistische Intensivmedizin (2), Kardiologie (1), kardiologische Intensivmedizin (1), pulmologische Intensivmedizin (1), Neurologie/Neurochirurgie (1), neurochirurgische Intensivstation (1), pädiatrische Intensivmedizin (1).
Folgende Informationen, die speziell für Verlegungen zur neurologischen Frührehabilitation oder zum Weaning relevant seien, wurden genannt: Bartel-Index (7) bzw. Frührehabilitations-Barthel-Index (1), Aufnahmeantrag (4), Pflegeüberleitungsdokumentation (4), Prognose (2), neurologischer Status (1), Antibiotikahistorie (1), detaillierte Wundinformationen (1), Ernährungssituation (1).
Als weitere Nutzergruppen neben dem ärztlichen Personal benötigen das Pflegepersonal, das Belegungsmanagement sowie der Sozialdienst einen Zugang zu der App, um Verlegungsdokumente einfügen oder ausfüllen zu können.
Frage 3: Gibt es von ärztlicher Seite noch Wünsche oder Anregungen bezüglich der App TeleCOVID, damit diese einen echten Mehrwert bietet?
Vier Experten haben angeregt, eine smarte Benutzerführung in die App zu integrieren, die den Benutzer durch den Prozess leitet. Dabei sollten Notfälle von nicht zeitkritischen Anfragen abgegrenzt und je nach Indikation gegebenenfalls unterschiedliche Workflows implementiert werden und die Workflows eine gewisse Flexibilität zulassen, um den individuellen Anforderungen gerecht zu werden.
Die Mehrzahl der interviewten Ärzte erhofft sich, dass durch eine KIS-Anbindung Daten und Befunde schneller in die App übernommen werden können. Einige der Befragten äußerten den Wunsch, dass die Konsilerstellung teilautomatisiert erfolgen könnte und der Bericht durch wenige Klicks erstellt werden kann, wobei benötigte Daten und Befunde aus dem KIS eingefügt werden, wenn möglich („Wenn ich jetzt allerdings, so wie ich das mit dem Arztbrief mache, wenn ich da Laborwerte im Arztbrief haben will, die markiere ich im Laborbefund, im Kumulativbefund, und dann sind die im Arztbrief drin. Das sind zwei Klicks.“).
Einen weiteren großen Mehrwert würde die App nach Einschätzung aller Experten der Krankenhäuser der Basis- und erweiterten Notfallversorgung und des Weaning-Zentrums erhalten, wenn die Daten, die über eine KIS-Verbindung nicht nur als Fotos, sondern als reale Daten vorlägen, in die Anwendung „Rescuetrack“ importierbar wären.
Schließlich wäre die Entwicklung eines standardisierten Aufnahmebogens für die neurologische Frührehabilitation ein Mehrwert, da im Moment jede Klinik ihr eigenes Formular habe, das ausgefüllt werden müsse. Von der Expertin der neurologischen Frührehabilitation wird die Entwicklung eines solchen Bogens als möglich eingeschätzt. Sie gab allerdings zu bedenken, dass Besonderheiten, wie die Notwendigkeit einer Dialyse oder Isolation, berücksichtigt werden müssten, da nicht jede Klinik dies leisten könne.