Wir berichten aus Anlass eines Strafverfahrens über Versuche und deren biomechanische Bewertung hinsichtlich des möglichen Verletzungspotenzials von Steinen, welche vorsätzlich im Begegnungsverkehr auf entgegenkommende Fahrzeuge geworfen werden und nach Durchschlag der Windschutzscheibe Personen im Fahrzeuginneren treffen können. Durch Versuche im Realmaßstab konnten konkrete Werte für mögliche verbleibende kinetische Energien der etwa pflaumengroßen, bis zu 100 g schweren Steine nach Windschutzscheibendurchschlag gewonnen werden. Es zeigte sich bei den vorliegenden Gegebenheiten, dass die Restenergie des Steins im Fahrzeuginnenraum im ungünstigen Fall noch so hoch sein kann, dass Schädelfrakturen und entsprechende interkraniale Verletzungen entstehen können.
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Einleitung
Während der Fahrt durch Steine verursachte Beschädigungen an Pkw-Windschutzscheiben sind zumeist akzidentielle, im Zusammenhang mit dem Verkehrsgeschehen stehende Ereignisse. Sie entstehen entweder, wenn ein Stein von der Ladefläche oder dem Aufbau z. B. eines Schüttgut-transportierenden Lkw herabfällt und einen nachfolgenden Pkw trifft, im Begegnungsverkehr, wenn sich ein Stein seitlich von einem Lkw löst, oder aber durch von der Fahrbahn aufgewirbelte Steine [1‐5].
Solche Ereignisse sind ein allgemeines Verkehrsrisiko und gehen mit einer gewissen Verkehrsunfallgefahr einher, durch eine Sichtbeeinträchtigung bei beschädigter Windschutzscheibe sowie durch eine mögliche Schreckreaktion des Fahrers. Meist ist jedoch „nur“ ein ggf. von der Versicherung gedeckter, geringer Sachschaden zu beklagen. Da solche Steine normalerweise vom getroffenen Fahrzeug bzw. von dessen Windschutzscheibe abprallen, ist eine unmittelbare Verletzungsgefahr eines Fahrzeuginsassen durch den Stein hierbei in aller Regel nicht gegeben.
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Völlig anders kann sich dies darstellen, wenn relativ schwere Gegenstände (z. B. Gullydeckel) vorsätzlich auf fahrende Fahrzeuge geworfen werden oder beim gezielten Abwurf von Steinen oder sonstigen Gegenständen aus einem bewegten Fahrzeug im Begegnungsverkehr, aufgrund der dann sehr hohen Relativgeschwindigkeiten. In diesen Fällen sind auch unmittelbare Verletzungen von Fahrzeuginsassen durch einen primären Körpertreffer nach Durchschlag der Windschutzscheibe möglich.
Ein solcher Fall von Steinwürfen in den Begegnungsverkehr wird nachfolgend aus Anlass eines Strafverfahrens dargestellt.
Kasuistik
Vorgeschichte und Fallumstände
In zwei Intervallen von jeweils mehreren Monaten kam es innerhalb eines Jahres zu einer auffälligen Häufung von insgesamt etwa 40 „Steinschlägen“ an Pkw, welche sich alle innerhalb eines etwa 15 km langen Teilstückes einer deutschen Bundesstraße ereigneten.
Hierbei kam es in einer Vielzahl von Fällen zu teilweise ungewöhnlich stark ausgeprägten Beschädigungen an der Windschutzscheibe der getroffenen Pkw. In mindestens 2 Fällen wurden Windschutzscheiben durchschlagen, wobei Pkw-Insassen unmittelbar durch einen Stein oder durch Glassplitter getroffen und (leicht) verletzt wurden. Ein 51-jähriger Fahrer erlitt nach eigener Angabe Kratzer im Gesicht und an der Rückseite der linken Hand (ärztlich attestiert wurden „Schürfungen“); eine 61-jährige Fahrerin erlitt mehrere feine oberflächliche Hautläsionen auf der Rückseite der rechten Hand. Darüber hinaus schilderten mehrere Betroffene, dass in den Innenraum feine Glassplitter gelangten (auch ohne Durchschlagen des Steins durch die Scheibe); in einem Fall wurde ein Augenarzt aufgesucht (aufgrund von kratzerartigen Beschwerden am Augapfel; ein Fremdkörper im Auge wurde aber nicht festgestellt); in einem Fall erfolgte eine Vorstellung beim Arzt wegen verschluckter Glasscherben (auch in diesem Fall ohne pathologischen Befund). Schwere Verletzungen oder durch Schreckreaktionen hervorgerufene Verkehrsunfälle wurden nicht berichtet.
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Von der Polizei konnten danach teilweise am oder im Fahrzeug etwa pflaumengroße Steine (bzw. deren Fragmente) gesichert werden, mit einem Gesamtgewicht bis zu 100 g, welche eher rundlich bis länglich ausgeprägt und teils scharfkantig waren.
Kriminalpolizeilich wurde ermittelt, dass die Steine allesamt durch den Fahrer aus der Kabine eines fahrenden Lkw heraus gezielt auf Fahrzeuge im Begegnungsverkehr geworfen worden waren.
In dem relevanten Teilstück der Bundesstraße war die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h begrenzt. Die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit des Lkw, aus dessen Fahrerkabine heraus die Steine geworfen worden waren, betrug 80 km/h. Bei den getroffenen Fahrzeugen handelte es sich um Pkw mit herkömmlichen Windschutzscheiben, deren Neigungswinkel (gemessen zu Horizontalen) je nach Fahrzeughersteller und -typ zwischen 25 und 45° betrugen.
Von entscheidender Bedeutung hinsichtlich der rechtlichen Würdigung dieser Handlungen war die Frage, welche kinetische Energie und somit welches Verletzungspotenzial solche Steine im ungünstigen Fall nach Durchschlag einer Windschutzscheibe noch besitzen können.
Als Ausgangspunkt für eine biomechanisch-rechtsmedizinische Bewertung wurden neben physikalischen Betrachtungen Versuche im Realmaßstab durchgeführt.
Kinematische Betrachtung
Anhand des Steingewichtes – bei der Bewertung waren Massen der Wurfgeschosse bis zu 100 g zu berücksichtigen – und den Geschwindigkeiten beider Fahrzeuge (Lkw und Pkw) kann die kinetische Energie eines solchen Steins ohne Weiteres gemäß \(\frac{1}{2}mv{^{2}}\) berechnet werden. Sie beträgt ca. 155J (relative Steingeschwindigkeit = 200 km/h, d. h. 55,6 ms−1).
Berücksichtigt man zusätzlich eine gewisse in Fahrtrichtung liegende Wurfgeschwindigkeit des Steins und/oder ein geringfügiges Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, so ist sogar von einer kinetischen Energie des Steins vor dem Aufprall bis zu ca. 190J auszugehen (relative Steingeschwindigkeit = 220 km/h, d. h. 61,1 ms−1)1.
Regulatorische Betrachtung
Gemäß der für Kfz-Windschutzscheiben maßgeblichen und rechtsverbindlichen Regelung Nr. 43 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE, United Nations Economic Commision for Europe)2 müssen Kfz-Windschutzscheiben (= normale Verbundglasscheiben) eine mechanische Mindeststabilität von ca. 90J aufweisen, welche mittels einer sog. Kugelfallprüfung getestet wird3.
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Da die errechnete Energie mit bis zu 190 J deutlich oberhalb dieser Mindeststabilität liegt, wäre von einem Scheibendurchschlag mit u. U. erheblicher Restenergie des Steins im Fahrzeuginnenraum auszugehen. Jedoch ist unklar, welchen Bruchteil seiner kinetischen Energie ein Stein bei Durchschlag durch eine Kfz-Windschutzscheibe verliert. Dies lässt sich auch nicht ohne Weiteres aus theoretischen Überlegungen ableiten4. Zusätzlich kann ein Stein ggf. mit einer Kante oder einer Ecke voran auf der Glasfläche auftreffen, was einen kaum valide vorhersagbaren Unterschied im Bruchverhalten und damit in der Energiedifferenz hervorrufen kann. Um diese Faktoren abzuschätzen bzw. um die mögliche Restenergie nach Durchschlag der Scheibe einzugrenzen, wurden Versuche im Realmaßstab durchgeführt.
Realversuche
Versuchsaufbau
Es wurden verschiedene natürliche und den tatsächlich verwendeten Steinen hinsichtlich Geometrie und Gewicht ähnliche Steine (Abb. 1) mittels einer Schussvorrichtung pyrotechnisch beschleunigt und auf herkömmliche, jeweils in einem Pkw korrekt verbaute, neuwertige Windschutzscheiben aus einfachem Verbundglas geschossen.
Abb. 1
zeigt den für die Mehrzahl der Versuche verwendeten, natürlichen, aber für die Versuche einseitig abgeschliffenen, ca. 100 g schweren Stein. (Da der in Abb. 1 dargestellte Stein initial zu schwer war, wurde ein Teil hiervon vor Versuchsbeginn abgetrennt, um einen etwa 100 g schweren Stein zu erhalten. Hierbei ergab sich auch dessen durchaus gewünschte Form mit abgerundeten Seiten, aber auch einer Kante)
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Die Anfangsgeschwindigkeiten der Steine wurden durch eine Lichtschranke gemessen. Die Geschwindigkeiten der Steine im Fahrzeuginnenraum, soweit diese die Scheibe durchdrangen, wurden mittels Hochgeschwindigkeitskameraaufnahmen (2 Kameras des Herstellers Photron (USA, Inc., San Diego, CA, Typ SA 6), Aufnahmefrequenz 1000 Hz, Auflösung 1920 × 1080) ermittelt (Abb. 2). Durch Anheben der Hinterachse des getesteten Fahrzeuges wurden verschiedene Neigungswinkel der Windschutzscheiben realisiert.
Abb. 2
a–c Bildsequenz aus einer Hochgeschwindigkeitskameraaufnahme (Versuch #8; ermittelte Energie des Steins im Fahrzeuginnenraum: 97 J). Der Pfeil markiert die jeweilige Position des Steins. Im Bild zu sehen sind auch die im Fahrzeuginnenraum positionierte Gliederpuppe sowie die zur Beurteilung möglicher Glassplitterwirkungen verwendete ballistische Gelatine (Position unmittelbar vor der Puppe sowie auf dem Armaturenbrett). Die Zeitdifferenz zwischen zwei Bildern beträgt jeweils ca. 10 ms
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Zur Veranschaulichung wurde im Fahrzeug jeweils eine Gliederpuppe positioniert. In einem Fall wurde zusätzlich an 2 Stellen ballistische Gelatine5 in den Passagierraum eingebracht (Abb. 2), um die mögliche Wirkung der durch den Aufprall entstehenden Glassplitter qualitativ hinsichtlich der Möglichkeit der Entstehung penetrierender Wunden durch Glassplitter beurteilen zu können.
Da der Stein nach dem Verlassen der pyrotechnischen Vorrichtung erkennbar taumelte, war dessen konkretes Auftreffverhalten (flache Seite oder Kante voran) selbst unter Laborbedingungen nur in gewissen Grenzen (Auftreffgeschwindigkeit) steuerbar.
Die Steine wurden insgesamt 19-mal auf insgesamt 7 Windschutzscheiben geschossen, wovon 16 Versuche ausgewertet werden konnten (Tab. 1). Soweit vorgeschädigte (bereits beschossene) Windschutzscheiben verwendet wurden, wurden die dabei gewonnenen Ergebnisse nur orientierend in die Auswertung miteinbezogen.
Tab. 1
Versuchsergebnisse
#
Neu/Vorschaden
Winkel
[°]
Gewicht
[g]
vA
[ms-1]
EA
[J]
Durchschlag
vI
[m/s]
EI
[J]
1
Neu
27
70
48
81
–
–
–
2
Vorsch.
27
135
41
113
–
–
–
3
Vorsch.
27
134
45
136
–
–
–
4
Vorsch.
45
124
35
76
Steck.
–
–
5
Vorsch.
45
125
37
86
–
–
–
6
Neu
35
104
52
141
–
–
–
7
Vorsch.
35
104
60
187
–
–
–
8
Neu
42
105
?
?
Ja
43
97
9
Neu
42
105
60
189
Ja
20
22
10
Vorsch.
42
104
60
187
Ja
27
38
11
Neu
44
70
52
95
Ja
≈ 0
≈ 0
12
Vorsch.
44
105
57
171
Ja
16
13
13
Neu
45
104
58
175
Ja
≈ 0
≈ 0
14
Vorsch.
45
104
41
87
–
–
–
15
Neu
45
104
61
193
Ja
28
41
16
Vorsch.
45
104
53
148
–
–
–
Der Winkel bezeichnet jeweils den gegen die Horizontale gemessenen Neigungswinkel der Windschutzscheibe des beschossenen Fahrzeuges. Die Indizes A und I der Geschwindigkeiten v und der Energien E bezeichnen jeweils den gemessenen bzw. berechneten Wert vor dem Aufschlag (A) bzw. innerhalb des Fahrzeuges nach dem Durchschlag der Scheibe (I). Bei Versuch #4 blieb der Stein in der Windschutzscheibe stecken. Bei Versuch #8 löste die Lichtschranke nicht aus, weshalb die Geschwindigkeit und die Energie des Steins vor dem Aufprall auf die Windschutzscheibe unbekannt sind
Versuchsergebnisse
Bei den Versuchen kam es insgesamt 7‑mal zum Durchschlag der Windschutzscheibe. Bei einem Versuch (#4) blieb der Stein in der Windschutzscheibe stecken (Abb. 3). Die Energie der Steine, die die Windschutzscheibe durchschlugen, variierte zwischen ≈ 0J (Stein fiel nach dem Durchschlag der Windschutzscheibe nahezu senkrecht nach unten) und etwa 40J. In einem Fall (#8) wurde eine Energie nach dem Durchschlag von knapp 100J gemessen. In diesem Fall löste die Lichtschranke jedoch nicht aus, weshalb die anfängliche Geschwindigkeit des Steins unbekannt ist. Aufgrund des Versuchsaufbaus und der übrigen Messwerte wäre naheliegend, dass auch in diesem Fall die anfängliche Geschwindigkeit nicht drastisch oberhalb 61 m/s lag (höchster gemessener Wert), letztendlich ist dies jedoch unbekannt.
Abb. 3
Mit 76 J auf eine Frontscheibe geschossener, 124 g schwerer Stein, der in der Frontscheibe stecken blieb (Versuch #4). a Außen-, b Innenperspektive
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Hinsichtlich der Glassplitter war festzustellen, dass diese im betrachteten Energiebereich nahezu unabhängig von der Anfangsenergie bei jedem Versuch in sehr großer Anzahl auch im Fahrzeuginnenraum entstanden sind. Es handelte sich hierbei überwiegend um sehr kleine, teils glasstaubartige, wenig scharfkantige Splitter. Diese Glassplitter wurden von der Innenseite der Windschutzscheibe hauptsächlich orthogonal zur Scheibenfläche nach unten, in Richtung Armaturenbrett bzw. Fußraum/Sitzfläche hin beschleunigt. Es waren aber auch Splitter festzustellen, welche sekundär in den Bereich Oberkörper/Kopf des Dummys beschleunigt wurden. Diese Splitter drangen nicht in die ballistische Gelatine oder in den aus Schaumstoff bestehenden Dummy-Körper oder in Fahrzeugkomponenten ein. Sie blieben ausschließlich an der Oberfläche haften und/oder fielen zu Boden.
Steine, die die Windschutzscheibe nicht durchschlugen, prallten von dieser unter Verursachung eines entsprechenden Schadensbildes ab. Je nach verbliebener Restenergie wurden diese Steine mehrere Meter weit vom Fahrzeug weggeschleudert oder fanden sich fahrzeugnah oder sogar auf dem Fahrzeug (Bereich Übergang Windschutzscheibe/Motorhaube).
Die Versuchsergebnisse zeigen hinsichtlich des beobachteten Glasbruchverhaltens eine erhebliche Varianz, wobei sehr ähnliche Versuchsbedingungen zu teilweise abweichenden Ergebnissen führten:
Beispielsweise durchschlug ein Stein mit einer vergleichsweise geringen Energie von 95 J in einem Fall die Windschutzscheibe (Versuch #11). Dieser Stein besaß nach dem Durchschlag nahezu keine kinetische Energie mehr. Ein Stein mit einer fast doppelt so hohen Aufprallenergie von 175 J (#13) zeigte nahezu dasselbe Verhalten, obwohl man in diesem Fall eine erhebliche Restenergie im Fahrzeuginneren erwarten würde. In einem anderen Versuch durchschlug ein Stein mit einer Aufprallenergie von 189 J die Windschutzscheibe und besaß danach eine Restenergie von etwa 22 J (Versuch #9), während ein Stein mit einer praktisch gleich großen Aufprallenergie von 187 J die Scheibe durchschlug und danach eine Restenergie von etwa 38 J aufwies (Versuch #10, allerdings vorgeschädigte Scheibe). Diese Abweichungen in den Resultaten können ggf. z. T. auch auf verschiedene Auftreffgeometrien der Steine (Kante/flache Seite voran) zurückzuführen sein, oder auf geringfügige herstellungsbedingte Variationen, welche Einfluss auf das Glasbruchverhalten haben können.
Es zeigte sich, dass insbesondere bei steileren Pkw-Windschutzscheiben Steine ab einer kinetischen Energie von etwa 180 J diese durchschlugen und danach noch eine relevante Restenergie von 40 J und möglicherweise sogar von 100 J besitzen können.
Biomechanische Betrachtung – Bewertung des Verletzungsrisikos
Das sich aus der Handlung (Steinwurf auf entgegenkommende Fahrzeuge) ergebende Verletzungsrisiko resultiert einerseits direkt als Folge einer evtl. traumatischen (Stoß‑)Einwirkung des geworfenen Steins und evtl. der Scherben der gebrochenen Windschutzscheibe. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass bei einer Schreckreaktion der Person des Fahrers, evtl. in Kombination mit Beeinträchtigungen der Sicht (Glasscherben in den Augen, gebrochene Windschutzscheibe im Fahrersichtfeld), indirekt ein Verkehrsunfall entstehen kann, dessen Verletzungspotenzial stark von der Fahrgeschwindigkeit abhängig ist und aufgrund einer Vielzahl von Faktoren beträchtlich variieren kann.
Ausgehend von dem Ergebnis der Versuche, wonach ein Stein der vorgegebenen Masse/Größe nach dem Durchschlagen der Windschutzscheibe mit einer Restenergie bis zu ca. 100 J (bei einem Gewicht des Steins von 100 g ergibt sich seine Geschwindigkeit von ca. 45 ms−1) aufweisen kann, ist festzustellen, dass die Entstehung einer Schädelfraktur als möglich einzuschätzen ist.
Angesichts der großen Massendifferenz zwischen dem Stein (0,1 kg) und dem Kopf (beim Erwachsenen ca. 4,5 kg) sind grundsätzlich keine Verletzungen zu befürchten, die aus einer hohen stoßbedingten Kopfbeschleunigung resultieren könnten.
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Hinsichtlich lokaler Schädelverformung wurde im bekannten Fachschrifttum das Energieniveau berichtet, bei dem Frakturen des Schädels auftreten können. Zu Brüchen der Kalotte kam es demnach bei Energien im Bereich von ca. 14–43 J bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 7–8 ms−1 unter Verwendung eines kugelförmigen Stoßkörpers [6]. In einer anderen Studie wurden Frakturen der Kalotte (Schläfen-Scheitel-Bereich und Stirn) bei kinetischen Energien von ca. 16–56 J berichtet [7], in diesem Fall bei Geschwindigkeiten von ca. 5–6 ms−1. Am aussagekräftigsten – weil hinsichtlich der Masse des bei den Messungen verwendeten Wurfgeschosses praktisch identisch – sind im Hinblick auf die Einschätzung der Verletzungsgefahr die Ergebnisse einer weiteren biomechanischen Studie [8], bei der ein Kopfbeschuss (Schläfenbereich) mit einem festen, 0,103 kg schweren Objekt (4,8 cm im Durchmesser haltend) untersucht wurde. Hierbei wurde bereits bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 19,5 ms−1 (ca. 70 km/h; kinetische Energie ca. 20 J) eine Impressionsfraktur festgestellt. Bei Aufprallgeschwindigkeiten im Bereich von 30–35 ms−1 (ca. 70–126 km/h; kinetische Energie ca. 50–64 J) wurden in 5 von 7 Fällen imprimierte Trümmerbrüche beobachtet.
Biomechanische Studien, die sich mit der Belastbarkeit des menschlichen Schädels in Stoßsituationen in Abhängigkeit von der maximal einwirkenden Stoßkraft beschäftigt haben, erbrachten teilweise divergente Ergebnisse. Nahum et al. [9] schlugen für „klinisch signifikante Frakturen“, bei einem Stoßkörper mit einer Kontaktfläche von 645 mm2 (ca. 2,5 × 2,5 cm) und einer 5 mm dicken Polsterung, Toleranzgrenzen von ca. 4,9 kN für die Stirnregion, 2,5 kN für die Scheitel-Schläfen-Region und 1,0 kN für die Jochbeinregion vor, wobei die minimalen Toleranzgrenzen noch geringer waren. In der nachfolgenden Studie berichteten Schneider und Nahum [7], unter Verwendung eines gleich großen Stoßkörpers und einer 2,5 mm dicken Polsterung, Bruchkräfte ab ca. 1,9 kN für den Unterkiefer (in der a.-p.-Richtung), ab ca. 0,6 kN für den Oberkiefer, ab ca. 2,1 kN für die Scheitel-Schläfenregion, ab ca. 4,1 kN für die Stirnregion und ab ca. 1,0 kN für die Jochbeinregion. Allsop et al. [10] berichteten bei Verwendung eines größeren Stoßkörpers (5 cm2) eine durchschnittliche Bruchkraft in der Scheitel-Schläfen-Region von ca. 5 kN. Eine weitere Studie zur Festigkeit von Schädelknochen bei Stoßereignissen [6] erbrachte Bruchkräfte (für den Vertex, die Schläfen‑, Stirn- und Hinterkopfregion) im Bereich von 8,8–14 kN. Anzumerken ist, dass die Labormessungen eine große interindividuelle Variabilität zeigten und entsprechend auch wesentlich (mehrfach) größere Stoßkräfte nicht immer zu Frakturen führten.
Wendet man den Impulserhaltungssatz an, kann die beim Aufprall des Steins auftretende maximale Kraft mit etwa 3,7 kN eingegrenzt werden (Annahmen: zentraler Stoß, Stoßdauer 3 ms, Masse Stein 100 g, Masse Kopf 4,5 kg, Aufprallgeschwindigkeit 45 ms−1, Restitutionskoeffizient 0,24). Auch diese Betrachtung bestätigt die Möglichkeit der Entstehung einer Schädelfraktur, evtl. nicht nur im Gesichtsbereich, und entsprechender möglicher Begleitverletzungen (intrakranielle Einblutung usw.) mit bis zu lebensbedrohlichem Charakter.
Eine Verwendung der Energiedichte als Referenz für die Bewertung des Verletzungsrisikos erscheint nicht realisierbar, da die konkrete Kontaktfläche eines nicht geometrisch regelmäßig konfigurierten Steins je nach Auftreffkonstellation des Steins variieren kann und bei den Versuchen nicht festgestellt wurde.
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Würde man eine nicht durch die Windschutzscheibe reduzierte Geschwindigkeit des Wurfgeschosses betrachten, entsprechend etwa einer Situation mit Einwirkung des geworfenen Steines auf den Insassen eines Cabrios, steigt die Verletzungsgefahr naturgemäß signifikant weiter. Eine kinematische Betrachtung zeigt, dass hierbei zwar der Fahrer typischerweise nicht gefährdet sein sollte (da sich sein Kopf kurz hinter der Oberkante der Windschutzscheibe befindet), für evtl. hinten sitzende Insassen könnte es jedoch zum Aufprall des geworfenen Steins im Kopfbereich kommen. Betrachtet man eine Relativgeschwindigkeit von ca. 200 km/h (55 ms−1) und eine absteigende Komponente der Bewegungsgeschwindigkeit des Steins von 4,4 ms−1 (entsprechend einem freien Fall des Steins aus 1 m bzw. einer Bewegungsbahn des Steins mit einem Scheitelpunkt 1 m über dem Cabrio), kann der Stein auf einer Strecke von 1 m (in etwa der Abstand des Kopfes eines hinteren Insassen von der Windschutzscheibenoberkante) um ca. 8 cm absteigen und den Kopf hinten sitzender Insassen treffen. Erhöht sich die Fallgeschwindigkeit des Steins auf 6,3 ms−1 bzw. 7,7 ms−1 (entsprechend einem freien Fall des Steins aus 2 m bzw. 3 m, ergo beispielsweise einer Bewegungsbahn des Steins mit einem Scheitelpunkt 2 m bzw. 3 m über dem Cabrio), kann sich der fallende Stein 1 m hinter der Windschutzscheibe bereits 11 cm bzw. 14 cm tiefer als ihre Oberkante befinden.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass im Falle eines Treffers des Steins in die Augenregion schwere Verletzungen bis zu einem Visusverlust auf der betroffenen Seite realisiert werden könnten. Experimentelle Messungen zeigten, dass eine relativ geringe Kraft von ca. 0,2 kN von vorne direkt auf das Auge zu einer Deformation von ca. 1 cm führen kann [11], wobei bei dieser Eindringtiefe die ersten Rupturen des Augapfels beobachtet werden konnten. In einer anderen Studie [12] wurde experimentell ermittelt, dass ein Aufprall eines 147 g schweren Baseballs ab Aufprallgeschwindigkeiten über ca. 30 ms−1 zu Rupturen des Augapfels führt. In diesem Fall befinden sich die Masse und Geschwindigkeit des impaktierenden Körpers in derselben Größenordnung, aber die Form eines Steins (mögliche Ecken, Kanten) ist evtl. ungünstiger als die eines (runden) Baseballs.
Diskussion
Im Rahmen der Ermittlungen wurden über 50 Verdachtsfälle polizeilich aufgenommen, bei denen letztlich ein willkürlicher Steinwurf in den Gegenverkehr aus einem fahrenden Lkw als Ursache eines gemeldeten Fahrzeugschadens angenommen wurde. In keiner der bekannt gewordenen Steinschlagsituationen kam es aufgrund einer Schreckreaktion der Lenkerperson, einer Sichtbehinderung o. Ä. sekundär zu einem Unfall, auch wenn manche der Unfallbeteiligten nach eigener Angabe massiv erschraken und in der Folgezeit psychisch belastet waren (Angst vor oder beim Autofahren, bei vermutetem Steinwurf von einer Brücke insbesondere beim Durchfahren von Brücken usw.). Vor diesem Hintergrund erscheint eine sekundäre Gefährdung der Insassen bzw. aller Verkehrsteilnehmer primär eher gering. Die exakte Fallzahl – und insbesondere auch die Gesamtzahl der erfolgten Würfe, da anzunehmen ist, dass bei Weitem nicht jeder Wurf zum Treffer eines entgegenkommenden Fahrzeugs führte – ist und bleibt unbekannt.
Eine ähnliche Sachlage betrifft die primären Verletzungsfolgen – in den bekannten Fällen sind schwere Verletzungen durch den Stein oder durch Fragmente der Windschutzscheibe ausgeblieben, dokumentiert wurden lediglich oberflächliche Hautläsionen durch Glasscherben an den Händen und in einem Fall angeblich im Gesicht.
Die durchgeführten Laboruntersuchungen mit Steinbeschuss von Windschutzscheiben zeigten aber, dass ein Durchschlagen einer Pkw-Scheibe mit Steinen der dokumentierten Größe/Masse durchaus möglich ist und der Stein danach noch eine Restenergie, die bis zu Schädelfrakturen und entsprechenden intrakraniellen (bei ungünstigem Verlauf lebensbedrohlichen) Verletzungen führen kann, besitzen kann. Zwar war die Anzahl der durchgeführten Versuche begrenzt, diese stützen aber die Annahme, dass besonders steile Scheiben (mit eher lotrechtem Aufprall des Steins) durchschlagen werden können. Eine belastbare statistische Angabe ermöglichen unsere Daten diesbezüglich nicht.
Naturgemäß konnte experimentell allenfalls kursorisch das mögliche Spektrum der Folgen für die Insassen eingegrenzt werden – so legten die Versuche mit Verwendung einer ballistischen Gelatine die Entstehung von Verletzungen der Haut durch Glassplitter nicht nahe, solche sind aber ausweislich der polizeilichen Dokumentation berichtet worden.
Zusammenfassend war die geschilderte Behandlung als geeignet anzusehen, bei ungünstigem Verlauf schwere und sogar lebensbedrohliche Verletzungen der Fahrzeuginsassen zu verursachen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
G. Münnich, M. Graw und J. Adamec geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Sicherheitsverglasungswerkstoffe und ihres Einbaus in Fahrzeuge, Amtsblatt der Europäischen Union, L 230/119, 2010.
Hierbei wird eine 2,26 kg schwere, gehärtete Stahlkugel mit einem Durchmesser von 8,2 cm aus einer Höhe von 4 m auf die zu testende Scheibe herabfallen gelassen. Die Prüfung gilt dann als bestanden, wenn die Kugel die Scheibe innerhalb von 5 s nach dem Aufschlag nicht durchdringt.
In der zitierten Regelung wird ein mit 32 km/h vergleichsweise langsamer, dafür aber mit 2,26 kg relativ schwerer Prüfkörper verwendet. Im gegenständlichen Fall waren die Steine dagegen mit bis zu 0,1 kg relativ leicht, dafür mit 200 km/h oder sogar 220 km/h aber sehr schnell. Hinsichtlich des möglichen Durchdringungsvermögens und der ggf. verbleibenden Restenergie kann dies durchaus einen ex ante nicht valide abschätzbaren Unterschied bedeuten. Im Weiteren spielt bei Fragen der Durchdringungsfähigkeit eines Geschosses neben der Energie auch die Querschnittsbelastung (Masse/Querschnittsfläche) eine große Rolle. Die Querschnittsbelastungen durch Prüfkugel und Stein können sich (auch je nach verwendetem Stein) deutlich unterscheiden.
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