Die Originalversion dieses Beitrags wurde korrigiert. Die Legende des ersten Videos wurde von „Aufzeichnung des Nystagmus in horizontole und vertikalen Blickrichtung des rechten Auges“ zu „Aufzeichnung des Nystagmus in horizontale und vertikale Blickrichtung des rechten Auges“ korrigiert. Die Legende des zweiten Videos wurde von „Videoaufzeichnung des Nystagmus in horizontole und vertikalen Blickrichtung des rechten Auges“ zu „Videoaufzeichnung des Nystagmus in horizontale und vertikale Blickrichtung des linken Auges“ korrigiert.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Anamnese und Vorgeschichte
Eine 21-jährige Patientin stellte sich zur postoperativen Kontrolle 5 Monate nach ihrer zweiten Augenmuskeloperation vor. Die erste Operation erfolgte am linken Auge aufgrund eines Strabismus sursoadductorius (M. obliquus inferior Rücklagerung 5,0 mm). Um einen störenden divergenten Restschielwinkel zu korrigieren, wurde ein Jahr später eine zweite Augenmuskeloperation am linken Auge durchgeführt (M. rectus medialis Resektion 6,0 mm).
Nach dieser zweiten Operation berichtete die Patientin, dass sich der Befund verändert habe. Sie konnte allerdings nicht angeben, ob zum Besseren oder Schlechteren. Des Weiteren gab die Patientin an, dass die bereits ursprünglich bestehende Kopfzwangshaltung (Rechtsdrehung) weiterhin eingenommen werde und nach wie vor Probleme beim Fokussieren bestünden. Im Spiegel beobachtete die Patientin das Wegwandern des rechten Auges. Zudem bestünde subjektiv das Gefühl, hauptsächlich mit dem linken Auge zu sehen. Doppelbilder wurden nicht angegeben, jedoch eine verschwommene Sicht in Primärposition. Außerdem berichtete sie über neu aufgetretene Kopfschmerzen seit dieser zweiten Augenmuskeloperation.
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Ophthalmologischer und orthoptischer Befund
Die Schielwinkelmessung zeigte ein deutliches Rezidiv des divergenten Schielwinkels mit stärkerer Ausprägung in der Nähe im Vergleich zur Ferne. Zusätzlich war eine milde positive Vertikaldeviation messbar, welche sich durch einen bereits bekannten leichten Übereffekt der ersten Augenmuskeloperation im Sinne einer M.-obliquus-inferior-Unterfunktion erklärte. Zudem fiel in der Untersuchung neben dem bekannten Endstellnystagmus erstmals ein teils dissoziierter Rucknystagmus rechts mit schneller Phase nach links und einer rotatorischen Komponente auf. Die Patientin gab keine Oszillopsien an.
In der Visusprüfung konnten ein Fernvisus von R/L 1,0 (Landolt-Ringe, Einzeloptotypen) und ein Nahvisus von R 0,8 und L 1,0 mit dem C‑Test (Reihenoptotypen 2,6′) erhoben werden.
Die ophthalmologische Untersuchung ergab beidseits einen regelrechten vorderen Augenabschnitt, vitale, randscharfe, physiologisch exkavierte Papillen ohne Stauungszeichen, juvenile Reflexe der Makula, regelrechte Gefäßzeichnung und anliegende Netzhaut. Es konnte kein relatives afferentes Pupillendefizit nachgewiesen werden.
Beurteilung
Zunächst bestand die Vermutung, dass die Beschwerden durch das Rezidiv des divergenten Schielwinkels bedingt seien, sodass eine erneute Augenmuskeloperation angeboten wurde. Aufgrund des neu aufgetretenen Nystagmus wurde allerdings präoperativ ein cMRT mit Dünnschichtung und Kontrastmittel mit besonderer Beurteilung des Mittelhirnverlaufs empfohlen.
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Verlauf
Die cMRT-Untersuchung ergab eine intraaxiale Raumforderung der Vierhügelplatte des Mittelhirns mit Kompression des Aquaeductus mesencephali und konsekutivem Hydrocephalus occlusus (Abb. 1 und 2). Die Augenmuskeloperation wurde abgesagt und eine umgehende neurochirurgische Versorgung initiiert. Bis zur operativen Versorgung wurden ophthalmologische Kontrollen in unserem Zentrum durchgeführt, wobei sich der Nystagmus im Verlauf unterschiedlich präsentierte (Video 1 und 2).
Abb. 1
Signifikante Erweiterung der Seitenventrikel sowie des dritten Ventrikels im Sinne eines Hydrocephalus occlusus (Koronarschnitt, T2-Wichtung)
Abb. 2
Hypointense Raumforderung ausgehend von der Vierhügelplatte mit Kompression des Aquaeductus mesencephali und Ausdehnung nach supratentoriell sowie konsekutiver Erweiterung der superior gelegenen inneren Liquorräume im Bereich des dritten Ventrikels und der Seitenventrikel (Sagittalschnitt, T1-Wichtung)
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Die neurochirurgische Therapie umfasste zunächst die Ventrikulozisternostomie zur Reduktion des Liquoraufstaus sowie eine stereotaktische Probeentnahme an der Vierhügelplatte. Die neuropathologische Untersuchung ergab einen niedriggradigen glioneuronalen Tumor (ZNS WHO Grad 1). Bei Progredienz des Hydrozephalus und aus neurochirurgischer Sicht inoperablem Tumor erfolgte eine definitive Versorgung mittels eines ventrikuloperitonealen Shuntsystems.
Diskussion
Auch bei vermeintlich harmlosen Schielformen ohne andere ophthalmologische Warnzeichen kann eine hirnorganische Ursache vorliegen. Daher sind geringfügige Warnsignale und Unstimmigkeiten wie in unserem Fall der neu aufgetretene, teilweise dissoziierte Rucknystagmus rechts zu beachten. Uneingeschränkt gilt die Grundregel, dass jeder neu aufgetretene Nystagmus neurologisch abgeklärt werden sollte.
Die funduskopische Untersuchung in diesem Fall ergab keine Auffälligkeiten. In einer Studie zu neurologischen Symptomen beim Hydrocephalus occlusus bei Obstruktion im Bereich des Aquädukts wies nur einer der zehn untersuchten Patienten eine Papillenschwellung auf [7]. Interessanterweise war dieser Patient der einzige mit akuten Symptomen, während bei den Übrigen Symptome bereits seit mindestens 3 Monaten bestanden [7]. Bei Kindern mit Hirndruck unter dem 15. Lebensjahr wurde bei 41 % (n = 46) kein Papillenödem beobachtet [5]. In einer weiteren Studie mit Kindern bis zum 18. Lebensjahr konnte lediglich bei 20 % eine Papillenschwellung trotz erhöhten intrakraniellen Drucks festgestellt werden [4]. Das Auftreten eines Papillenödems war mit höherem Kindesalter sowie stärkeren intrakraniellen Druckanstiegen assoziiert [4, 5].
Der N. opticus und die drei okulomotorischen Hirnnerven sowie alle Abschnitte der Sehbahn stehen in enger Beziehung zum Liquorsystem. Daher sind mannigfaltige Symptome im Zusammenhang mit einem intrakraniellen Druckanstieg wie das Auftreten von Hirnnervenparesen [2], supranukleäre Störungen (beispielsweise eine Konvergenzinsuffizienz) oder ein Nystagmus [6] wie im vorliegenden Fall denkbar.
Gleichzeitig kann eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks sowohl mit inkomitanten Schielwinkeln, charakteristisch für Hirnnervenparesen [2], als auch mit konkomitanten Schielformen einhergehen [1]. Durch langsam wachsende Gehirntumore bedingte gering ausgeprägte Hirnnervenparesen können anfänglich durch Fusion überwunden werden (latente Parese). Auch entsprechende Motilitätsdefizite können erst im Verlauf entstehen. So kann eine langsam beginnende Trochlearisparese einen Strabismus sursoadductorius imitieren und ist auch in diesem Fall differenzialdiagnostisch in Betracht zu ziehen [3].
Bei unklaren Befunden ist es daher empfehlenswert, im Verlauf die Winkelmessung (z. B. Harmswand, Winkel in 5 bzw. 9 Blickpositionen) und die Motilitätsprüfung zu wiederholen. Außerdem kann eine Untersuchung der Sakkaden hilfreich sein, da diese im Falle eines paretischen Augenmuskels in dessen Zugrichtung verlangsamt ist [3].
Zusammenfassend zeigt dieser Fall eindrucksvoll, dass ophthalmologische und orthoptische Symptome typische Warnzeichen von intrakraniellem Druckanstieg und kranialen Tumoren sein können. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Ophthalmologie und Neurochirurgie ist sowohl in der Diagnostik als auch in der Weiterbetreuung von Patienten mit Hirntumoren wichtig.
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Fazit für die Praxis
Eine gründliche Untersuchung auch bereits bekannter Patienten kann helfen, schwerwiegende Pathologien zu diagnostizieren. Dabei erfordert jeder neu aufgetretene Nystagmus eine neurologische und bildmorphologische Abklärung. Auch bei fehlender Papillenschwellung darf eine intrakranielle Druckerhöhung nicht ausgeschlossen werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
E. Butenko erhielt Forschungsförderung von der Neuro-Ophthalmologischen Gesellschaft e. V. E. Butenko und H. Faber erhielten zudem Forschungsförderung von der Danger Stiftung für Kinderophthalmologie. H. Faber erhielt Forschungsforderung des Carl og Esther Christiansens Fond und ist stellvertretende Sprecherin der DOG-AG Ethik in der Augenheilkunde. H. Thönneßen und F. Schüttauf geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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