Wie refraktärer Schilddrüsenkrebs wieder empfindlich wird

Die Mehrheit der differenzierten Schilddrüsenkarzinome spricht im Lauf der Zeit nicht mehr auf die Behandlung mit Radioiod an. Welche Mittel es dagegen künftig geben könnte, war eines der Themen beim Jahreskongress 2023 des Tumorzentrums München (TZM). Rund 80 Jahre ist die Radioiod-Therapie inzwischen alt, und nach wie vor ist sie eine der Stützen in der Behandlung differenzierter Schilddrüsenkarzinome. Die molekulare Basis dafür stellt der Natrium-Iodid-Symporter (NIS) dar. Er ist für die aktive Aufnahme von Iodid zur Hormonsynthese aus der Blutbahn in die Schilddrüse zuständig. Auch die Einschleusung von Radioiodid läuft über den NIS, was einerseits für die Diagnostik und andererseits für die Therapie von differenzierten Schilddrüsenkarzinomen genutzt wird. Bei etwa zwei Drittel der Patientinnen und Patienten mit Metastasen eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms (DTC) wird die Tumorerkrankung im Verlauf Radioiod-refraktär. Auf molekularer Ebene steht dabei wieder der NIS im Zentrum, weil er nicht mehr exprimiert wird oder auf defekte Weise in der Membran verankert ist. Dadurch verlieren die Zellen von DTC-Metastasen die Fähigkeit, Radioiod zu speichern. Andere Zellen haben diese Fähigkeit nie besessen, oder aber sie speichern Radioiod, ohne dass dies einen therapeutischen Nutzen für die Patientinnen und Patienten zeitigt. In ihrem Vortrag auf dem TZM-Kongress hat Prof. Christine Spitzweg vom Klinikum Großhadern der Universität München auf therapeutische Ansätze hingewiesen, die eine Re-Differenzierung Radioiod-refraktärer Schilddrüsenkarzinome ermöglichen. Ziel dabei ist es, die NIS-Expression von Tumorzellen wieder zu induzieren und sie der nuklearmedizinischen Therapie mit dem radioaktiven Agens erneut zugänglich zu machen. Der Schlüssel dafür liegt im MAP-Kinase-Signaltransduktionsweg, dessen aberrante Aktivierung den Verlust der NIS-vermittelten Speicherfähigkeit für Radioiod verursacht. Dabei stehen beim papillären Schilddrüsenkarzinom häufig Treibermutationen von BRAF-V600E und beim follikulären Karzinom Mutationen im RAS-Gen im Zentrum. MEK-Inhibitoren als Chance Inhibitoren von MEK 1/2, einer am MAP-Kinase-Signalweg beteiligten Kinase, könnten daher die Chance bieten, die Aufnahme von Radioiodid in DTC-Metastasen wieder zu erhöhen, und tatsächlich ist das in einer kleinen Pilotstudie mit Selumetinib auch bei zwölf von 20 Patienten gelungen. Spitzweg verwies zudem auf Daten der französischen Phase-II-Studie MERAIODE (Leboulleux S et al. J Endocr Soc 2021;5(Suppl 1):A876). Im Zuge dieser Studie hatten 24 Patientinnen und Patienten mit Radioiod-refraktärem, BRAF-V600E-mutiertem papillärem Schilddrüsenkarzinom und einem gemäß RECIST dokumentierten Fortschreiten des Tumors sechs Wochen lang den BRAF-Inhibitor Dabrafenib und den MEK-1/2-Hemmer Trametinib erhalten. Zeigte zu Beginn nur ein Patient eine Radioiod-Aufnahme in Metastasen, waren es vier Wochen nach Therapiebeginn elf und nach Applikation von 5,5 GBq Iod-131 an Tag 35 sogar 20 Patienten, deren Metastasen Iod speicherten. Nach sechs Monaten zeigten 38% der Patienten eine partielle Remission. Bei 52% blieb der Tumor stabil, bei 10% war das Karzinom fortgeschritten. In einer anderen, im vergangenen Jahr auf dem Treffen der American Society of Clinical Oncology vorgestellten Studie ist es gelungen, die Radioiod-Aufnahme bei 22 von 25 Patienten mit RAS-mutiertem differenziertem Schilddrüsenkarzinom durch die alleinige Gabe von Trametinib zu stimulieren (Burman B et al. J Clin Oncol 2022;40(16 Suppl):6089). Sechs Monate nach Radioiod-Therapie befanden sich 57% der Patienten in partieller Remission, 21% hatten eine stabile und 21% eine progrediente Tumorerkrankung. Von vier Patienten mit RAS-Wildtyp und BRAF-Alterationen (ohne BRAF-V600E-Mutation) sprachen drei auf eine Radioiod-Therapie an: Es gab eine Komplettremission und zwei Stabilisierungen. Einer von vier Patienten mit RET-Rearrangements zeigte nach einem halben Jahr einen stabilen Tumor. Laut der Ausführungen von Prof. Spitzweg besteht der Vorteil der genannten Ansätze zur Re-Differenzierung darin, dass die selektiven Inhibitoren nur vier bis sechs Wochen lang gegeben werden, anschließend folgt mit der Radioiod-Therapie eine zugelassene, bewährte und alles in allem nebenwirkungsarme Behandlung. Im Gegensatz dazu ist die Re-Differenzierungstherapie bisher nämlich nicht zugelassen. Zudem fehlen große prospektive Studien mit ausreichend langer Nachbeobachtung und klar definierten Endpunkten, um ihren Stellenwert endgültig beurteilen zu können.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Wie refraktärer Schilddrüsenkrebs wieder empfindlich wird

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet Onkologie

Stereotaktische Radiatio schlägt konventionelle Bestrahlung

Adjuvante Brustkrebstherapie: Doppelt hält besser

HNO-Op. auch mit über 90?

Manche Gestagene können das Risiko für Meningeome erhöhen

Update Onkologie