Hohe Absetzrate auch unter Depotneuroleptika

Eine europaweite randomisierte Studie hat keine Vorteil von Depotneuroleptika über eine orale Medikation ergeben: Rund zwei Drittel in beiden Gruppen hatten die Therapie nach knapp zwei Jahren abgebrochen. Am Design der Studie gibt es allerdings auch Kritik. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Depotneuroleptika hatten in klinischen Studien immer wieder deutliche Vorteile gegenüber oralen Formulierungen gezeigt: Rezidiv-, Hospitalisierungs- und Sterberaten waren in der Regel geringer als unter einer Tablettenbehandlung mit den gleichen Wirkstoffen. Dies wird auf die geringe Adhärenz unter eine oralen Therapie zurückgeführt. Bei Depotformulierungen merken Psychiaterinnen und Psychiater hingegen sofort, wenn es Probleme mit der Adhärenz gibt, spätestens wenn die Betroffenen nicht zum Termin für die nächste Injektion erscheinen. Ganz so eindeutig sind die Vorteile jedoch nicht, berichtet ein Team um Dr. Inge Winter-van Rossum von der Universität in Utrecht in den Niederlanden. So hätten Studien für Depotpräparate zwar eine längere Zeit bis zum nächsten Rezidiv oder Klinikaufenthalt dokumentiert, über längere Zeiträume habe es aber oft keine Unterschiede bei den jeweiligen Raten gegeben. Zudem ergebe sich ein Nutzen der Depotformulierungen vor allem in klinischen Studien mit recht motivierten Teilnehmenden und weniger unter Praxisbedingungen. Anhand der Studie EULAST (European Long-acting Antipsychotics in Schizophrenia Trial) haben die Ärztinnen und Ärzte um Winter-van Rossum nun versucht, den Nutzen von Depotformulierungen unter möglichst praxisnahen Bedingungen in einer randomisieren Studie zu prüfen. Dabei konnten sie über 19 Monate hinweg keine größeren Unterschiede bei den Abbruchraten von Schizophreniekranken mit Depotneuroleptika und oralen Präparaten erkennen. Häufiger Abbrüche aus anderen Gründen An der Studie nahmen 50 Kliniken aus 15 europäischen Ländern und Israel teil – in Deutschland beteiligten sich Psychiatrien aus Düsseldorf, München und Halle. In die Studie aufgenommen wurden 511 Personen mit einer Schizophreniediagnose, die seit mindestens sechs Monaten, aber höchstens sieben Jahren bestand – im Median waren die Teilnehmenden seit zweieinhalb Jahren erkrankt. Ein weiteres Kriterium war, dass Ärztinnen und Ärzte bei den Erkrankten einen Therapiewechsel erwogen. Die Schizophreniekranken wurden in vier gleich große Gruppen nach dem Zufallsprinzip aufgeteilt: Die eine Hälfte wechselte von der bisherigen Medikation auf Paliperidon, die andere auf Aripiprazol, wiederum jeweils die Hälfte bekam den Wirkstoff oral und als Depot. Bei der Aufteilung wurde die Krankheitsdauer berücksichtigt, eine Verblindung fand nicht statt. Primärer Endpunkt war die Abbruchrate aus jeglichen Gründen. Die Studienautoren entschieden sich für diesen Parameter, da er sowohl Unwirksamkeit als auch Unverträglichkeit erfasst. Als Abbruch wurde zudem die Augmentation mit einem weiteren Antipsychotikum, der Wechsel auf ein anderes Antipsychotikum oder das Nichterscheinen zu den regelmäßigen Untersuchungen gewertet. Im Schnitt lag das Alter der Teilnehmenden bei 31 Jahren, rund zwei Drittel waren Männer. Im Laufe von 19 Studienmonaten erfüllten 71% mit oraler Medikation die Abbruchkriterien, 64% waren es mit Depotneuroleptika, der Unterschied erwies sich als statistisch nicht signifikant. Auch bei der Zeit bis zum Abbruch gab es keine belastbaren Unterschiede. Differenziert nach Abbrüchen aufgrund von Unwirksamkeit oder Nebenwirkungen waren selbst die numerischen Differenzen gering, allerdings gab es solche Begründungen recht selten: Nebenwirkungen wurden nur bei 12%, Unwirksamkeit bei etwa 15% aufgeführt. Viel häufiger waren Abbrüche aus anderen Gründen wie Nichterscheinen oder Therapiewechsel, und solche Gründe wurden von 49% in der Gruppe mit oraler Medikation, aber nur von 34% mit Depotmedikation angeführt – eine signifikante Differenz. Sinkende Serumspiegel unter oraler Medikation Die Dauer der Erkrankung erwies sich hingegen als wenig relevant: Generell war die Abbruchrate unter länger Erkrankten höher, allerdings betraf das sowohl solche mit oraler Medikation als auch solche mit Depotformulierungen. Unter den weniger lange Erkrankten (unter drei Jahren) gab es bei der Abbruchrate ebenfalls keine belastbaren Unterschiede in Abhängigkeit von der Formulierung. In allen Gruppen gingen die psychotischen Symptome gleichermaßen zurück – um etwa 20 Punkte im PANS-Score. Auch Nebenwirkungen wie erhöhte Prolaktin- und Lipidspiegel oder motorische Störungen hingen nicht an der Formulierung, und psychiatrische Klinikaufnahmen waren in allen Gruppen ähnlich häufig nötig. Letztlich, so Winter-van Rossum und Mitarbeitende, habe ihre Studie keine Vorteile von Depotneuroleptika im Vergleich zur oralen Medikation ergeben. Empfehlung der Redaktion Schizophrenie oder schizotypische und wahnhafte Störungen – Themenseite Zu den häufigsten Diagnosen, vor allem im stationären Bereich der Psychiatrie, gehört die Schizophrenie. Aber auch die schizotype Störung, anhaltende wahnhafte und akut vorübergehende psychotische Störungen zählen zu dieser Gruppe von Erkrankungen. Auf der Themenseite finden vielfältige Beiträge zum Thema. In einem Editorial zu der Publikation weist Professorin Martina Hahn von der Psychiatrie der Universität Frankfurt am Main auf einen wesentlichen Unterschied zu anderen Vergleichsstudien hin: So würden die Teilnehmenden in der Regel zunächst auf eine bestimmte Medikation stabilisiert und erst, wenn dies gelinge, auf Tabletten und Depotinjektionen mit eben diesem Wirkstoff randomisiert. Bei einem Wechsel auf ein anderes Medikament seien jedoch unabhängig von der Formulierung Abbrüche aufgrund von Unwirksamkeit oder Nebenwirkungen zu erwarten. Dies könne auch die ungewöhnlich hohen Abbruchraten in EULAST erklären und die Unterschiede verwässern. Zudem deute eine sinkende Serumkonzentration der Antipsychotika in den Gruppen mit oraler Medikation auf eine Noncompliance, die jedoch nicht als Abbruch erfasst wurde. Schließlich werde gerade bei nicht sedierenden Neuroleptika wie Paliperidon und Aripiprazol abends häufig ein sedierendes Antipsychotikum hinzugenommen, um agitierte Personen und solche mit Schlafproblemen zu beruhigen. Dies wiederum sei in der Studie teilweise als Abbruch gewertet worden. Da es auch in EULAST keine Nachteile für Depotformulierungen bei der Sicherheit gab, plädiert Hahn dafür, solche Medikamente weiter als Goldstandard in der Schizophrenietherapie zu betrachten. Das Wichtigste in Kürze Frage: Kommt es mit Depotneuroleptika seltener zu Therapieabbrüchen als unter einer oralen Medikation? Antwort: In eine randomisierten Studie mit 511 Schizophreniekranken waren Therapieabbrüche unter Depotpräparaten und oralen Arzneien ähnlich häufig. Bedeutung: Depotneuroleptika bieten möglicherweise weniger Vorteile als gedacht. Einschränkung: Methodische Besonderheiten erschweren die Interpretation.

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Hohe Absetzrate auch unter Depotneuroleptika

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