Eignet sich die Zahl der Zwangsmaßnahmen als Qualitätsindikator?

Die DGPPN hat empfohlen, die Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen als Qualitätsindikator im Bereich Schizophrenie zu etablieren [1]. Keine gute Idee, wie sich jetzt anhand aktueller Daten aus Baden-Württemberg herausstellt. „Wir haben lange eine bescheidene Datenlage gehabt“, erläuterte Prof. Dr. Georg Juckel von der Ruhr-Universität Bochum. Erst durch die systematische Erfassung von Daten in verschiedenen Regionen zeichnet sich zwischenzeitlich ein klareres Bild von der Situation in Deutschland ab. In Baden-Württemberg werden seit dem Jahr 2000 alle Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Krankenhäusern nach Art und Dauer erfasst, seien es Unterbringung, Fixierung, Isolierung, Festhalten, Notfallmedikation oder Zwangsmedikation. Die Eignung als Qualitätsindikator stellen die Daten nun infrage, wie Prof. Dr. Tilman Steinert, Leiter des Registers aus Ulm, erklärte. Definiert wurde der „Qualitätsindikator 2 Zwangsmaßnahmen“ in der Stellungnahme der DGPPN mit allen Personen des Nenners, bei denen im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen eine Zwangsmaßnahme (Fixierung, Isolierung, Festhalten, Zwangsmedikation) durchgeführt wurde. Zwangsmaßnahmen bei fast 7% Im Jahr 2016 wurden in Baden-Württemberg in 32 Krankenhäusern, die auch Zwangsmaßnahmen anwenden dürfen, 108.863 Fälle dokumentiert. Der Maßregelvollzug ist hier nicht enthalten. 10,7% der Behandlungen waren unfreiwillig, 6,8% der Fälle von Zwangsmaßnahmen betroffen. „Es gibt einen leichten Rückgang gegenüber vor zehn Jahren, da lag die Rate der Zwangsmaßnahmen noch bei 8,5%“, berichtete Steinert. Die kumulative Dauer pro betroffenem Fall lag bei 45,9 Stunden, das sei schon erheblich, betonte er. Der Anteil der Zwangsmaßnahmen an der Aufenthaltsdauer betrug 0,5%. Große Unterschiede – auch in den Bedingungen Allerdings schwankte dieser Anteil zwischen 0,3% und 17,5%. Noch extremere Unterschiede fanden sich bei den F2-Diagnosen. Hier reichte die Rate der Zwangsmaßnahmen von 0,0 bis 21,9%. Lässt das auf gravierende Qualitätsunterschiede schließen? Wohl nicht, wie Steinert klar stellte. So war der Anteil unfreiwilliger Aufenthalte unterschiedlich, was einen Teil der Varianz erklären könnte. Der Quotient aus Fällen mit Zwangsmaßnahmen zu Fällen mit unfreiwilligem Aufenthalt zeigte allerdings weiterhin eine große Varianz von Werten von 0,2 bis zu 2,1. Dahinter können aber unterschiedliche Patientenkollektive stecken. So wies eine mittelgroße Klinik mit einer überregional aufnehmenden Spezialstation für Neuropsychiatrie und einer überproportionalen Zahl von Patienten mit hirnorganischen Störungen auch überdurchschnittlich häufig die Anwendung von Zwangsmaßnahmen auf. Prof. Steinert geht anhand seiner Auswertungen davon aus, dass die große Varianz der Rate der Zwangsmaßnahmen nur zu einem Teil durch Qualitätsunterschiede in der Versorgung zustande kommt. Andere Teile der Varianz erklären sich durch unterschiedliche Patientenmerkmale in verschiedenen Zentren, durch Merkmale in der Versorgungsregion, zum Beispiel wie gut der gemeindepsychiatrische Verbund organisiert ist, und durch weitere, bislang unbekannte Faktoren. Als Qualitätsindikator und als Kriterium für ein Pay-for-Performance, wie es der Medizinische Dienst der Krankenkassen wünscht, ist die Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen damit nicht geeignet. Er empfiehlt die Auswertung der Zahlen aber für die Evaluierung innerhalb eines Krankenhauses und seinen Abteilungen. basierend auf: Symposium „Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Psychiatrie: Was ist die gegenwärtige Datenbasis?“ Weltkongress der World Psychiatric Association in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Berlin, 8.-12.10.2017.

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