Sepsistherapie, Teil 3

Wir geben Ihnen einen Überblick über die wichtigsten intensivmedizinischen Publikationen des Jahres 2009. Experten ordnen diese im Hinblick auf die klinische Relevanz ein. Anzumerken ist, dass die ausgewählten Studien natürlich eine subjektive Auswahl der Autoren darstellt. Volumentherapie Die Frage nach der idealen Substanz zur Flüssigkeitstherapie bei kritisch kranken Patienten, speziell der Subgruppe der septischen Patienten, ist nach wie vor ungelöst und Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussionen. In einer aktuellen Metaanalyse gehen Dart et al. [22] der Frage nach den Effekten von Hydroxyäthylstärke („hydroxyethyl starch“, HES) auf die Nierenfunktion nach. Die Analyse beinhaltet 34 Studien und 2607 Patienten. Insgesamt ist das relative Risiko für ein Nierenversagen nach Kriterien der jeweiligen Einzelstudienautoren 1,5 (95%-CI: 1,2–1,87; n=1199) und für die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie 1,38 (95%-CI: 0,89–2,16; n=1236) für HES-behandelte Patienten. Eine signifikant höhere Rate für die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie findet sich dabei nur in der Subgruppe der Sepsisstudien (RR: 1,59, 95%-CI: 1,20–2,10). Eine differenzierte Betrachtung im Hinblick auf die verwendeten HES-Präparationen (Stärke der 1. und 2. Generation vs. Stärke der 3. Generation) wurde nicht durchgeführt. Zu beachten ist auch, dass der Großteil der Patienten der Sepsissubgruppe aus der Studie „Efficacy of Volume Substitution and Insulin Therapy in Severe Sepsis“ (VISEP; [15]) stammt. In einer retrospektiven „Before-and-after“-Studie wurden 2009 der Einsatz von 6%iger HES- (130/0,4) und Gelatinelösungen beim Intensivpatienten sowie deren Auswirkungen auf die Rate an Nierenversagen untersucht [64]. Nierenversagen wurde als die Notwendigkeit des Einsatzes einer Nierenersatztherapie bzw. eine Verdoppelung des Kreatininwerts definiert. Es erhielten 1383 Patienten die HES-Lösung und 1528 Patienten die Gelatinelösung. Lediglich 118 von den 1528 Patienten und 87 von den 1383 Patienten hatten eine schwere Sepsis. Die Inzidenz eines akuten Nierenversagens und die Letalitätsrate waren in beiden Gruppen vergleichbar. In einer Post-hoc-Analyse zeigte sich, dass eine kumulative Dosis von >33 ml/kgKG HES- (OR:1,85, 95%-CI: 1,01–3,41, p=0,001) oder Gelatinelösung (OR: 1,99, 95%-CI: 1,05–3,79, p=0,035) mit einem erhöhten Risiko für ein akutes Nierenversagen assoziiert war. Der Stellenwert dieses Ergebnisses wird sicherlich erst nach einer prospektiven randomisierten Studie beurteilt werden können. Fazit Für eine zukünftig bessere Vergleichbarkeit der Studiendaten und der Bedeutung der Niereninsuffizienz für das Outcome kritisch kranker Patienten sollte die Einschätzung der Nierenfunktion mithilfe des RIFLE-Scores erfolgen (RIFLE: „risk, injury, failure, loss, end-stage kidney disease“; [40]). Aufgrund der Ergebnisse der VISEP-Studie [15] sollte auf den Einsatz von Erste- und Zweite-Generation-Stärkepräparaten in der Sepsis verzichtet werden. Es ist allerdings zu bedenken, dass auch Patienten in der VISEP-Studie in den 24 h vor Randomisierung bis zu 1000 ml HES erhalten durften. Zur Beurteilung der Sicherheit der modernen HES-Präparatio-nen (130/0,4) und der Gelatinepräparate liegen bisher unzureichend Daten vor. Allerdings fehlt bis heute auch der Nachweis eines verbesserten Patienten-Outcomes kritisch kranker Patienten durch HES. Neue Erkenntnisse hierzu werden durch die Chest- und die CRYSMAS-Studie erwartet. Die individuelle Flüssigkeitstherapie sollte sich einerseits am Patienten orientieren und andererseits Faktoren wie Art des Volumenersatzmittels, Dauer und kumulative Dosierung berücksichtigen. Vasopressin In einer prospektiven, kontrollierten Open-label-Studie an Patienten mit vasodilatativem Schock bei Sepsis, „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS) oder nach herzchirurgischen Eingriffen, die Noradrenalin mit einer Dosierung >0,6 µg/kgKG/min erhielten, wurden die Patienten einer supplementierenden Vasopressintherapie mit 0,033 IU/min oder 0,067 U/min zugeführt (beide Gruppen: n=25; [77]). Untersucht wurden die Auswirkungen auf die Hämodynamik, den Katecholaminbedarf, die Vasopressinkonzentration im Plasma, die Organfunktion und die Komplikationen im vasodilatativen Schock vor und 1, 12, 24 und 48 h nach Randomisierung. In beiden Gruppen waren eine reduzierte Herzfrequenz und ein reduzierter Noradrenalinbedarf festzustellen. Patienten, die höher dosiert Vasopressin erhielten, benötigten hochsignifikant weniger Noradrenalin. Laktat und Basendefizit sanken, während der arterielle pH in beiden Gruppen stieg. Die Vasopressinkonzentration stieg in beiden Gruppen signifikant an, war aber in der höher dosierten Gruppe und bei Patienten unter paralleler Hydrokortisontherapie höher. Die Letalitätsrate beider Studiengruppen war mit jeweils 52% vergleichbar. Eine supplementierende Vasopressintherapie mit 0,067 IU/min war im vasodilatativen Schock effektiver als die niedrigdosierte Vasopressintherapie mit 0,033 IU/min. In einer multizentrischen, doppelblinden Untersuchung mit einer sehr kleinen Fallzahl pro Studiengruppe ergab sich kein Vorteil einer niedrig dosierten Vasopressintherapie bei pädiatrischen Intensivpatienten im vasodilatativen Schock [17]. Vielmehr zeigte die Untersuchung einen Trend hin zu einer erhöhten Letalitätsrate unter Vasopressintherapie. In einer weiteren Post-hoc-Analyse des multizentrischen, doppelblinden, randomisierten und kontrollierten Vasopressin in Septic Shock Trial (VASST; [62]) wurde der Effekt von Vasopressin vs. Noradrenalin auf die Nierenfunktionsstörung beim septischen Schock evaluiert [34]. Insgesamt wurden 778 Patienten entweder einer niedrig dosierten Vasopressintherapie (0,01–0,03 U/min) oder Noradrenalingabe (5–15 µg/min) zusätzlich zu einem Open-label-Vasopressor zugeführt. Die RIFLE-Kriterien für eine akute Nierenfunktionsstörung wurden genutzt, um den Effekt von Vasopressin vs. Norad-renalin zu vergleichen. Nierenfunktionsstörungen bestanden zum Zeitpunkt der Studienaufnahme bei 464 Patienten (59,5%). Bei Patienten in der RIFLE-Kategorie „risk“ (n=106) war Vasopressin im Vergleich zu Noradrenalin mit einer niedrigeren Rate an Progression zu „failure“ oder „loss“ (20,8 vs. 39,6%, p=0,03) sowie einer niedrigeren Rate an Nierenersatzverfahren (17,0 vs. 37,7%, p=0,02) assoziiert. Die Letalitätsrate der Patienten in der „Risk“-Kategorie, die mit Vasopressin im Vergleich zu Noradrenalin behandelt worden waren, war niedriger (30,8 vs. 54,7%, p=0,01). In einer multiplen Regressionsanalyse wurde jedoch kein signifikantes Ergebnis erreicht (OR: 0,33, 99%-CI: 0,1–1,09, p=0,02, Signifikanzniveau: p<0,01). Fazit Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung kann Vasopressin die Progression eines akuten Nierenversagens, die Zahl an Nierenersatzverfahren und die Letalitätsrate von Intensivpatienten im septischen Schock reduzieren. Allerdings kann hier aufgrund des für die klinische Praxis nicht repräsentativen Patientenkollektivs des VASST keine Empfehlung abgeleitet werden. Nierenersatztherapie Der Einfluss einer kontinuierlichen venovenösen Hämofiltration („continuous veno-venous hemofiltration“, CVVH) auf das sepsisinduzierte Multiorganversagen wird kontrovers diskutiert. In eine prospektive randomisierte multizentrische Untersuchung wurden 80 Patienten von 12 französischen Intensivstationen aufgenommen, und der Einfluss der CVVH auf das Ausmaß der Organdysfunktion sowie die Plasmazytokinkonzentration bei Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischen Schock binnen 24 h nach Auftreten des ersten Organversagens wurde untersucht [51]. Die Patienten wurden randomisiert entweder mit der CVVH (25 ml/kgKG/h für 96 h) oder konventionell behandelt. Nach der Aufnahme von 76 Patienten musste die Studie aufgrund der Stagnation in der Patientenrekrutierung beendet werden. In der Gruppe, die mit CVVH behandelt worden war, fanden sich signifikant häufiger und schwerere Organversagen als in der Gruppe der konventionell behandelten Patienten (p<0,05). Es zeigte sich auch keine Modifikation der Plasmazytokinkonzentrationen. Die optimale Intensität einer kontinuierlichen Nierenersatztherapie beim kritisch kranken Patienten ist unklar. Aus diesem Grund wurde eine multizentrische randomisierte Untersuchung mit 2 unterschiedlichen Intensitätsstufen (40 ml/kgKG/h vs. 25 ml/kgKG/h) an Intensivpatienten mit akutem Nierenversagen durchgeführt [8]. Es wurden 1508 Patienten in die Untersuchung aufgenommen, davon erhielten 747 Teilnehmer die hoch intensive Therapie und 761 Teilnehmer die niedrig intensive kontinuierliche Hämodiafiltration. Von 1464 Patienten (97,1%) konnte die Letalitätsrate berichtet werden. Die beiden Studiengruppen hatten vergleichbare Patientencharakteristika und erhielten die Therapie im Durchschnitt über einen vergleichbaren Zeitraum (6,3 vs. 5,9 Tage, p=0,35). In beiden Gruppen waren nach 90 Tagen 44,7% der Patien-ten verstorben (OR, 1,00; 95%-CI: 0,81–1,23, p=0,99). Der Anteil an Patienten, der nach 90 Tagen immer noch eine Nierenersatztherapie benötigte, war in beiden Gruppen vergleichbar (6,8 vs. 4,4%, OR: 1,59, 95%-CI: 0,86–2,92, p=0,14). Eine Hypophosphatämie trat häufiger in der hoch intensiven als in der niedrig intensiven Gruppe auf (65 vs. 54%, p<0,001). In einer monozentrischen, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Untersuchung wurde Patienten nach Beendigung der venovenösen Hämofiltration (CVVH) entweder der kontinuierlichen Gabe von Furosemid (0,5 mg/kgKG/h) oder Placebo zugeführt [82]. Der Urin der Patienten in den ersten 4 h nach Beendigung der CVVHF wurde gesammelt und die Kreatininclearance bestimmt. Eine Hypovolämieentwicklung wurde durch stündliche Bilanzierung und Volumenausgleich ausgeschlossen. Es konnten 71 Intensivpatienten in der Untersuchung analysiert werden. Die mit Furosemid behandelten Patienten (n=36) hatten einen signifikanten Anstieg des Urinvolumens (Median 247 ml/h) im Vergleich zu den mit Placebo behandelten Patienten (n=35; n=117 ml/h, p=0,003) und eine größere Natriumexkretion (Median: 73 vs. 37 mmol/l, p=0,001). Der Anteil an Patienten, deren Nierenfunktion sich bis zur Entlassung von der Intensivstation erholte, war in beiden Gruppen vergleichbar. Obwohl sich durch die Gabe von Furosemid nach CVVHF größere Stundenurinvolumina und eine höhere Natriumexkretion erreichen ließen, hatte dies keinen Einfluss auf die Dauer des Nierenversagens und die Erholung vom Nierenversagen. Im Rahmen der CVVH wird Heparin zur Verhinderung des „clotting“ eingesetzt; dies kann jedoch zu Blutungskomplikationen führen. In einer randomisierten, nichtverblindeten, kontrollierten, monozentrischen Untersuchung wurden erwachsene Intensivpatienten ohne Risiko für Blutungskomplikationen, die sich einer CVVH unterziehen mussten, einer regionalen Zitratantikoagulation oder einer systemischen Antikoagulation mit dem niedermolekularen Heparin Nadroparin zugeteilt [49]. Von 200 Patienten erhielten 97 die Zitratantikoagulation, und 103 Patienten erhielten Nadroparin. Signifikant seltener als in der mit Nadroparin behandelten Patientengruppe musste die CVVH in der Gruppe der mit Zitrat regional antikoagulierten Patienten beendet werden [2,1% (Akkumulation und Clotting) vs. 19,4% (Blutung und Thrombozytopenie), p<0,001]. Auch Blutungskomplikationen traten in der Zitratgruppe seltener auf (6,2 vs. 15,5%, p=0,08). Die Zitratantikoagulation verursachte in einem niedrigeren Prozentsatz metabolische Alkalosen (p=0,001), aber häufiger niedrige Kalziumkonzentrationen (p 11 (p=0,006) und Patienten jünger als das mediane Alter von 73 Jahren (p=0,009). Fazit Eine Hämofiltration aus nichtrenalen Gründen ist in der Sepsis nicht indiziert und kann das Outcome der Patienten verschlechtern. Im Langzeitverlauf ist die Lebensqualität [gemessen mithilfe des Short Form (SF) 36] von Patienten, die auf der Intensivstation ein Nierenersatzverfahren erhalten hatten, im Vergleich zur Referenzbevölkerung reduziert [24]. Als Nierenersatzverfahren kann eine CVVH mit einer Dosis von 25 ml/kgKG/h ausreichend sein. Die regionale Antikoagulation mit Zitrat ist effektiv und sicher; ihr Einfluss auf das Überleben sollte prospektiv überprüft werden. Unfraktioniertes Heparin In einer prospektiven, randomisierten, „double-masked“, placebokontrollierten monozentrischen Studie [Unfractioned Heparin for Treatment of Sepsis (HETRASE) Study] wurde der Effekt von unfraktioniertem Heparin (UFH) auf die Intensivstationaufenthaltsdauer und die Häufigkeit von Multiorganversagen untersucht [39]. Dabei wurden die Patienten entweder mit Placebo (n=160) oder mit einem niedrig dosierten kontinuierlich verabreichten UFH (500 IE/h=12.000 IE/24 Tage i.v.; n=159) für 7 Tage behandelt. Die mediane Intensivstationaufenthaltsdauer überlebender Patienten betrug 12,5 Tage in der Placebogruppe (n=138, „interquartile range“ (IQR): 8–20 Tage) und in der mit UFH behandelten Patientengruppe 12 Tage (n=140, IQR: 8–19,5 Tage, p=0,976). Der Multiple Organ Dysfunction (MOD) Score verbesserte sich in beiden Behandlungsgruppen vergleichbar mit 0,13/Tag und 0,11/Tag. Die 28-Tage-Letalitätsrate betrug 16% in der Placebogruppe und 14% in der mit UFH behandelten Gruppe (p=0,652). Subgruppenanalysen erbrachten keinen signifikanten Unterschied bei den mit UFH behandelten Patienten. Es trat lediglich eine schwere Komplikation in der mit UFH behandelten Gruppe auf, die ohne Folgen ausheilte. Fazit Zwar kann die Gabe von UFH nach dieser Untersuchung unkompliziert und mit niedrigem Risiko erfolgen, jedoch besteht kein klarer Benefit für die Letalität von Sepsispatienten. Ernährung In einer Metaanalyse von RCT wurde der Effekt einer frühen enteralen Ernährung mit einem Start innerhalb der ersten 24 h nach Intensivstationsaufnahme auf die Letalität und Morbidität kritisch kranker Patienten untersucht [29]. Insgesamt wurden nach einer Literaturrecherche 6 RCT mit 234 Patienten in die Metaanalyse inkludiert. Die frühe enterale Ernährung war in dieser Metaanalyse mit einer signifikanten Reduktion der Letalitätsrate (OR: 0,34, 95%-CI: 0,14–0,85) und der Rate an Pneumonien (OR: 0,31, 95%-CI: 0,12–0,78) bei kritisch kranken Patienten assoziiert. Andere Nebenwirkungen wie Erbrechen, Aspiration, Bakteriämie und Multiorganversagen wurden in dieser Metaanalyse nicht durch die frühe enterale Ernährung innerhalb der ersten 24 h beeinflusst. Eingeschränkt wird die Aussagekraft dieser Metaanalyse durch die niedrige Qualität der beurteilten RCT und der geringen Patientenzahlen pro einzelnem RCT. Entsprechend wurde die Durchführung einer großen multizentrischen Studie zu diesem Thema von den Autoren gefordert. An einer weiteren prospektiven Kohortenstudie nahmen Intensivpatienten, die bis zu 12 Tage ernährt wurden, von 167 Intensivstationen aus 37 Ländern teil [1]. Es wurden die 60-Tage-Letalitätsrate und die beatmungsfreien Tage erfasst, sowie der Body-Mass-Index (BMI) als Indikator für den Ernährungsstatus vor Intensivstationsaufnahme mit diesen Werten in Verbindung gebracht. Es erhielten 2772 invasiv beatmete Patienten im Durchschnitt 1034 kcal/Tag und 47 g Protein/Tag. Eine Zunahme um 1000 cal/Tag war mit einer Reduktion der Letalitätsrate bis Tag 60 (OR: 0,76, 95%-CI: 0,61–0,95, p=0,014) und einer Erhöhung der beatmungsfreien Tage (OR: 3,5, 95%-CI: 1,2–5,9, p=0,003) assoziiert. Diese Beziehung zeigte sich für einen BMI<25 und ≥35. Für einen BMI zwischen 25 und 35 fand sich keine Verbesserung des Überlebens mit zunehmender Kalorienzufuhr. Literatur Die vollständige Literatur sowie alle Sepsis-Beiträge finden Sie in der PDF-Version des Beitrags.

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Sepsistherapie, Teil 3

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