Voxelotor – Pathogenese-orientierte Therapie der Sichelzellkrankheit

Voxelotor, ein von Global Blood Therapeutics entwickelter oraler Hemmer der Hämoglobin-S-Polymerisation in den Erythrozyten, erhöht bei Menschen mit Sichelzellkrankheit die hämatologische Ansprechrate, führt zu einer anhaltenden Verbesserung des Hämoglobinspiegels und zur Reduktion vasookklusiver Krisen. >>Mehr zum Galenus-von-Pergamon-Preis Die Sichelzellkrankheit ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die durch schwere Morbidität, eingeschränkte Lebensqualität und eine ungünstige Prognose charakterisiert ist. Die Pathogenese der Erkrankung beruht auf einer Punktmutation: dem Austausch von Glutaminsäure gegen Valin an Position 6 der Beta-Globinkette des Hämoglobinmoleküls (Hb). Daraus resultiert die Bildung des Sichelzellhämoglobins (HbS), das unter hypoxischen Bedingungen Polymere bildet und eine sichelartige Verformung der Erythrozyten bewirkt. Die Folgen sind Hämolyse, chronische Anämie, schmerzhafte vasookklusive Krisen und Endothelschäden, die zu Gefäßverschlüssen, akuter und chronischer Organinsuffizienz und erhöhter Mortalität beitragen. Voxelotor bindet in den Erythrozyten an Hämoglobin S und verhindert dessen Polymerisation. Dadurch wird die Sauerstoffaffinität der Erythrozyten erhöht und somit die Sichelbildung verhindert. Global Blood Therapeutics × Als Behandlungsoptionen standen bisher die Therapie mit Hydroxycarbamid oder dem monoklonalen P-Selektin-Antikörper Crizantizumab oder eine Stammzelltransplantation zur Verfügung. Jedoch besteht weiter großer Bedarf an effektiven Therapien. Hemmung der Sichelzellbildung Voxelotor (Oxbryta®) von Global Blood Therapeutics ist das erste in Europa zugelassene Medikament, das die Polymerisation von HbS und damit die molekulare Ursache der Sichelzellenbildung und die Zerstörung der Erythrozyten bei der Sichelzellkrankheit direkt hemmt. Das Medikament wurde im Februar 2022 in der Europäischen Union (EU) als Monotherapie oder in Kombination mit Hydroxycarbamid zur Behandlung der hämolytischen Anämie infolge Sichelzellkrankheit bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen ab dem Alter von zwölf Jahren zugelassen. Die empfohlene Dosis beträgt 1500 mg oral einmal täglich. Das krankheitsmodifizierende Potenzial von Voxelotor bei der Sichelzellkrankheit wurde in einer Phase-I/II-Studie nachgewiesen: Es wurden unter anderem ein Hb-Anstieg und die Reduktion der Hämolyse und des Anteils von Sichelzellen beobachet. In der zulassungsrelevanten, internationalen Phase-III-Studie HOPE wurden Patientinnen und Patienten mit Sichelzellkrankheit randomisiert und doppelblind einmal täglich mit Voxelotor oder Placebo behandelt. Primärer Endpunkt war die hämatologische Ansprechrate, definiert als Zunahme des Hb-Werts um > 1,0 g/dl. Nach 24-wöchiger Behandlung ergab die Intention-to-treat-Analyse in der Voxelotor-Gruppe, die mit der für die Zulassung relevanten Dosierung von 1500 mg/Tag behandelt wurde, eine signifikant höhere hämatologische Ansprechrate als im Placebo-Arm (51 versus 7 Prozent; p 2,0 g/dl im Vergleich zum Ausgangswert) traten unter Voxelotor seltener auf als unter Placebo (0,06 versus 0,18 Episoden pro Patientenjahr). Die adjustierte durchschnittliche Veränderung des Hb-Spiegels zwischen Ausgangswert und Woche 24 betrug unter Voxelotor 1,1 g/dl, während unter Placebo eine Abnahme um 0,1 g/dl beobachtet wurde. Voxelotor war mit einer geringeren Zahl vasookklusiver Krisen assoziiert (2,77 versus 3,19 pro Personenjahr). Voxelotor induzierte zudem eine signifikant stärkere durchschnittliche Reduktion von Labormarkern der Hämolyse: des indirekten Bilirubins um 29,1 versus 3,2 Prozent (p < 0,001) und der Retikulozyten um 19,9 Prozent versus einer Zunahme um 4,5 Prozent unter Placebo (p < 0,001). Unerwünschte Wirkungen unter Voxelotor waren in der Regel leicht oder moderat und bestanden am häufigsten in Kopfschmerzen (26 versus 22 Prozent) und Diarrhö (20 versus 10 Prozent). In der Häufigkeit von Nebenwirkungen ≥ Grad 3 bestand zwischen Voxelotor und Placebo kein Unterschied (je 26 Prozent). Anhaltende Wirksamkeit Die überlegene Wirksamkeit von Voxelotor blieb im weiteren Verlauf erhalten. Nach 72 Wochen betrug die durchschnittliche Zunahme der Hb-Konzentration gegenüber dem Ausgangswert 1,0 g/dl. Dagegen hatten sich in der Placebogruppe keine Veränderungen ergeben (p < 0,001). Die mit Voxelotor behandelten Patientinnen und Patienten erreichten laut Messung anhand der CGI (Clinical Global Impression)-Skala signifikant häufiger eine starke oder moderate klinische Verbesserung (74 versus 47 Prozent; p = 0,0057). Effektiv auch im Alltag Retrospektive Daten belegen die Effektivität von Voxelotor in der Behandlung der Sichelzellkrankheit auch unter klinischen Alltagsbedingungen. Wie die Daten von 1065 Patientinnen und Patienten zeigen, sank zum Beispiel die Häufigkeit vasookklusiver Krisen von 10,9 (vor Therapiebeginn) auf 8,4 (p < 0,001). Bei 74 Behandelten, bei denen die Hb-Daten vor und nach Therapiebeginn vorlagen, stieg der Hb-Spiegel von 7,8 mg/dl auf 8,9 mg/dl (p < 0,001). 60,8 Prozent erzielten einen Hb-Anstieg um mindestens 1 g/dl und 41,9 Prozent um mindestens 2 g/dl. (spg) Voxelotor hemmt die Polymerisation von Hämoglobin S Voxelotor ist ein oral bioverfügbares Small Molecule, das sich in Erythrozyten stark (etwa um den Faktor 60 bis 90) im Vergleich zum Blut anreichert und im stöchiometrischen Verhältnis von 1 : 1 kovalent und reversibel an Hämoglobin S (HbS) bindet. Als Polymerisationshemmer von HbS hemmt die Substanz direkt den der Sichelzellerkrankung zugrunde liegenden Pathomechanismus. Mit der Bindung an HbS induziert Voxelotor eine allosterische Veränderung, die die Affinität für Sauerstoff erhöht und die Konformation von oxygeniertem HbS stabilisiert. Voxelotor steigert auf diese Weise das Verhältnis von oxygeniertem zu desoxygeniertem HbS selbst unter hypoxischen Bedingungen und verhindert die Polymerisation von HbS. Dadurch wird die Sichelbildung gehemmt und die Deformierbarkeit der Erythrozyten verbessert, was wiederum die Viskosität des Blutes reduziert. Start-up mit Fokus auf Blutkrankheit Branche: Die in San Francisco beheimatete Global Blood Therapeutics wurde 2011 mit dem Ziel gegründet, neue Therapien für Menschen zu entwickeln, die an schwerwiegenden Bluterkrankungen leiden. Erster Indikationsschwerpunkt ist die genetisch bedingte Sichelzellanämie, die Global Blood Therapeutics kausal anzugehen beabsichtigt. Schätzungen zufolge sind europaweit etwa 52.000 Menschen von der Erkrankung betroffen. Seit 2015 ist das Biotech-Start-up an der US-Techbörse Nasdaq gelistet. Weltweit werden über 450 Mitarbeiter beschäftigt. Die Europazentrale (einschließlich Naher Osten) befindet sich im schweizerischen Zug. 2020 eröffnete in Berlin die deutsche Landesgesellschaft. Umsatz und Gewinn: Umsätze werden in der Hauptsache mit dem ersten eigenen Wirkstoff Voxelotor (Oxbryta®) erwirtschaftet, der in den USA Ende 2019 und in der EU im Februar 2022 die Marktfreigabe erhielt. Für das zurückliegende Geschäftsjahr werden knapp 195 Millionen Dollar Umsatz ausgewiesen, nach Steuern ein Verlust von 303 Millionen Dollar. Die Zahlungsmittelreserve zum Jahresende wird mit rund 735 Millionen Dollar beziffert. F&E-Ausgaben: Präklinische und klinische Entwicklungsarbeiten ließ sich GBT zuletzt rund 212 Millionen Dollar kosten. Pipeline: Aktuell berichtet das Unternehmen von sieben Pipelineprojekten, darunter drei präklinischen und drei Studien zu Voxelotor für Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen. Bereits in Phase III wird außerdem der von Roche an GBT auslizensierte Anti-P-Selectin-Antikörper Inclacumab geprüft, der bei Schmerzattacken im Zusammenhang mit einer Sichelzellerkrankung helfen soll. In der frühen Phase I/II wird an einem Hämoglobin-Polymerisationshemmer der zweiten Generation gearbeitet (Arbeitsname: GBT021601). (cw) Quelle: ÄrzteZeitung

Springer Medizin

Voxelotor – Pathogenese-orientierte Therapie der Sichelzellkrankheit

Weiterführende Themen

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen