Fallstudie: Früher Einsatz von Lenvatinib plus Everolimus

Zur Behandlung des fortgeschrittenen oder metastasierten Nierenzellkarzinoms (mRCC) sind in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer Substanzen unterschiedlicher Wirkstoffklassen zugelassen worden. Die ausgeprägten Escape-Mechanismen dieser Tumoren erfordern deren klugen Einsatz in der Sequenz. Die Wirkstoffe Lenvatinib (Kisplyx®) und Everolimus haben als kombinierte Therapie in den vier Jahren seit Zulassung ihren Stellenwert in der Therapie des mRCC gestärkt [1,2]. Die hier vorgestellte Kasuistik unterstreicht die gute und lang anhaltende Wirksamkeit bei kontrollierbarer Verträglichkeit. Die Herausforderung der Behandlung des mRCC besteht in der großen genetischen Heterogenität und Dynamik dieser Tumoren [3, 4]. So können nicht zuletzt über den Selektionsdruck zielgerichteter Wirkstoffe Resistenzen entstehen, die einen erneuten Progress zur Folge haben [5]. Eine Kombination von Wirkstoffen mit unterschiedlichen Angriffspunkten im Krebsgeschehen ist daher besonders für das mRCC eine Therapierationale, die darauf ausgerichtet ist, diesen Escape-Mechanismen entgegen zu wirken [6]. Der Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) Lenvatinib ist in Kombination mit dem mTOR (mechanistic Target Of Rapamycin)-Antagonist Everolimus für die Zweitlinientherapie des mRCC nach einer vorhergehenden, gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) gerichteten Behandlung zugelassen [1]. In der zulassungsrelevanten Studie erreichte die Kombination im primären Endpunkt, dem progressionsfreien Überleben (PFS), eine signifikante Verlängerung von median 14,6 Monaten gegenüber 5,5 Monaten unter Everolimus-Monotherapie (Hazard Ratio [HR] 0,40; p=0,0005) [7]. Der folgende Fall eines Patienten von Dr. Andreas Janitzky, Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Magdeburg, belegt exemplarisch sowohl die Wirksamkeit der Lenvatinib-Everolimus-Kombination als auch die gute Handhabbarkeit der Nebenwirkungen in der klinischen Praxis. Der männliche Patient (Geburtsjahr 1953) wurde im Jahr 2002 mit einem klarzelligen Nierenzellkarzinom in der rechten Niere vorstellig, das mittels einer Tumornephrektomie entfernt wurde. Nach der Operation blieb der Patient über ein Jahrzehnt rezidivfrei. TKI nach Auftreten von Metastasen Im November 2014 wurden beim Patienten multiple Metastasen in der Leber sowie zwei Läsionen im Pankreas festgestellt. Er erhielt daher eine Therapie mit dem damaligen Erstlinienstandard Sunitinib (50 mg täglich nach dem 4/2-Schema). Der Patient wurde in die EUROTARGET-NIS-Studie aufgenommen [8]. Das Ansprechen auf die Therapie war gut und der Patient litt nur in geringem Maß unter Unverträglichkeiten wie palmar-plantares-Erythrodysästhesie-Syndrom und Hypertonie. Immuntherapie und erneuter Progress Im November 2017, nach dreijähriger Remission, traten erneut Metastasen in der Leber auf. Daraufhin wurde der Patient auf eine Nivolumab-Monotherapie (3 mg/kg Körpergewicht intravenös, alle zwei Wochen) im Rahmen der laufenden Versorgungsstudie NORA-NIS [9] umgestellt. Im März 2018 zeigte der Patient eine subtotale Regredienz der hepatischen Metastasen und der Pankreasmetastasen. Bis Juni desselben Jahres hatte er 12 Zyklen mit Nivolumab ohne Nebenwirkungen absolviert. Ab September erhielt er zunächst 240 mg Nivolumab alle zwei Wochen und dann 480mg alle vier Wochen. Im Oktober 2018 ereignete sich ein erneuter Progress in der Leber, während die Pankreasmetastasierung konstant blieb (Abb. 1a und b). Die Tumoren im linken und rechten Leberlappen wurden im November 2018 und im Januar 2019 mit einer SIRT (selektive interne Radiotherapie) mit Yttrium-90 (1.240 mBq) lokal behandelt. Bis Dezember 2018 vollendete der Patient 20 Zyklen unter Immuntherapie. Abb. 1 Metastasenlokalisationen in Leber (a und c) und Pankreas (b und d), vor (a und b, Oktober 2018) und nach (c und d, Juli 2019) selektiver interner Radiotherapie (SIRT) und Kombinationstherapie Lenvatinib + Everolimus (mit freundlicher Genehmigung von Dr. A. Janitzky, Magdeburg) Dr. A. Janitzky × Vollremission unter der Kombination Aufgrund zusätzlich auftretender Lymphknotenmetastasen erfolgte im Januar 2019 die Umstellung auf Lenvatinib und Everolimus (18 mg respektive 5 mg täglich). Im März 2019 bereits zeigte sich bei der Staginguntersuchung ein deutliches Ansprechen. Die CT-Befunde im Juli 2019 (Abb. 1c und d) zeigten das komplette Ansprechen des Patienten: Alle bekannten Tumorlokalisationen waren zurückgegangen und keine neuen Metastasen aufgetreten. Effektives Nebenwirkungsmanagement Ende Januar 2019 wies der Patient ein palmar-plantares-Erythrodysästhesie-Syndrom Grad 1 auf, das mit einer Kortikosteroid-haltigen Salbe behandelt wurde und bereits bei der nächsten Untersuchung im Februar komplett regredient war. Außerdem litt der Patient an einer Fatigue Grad 1, die zunächst als Folge der SIRT eingeordnet wurde. Bei der Untersuchung im März klagte der Patient über anhaltende Fatigue von Grad 2, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust. Aufgrund der Ähnlichkeit zum Nebenwirkungsprofil unter Sunitinib wurden diese Unverträglichkeiten mit dem TKI in Zusammenhang gebracht. Gemeinsam mit dem Patienten wurde daher entschieden, die Dosis von Lenvatinib auf 10 mg zu reduzieren. Bereits bei der Folgeuntersuchung im Mai war die Symptomatik deutlich regredient und bildete sich bis Oktober 2019 vollständig zurück. Es traten keine weiteren Nebenwirkungen auf. Aktueller Befund Bei der letzten aktuellen Bildgebung im April 2020 war der Patient seit 10 Monaten in Vollremission. Er hat einen sehr guten Allgemeinzustand mit einem ECOG (Eastern Cooperative Oncology Group) Performance Status von 0 und nimmt weiterhin Lenvatinib plus Everolimus ein. Interview mit Dr. Andreas Janitzky „Lenvatinib + Everolimus wird in der Behandlung nach vorne rücken“ Wie ordnen Sie den Verlauf Ihres Patienten ein? Janitzky: Letztendlich ist das ein typischer Ablauf mit einem Start, der noch in der Zeit der TKIs in Erstlinie lag. Nach dem Progress mit Nivolumab in der Zweitlinie wurde der Patient auf die Kombination Lenvatinib und Everolimus umgestellt. Er hat unter den Medikamenten jeweils gut angesprochen und daneben Alternativtherapieoptionen wie die SIRT erhalten. Er ist jetzt unter Lenvatinib plus Everolimus seit 10 Monaten in Vollremission. Das zeigt, dass man trotz der rezidivierenden Metastasen mit dieser Kombination und damit mit der Wiederaufnahme einer Tyrosinkinaseinhibition etwas erreichen kann. Was war die Rationale für die Behandlung mit Lenvatinib plus Everolimus? Janitzky: Die Umstellung von Nivolumab auf Lenvatinib plus Everolimus erfolgte aufgrund der Lymphknotenmetastasen im Leberhilus, die zusätzlich zu den progredienten Lebermetastasen aufgetreten waren. Die Rationale für die Kombination war, den dualen Angriff eines TKI und eines mTOR-Antagonisten zu nutzen, um die Tumoren wirksam zu kontrollieren. Wäre heutzutage, in Hinblick auf die veränderte Therapielandschaft des RCC, eine andere Therapiesequenz denkbar? Janitzky: Heutzutage würde sicherlich nicht mit einer TKI-Monotherapie begonnen werden, sondern in der Konstellation mit den initialen multiplen Lebermetastasen und Pankreasmetastasen wahrscheinlich mit einer Kombination aus Immuntherapie und TKI. Das wären wahrscheinlich heutzutage Pembrolizumab und Axitinib in der Erstlinie. Damit hätte der Patient die Immuntherapie und einen ersten TKI durchlaufen, so dass dann zweitlinientherapeutisch entweder Cabozantinib oder Lenvatinib plus Everolimus anstünden. Wenn man den dualen Angriff in Betracht zieht, wird da sicher eher die Kombination in die zweite Linie drängen. Wie waren die Toxizitäten unter der Kombinationstherapie? Janitzky: Wir haben die Dosis reduzieren müssen wegen einer Fatigue. Der Patient ist sehr aktiv, geht tanzen und ist viel unterwegs. Unter Everolimus (5 mg) und auf 10 mg reduzierter Lenvatinib-Dosis kommt er jetzt gut zurecht. Er litt auch unter Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust im Zusammenhang mit der Fatigue, die sich ebenfalls vollständig zurück entwickelten. Was ist Ihr abschließendes Fazit? Janitzky: Dieses Therapiekonzept ist sicherlich beispielhaft. In Zweitlinie würde aber jetzt durchaus schon eher eine TKI-Kombinationstherapie stehen und nicht erst in der dritten Linie. Lenvatinib mit seinem Partner Everolimus wird in der Behandlungslandschaft also eher nach vorne rücken. Literatur Fachinformation Kisplyx®, Stand: Mai 2020 Escudier B et al., Ann Oncol 2019, 30:706–720 The Cancer Genome Atlas Research Network, Nature 2013, 499:43 Turajilic S et al., Cell 2018, 173:581–594 Jamal-Hanjani M et al., Clin Cancer Res 2015, 21:1258–1266 Glen H, Future Oncology 2016, 12:2195–2204 Motzer RJ et al, Lancet Oncol 2015, 16:1473–1482 https://www.drks.de/drks_web/navigate.do?navigationId= trial.HTML&TRIAL_ID=DRKS00005220 (letzter Zugriff: 01.07.2020) https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02940639 (letzter Zugriff: 01.07.2020) Impressum „Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom − Fallstudie: Früher Einsatz von Lenvatinib plus Everolimus“, Kasuistik und Interview Berichterstattung: Johanna Heuveling, Berlin Artikel gedruckt in Uro-News, Band 24, Heft 9, September 2020 Mit freundlicher Unterstützung der Eisai GmbH, Frankfurt a. M. Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Tobias Berenz Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom - Fallstudie: Früher Einsatz von Lenvatinib plus Everolimus

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