Thoraxchirurgie beim NSCLC - Wie können neoadjuvante Immuntherapien die Tumorresektion beeinflussen?

Neoadjuvante und perioperative Immuntherapien spielen eine zunehmend größere Rolle für die Behandlung des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) [1]. Wie bei allen multimodalen Therapiekonzepten ist der prä-therapeutische Austausch in einem interdisziplinären Tumorboard sowie die vollständige (R0) Resektion des Tumors im Rahmen eines kurativ intendierten Therapiekonzepts besonders wichtig [1]. Doch auch auf immunvermittelte Nebenwirkungen (imAE) neoadjuvanter Therapien muss geachtet werden, um die therapeutischen Schritte abwägen zu können. Welche Bedeutung die neoadjuvante Immuntherapie für die Thoraxchirurgie hat, erörtert Dr. Sönke von Weihe, Chefarzt der Thoraxchirurgie an der LungenClinic Grosshansdorf, Großhansdorf, im Interview. Immuncheckpoint-Inhibitoren haben die Therapielandschaft des NSCLC nachhaltig verändert und die Behandlungsergebnisse für die Patientinnen und Patienten verbessert [2–5]. Seit der Zulassung immunonkologischer Therapien für die neoadjuvante Behandlung nehmen sie außerdem Einfluss auf die praktische Durchführung der Tumorresektion. Auftreten von immunvermittelten Nebenwirkungen Im Gegensatz zu Nebenwirkungen der Chemotherapie können imAE grundsätzlich jedes Organsystem betreffen (Abb. 1) [6]. Sie kommen bei insgesamt 86–96% der Patientinnen und Patienten vor, die mit einer Immuntherapie behandelt wurden. In 17–59% der Fälle kommt es zu schweren oder sogar lebensbedrohlichen Verläufen. Am häufigsten werden dabei imAE der Haut wie Exantheme, Pruritus oder Vitiligo diagnostiziert (46–62%). Gastrointestinale imAE wie Diarrhö oder Kolitis kommen bei 22–48% vor, eine autoimmune Hepatitis bei 7–33%. Darüber hinaus kann es zu Endokrinopathien wie Thyreoiditis, Hypophysitis, Adrenalitis oder Diabetes mellitus kommen (12–34%). Das Pankreas ist in 11–22% der Fälle von imAE betroffen. ImAE an Lunge und Nieren sind dagegen seltener (1–8%) [7]. Abb. 1 PD-1-Inhibitoren: immunvermittelte Nebenwirkungen Springer Medizin Verlag GmbH × ImAE von Grad 3/4 treten bei 21% unter anti-PD-1- (anti-programmed death-1), bei 28% unter anti-CTLA-4- (anti-cytotoxic Tlymphocyteantigen-4) und bei 59% unter einer entsprechenden Kombinationstherapie auf [7]. Auch die zeitliche Verteilung von imAE unterscheidet sich von der bekannten Chemotherapie, was insbesondere für die Planung der Operation wichtig ist [6, 8]. Immunvermittelte Nebenwirkungen und Operation In einer Studie zur neoadjuvanten Chemo-Immuntherapie des NSCLC waren die häufigsten imAE Ausschlag mit 8,5%, Hyperthyreose mit 4,0% und Hypothyreose mit 2,3%. Eine Pneumonitis kam bei 1,1% der Patientinnen und Patienten im Chemo-Immuntherapie-Arm vor (n=2). In 3,4% der Fälle führten unerwünschte Ereignisse (UE) jeglichen Grades bei Erkrankten, die die Chemo-Immuntherapie erhalten hatten, zu einer Verzögerung und bei 1,1% zur Absage der Operation. Im Chemotherapie-Arm waren es 5,1% und 0,6% [3]. Von allen randomisierten Patientinnen und Patienten wurden 15,6% im Chemo-Immuntherapie-Arm und 20,7% im Chemotherapie-Arm nicht operiert. Gründe waren u.a. Krankheitsprogression (6,7% mit Chemo-Immuntherapie und 9,5% mit Chemotherapie), UE (1,1% bzw. 0,6%) und andere Gründe wie eine Ablehnung durch die Betroffenen, Inoperabilität oder eine schlechte Lungenfunktion. Eine R0-Resektion konnte bei 83,2% der Erkrankten im Chemo-Immuntherapie-Arm und bei 77,8% im Chemotherapie-Arm erreicht werden [3]. Sonderfall Pneumonitis Immunvermittelte Pneumonitiden sind vor allem beim NSCLC relevante Nebenwirkungen, die in 3–10% der Fälle auftreten und bei 0,2–2% letal verlaufen. Symptome sind Dyspnoe (5,3%), Husten (35%), Fieber (12%) und Brustschmerzen (7%), wobei mehr als 30% der Erkrankten bei Erstdiagnose asymptomatisch sind. Bei 25% ist zudem auch im Röntgenbild keine Pneumonitis erkennbar [9]. Auch hier erfolgt die Therapie nach Schweregrad mit mindestens 1–2mg eines Prednisolonäquivalents/kg Körpergewicht. Sprechen die Betroffenen nicht ausreichend an, kann eine Immunsuppression mit Infliximab, Mycophenolat-Mofetil oder Cyclophosphamid infrage kommen [9]. Neoadjuvante Immuntherapie – „pCR-Raten, von denen wir immer geträumt haben“ Interview mit Dr. Sönke von Weihe, Chefarzt der Thoraxchirurgie an der LungenClinic Grosshansdorf, Großhansdorf LungenClinic Grosshansdorf × Was sind die Vor- und Nachteile der neoadjuvanten bzw. perioperativen Immuntherapie? von Weihe: Die Vorteile sind die Behandlungserfolge, also das Gesamtüberleben bzw. derzeit noch die Surrogat-Parameter dafür. Sie zeigen, dass wir mit der neoadjuvanten Immuntherapie eine neue, sehr potente Therapieform gegen den Lungenkrebs haben. Als Chirurgen sind wir Lokaltherapeuten. Das heißt, wir agieren an der Lunge hauptsächlich im Bereich des Primärtumors und dessen Lymphabflussgebiet. Wir können dementsprechend auch nur den Tumor entfernen, den wir sehen. Ein potentes medikamentöses Therapieverfahren wirkt aber im ganzen Körper: also auch auf Zellen, die wir nicht sehen und nicht lokaltherapeutisch behandeln können, wie z.B. okkulte Mikrometastasen. Mit der neoadjuvanten Therapie können wir frühzeitig in die Gesamtsituation eingreifen. Von Nachteil ist bisweilen, dass wir ausreichend Gewebe für die immunhistochemische und die molekularpathologische Diagnostik benötigen, um die ideale Therapieform auswählen zu können. Das kostet Zeit und gelingt nicht immer, sodass in manchen Fällen die Zeit ohne Therapie voranschreitet. Den Tumor direkt zu entfernen, geht natürlich schneller und man erhält dabei auch genug Gewebe. Das muss man gegeneinander abwägen. Welche Auswirkungen kann die neoadjuvante Immuntherapie besonders auf die Operation haben? Worauf muss geachtet werden? von Weihe: Die Immuntherapie ist zwar sehr wirksam, aber sie entfernt den Tumor nicht. Stattdessen löst sie eine lokale Immunreaktion gegen den Tumor aus, die ihn einschmelzen lässt. Wir wissen aus Studien, dass mehr Fibroblasten vorhanden sind, Immunzellen einwandern und das Tumorgewebe abnimmt. Das sehen wir bei der Operation. Teilweise wirkt es „verlötet“, wie wir sagen. Dadurch wird das Präparieren teilweise deutlich erschwert. Das ist aber nicht bei allen vorbehandelten Erkrankten so. Anhand welcher Parameter wir das antizipieren können, ist mir persönlich noch nicht ganz klar und nicht immer vorhersehbar. Aber grundsätzlich kann man sicherlich sagen: Durch die Immuntherapie wird der Situs nicht einfacher zu operieren. Durch die Neoadjuvanz können Nebenwirkungen entstehen. Hat das einen Einfluss auf die Thoraxchirurgie? von Weihe: Ja, absolut. Früher gab es hauptsächlich adjuvante Therapiekonzepte und nur eine relativ kleine Gruppe von Patientinnen und Patienten wurde neoadjuvant vorbehandelt. Durch die Neoadjuvanz sehen wir Nebenwirkungen, die früher nicht auftraten, wie etwa die Immun-Pneumonitis. Diese könnte fälschlicherweise für ein chirurgisch zu lösendes oder ein bakteriell verursachtes Problem gehalten und deshalb falsch therapiert werden. Darum ist es wichtig, uns, die Pflegekräfte und alle, die in die Behandlung involviert sind, für mögliche Nebenwirkungen der neoadjuvanten Immuntherapie zu sensibilisieren. Warum gewinnt die pCR in neoadjuvanten bzw. perioperativen Studien in den Stadien II und III als Parameter immer mehr an klinischer Bedeutung? von Weihe: Wir sehen je nach Studie eine pCR-Rate in der Größenordnung um 20%. Das sind die Fälle, bei denen keine vitalen Tumorzellen mehr im Körper zu finden sind. Davon haben wir immer geträumt. Bei der neoadjuvanten Chemotherapie liegen wir diesbezüglich eher im Bereich von ca. 3%. Damit ist die neoadjuvante Immuntherapie wirklich ein Game Changer. Betrachten wir zudem noch Patientinnen und Patienten mit Major Pathologic Response und höchstens noch 10% vitale Tumorzellen, reden wir über eine noch größere Quote vorbehandelter Patientinnen und Patienten, die auf die Behandlung gut angesprochen haben. Die Schwierigkeit ist, diejenigen sicher präoperativ zu identifizieren, die gut angesprochen haben. Im CT oder auch im PET-CT kann z.B. eine Pseudoprogression zu sehen sein, die als vermeintlicher Tumorzuwachs erscheint, in Wirklichkeit aber ein Zeichen der Immunreaktion ist. Bei ungefähr 20% der vorbehandelten Patientinnen und Patienten kommt es nicht zur geplanten Operation. Die Ursache hierfür ist nur bei einem Teil der Betroffenen eine Nebenwirkung der Immuntherapie. In manchen Fällen ist der Grund auch eine Tumorprogression. Auch ohne neoadjuvante Immuntherapie gibt es Fälle, wo sich trotz adäquatem Staging intra-operativ ein fortgeschrittenes Stadium demaskiert. Andere Erkrankte wiederum ziehen die Zustimmung zur Operation zurück, z.B. weil der Tumor durch die neoadjuvante Immuntherapie bereits stark zurückgegangen ist. Wie läuft die Anforderung des pCR-Status in der klinischen Praxis ab? von Weihe: Wir fordern den pCR-Status nicht explizit an. An der Lungen-Clinic Grosshansdorf ist diese Information ein Standard-Bestandteil des Vorgehens. Wichtig ist natürlich, die Pathologinnen und Pathologen über die Vorbehandlung zu informieren, um den Regressionsgrad bestimmen zu können. Die Präparate werden nach den Vorgaben der Leitlinie aufbereitet. So wird unter anderem pro Zentimeter Tumorgewebe ein Paraffinblock aserviert. Zusätzlich werden makroskopisch auffällige Bereiche entsprechend präpariert. Wie führen Sie das Re-Staging durch, wenn beispielsweise 2–3 Zyklen der neoadjuvanten Therapie durchlaufen sind? von Weihe: Hierfür stehen uns CT bzw. PET-CT die Bronchoskopie mit endobronchialem Ultraschall zur Verfügung. Beim Re-Staging kann die Befundung des CT oder PET-CT schwierig sein, z.B. wenn eine Pseudoprogression vorliegt. Immunreaktion bzw. Entzündungsreaktion geben dann eine Tumoraktivität vor, die gar nicht da ist. Formal ist mit dem Ausdruck neoadjuvante Therapie auch die Operation bereits geplant – zumindest sofern nichts Überraschendes oder Gravierendes passiert ist. Wir überprüfen also primär, ob sich die Basis der initialen Therapienentscheidung geändert hat. Die meisten Patientinnen und Patienten haben eine „normale Verlaufskontrolle“ und werden wie geplant operiert. Literatur S3-Leitlinie Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms, Langversion 3.0, 2024, AWMF-Register-Nr.: 020–007OL Wakelee H et al., N Engl J Med 2023, 389:491–503 Forde PM et al., N Engl J Med 2022, 386:1973–1985 Wu Y et al., Cancer 2023, 129:1969–1985 Forde PM et al., J Thorac Oncol 2023, 18 (4S):Abstr. 840 Weber JS et al., J Clin Oncol 2017, 35:785–792 Heinzerling L et al., Dtsch Arztebl Int 2019, 116:119–126 Haanen J et al., Ann Oncol 2022, 33:1217–1238 NCCN (National Comprehensive Cancer Network) Guideline, Management of Immune Checkpoint Inhibitor-Related Toxicities, Version 1, 2024 Impressum „Thoraxchirurgie beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom: Wie können neoadjuvante Immuntherapien die Tumorresektion beeinflussen?“ Literaturarbeit und Interview Bericht: Dr. Anja Schäfer, Heppenheim Artikel gedruckt in „Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie“, Band 38, Heft 6, Dezember 2024 Mit freundlicher Unterstützung der AstraZeneca GmbH, Hamburg Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 18 Abs. 2 MStV): Ulrike Hafner, Europaplatz 3, 69115 Heidelberg Redaktion: Dr. Friederike Holthausen Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF-Download: Thoraxchirurgie beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom - Wie können neoadjuvante Immuntherapien die Tumorresektion beeinflussen?

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