Verstärkung für die spezifische Immuntherapie

Die spezifische Immuntherapie (SIT) kann helfen, die belastende Symptomatik und eingeschränkte Lebensqualität allergischer Patienten deutlich zu verbessern. Ein Allergoidpräparat, in dem ein Depotträger und ein Adjuvans die gewünschte Immunantwort verstärken, ermöglicht Pollenallergikern eine wenig zeitaufwändige präsaisonale „Allergieimpfung“. Derzeit wird auch versucht, das allergieprotektive Potenzial von Bauernhöfen in Tablettenform zu nutzen. Für Pollenallergiker ist die SIT die einzig verfügbare kausale Therapieoption [1], die krankheitsmodifizierend wirken könne, wie die Leitlinie der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) hervorhebt [2]. Prof. Lawrence DuBuske, School of Medicine and Health Sciences, Washington DC, USA, sprach von einer „Allergieimpfung“, die immunmodulierende Effekte habe und zur Toleranzinduktion führe [3]. Eine besondere Bedeutung komme dabei den eingesetzten Adjuvanzien zu. Adjuvanzien fördern Th1-Antwort Bei den klassischen ganzjährigen Behandlungskonzepten ist der Zeitaufwand erheblich, so DuBuske. Inzwischen sei aber mit subkutaner Gabe eines Allergoidpräparats, in dem eine Synergie aus Depotträger und Adjuvans die gewünschte Immunantwort verstärkt, eine ultrakurze präsaisonale Behandlung mit nur vier Injektionen innerhalb von drei bis acht Wochen pro Jahr möglich, bei einer empfohlenen Behandlungsdauer von drei bis fünf Jahren [4]. Dieses Allergoidpräparat enthalte neben mikrokristallinem Tyrosin (MCT®) als Depotträger zusätzlich Monophosphoryl-Lipid A (MPL), erläuterte DuBuske. Dieses Adjuvans der zweiten Generation sei ein Agonist des Toll-like-Rezeptors 4 (TLR4), der das unspezifische Immunsystem aktiviert und die Th1-Immunantwort stimuliert [5]. Dadurch lässt sich die Wirkung der SIT um 25 % steigern [6]. Auch die immunologischen Effekte des physiologischen Depotträgers MCT scheinen anders als bei den herkömmlichen Aluminimumverbindungen eher in Richtung Th1-Antwort zu gehen und weniger in Richtung Th2-Antwort mit IgE-Induktion [7]. Die Synergien bei Kombination von MPL und MCT lassen sich für deutlich kürzere und dabei gut verträgliche SIT-Regime nutzen [7]. Basierend auf einer Metaanalyse von Studien zur Immuntherapie bei allergischer Rhinokonjunktivitis spricht die EAACI-Leitlinienkommission für den TLR- 4-Agonisten MPL mit Pollenallergoid den höchsten Empfehlungsgrad für Erwachsene aus (Evidenzlevel I, Empfehlungsgrad A) [2]. Ultrakurze SIT mit langem Atem DuBuske zeigte, dass es viele Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser MPL-wirkverstärkten ultrakurzen SIT bei Gräser- oder Frühblüher-Pollenallergikern gibt [8]. Dabei unterstrich er die Langzeiteffekte dieses Therapiekonzeptes: Auch drei Jahre nach Beendigung einer über drei Therapiejahre laufenden SIT war der Medikamentenverbrauch verringert und die Lebensqualität verbessert, wie eine Anwendungsbeobachtung zeigte [9]. In einer prospektiven Studie waren Nasen- und Augensymptome während der Gräserpollensaison noch drei bis sechs Jahre nach Beendigung der MPL-wirkverstärkten SIT im Vergleich zu den Kontrollpatienten ohne Hyposensibilisierung signifikant (p<0,001) reduziert [10]. Es gibt auch die Möglichkeit einer Booster-SIT mit vier präsaisonalen Injektionen, wenn Jahre nach einer erfolgreichen Hyposensibilisierung wieder vermehrt Symptome auftreten, wie eine Studie mit der MPL-wirkverstärkten SIT bei Gräserpollenallergikern zeigte [11]. Signifikante Verbesserungen des totalen Symptomscores (TSS) Im Rahmen des von der deutschen Therapieallergene- Verordnung geforderten Zulassungsverfahrens durchlaufen die MPL-adjuvantierten Allergoide ein breit angelegtes Dosisfindungsprogramm. Nach dem Birkenpollenallergoid (EudraCT Nummer 2012-004336-28 und 2015-000984- 15) hat auch das Gräserpollenallergoid seine Phase-II-Dosisfindungsstudie (EudraCT Nummer 2017-000333-31) erfolgreich absolviert [12]. In der multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie erhielten 447 Patienten mit mäßiger bis schwerer allergischer Rhinokonjunktivitis vor der Pollensaison 2018 sechs Injektionen des MPL-wirkverstärkten Gräserpollenallergoids im Wochenabstand (kumulative Dosis 5.100, 14.400, 27.600 oder 35.600 standardisierte Einheiten [SU]) oder Placebo. Mittels konjunktivaler Provokationstestung (CPT) konnte eine signifikante Dosis-Wirkungsbeziehung mit Plateaubildung der Kurve, wie sie hinsichtlich einer erfolgreichen Dosisfindungsstudie empfohlen ist [13], ermittelt werden (p<0,0001). Für alle Dosisgruppen waren die Verbesserungen des TSS im Vergleich zu Placebo signifikant (Abb. 1). Abb. 1: Veränderungen im totalen Symptomscore (TSS) gegenüber dem Ausgangswert, verglichen mit Placebo, in Abhängigkeit von der kumulativen Dosis des MPL-adjuvantierten Gräserpollenallergoids (modifiziert nach [12], Daten bei Allergy Therapeutics) Springer Medizin Verlag GmbH × Auch bei den ausgewerteten Immunglobulinmarkern (spezifisches IgG4, Gesamt-IgE, spezifisches IgE sowie spezifisches IgE/Gesamt-IgE) war ein stark dosisabhängiger Effekt zu finden, allerdings keine Korrelation mit den TSS-Ergebnissen der Provokationstestung [14, 15]. Alle Dosierungen waren sicher und gut verträglich; eine dosisabhängige Zunahme der Nebenwirkungen ließ sich nicht feststellen [16]. Auch die geringste der getesteten Dosierungen mit 5.100 SU des MPL-adjuvantierten Gräserallergoids war Placebo signifikant überlegen (p<0,01). Die ED50-Dosis, die bei der Provokationstestung mindestens 50 % der vollen Wirkung gegenüber Placebo erreichen würde, betrug etwa 2.900 SU. Durch eine höhere Kumulativdosis ließ sich die Wirkung aber weiter steigern. Für die geplante Phase-III-Studie infrage kommen 27.600 SU und 35.600 SU, denen ein vergleichbares „optimales Risiko-Nutzenprofil“ bescheinigt wurde [12]. Insektengiftallergien: Fallstricke in Diagnostik und Therapie Einen hohen Stellenwert hat die subkutane SIT bei Insektengiftallergien. Für die Therapieplanung ist es wichtig zu wissen, ob „nur“ eine Bienen- oder Wespengiftallergie oder eventuell eine Doppelsensibilisierung vorliegt. Prof. Dr. Jörg Kleine-Tebbe, Berlin, warnte vor häufigen doppelt positiven Ergebnissen bei der konventionellen extraktbasierten Diagnostik mit Pricktest und IgE-Blutuntersuchung. Ursache seien meist kreuzreaktive Allergene in Bienen- und Wespengift oder Kohlenhydratseitenketten (CCDs) ohne klinische Relevanz [24]. Die Verwendung von Markerallergenen (für Bienengift Api m 1, 3, 4 und 10, für Wespengift Ves V 1 und 5) könne dabei helfen, die primäre Sensibilisierung nachzuweisen und unnötige Immuntherapien mit beiden Insektengiften zu vermeiden. Das verwendete SIT-Präparat muss die Allergenkomponenten, auf die ein Patient allergisch reagiert, in ausreichendem Maße enthalten. Für Bienengiftallergiker sind vor allem die Majorallergene Api m 1, 2, 3, 5 und 10 relevant, in reinem Bienengift aber bis auf Api m 1 nur in sehr kleinen Mengen vorhanden [25]. Neben der natürlichen, Schwankungen unterworfenen Zusammensetzung des Rohmaterials beeinflusst auch die Weiterverarbeitung das Allergenspektrum der Präparate. Als kritisch stufte Kleine-Tebbe die Situation vor allem für Api m 10 und Api m 3 ein; in einigen untersuchten Produkten waren sie unterrepräsentiert oder mit der verwendeten Analysemethode gar nicht nachweisbar [25]. Das könne dazu führen, dass das Immunsystem bei der SIT möglicherweise keine Toleranz gegen das Gift entwickelt [26]. Allergieschutz vom Bauernhof Bei Allergien rücken das Mikrobiom sowie die natürliche Immunmodulation durch Mikroorganismen und ihre Bestandteile zunehmend in den Fokus. Wie Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim, Wien, erläuterte, könne sich der moderne naturferne Lebensstil ungünstig auf die Biodiversität des Mikrobioms auswirken, die Immuntoleranz reduzieren und Entzündungen sowie Allergien fördern [17]. Für ein allergieprotektives Darmmikrobiom scheint ausreichende Eisenversorgung wichtig zu sein [18]. Auf einem Bauernhof aufwachsende Kinder leiden seltener unter Asthma und Allergien als Stadtkinder [19]. Dafür wird ein immunmodulierender Effekt von Stallmikroben und mikrobiellen Produkten verantwortlich gemacht [20]. Der Schutzeffekt scheint nicht auf den Bauernhof selbst beschränkt zu sein; ein verringertes Atopierisiko war im Umkreis von 327 m nachweisbar [21]. Der protektive Faktor müsse sich in der Umgebungsluft befinden, so Jensen-Jarolim, genauer im Stallstaub besonders von Kuhställen. Eine besondere Bedeutung scheinen dabei aerosolierte Proteine zu haben [20]. Das im Stallstaub vor allem nachweisbare Beta-Lactoglobulin (BLG) ist z. B. in der Rohmilch von Bauernhöfen zu finden. BLG gehört zur Familie der Lipocaline, die kleine Moleküle wie Siderophore/Eisenkomplexe, Vitamine oder Metallionen binden. Untersuchungen in vitro und im Mausmodell zeigen, dass ligandenfreies BLG Th2-Antwort und Entzündung fördert, während mit Eisen beladenes BLG die allergische Immunantwort unterdrückt und die Tiere vor Anaphylaxie schützt [22, 23]. Milch aus dem Supermarkt hat allerdings keine protektive Wirkung: Bei der Milchverarbeitung geht das protektive Potenzial von BLG verloren. Jensen-Jarolim möchte das immunstärkende und protektive Potenzial von BLG, beladen mit Eisen und Vitamin A, in Tablettenform nutzbar und haltbar machen. Literatur Weißbuch Allergie in Deutschland, 4. Auflage, Klimek L, Vogelberg C, Werfel T (Hrsg.), Springer Medizin Verlag GmbH 2019 Roberts G et al., Allergy 2018, 73:765–798 Bachmann MF, Kündig TM, Allergy 2017, 72:13–23 Fachinformation Pollinex® Quattro, Stand: Mai 2017 Puggioni F et al., Allergy 2005, 60:678–684 Patel P et al., J Allergy Clin Immunol 2014, 133:121–129 Klimek L et al., Expert Rev Clin Immunol 2017, 13:599–610 Rosewich M et al., Hum Vaccin Immunther 2013, 9:1523–1531 Rabe U et al., Allergo J Int 2017, 26:147–154 Zielen S et al., Immunotherapy 2018, 10:529–536 Pfaar O et al., Allergy 2018, 73:187–195 Zielen S et al., Oral Abstract 0133, EAACI Congress 2019 Kleine-Tebbe J et al., Allergologie 2018, 41:407–415 Zielen S et al., Thematic Poster 1319, EAACI Congress 2019 Zielen S et al., Thematic Poster 1307, EAACI Congress 2019 Zielen S et al., Oral Abstract 0133, EAACI Congress 2019, Daten bei Allergy Therapeutics Haahtela T, Allergy 2019, doi.org/10.1111/all.13763 Roth-Walter F et al., Metallomics 2017, 9:1676–1692 Von Mutius E et al., Nat Rev Immunol 2010, 10:861–868 Pali-Schöll I et al., Thematic Poster 1684, EAACI Congress 2019 Borlée F et al., Occup Environ Med 2018, 75:453–460 Roth-Walter F et al., PLoS ONE 2014, 9:e104803 Roth-Walter F et al., Oral Abstracts 0157 und 0158, EAACI Congress 2019 Blank S et al., Clin Exp Allergy 2018, 48:354–364 Blank S et al., Hum Vacc Immunother 2017, 10:2482–2489 Frick M et al., J Allergy Clin Immunol 2016, 138:1663–1671 Impressum „Pollenallergie - Verstärkung für die spezifische Immuntherapie“; Satellitensymposium „Transforming Allergy Treatment“ anlässlich des Kongresses der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI), Lissabon, 2. Juni 2019 Berichterstattung: Dr. Ulrike Wepner, München Artikel gedruckt in Allergo Journal, Band 28, Heft 6, September 2019 Mit freundlicher Unterstützung der Bencard Allergie GmbH, München Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Tobias Berenz Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. 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