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Erschienen in: Zeitschrift für Allgemeinmedizin 1/2023

25.01.2023 | Der besondere Artikel

Etablierung des elektronischen Rezepts in deutschen Hausarztpraxen

Chancen nutzen und Fehler vermeiden

verfasst von: Dr. med. Nicolas Kahl, Moritz Eckert

Erschienen in: Zeitschrift für Allgemeinmedizin | Ausgabe 1/2023

Zusammenfassung

Hintergrund

Die Etablierung des elektronischen Rezepts (E-Rezept) in einer deutschen Hausarztpraxis ist mit technischen, organisatorischen und datenschutzrelevanten Herausforderungen verbunden. Eine stufenweise Herangehensweise erleichtert den Umstieg und Fehlerquellen müssen systematisch vermieden werden.
Zum 01.01.2022 sollte das E‑Rezept in Deutschland etabliert werden. Verschiedene Hürden im Prozessablauf verhinderten die flächendeckende Einführung in den Hausarztpraxen.

Fragestellung

Identifizierung von Hürden und Chancen im Prozess der Einführung des E‑Rezepts in einer Hausarztpraxis

Material und Methoden

Erfahrungsberichte zweier Hausarztpraxen über die Etablierung des E‑Rezepts und des begleitenden Fehlermanagements

Ergebnisse

Die Einführung des E‑Rezepts in einer Hausarztpraxis ist durchführbar. Fehlerquellen bieten das Potenzial den Praxisablauf bedeutend zu stören.

Schlussfolgerung

Mögliche Fehlerquellen in der Prozessumstellung müssen antizipiert und vermieden werden. Das E‑Rezept bietet das Potenzial einer Ressourcenschonung.
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Die flächendeckende Einführung des elektronischen Rezepts (E-Rezept) sollte in Deutschland zum 01.01.2022 erfolgen [2]. Aufgrund von technischen und organisatorischen Hürden und Datenschutzherausforderungen wurde der flächendeckende Roll-out mehrfach verschoben [7]. In diesem Artikel berichten 2 niedergelassene Hausärzte über die Etablierung des E‑Rezepts in ihren Praxen und wie sich Abläufe dadurch verändern.

Hintergrund

Die verpflichtende Einführung des E‑Rezepts zum 01.01.2022 wurde nach dem Regierungswechsel mangels Marktreife politisch „beerdigt“. Zwei kassenärztliche Vereinigungen (KV) wurden zu Testregionen ausgerufen, schieden jedoch nach kurzer Zeit wieder aus. Offizieller Grund war für die KV Schleswig-Holstein zum einen die aus Datenschutzgründen verwehrte Möglichkeit des unverschlüsselten E‑Mail- und SMS-Versands der E‑Rezept-Token aus der Praxisverwaltungssoftware heraus [8, 9]. Zum anderen bestand die KV Westfalen-Lippe auf eine zeitnahe Etablierung der Möglichkeit, die E‑Rezepte durch Einstecken der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) durch die Patient:innen in der Apotheke einzulösen [10]. Da sich die Einführung dieses Einlösewegs aufgrund von datenschutzrelevanten Anpassungen verzögerte, wurde die Ausweitung der Testung nicht fortgeführt. Jede Praxis in jedem Bundesland ist weiterhin in der Lage, die Nutzung des E‑Rezepts eigenständig zu testen, jedoch ohne koordinierende oder evaluierende Beteiligungen der kassenärztlichen Vereinigungen [6].
Die ursprünglich präferierte Smartphone-App kommt wegen des aufwendigen, aber für das Verfahren benötigten, PIN-Versands durch die Krankenkassen als Ergänzung zur eGK nicht zur Anwendung. Gründe, warum die Krankenkassen ihre Patient:innen nicht über die E‑Rezept-App informieren und nicht mit den benötigten PIN ausstatten, sind intransparent. Die Autoren sehen einen möglichen, aber entscheidenden politischen Grund darin, dass die Krankenkassen es favorisieren, die E‑Rezept-Funktion in ihre kasseneigenen Patienten-Apps zu integrieren. Die benötigte Unterstützung der unabhängigen App der gematik GmbH erscheint vor diesem Hintergrund in ein politisches Spannungsfeld geraten zu sein. Der stockende PIN-Versand entwickelt sich zu einer sehr großen Hürde in der Nutzung der gematik-E-Rezept-App (Gematik GmbH, Berlin, Deutschland) durch Patient:innen und Praxen.
Dennoch wollen hier 2 E-Rezept-Nutzer der ersten Stunde aufzeigen, wie das E‑Rezept in der Praxis gut umgesetzt werden kann und warum die Hausarztpraxen sich mit diesem Thema beschäftigen sollten. Denn das E‑Rezept sollte angesichts zunehmend digital kompetenter Patient:innen auf jeden Fall umgesetzt werden. Rezepte auf der kostbaren Ressource Papier zu verfassen, die dann in der Apotheke zunächst digitalisiert verarbeitet, aber dann jahrelang in Papierform eingelagert werden, ist schon jetzt nicht mehr zeitgemäß. Spätestens mit Einführung der „neuen“ eGK-Stecklösung (dazu im Folgenden mehr), voraussichtlich in der 2. Hälfte des Jahrs 2023 sollte jede Praxis in der Lage sein, E‑Rezepte sicher ausstellen zu können.

Technische Grundlagen

Voraussetzung ist neben einem Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) mit entsprechenden Kartenterminals (KT) und Praxisausweis (SMCB) ein elektronischer Heilberufeausweis (eHBA; [4, 5]).

Elektronischer Heilberufeausweis

Der eHBA muss über zertifizierte Anbieter beantragt werden, die von der jeweiligen Ärztekammer ermächtigt wurden. Nach Erhalt muss der eHBA beim Herausgeber „freigeschaltet“ werden und an die Praxissoftware angelernt werden. Der eHBA wird in ein Kartenterminal gesteckt. Mittels PIN kann eine rechtsgültige qualifizierte elektronische Signatur (QES) durchgeführt werden, die rechtlich einer eigenhändigen Unterschrift entspricht. Deshalb sollte die PIN niemals an andere Personen, auch nicht an die medizinischen Fachangestellten, weitergegeben werden. Da sich auch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) auf diese technischen Voraussetzungen stützt, sollten die meisten Praxen inzwischen technisch auf die Umsetzung des E‑Rezepts vorbereitet sein.
Nach Auswählen des Medikaments im Praxisverwaltungssystem (PVS) wird nicht der Kugelschreiber gezückt, sondern per QES das Rezept digital signiert.

Token

Das PVS erhält einen E-Rezept-Token (quasi einen „Gutschein“) vom zentralen E‑Rezept-Fachdienst-Server (eRP-FD). Dieser Token kann dann in der Praxis als QR-Code auf Papier ausgedruckt werden, oder, falls die Patient:innen die E‑Rezept-App korrekt freigeschaltet haben, mittels App „heruntergeladen“ werden.
Bildlich gesprochen erstellen die Ärzt:innen damit ein digitales Rezept, das den Patient:innen nicht direkt ausgehändigt wird, sondern von der Praxis in ein gesichertes „Schließfach“ auf einem Server hinterlegt wird. Den Patient:innen wird in Form des Token lediglich ein „Schlüssel“ übergeben, der den Ort des Rezepts und die Berechtigung zum Abruf ausweist. Der Token ist lediglich einmal einlösbar.
In der Apotheke wird der Token eingescannt oder aus der App eingelesen, das eigentliche E‑Rezept vom Server abgerufen und, wie vom analogen rosa Rezept (Muster 16) gewohnt, das Medikament an Patient:innen ausgegeben.

E-Rezept-App

Die Nutzung der E‑Rezept-App der Gematik (https://​www.​das-e-rezept-fuer-deutschland.​de) ist für die Patient:innen zeitgemäßer. Der Token kann in der E‑Rezept-App bereits Sekunden nach der qualifizierten Signatur abgerufen werden. Er kann dann entweder in der Apotheke vom Display des mobilen Endgeräts eingescannt oder aus der App heraus an die Apotheke und deren Software verschickt werden. Verordnete Medikamente können so zur Abholung bestellt oder ein Botendienst der Apotheke (sofern verfügbar) angefordert werden. Mit der E‑Rezept-App können auch E‑Rezepte von Familienmitgliedern nach Freischaltung abgerufen und eingelöst werden. Dies ist insbesondere für berufstätige Angehörige eine Erleichterung, da somit aufwendige Wege in die Arztpraxis entfallen. Technische Hürde für die Patient:innen und Angehörigen bleibt, wie bereits dargestellt, vor allem das erstmalige Freischalten der App mit der PIN der eGK.
Es wirkt zunächst kompliziert, in der Realität ist der Ablauf nach einer kurzen Kennenlernphase aber sehr elegant.
In Zukunft soll es aus der App heraus möglich sein, Dauermedikamente nachzubestellen. Das kann Hausarztpraxen in Zukunft entlasten, sollte aber auch entsprechend vergütet werden.

Geänderte Praxisabläufe

Wie sollte man in der Praxis mit dem E‑Rezept starten? Die QES sollte in den Praxen bereits von der verpflichtend eingeführten eAU bekannt sein. Informieren Sie sich, ob Ihr PVS die sog. Stapel- und Komfortsignatur unterstützt.

Formen der qualifizierten elektronischen Signatur

Mit Komfortsignatur ist gemeint, dass Sie mit einer einmaligen PIN-Eingabe an Ihrem Kartenterminal 250 elektronische Signaturen in 24 h freischalten können, die z. B. an Ihren Benutzeraccount oder ein Password im PVS gebunden sind. Im Regelfall müssen Sie also an einem Tag nur ein einziges Mal zu Beginn der Sprechstunde Ihre PIN am Kartenterminal eingeben. Ein Kartenterminal im Sprechzimmer ist daher nicht zwingend erforderlich.
Die sog. Stapelsignatur ermöglicht es Ihnen, mehrere E‑Rezepte gleichzeitig aus einer Liste heraus zu signieren. Nur wenn Ihr PVS diese Funktion unterstützt, ist ein Zeitgewinn gegenüber der händischen Signatur von Papierrezepten zu erreichen.

Testrezepte ausdrucken

Da die E‑Rezept-App noch nicht verbreitet ist, müssen die Token der E‑Rezepte zunächst häufig noch ausgedruckt werden. Dazu müssen die Druckereinstellungen angepasst werden und mit Testausdrucken die Lesbarkeit überprüft werden. Richten Sie dafür in ihrem PVS am besten einen Testpatienten ein (https://​www.​gematik.​de/​newsroom/​news-detail/​aktuelles-das-test-e-rezept-ist-da). Wenn Sie mehrere Ärzt:innen im Team sind, sollten alle den eigenen Ausdruck auf Lesbarkeit überprüfen und mehrere Probe-E-Rezepte erstellen und signieren.

E-Rezepte verwenden

Wenn das Erstellen und Signieren der E‑Rezepte aus der Akte des Testpatienten funktioniert, fangen Sie schrittweise mit einzelnen echten E‑Rezepten an. Obwohl Apotheken seit dem 01.09.2022 verpflichtet sind, E‑Rezepte einzulösen, haben sie oft noch wenig praktische Erfahrung. Gestehen Sie allen eine Lernkurve zu!
Es bietet sich an, mit Angehörigen oder Heimen mit Belieferungsvertrag anzufangen, da so einzelne Patient:innen bei Problemen bei der Einlösung nicht zwischen Praxis und Apotheke aufgerieben werden.
Auf dem „kurzen Dienstweg“ lässt sich auf professioneller Ebene zwischen Apotheke und Praxis schnell Abhilfe schaffen und gegebenenfalls ein korrigiertes E‑Rezept oder das Muster 16 nachliefern, ohne dass die Patient:innen involviert werden. Bei Rezepten, die wegen technischen Problemen nicht eingelöst werden können, sollten die Token von Ihnen oder der Apotheke in der jeweiligen Software storniert werden. Dies entspricht dem physischen Vernichten eines Papierrezepts.
Erhöhen Sie von Woche zu Woche die Anzahl der E‑Rezepte, die sich am Anfang am besten erst aus der Behandlung in der Sprechstunde ergeben. Zum selbst gewählten Zeitpunkt erlangen zunächst Sie selbst Sicherheit in der Erstellung und lernen die Reaktionen der Patient:innen auf das E‑Rezept unmittelbar kennen. Ihre Patient:innen, Ihre MFA und Sie selbst müssen sich an neue Abläufe gewöhnen und es können unerwartete Probleme entstehen. Es wirkt, als wären die technischen Anforderungen beim E‑Rezept viel strenger, je nach PVS wurden aber lediglich beim analogen Rezept bisher die Fehler nie erkannt oder von den Apotheken toleriert. Nun sind alle Beteiligten gezwungen, diese Fehler zu korrigieren. Unerfahrene Apotheken werden fehlerhafte E‑Rezepte an Sie zurückverweisen, obwohl sie beispielsweise eine fehlende Markierung der Zuzahlungsbefreiung selbst korrigieren könnten. Die Apothekensoftwares sind ebenfalls in der Verarbeitung der E‑Rezepte noch nicht fehlerfrei. Bei einem Verarbeitungsproblem eines E‑Rezepts muss die Ursache daher nicht zwingend bei Ihnen in der Praxis liegen. Eine gegenseitig offen gelebte Fehlerpolitik ist diesbezüglich hilfreich (Abb. 1).

Warum sollten Sie diese neue Technik dennoch einsetzen?

Es wird erwartet, dass im 2. Halbjahr 2023 die Ausstellung eine E‑Rezepts verpflichtend wird. Voraussetzung dafür ist die Einführung der eGK-Stecklösung, die im Folgenden noch erläutert werden wird. Unvorbereitet haben Sie dann nur wenig Zeit, um Ihr PVS und Ihr Team an die neuen Abläufe zu gewöhnen.

Übung bringt Erfahrung

Als nächsten Schritt können Sie einführen, eine größere Menge an E‑Rezepten mit der Stapelsignatur zu signieren. Damit wird die elektronische Signatur zeitlich genauso effektiv wie ein händisches Unterschreiben von Papierrezepten. Simulieren Sie in ruhigeren Praxiszeiten z. B. in der Quartalsmitte für 1‑2 Wochen den kompletten Umstieg auf das E‑Rezept. Damit identifizieren Sie frühzeitig größere Hürden in Ihrem Praxisablauf oder in Ihrem PVS und können diese z. B. mit Ihrem Softwaresupport klären.
Eine zeitliche Verzögerung zwischen Signatur und Ausdruck von 3–5 s bleibt für die technisch notwendige Kommunikation zwischen Praxis und E‑Rezept-Fachdienst leider bestehen. Dieses Problem entfällt, wenn Patient:innen per App oder bald per eGK die Medikamente einlösen und kein Ausdruck mehr benötigt wird. Zudem wird im Vergleich zum rosa Rezept Zeit gespart, da das Vorlegen von ausgedruckten Rezepten an Ärzt:innen zum händischen Signieren sowie das alphabetische Sortieren in und aus Abholfächern und das Aushändigen bei Abholung entfällt.

Praxisalltagsprobleme mit E‑Rezepten und Lösungsansätze

Bisher wurden in Deutschland knapp 840.000 E-Rezepte ausgestellt (Stand 20. Dezember 2022), 5685 von ca. 18.500 Apotheken haben bisher ein E‑Rezept eingelöst und knapp 2200 Praxen und Institutionen haben bisher mindestens ein E‑Rezept erstellt [1]. Verglichen mit der Verbreitung und Nutzung von Muster 16 (ca. 400 Mio./Jahr) steckt die Umsetzung in den PVS und der Verarbeitung in den Apotheken also noch in den Kinderschuhen.

Weiterhin Muster 16

Blutzuckerteststreifen, Verbandsmittel, Impfungen und Diätetika sollen weiter auf Muster 16 verordnet werden, da Sanitätshäuser noch nicht an die TI angeschlossen sind. Auch Betäubungsmittel können noch nicht als E‑Rezept verordnet werden [3].

Signaturdatum

Das Datum des E‑Rezepts muss mit dem der QES übereinstimmen. E‑Rezepte, die von MFA nach der Sprechstunde vorbereitet werden, aber erst am nächsten Tag per QES signiert werden, können je nach PVS Probleme bereiten. Dies war mit dem analogen Muster 16 bisher problemlos möglich. Testen Sie, ob ihr PVS automatisch die Daten angleicht. Sollte dies nicht der Fall sein, kontaktieren sie den Support, um eine Lösung zu finden.

QES in Praxen mit mehreren Ärzt:innen

Einzelpraxen sind bei der QES im Vorteil: Hier ist immer klar, wer signiert. In Praxen mit mehreren Ärzt:innen kann es zu Problemen führen, wenn ein E‑Rezept von der MFA für Arzt A vorbereitet wurde, aber Ärztin B dann signiert. Vertretungsweise zu unterschreiben, wie es bei Muster 16 möglich ist, ist aktuell keine Option. PVS-Hersteller könnten hierzu Lösungen entwickeln, sind aber aktuell dafür nicht ausreichend vorbereitet.
Angestellte Ärzt:innen benötigen einen eigenen eHBA. Die eHBA werden für angestellte Ärzt:innen nicht refinanziert. Daher bietet es sich an, eHBA-Anbieter mit kurzen Vertragslaufzeiten zu wählen und den Angestellten dann die Kosten zu erstatten.

App-Nutzer:innen

In vielen PVS kann noch nicht vermerkt werden, welche Patient:innen die E‑Rezept-App nutzen und welche Patient:innen Ausdrucke benötigen. Da die Anzahl der App-Nutzer:innen in unseren Praxen derzeit noch im sehr niedrigen Bereich liegt, kann man es sich derzeit meist noch merken, wer eine App nutzt. In Zukunft muss hier jedoch eine Lösung gefunden werden, um unnötige Ausdrucke zu vermeiden.

Datenschutzdiskussionen

E-Mail- und SMS-Versand

Der Token an sich enthält keine personenbezogenen Daten, sondern ähnlich wie ein Link auf einer Homepage lediglich den Verweis darauf, „wo“ auf dem gesicherten Server das Rezept liegt. Der Token kann nur entschlüsselt werden, wenn die Apotheke Zugang zur gesicherten Telematikinfrastruktur hat. So sollte ein Auslesen des Tokens durch Unbefugte verhindert werden.
Vor diesem Hintergrund hatte ein PVS-Hersteller aus Schleswig-Holstein die Übermittlung des Tokens per unverschlüsselter E‑Mail oder SMS an die Patient:innen etabliert. Diese Übermittlung wurde von Seiten der Praxen und Patient:innen sehr positiv aufgenommen.
Die schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten haben dieses Vorgehen jedoch unterbunden. Der unverschlüsselte Versand der Token wurde als zu unsicher eingestuft und verboten.
Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein hat sich in Folge aus dem Roll-out des E‑Rezepts zurückgezogen.

eGK-Stecklösung

Als 3. Einlöseweg will die gematik die sog. eGK-Stecklösung etablieren. Hierbei soll es den Apotheken ermöglicht werden, die E‑Rezepte vom gematik-Server abzurufen, sobald die Versichertenkarte der Patient:innen in der Apotheke, ähnlich wie in der Praxis, eingelesen wird. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass das E‑Rezept oder der Token von uns Praxen nicht physisch auf der eGK gespeichert werden muss, sondern die eGK lediglich dazu dient, die Patient:innen gegenüber der Apotheke auszuweisen und die Apotheke zu berechtigen, den Abruf vom Server durchzuführen. Es ist daher auch nicht erforderlich, dass die eGK bei der Rezepterstellung jedes Mal in der Arztpraxis eingesteckt wird, um die Verordnung auf der eGK zu speichern. Es wird nichts auf der Karte gespeichert!
Diese, in anderen Ländern gut etablierte Lösung hätte schlagartig von nahezu allen Patient:innen genutzt werden können, die Praxen von unnötiger Ausgabe von Ausdrucken befreit und viele Vorteile des E‑Rezepts offensichtlich werden lassen, wurde jedoch vom Bundesdatenschutzbeauftragten gestoppt.
Grund hierfür war, dass in der technischen Spezifikation nicht vorgesehen war, dass überprüft wird, ob die eGK wirklich physisch in der Apotheke vorliegt. Es musste lediglich die Krankenkassenversicherungsnummer (KVNR) der Karte ausgelesen werden. Unter Angabe dieser KVNR hätten dann die E‑Rezepte vom Server geladen werden können.

Chaos Computer Club vs. gematik

Der Chaos Computer Club (CCC) kritisierte, dass die Gefahr bestünde, dass Apotheken ihre Software manipulieren könnten, um unbefugt die E‑Rezepte von Personen einzusehen. Mit Kenntnis der KVNR wäre es somit möglich, unbefugt an sensible Gesundheitsdaten Dritter zu gelangen [11].
Die gematik argumentierte, dass es besser wäre, nicht die technischen Anforderungen an die Sicherheitsarchitektur zu erhöhen, sondern eine vorsätzliche Manipulation an der Apothekensoftware so hart zu bestrafen, dass Apotheker:innen oder andere Personen hiervon abgeschreckt würden. Zudem könne man Missbrauch durch direkte Nachverfolgung leicht aufdecken [12].
Dennoch hat der Bundesdatenschutzbeauftragte die zunächst geplante Lösung als nicht sicher genug klassifiziert und Nachbesserungen gefordert.
Derzeit wird eine neue und sicherere Variante der eGK-Stecklösung vorbereitet, die diesen Missbrauchsweg ausschließen soll. Wir hoffen, dass dieser Einlöseweg ab dem 2. Halbjahr 2023 zur Verfügung steht.
Dies sollte aus unserer Sicht der Zeithorizont sein, an dem Sie sich orientieren müssen, wenn Sie sich fragen, bis wann Sie mit Ihrer Praxis aus der Erprobungsphase heraus und „E-Rezept ready“ sein wollen.
Das Geschilderte hört sich zunächst kompliziert an, ist im Alltag dann aber auch bei nahezu Vollumstellung auf das E‑Rezept und nach dem Einspielen der neuen Abläufe und entsprechender Motivation machbar.
Sollte man mit Muster 16 im Alltag besser zurechtkommen, ist man derzeit noch nicht von Sanktionen belegt, wenn man es weiter benützt. Sie können das E‑Rezept aber auch schon heute vollumfänglich nutzen und müssen nicht warten, bis Ihr Bundesland Pilotregion wird oder sich von dem Rückzug aus einem Roll-out wieder zurückzieht. Wir selbst führen unsere Praxen in Niedersachsen und Bayern, außerhalb jeder Pilotregion. Bei uns wird das E‑Rezept nun seit Monaten im Regelbetrieb genutzt, ohne noch nennenswerte Komplikationen nach anfänglichen „Kinderkrankheiten“ zu verursachen. In Summe sind in beiden Praxen so über 20.000 E-Rezepte im Jahr 2022 erstellt und beliefert worden.
Der Schlüsselfaktor zur Einführung ist die Motivation, bessere Praxisabläufe mit effizienterem Personal- und Ressourcengebrauch für die Zukunft zu erzielen.

Fazit für die Praxis

  • Befassen Sie sich zeitnah mit der Umsetzung der E‑Rezept-Funktion in Ihrem PVS und beurteilen Sie ehrlich die Zukunftsfähigkeit Ihres Systems und der technischen Infrastruktur Ihrer Praxis.
  • Starten Sie zeitnah mit einzelnen Test-E-Rezepten (z. B. Heimpatient:innen) ohne Zeitdruck.
  • Sollten Ihre Einzeltests erfolgreich verlaufen, planen Sie 1–2 Wochen zum vollständigen Umstieg auf das E‑Rezept ein, um mögliche Probleme im Ablauf im intensivierten Regelbetriebs zu finden.
  • Berichten Sie Fehler an Ihren Softwaresupport.
  • Fragen Sie aktiv Informationsveranstaltungen zum E‑Rezept bei Ihrer KV oder Ihrem Hausärzteverband an.
  • Versuchen Sie, die Chancen des E‑Rezepts genauso zu sehen wie seine Hürden.
  • Tauschen Sie sich mit ihren Apotheken vor Ort aus, wie deren Erfahrungen mit dem E‑Rezept sind.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

N. Kahl: möglicher Interessenkonflikt: Mitglied in der DEGAM und im Bayerischen Hausärzteverband; geschäftsführender Gesellschafter von „deinediagnose.de UG (haftungsbeschränkt)“; ehrenamtlicher 2. Vorsitzender der E‑Rezept-Enthusiasten e. V. M. Eckert: mögliche Interessenkonflikte: 500 € Einlage bei genossenschaftlich organisiertem Praxissoftwaresystem (keine Gewinnausschüttungen); Vorträge über Praxisorganisation Werkzeugkasten Niederlassung (Institut für hausärztliche Fortbildung); Autor Team „Rauchende Köpfe“ bei Der Hausarzt (Verbandszeitschrift Hausärzteverband); Mitglied in der DEGAM und im Hausärzteverband Niedersachsen.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

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Literatur
Metadaten
Titel
Etablierung des elektronischen Rezepts in deutschen Hausarztpraxen
Chancen nutzen und Fehler vermeiden
verfasst von
Dr. med. Nicolas Kahl
Moritz Eckert
Publikationsdatum
25.01.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Zeitschrift für Allgemeinmedizin / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 1433-6251
Elektronische ISSN: 1439-9229
DOI
https://doi.org/10.1007/s44266-022-00009-9

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