Abruptio: „Wir sollten uns nicht außerhalb der Evidenz bewegen“

Diskussionen zum Thema Schwangerschaftsabbruch sind durch Moral und Recht geprägt. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Evidenz wurden Entscheidungen in der Vergangenheit allerdings eher selten herbeigeführt. Am häufigsten haben Frauen einen Schwangerschaftsabbruch in Deutschland, wenn sie zwischen 30 und 35 Jahre alt sind und schon zwei Kinder haben. Diese Information möchte Prof. Dr. med. Dr. h.c. Frank Louwen vom Universitätsklinikum Frankfurt auf dem diesjährigen FOKO all jenen mit auf den Weg geben, die beim Thema Schwangerschaftsabbruch über Sexualmoral sprechen. „Hier steckt Sozialpolitik drin, hier steckt Unterstützung drin. Aber über Sexualmoral möchte ich bei diesen Zahlen nicht diskutieren. Das gehört hier nicht hin“, so Louwen. Nach wie vor ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland gemäß § 218 Strafgesetzbuch für alle Beteiligten strafbar. Hiervon ausgenommen sind medizinische oder kriminologische Indikationen. Ebenfalls straffrei bleibt der Abbruch auf Grundlage der Beratungsregelung. Eine grundgesetzkonforme Regelung wurde 1995 im Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz festgelegt. Abtreibung bleibt zwar grundsätzlich rechtswidrig, von Strafverfolgung wird aber seither innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen bei Vorliegen einer vorschriftsmäßigen Beratung abgesehen. Diese Regelung hat in den darauffolgenden Jahren nicht zu einem Anstieg der Abbruchzahlen geführt, wie damals von einigen Politikern fälschlicherweise vorausgedeutet. Tatsächlich sind die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland zwischen 1996 und 2021 von 130.899 auf 94.596 zurückgegangen. Kirchliche Konzepte "auf wackeligen Füßen" Die Hüterin der Fristenlösung sei über Jahrhunderte die katholische Kirche gewesen, so Louwen. Diese wiederum ist Aristoteles gefolgt. Aristoteles postulierte verschiedene Phasen der Menschwerdung. Nach einer zunächst vegetativen Seele folge mit der Bildung des embryonalen Herzens das Stadium des animalisch-sensitiven Lebens. Schließlich erfolge die Aufnahme der Geist- oder Vernunftseele bei männlichen Embryonen auf den 40. und bei weiblichen Embryonen auf den 80. Tag nach der Empfängnis. Die Vorstellung der sukzessiven Beseelung des Embryos hat die katholische Kirche übernommen und bis 1869 beibehalten. Nachdem sich die katholische Kirche 1869 von der Lehre der Sukzessivbeseelung verabschiedet hatte, folgte sie der Lehre der Simultanbeseelung. 1871 habe das Deutsche Reich reagiert und die §§ 218 und 219 eingeführt, so Louwen. Im Jahre 1917 fand das Konzept der Simultanbeseelung Eingang ins Kirchenrecht. „Das steht auf wackeligen Füßen“, betonte Louwen. Ungeklärt bleibt dabei, wie aus einem beseelten Menschen zwei Individuen werden können. Denn der gleichzeitig mit der Befruchtung stattfindenden Beseelung steht entgegen, dass die Bildung eineiiger Mehrlinge noch bis zum Abschluss der Nidation möglich ist. Louwen mahnte: „Wir sollten uns nicht außerhalb der Evidenz bewegen, wenn wir über dieses wichtige Thema reden, das für Frauen hochrelevant ist.“ Basierend auf: Vortrag „Schwangerschaftsabbruch“ Prof. Dr. med. Dr. h.c. Frank Louwen, 10.3.2023, FOKO Fortbildungskongress des Berufsverbands der Frauenärzte 2023, Düsseldorf, 08.-11. März 2023 Empfehlung der Redaktion FOKO 2023 Fortbildungskongress des Berufsverbandes der Frauenärzte 2023 9.-11. März 2023 | Düsseldorf Wie muss Krebsnachsorge in Zeiten neuer Therapieansätze aussehen? Und wie können Frauenpaare bei der Realisierung des Kinderwunschs unterstützt werden? Diese unter andere aktuelle Fragen wurden auf dem Fortbildungskongress (FOKO) des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V. 2023 diskutiert. Im Kongressdossier finden Sie die Highlights.

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