Erschienen in:
16.05.2017 | Assistierte Reproduktion | Leitthema
Auslegungssache Embryonenschutzgesetz
Der „deutsche Mittelweg“
verfasst von:
PD Dr. med. V. Ziller
Erschienen in:
Die Gynäkologie
|
Ausgabe 6/2017
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Zusammenfassung
Gemäß dem deutschen Embryonenschutzgesetz (EschG) von 1990 dürfen bei einer künstlichen Befruchtung nicht mehr Eizellen befruchtet werden, als der Frau übertragen werden sollen. Zudem dürfen maximal 3 Embryonen gleichzeitig übertragen werden. Die Kombination dieser Absätze impliziert die strikte „Dreierregel“. Diese hat zur Folge, dass nur bis zu 3 Embryonen kultiviert und in die Gebärmutter übertragen werden können. Die Folge ist eine höhere Zahl an Embryotransfers mit geringer Erfolgsaussicht und durch die höhere Zahl transferierter Embryonen ein hohes Mehrlingsrisiko. Im Gegensatz zum Stand der 1990er-Jahre ist heute belegt, dass nicht jede befruchtete Eizelle ein volles Entwicklungspotenzial hat, sondern im Gegenteil nur eine kleine Minderheit sich zu einem Menschen entwickeln kann. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde der „deutsche Mittelweg“ definiert. Hierbei handelt es sich insofern um einen Mittelweg, als zwar mehrere befruchtete Eizellen kultiviert werden, aber dies erfolgt nur mit dem Ziel, genau die Zahl an lebensfähigen Embryonen zu erzielen, die der Frau übertragen werden sollen. Nach jahrelanger Unsicherheit bezüglich dieser liberalen Auslegung des EschG haben zuletzt mehrere Staatsanwaltschaften durch Einstellung von Strafverfahren die rechtswissenschaftlich fundierten Auffassungen bestätigt und die strikte „Dreierregel“ damit derzeit faktisch außer Kraft gesetzt. Da allerdings bis heute keine abschließende juristische, aber auch keine gesellschaftspolitische Klarheit besteht, wird zwar innerhalb der geltenden Gesetze in vielen Zentren bereits erfolgreich der Mittelweg praktiziert; gefordert und notwendig ist aber in Zukunft eine eindeutige Klärung und Regelung, z. B. im Rahmen eines Fortpflanzungsmedizingesetzes.