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29.06.2018 | Medizinstudium | Redaktionstipp | Online-Artikel

Blog

Gesundheitsparadies Australien? Mein PJ in Down Under

verfasst von: Andia Mirbagheri

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Medizinstudentin Andia Mirbagheri hat einen Teil ihres PJs im australischen Melbourne absolviert. Dabei hat sie interessante Einblicke in die dortige Gesundheitsversorgung erhalten, über die sie in ihrem neuen Blogbeitrag für die "Ärzte Zeitung" / Springer Medizin berichtet.

In unserer globalisierten Welt kann man vor allem als Mediziner relativ leicht auch anderswo Fuß fassen und auswandern. Ärzte werden schließlich in der Regel überall gebraucht. Dass Medizin anders praktiziert und Gesundheitsversorgung effizient strukturiert werden kann, habe ich nun in meinem Auslandstertial des Praktischen Jahres (PJ) in Australien selbst erfahren können.

Studierende fungieren dort nicht als ganztägige Blutsauger auf Station, sondern werden als lernwillig wahrgenommen und in die flache Hierarchie des Krankenhauses integriert; man ist hier auf "first-name-basis" mit jedem, inklusive dem Chefarzt. Während im deutschen Gesundheitssystem der PJler unentbehrlich ist, hat man in Australien manchmal das Gefühl, eher im Weg zu stehen.

Dafür gibt es viel Lehre in Form von "Grand Rounds" und "Case Presentations", Formate, in denen Patientenfälle vorgestellt werden und gemeinsam zu aktuellen wissenschaftlichen Fragestellungen sowie medizinischen Leitlinien diskutiert wird.

Vorbereitung auf Prüfung daheim

Den klinischen Unterricht am Krankenbett habe ich sehr begrüßt angesichts der Vorbereitung für das mündlich-praktische Examen in Deutschland. Die australischen Studierenden empfinden ihn dagegen fast als Last, da sie keine Prüfungen mehr in ihrem letzten Jahr haben.

Sie wünschen sich lieber eine Vorbereitung auf das sogenannte "Intern"-Jahr (ungefähr vergleichbar mit PJ-Status, welcher bezahlt wird und mehr administrative als klinische Aufgaben vorsieht). Das Studium ist allerdings kürzer, nur vier beziehungsweise fünf Jahre, je nachdem, ob man bereits einen anderen Hochschulabschluss erworben hat.

Danach arbeitet man ein bis zwei Jahre als "House Medical Officer" (HMO) oder auch genannt "Resident" und rotiert durch verschiedene Fachrichtungen. Um Facharzt zu werden, muss man in das hier vorgesehene Programm aufgenommen werden und arbeitet fortan als "Registrar", Arzt in fachärztlicher Weiterbildung.

Das Ziel ist es, einen Arbeitsplatz als "Consultant" zu erhalten. Diese sind Fachärzte, welche selbstbestimmend arbeiten können und sind oft in mehreren Krankenhäusern und Praxen gleichzeitig tätig.

Kostenlose Klinik-Behandlung

Neben dem Unterschied in der Ausbildung zum Mediziner konnte ich entdecken, warum Australiens Gesundheitssystem einen exzellenten Ruf hat. Das australische Gesundheitssystem basiert auf dem britischen National Health Service (NHS) und nennt sich hier Medicare.

Das Prinzip garantiert jedem Australier und Menschen mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung ein Recht auf eine kostenlose Krankenbehandlung in einem staatlich-öffentlichen Krankenhaus sowie die Subventionierung vieler verschreibungspflichtiger Medikamente durch den Staat.

Die Kosten der Versicherung betragen 1,5 Prozent des steuerpflichtigen Einkommens, während es in Deutschland fast 8 Prozent sind. Allerdings sind viele Australier zusätzlich privatversichert, da Medicare Zahlungen für Zahnbehandlung, Brillen, Physiotherapie, Logopädie und weitere Felder nicht abdeckt.

Anders als in Deutschland müssen alle Antragsteller in die private Versicherung aufgenommen werden und es können keine individuell nach Gesundheitsrisiko festgelegte Prämien verlangt werden.

Nine-to-five-job?

24-Stunden-Dienste kannte niemand in meinem Krankenhaus während meines Tertials in Australien. Manche Ärzte kamen um 8 Uhr und verließen das Haus pünktlich um 17 Uhr, fast wie in einem normalen Bürojob. Natürlich gab es Ärzte, die länger blieben, doch wenn es dazu kam, dann direkt mit Freizeitausgleich und großzügiger Bezahlung der Überstunden.

Gleichzeitig wird dem einzelnen Patienten viel mehr Zuwendung seitens des ärztlichen Personals gewährt; beispielsweise dauern Visiten gerne mehrere Stunden.

Anders als in Deutschland, wo der Patient in einer Visite manchmal gar nicht direkt angesprochen wird, ist Australiern im Krankenhaus die höfliche Etikette hoch und heilig. So heilig, dass man sich manchmal wunderte, warum sich der Arzt mehrfach entschuldigt, bevor er die Untersuchung des Abdomens durchführt.

Zusätzlich ist das australische Pflegesystem durchstrukturierter als in Deutschland. Dafür sorgt ein Pfleger-Patientenschlüssel von 1:4, also vier Patienten kommen auf eine Pflegekraft pro Schicht auf Station; dies gilt jeweils für Früh-und Spätschicht. Nachts wird es weniger mit einem Schlüssel von 1:7 . In Deutschland sind es gerne drei-bis viermal so viele Patienten auf nur eine einzige Pflegekraft.

Sehr viel mehr Personal

Zudem gibt es verschiedene Spezialisierungen innerhalb der Pflegeberufe. So studieren die "Registered Nurses" (RN) drei Jahre lang an einer Hochschule, die sie mit einem "Bachelor of Nursing" abschließen. Sie supervidieren in der Klinik die "Enrolled Nurses" (EN), welche zwei Jahre lang eine nicht-akademische Berufsausbildung durchlaufen.

Daneben gibt es Krankenpflege-Studierende, die fest in den Tagesablauf miteingebunden werden sowie von einem "Nurse Educator" supervidiert werden, Pflege-Assistenten, die sich um das Waschen der Patienten kümmern sowie weitere Service-Kräfte, die sich nur um die Administration der Mahlzeiten und wieder andere, die sich nur um den Nachmittagskaffee kümmern. Insgesamt gibt es sehr viel mehr Personal, als man es in einem deutschen Klinikum erwarten würde.

Perspektive erweitert

Wie überall hat auch das australische System seine Tücken. Noch längere Wartezeiten beim Spezialisten als der durchschnittlich deutsche gesetzlich Versicherte und die Sicherstellung der Versorgung in sehr entlegenen Regionen, in denen Fachkräfte oft fehlen, gehören dazu.

Das Studium ist zwar mehr auf den Lernwilligen ausgelegt, doch habe ich gespürt, dass mir nach einem sehr praktischen ersten Tertial im deutschen PJ-System die direkte Anwendung meiner Kenntnisse gefehlt hat.

Ich freue mich, dass ich Einblick in ein Gesundheitssystem bekommen habe, das als eines der besten weltweit gilt, und sehe mein Tertial auch als Erweiterung einer interkulturellen Perspektive, die für moderne Mediziner unentbehrlich ist

Zur Person: Andia Mirbagheri
Andia Mirbagheri ist 25 Jahre alt, studiert an der Charité Humanmedizin und ist aktuell im PJ, das sie in verschiedenen Teilen der Erde verbringt. Sie hat sich noch nicht für eine Fachrichtung entschieden.​​​​​​​



Quelle: Ärzte Zeitung