Erschienen in:
19.04.2017 | Psychotherapie | Forschungsforum
Standardisierte vergleichende Kasuistiken von psychoanalytisch begründeten Psychotherapien
verfasst von:
Dr. phil., Dipl.-Psych. Melanie Ratzek, Dr. phil., Dipl.-Psych. Tobias Brandl, Prof. Dr. phil., Dr. med. Dorothea Huber
Erschienen in:
Forum der Psychoanalyse
|
Ausgabe 3/2017
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Kasuistiken stellen in der Psychoanalyse eine wichtige Erkenntnismethode dar, die sowohl für die Forschung als auch für die Praxis von unschätzbarem Wert ist. In den letzten Jahren mehren sich Einzelfalluntersuchungen, die sich standardisierter Untersuchungsinstrumente bedienen und insofern einen weiteren Beitrag zur Schließung der Lücke zwischen Forschung und Praxis leisten. An diese neuere Entwicklung angelehnt wird in der vorliegenden Untersuchung das therapeutenseitige Interaktionsverhalten in psychoanalytisch begründeten Behandlungen systematisch untersucht und beschrieben. Die Erhebung des Interaktionsverhaltens erfolgt über standardisierte Kasuistiken, basierend auf dem „Codiersystem zur Interaktion in der Psychotherapie“ (CIP). Das Interaktionsverhalten der Therapeuten wird im Rahmen von zwei tiefenpsychologisch fundierten und zwei analytischen Psychotherapien erhoben und analysiert. Es zeigt sich, dass das therapeutenseitige Interaktionsverhalten mithilfe des CIP umfassend abgebildet werden kann. Darüber hinaus ermöglichen die standardisierten Kasuistiken einen systematischen Vergleich zwischen den Einzelfällen. Auffallend ist, dass hinsichtlich des Interaktionsverhaltens zwar durchaus Unterschiede zwischen den Therapeuten bestehen, diese Grenzlinie allerdings nicht zwischen den therapeutischen Verfahren liegt. Da es sich um unmanualisierte Behandlungen durch sehr erfahrene Therapeuten handelt, könnte eine Erklärung für diesen Befund sein, dass Therapeuten sich mit zunehmender beruflicher Erfahrung und Expertise mehr und mehr von den jeweiligen Therapiekonzeptionen entfernen und ihr jeweils eigener Behandlungs- und Interaktionsstil dominanter in Erscheinung tritt bzw. sie sich mehr auf den Patienten als auf das Verfahren einstellen. Es wird für den einzelfallbezogenen Einsatz von standardisierten Prozessinstrumenten plädiert, der die subjektive Perspektive psychoanalytischer Falldarstellungen um eine objektive Perspektive ergänzen kann.