Kommentar
Zuallererst sollte dem Studienteam Hochachtung ausgesprochen werden, diese Studie durchgeführt zu haben. Randomisierte Studien zwischen so unterschiedlichen Alternativen wie der primären Strahlentherapie und primären Operation sind aufgrund der häufig gegebenen Patientenpräferenz schwer durchzuführen.
Um die ORATOR-Studien kurz zu sortieren: die ORATOR-Studie mit den hier kommentierten Langzeitergebnissen widmete sich sowohl Patienten mit p-16 positiven als auch p-16 negativen Tumoren und verglich die primäre RCT mit primärer OP +/− adjuvanter Therapie in jeweils „konventioneller“ Therapieintensität [
2,
3]. Die ORATOR-2-Studie hingegen, widmete sich ausschließlich Patienten mit p-16 positiven Tumoren und verglich die primäre RCT mit der primären OP +/− adjuvanter Therapie in jeweils deeskalierter Therapieintensität [
4,
5].
Zurück zur ORATOR-Studie: bezüglich des primären Endpunktes lag noch ein statistisch signifikanter (klinisch per Studiendefinition jedoch nicht relevanter) Vorteil in der patientenberichteten Schluckfunktion ein Jahr nach Studienabschluss zu Gunsten der RCT vor [
2]. Dieser Vorteil persistiere in einer medianen Nachbeobachtungszeit von drei bis vier Jahren, nicht mehr jedoch in der aktuellen Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren [
6]. Bezüglich der Schluckfunktion lässt sich insgesamt also festhalten, dass eine primäre RCT auch einer modernen roboter-assistierten primären OP zumindest nicht unterlegen ist. Dies insbesondere, da auch im langzeitigen follow-up die Dysphagie als Toxizität nach OP signifikant stärker ausgeprägt war. Ergänzend muss jedoch angeführt werden, dass die Ergebnisse zumindest der ORATOR-2-Studie im deutschsprachigen Raum bei Unterschieden in OP-Techniken kontrovers diskutiert wurden [
7]. Insbesondere gibt es neuerdings Anhaltspunkte dafür, dass die in Deutschland häufig eingesetzte transorale Laserchirurgie Vorteile in der Schluckfunktion gegenüber der roboter-assistierten OP bieten könnte [
8]. Ferner wird auch ein noch längeres follow-up relevant sein, da die patientenberichtete Schluckfunktion nach RCT eine Tendenz zur Verschlechterung ab dem vierten Jahr zeigte.
Bezüglich der onkologischen Effektivität ist festzuhalten, dass die RCT und OP vergleichbare Ergebnisse zeigen. Der neusprichwörtliche „Elefant im Raum“ bleibt dabei die Frage nach einer Therapiedeeskalation bei Patienten mit p-16 (und ggf. HPV-DNA)-positiven Tumoren. Eine Dosisreduktion
a priori auf 60 Gy Gesamtdosis mit Cisplatin oder Nivolumab in der Primärsituation ist jedoch auf Grundlage der kürzlich auf der ASTRO 2024 vorgestellten Daten der NRG-HN005 Studie gescheitert [
9]. Ob beispielswiese ein frühes „Hypoxie-PET“-basiertes Beurteilen des Therapieansprechens eine Therapiedeeskalation erlauben könnte, ist bei vielversprechenden frühen Studiendaten abzuwarten [
10]. Bis dahin bleiben die 70 Gy Gesamtdosis gemeinsam mit Cisplatin in der Primärsituation Standard und auch deshalb sind die Langzeitdaten der ORATOR-Studie so wertvoll.
Fazit
Die primäre RCT sowie die primäre OP bieten vergleichbare onkologische Ergebnisse bei gewissen Unterschieden in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und Toxizität. Die patientenberichtete Schluckfunktion unterscheidet sich in den ersten Jahren zugunsten der primären RCT, nicht mehr jedoch über einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren. Ebenso wie die Autoren der Studie folgern daher auch wir, dass Patienten partizipativ in die Therapieentscheidung in der Primärsituation eingebunden werden, beispielsweise nach dem „Kieler Modell“ des
shared decision makings [
11].
Alexander Fabian und Markus Hoffmann, Kiel
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