Skip to main content

Open Access 09.12.2024 | Strahlentherapie | Literatur kommentiert

Langzeitergebnisse der ORATOR-Studie: Radiotherapie versus transorale roboter-assistierte Chirurgie in der Primärtherapie des Oropharynxkarzinoms

verfasst von: PD Dr. med. Alexander Fabian, MBA, Prof. Dr. med. Markus Hoffmann

Erschienen in: Strahlentherapie und Onkologie

download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
Hinweise

Originalpublikation

Nichols AC, Theurer J, Prisman E, et al (2024) Radiotherapy Versus Transoral Robotic Surgery for Oropharyngeal Squamous Cell Carcinoma: Final Results of the ORATOR Randomized Trial. JCO 0:JCO.24.00119. https://​doi.​org/​10.​1200/​JCO.​24.​00119.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Abkürzungen
RCT
primäre Radio(chemo)therapie
OP
primäre transorale roboter-assistiert Operation mit Neck dissection +/− adjuvante Therapie
Hintergrund und Ziel der Arbeit
Die beste primäre Therapiestrategie für Patienten mit Oropharynxkarzinom ist nicht klar definiert. Die ORATOR-Studie verglich eine primäre Strahlen(chemo)therapie mit einer primären roboter-assistierten Operation. Nachdem der primäre Endpunkt, die patientenberichtete Schluckfunktion ein Jahr nach Therapieende, zu Gunsten der primären Strahlentherapie ausfiel, wurden nun die Langzeitergebnisse der Studie vorgestellt [1].
Patienten und Methode
Die ORATOR-Studie war eine multizentrische, randomisierte (1:1) Phase II Studie, die in Kanada und Australien von 2012 bis 2017 rekrutierte [2]. Die Studie schloss Patienten mit p-16 positivem sowie p-16 negativem, histologisch gesichertem Plattenepithelkarzinom des Oropharynx der Stadien T1-2N0-2M0 (TNMv7) ein. Die Randomisierung erfolgte 1:1 zwischen einer primären Radio(chemo)therapie („RCT“) vs. einer primären transoralen roboter-assistierten Operation mit Neck Dissection +/− adjuvanter Strahlen(chemo)therapie („OP“). Die primäre RCT bestand aus 70 Gy Gesamtdosis bzw. 56 Gy Gesamtdosis in 35 werktäglichen Fraktionen auf makroskopische Tumorareale bzw. elektive Lymphabflusswege. Bei Lymphknotenbefall erfolgte in der definitiven Situation die Chemosensibilisierung mit 3 × 100 mg/m2 Cisplatin. Die Strahlentherapie erfolgte in intensitäts-modulierter Technik. Der primäre Studienendpunkt war die patientenberichtete Schluckfunktion gemäß MDADI-Fragebogen. Sekundäre Endpunkte umfassten u. a. weitere patientenberichtete Endpunkte (u. a. EORTC QLQ-C30 und EORTC QLQ-H&N35), Toxizität nach CTCAEv4, Gesamtüberleben sowie progressionsfreies Überleben. In der aktuellen Publikation werden Langzeitdaten vorgestellt.
Ergebnisse
Die Studie rekrutierte 68 Patienten wovon jeweils 34 Patienten zur RCT bzw. zur OP randomisiert wurden. Der Tumor war bei 88 % der Patienten p-16 positiv und 72 % der Patienten berichteten Nikotinkonsum. Das mediane follow-up der aktuellen Publikation beträgt fünf Jahre, wobei zu diesem Zeitpunkt Daten von 39 Patienten (57 %) vorlagen. Über den Zeitverlauf von fünf Jahren bestand kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Studienarmen bzgl. der globalen patientenberichteten Schluckfunktion gemäß MDADI-Fragebogen (p = 0,11). Der einzige signifikante Unterschied in den Einzeldomänen des MDADI-Fragebogens betraf die emotionale Domäne zu Gunsten der RCT (p = 0,0014). Bezüglich weiterer patientenberichteter Endpunkte wiesen Patienten nach RCT mehr Mundtrockenheit auf (p = 0,032), wohingegen Patienten nach OP über stärkeres Schmerzgeschehen berichteten (p = 0,002). Die Gesamtlast der Grad 2–5 Toxizitäten unterschied sich nicht signifikant zischen den Studienarmen. Die Art der Toxizität unterschied sich allerdings. Nach RCT bestanden mehr Neutropenie sowie Höreinbußen; nach OP mehr Dysphagie sowie Schmerzen. Weder das Gesamtüberleben noch das progressionsfreie Überleben unterschieden sich signifikant nach RCT oder nach OP. Das Gesamtüberleben betrug nach fünf Jahren 84 % bzw. 85 % nach RCT bzw. OP. Das progressionsfreie Überleben betrug nach fünf Jahren 84 % bzw. 82 % nach RCT bzw. OP.
Schlussfolgerungen der Autoren
Die patientenberichtete Schluckfunktion zeigt über einen Zeitraum von fünf Jahren keinen signifikanten Unterschied zwischen den Therapiestrategien. Bei gleichwertigen onkologischen Ergebnissen und gewissen Unterschieden in Lebensqualität sowie Toxizität sollte die Therapieentscheidung partizipativ getroffen werden.

Kommentar

Zuallererst sollte dem Studienteam Hochachtung ausgesprochen werden, diese Studie durchgeführt zu haben. Randomisierte Studien zwischen so unterschiedlichen Alternativen wie der primären Strahlentherapie und primären Operation sind aufgrund der häufig gegebenen Patientenpräferenz schwer durchzuführen.
Um die ORATOR-Studien kurz zu sortieren: die ORATOR-Studie mit den hier kommentierten Langzeitergebnissen widmete sich sowohl Patienten mit p-16 positiven als auch p-16 negativen Tumoren und verglich die primäre RCT mit primärer OP +/− adjuvanter Therapie in jeweils „konventioneller“ Therapieintensität [2, 3]. Die ORATOR-2-Studie hingegen, widmete sich ausschließlich Patienten mit p-16 positiven Tumoren und verglich die primäre RCT mit der primären OP +/− adjuvanter Therapie in jeweils deeskalierter Therapieintensität [4, 5].
Zurück zur ORATOR-Studie: bezüglich des primären Endpunktes lag noch ein statistisch signifikanter (klinisch per Studiendefinition jedoch nicht relevanter) Vorteil in der patientenberichteten Schluckfunktion ein Jahr nach Studienabschluss zu Gunsten der RCT vor [2]. Dieser Vorteil persistiere in einer medianen Nachbeobachtungszeit von drei bis vier Jahren, nicht mehr jedoch in der aktuellen Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren [6]. Bezüglich der Schluckfunktion lässt sich insgesamt also festhalten, dass eine primäre RCT auch einer modernen roboter-assistierten primären OP zumindest nicht unterlegen ist. Dies insbesondere, da auch im langzeitigen follow-up die Dysphagie als Toxizität nach OP signifikant stärker ausgeprägt war. Ergänzend muss jedoch angeführt werden, dass die Ergebnisse zumindest der ORATOR-2-Studie im deutschsprachigen Raum bei Unterschieden in OP-Techniken kontrovers diskutiert wurden [7]. Insbesondere gibt es neuerdings Anhaltspunkte dafür, dass die in Deutschland häufig eingesetzte transorale Laserchirurgie Vorteile in der Schluckfunktion gegenüber der roboter-assistierten OP bieten könnte [8]. Ferner wird auch ein noch längeres follow-up relevant sein, da die patientenberichtete Schluckfunktion nach RCT eine Tendenz zur Verschlechterung ab dem vierten Jahr zeigte.
Bezüglich der onkologischen Effektivität ist festzuhalten, dass die RCT und OP vergleichbare Ergebnisse zeigen. Der neusprichwörtliche „Elefant im Raum“ bleibt dabei die Frage nach einer Therapiedeeskalation bei Patienten mit p-16 (und ggf. HPV-DNA)-positiven Tumoren. Eine Dosisreduktion a priori auf 60 Gy Gesamtdosis mit Cisplatin oder Nivolumab in der Primärsituation ist jedoch auf Grundlage der kürzlich auf der ASTRO 2024 vorgestellten Daten der NRG-HN005 Studie gescheitert [9]. Ob beispielswiese ein frühes „Hypoxie-PET“-basiertes Beurteilen des Therapieansprechens eine Therapiedeeskalation erlauben könnte, ist bei vielversprechenden frühen Studiendaten abzuwarten [10]. Bis dahin bleiben die 70 Gy Gesamtdosis gemeinsam mit Cisplatin in der Primärsituation Standard und auch deshalb sind die Langzeitdaten der ORATOR-Studie so wertvoll.

Fazit

Die primäre RCT sowie die primäre OP bieten vergleichbare onkologische Ergebnisse bei gewissen Unterschieden in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und Toxizität. Die patientenberichtete Schluckfunktion unterscheidet sich in den ersten Jahren zugunsten der primären RCT, nicht mehr jedoch über einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren. Ebenso wie die Autoren der Studie folgern daher auch wir, dass Patienten partizipativ in die Therapieentscheidung in der Primärsituation eingebunden werden, beispielsweise nach dem „Kieler Modell“ des shared decision makings [11].
Alexander Fabian und Markus Hoffmann, Kiel

Interessenkonflikt

A. Fabian erhielt Honorare von Merck Sharp & Dohme. M. Hoffmann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Unsere Produktempfehlungen

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

e.Med Radiologie

Kombi-Abonnement

Mit e.Med Radiologie erhalten Sie Zugang zu CME-Fortbildungen des Fachgebietes Radiologie, den Premium-Inhalten der radiologischen Fachzeitschriften, inklusive einer gedruckten Radiologie-Zeitschrift Ihrer Wahl.

Strahlentherapie und Onkologie

Print-Titel

•Übersichten, Originalien, Kasuistiken

•Kommentierte Literatur aus der Radioonkologie, Strahlenbiologie und -physik

Literatur
Metadaten
Titel
Langzeitergebnisse der ORATOR-Studie: Radiotherapie versus transorale roboter-assistierte Chirurgie in der Primärtherapie des Oropharynxkarzinoms
verfasst von
PD Dr. med. Alexander Fabian, MBA
Prof. Dr. med. Markus Hoffmann
Publikationsdatum
09.12.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Strahlentherapie und Onkologie
Print ISSN: 0179-7158
Elektronische ISSN: 1439-099X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00066-024-02335-2

Passend zum Thema

ANZEIGE

Lipid-Schutzschild-Komplex: Intensive Regeneration des Tränenfilms 

Die neuen Bepanthen® Augentropfen Intense mit Lipidtechnologie bieten lang anhaltende Linderung, Befeuchtung und intensive Pflege. Hier mehr zur Behandlung von (chronisch) sehr trockenen Augen.

ANZEIGE

Falldiskussion: Hauttumoren und Nävi im Kindesalter

Prof. Dr. Henning Hamm, Würzburg, thematisierte anhand von Fallbeispielen Hauttumore und Nävi bei Kindern. Erfahren Sie hier unter anderem mehr über Differenzial-diagnosen beim infantilen Hämangiom.

ANZEIGE

Bepanthen® unterstützt bei vielen Indikationen die Regeneration der Haut

  • Content Hub

Bepanthen® Wund- und Heilsalbe wird heute wie bei der Einführung vor 70 Jahren erfolgreich bei kleinen Alltagsverletzungen eingesetzt. Moderne Forschung – Untersuchungen an Hautmodellen, Genexpressionsanalysen und klinische Studien – schafft darüber hinaus Evidenz für neue Anwendungsgebiete. So kann die Dexpanthenol-haltige Salbe heute z.B. zur Nachbehandlung einer Lasertherapie bei aktinischer Keratose oder Tattoo-Entfernung eingesetzt werden. Erfahren Sie hier mehr über moderne Forschung zu Bepanthen.

Bayer Vital GmbH