Die deutsch-österreichische S3-Leitlinie hat die notwendige personelle Infrastruktur zur Durchführung von ABS-Programmen in Akutkrankenhäusern konkretisiert und empfiehlt eine Ausstattung von (mindestens) 1 Vollzeitstellenäquivalent (VZÄ) für ABS-Teammitglieder pro 500 Betten, mit der ein Basisbündel von ABS-Maßnahmen in vielen Fällen kostenneutral durchführbar sein sollte [
18]. Studien, die den Personalbedarf je nach Ausgangsposition und Zielerreichung bezüglich Antiinfektivaverordnungsqualität und Resistenzminimierung exakt quantifizieren können, sind bisher nicht verfügbar. Eine exakte Bezifferung des optimalen Personalbedarfs ist demnach erschwert, doch lassen sich aus Beschreibungen in der Literatur zum Personaleinsatz und aufgrund des geschätzten Zeitbedarfs (siehe Anhang) gemäß Aufgabenbeschreibung des ABS-Teams eine solche Mindestpersonalstärke und ein Zusatzbedarf je nach Krankenhausgröße und -struktur schätzen und begründen.
Es erscheint notwendig und wird angeregt, Kosteneffektivitätsstudien in Auftrag zu geben, die eine genauere Abschätzung der Investitionen in Personal und Infrastruktur unter Berücksichtigung des Versorgungsauftrags der Krankenhäuser erlauben und auch Möglichkeiten und Chancen regionaler Vernetzung in Deutschland aufzeigen.
Basisbedarf: 1 Vollzeitstellenäquivalent pro 500 Betten
Nach verschiedenen Studien sind im Mittel mindestens 30 % der Antiinfektivaverordnungen in Akutkrankenhäusern optimierbar [
46]. Bei einer durchschnittlichen Antibiotikabehandlungsinzidenz bei Krankenhauspatienten von ~30 %, einem Anteil daran von 30 % mit dringlichem Beratungsbedarf und einer mittleren Verweildauer von ~1 Woche bedeutet dies, dass pro 500 Betten ein individueller Beratungsbedarf in der Größenordnung von rund 40–50 Fällen pro Woche entsteht (500 × 0,3 × 0,3 = 45). Dies entspricht wiederum den Ergebnissen eines jüngeren US-amerikanischen Surveys, in dem für Akutkrankenhäuser eine Rate von rund 10 Empfehlungen pro 100 Betten (und Woche) ermittelt wurde, um Fehler bezüglich Angemessenheit der Antibiotikabehandlung zu korrigieren oder zu vermeiden [
47]. Alleinige apothekenbasierte Indikationsprüfungen können effektiv sein [
48], jedoch eine ärztliche Beurteilung – optimalerweise fachärztlich-infektiologische Expertise mit Konsil am Krankenbett – nicht komplett ersetzen. Nimmt man einen Zeitbedarf von 30–60 min pro Beratungsfall an, ergeben sich 20–50 h pro Woche (0,5–1,25 VZÄ) bei einem 500-Betten-Krankenhaus für infektiologische Konsile, ABS-Visiten und teilweise apothekenbasierte Indikationsprüfungen (30 min × 40 Fälle = 20 h, 60 min × 50 Fälle = 50 h, in der Tab.
1 (im Anhang) wurden 25 h pro Woche angenommen). Hinzu kommen Aufgaben, die nicht direkt patientenbezogen sind, ABS-Teamsitzungen/Mitarbeit in Gremien, Surveillance, Schulungen, Leitlinienarbeit etc.
Für kleinere Krankenhäuser (70–150 Betten) hat man kürzlich einen Zeitbedarf von insgesamt 5–10 h pro Woche (entsprechend rund 33 h pro Woche pro 500 Betten) ermittelt [
49]. In einem jüngeren Konsensusreport aus den Niederlanden [
50] wird angegeben, dass die Personalstärke – abhängig von der Krankenhausgröße und auch den angestrebten ABS-Zielen und -Maßnahmen – bei mindestens 0,87–1,1 (bei 300 Betten), 1,15–1,79 (bei 750 Betten) und 1,43–1,68 (bei 1200 Betten) VZÄ liegt. Dies entspricht einem Basisbedarf von 0,7–1,45 VZÄ pro 500 Betten – ähnlich also den Schätzungen von anderer Seite eines Mindestpersonalbedarfes von ~1 VZÄ pro 500 Betten. Bei Intensivierung des Programms mit zusätzlichen Zielsetzungen und Anforderungen sowie in der Initialphase der Implementierung ist der Bedarf höher [
50]. In einem US-amerikanischen Survey wurde ein Bedarf von durchschnittlich 1,3 VZÄ (Ärzte und Apotheker) bei Krankenhäusern mit einer Bettenzahl von 100–300 ermittelt. Bei größeren Krankenhäusern war der durchschnittliche Bedarf entsprechend höher (1,6 VZÄ [300–500 Betten], 2,2 VZÄ [501–1000 Betten], 3,6 VZÄ [>1000 Betten]; [
51]).
Dass sich mit einer Personalstärke in der Größenordnung 1 VZÄ pro 500 Betten ein Basisbündel von ABS-Maßnahmen in der Regel mindestens kostenneutral realisieren lässt, zeigen verschiedene Studien. Die bisher berichteten Kosteneinsparungen (Medikamente, Diagnostik) betrugen in einer jüngeren Literaturübersicht in den entsprechenden Studien zwischen 9000 US$ und >2 Mio. US$ pro Krankenhaus [
52]. Es liegen auch Berichte über Nettoeinsparungen vor. So wurden am University of Maryland Medical Center (Baltimore, Maryland, USA) mit einer Personalausstattung von (umgerechnet) 1,5 VZÄ pro 500 Betten Nettoeinsparungen (über Arzneimittelkosten, 500 US$ pro Bett und Jahr, unter Berücksichtigung der Kosten des ABS-Programms) über 7 Jahre erzielt [
53]. In einem deutschen Universitätskrankenhaus wurden über 2 Jahre Nettoeinsparungen (ebenfalls nur Arzneimittelausgaben betreffend, 500 € pro Bett und Jahr) mit einem Personaleinsatz von 2 VZÄ pro 500 Betten erzielt [
54]. In einer kürzlich publizierten Studie [
31] war eine Investition in Fachpersonal in dieser Höhe auch in einem schwedischen Krankenhaus für den Krankenhausträger mindestens kostenneutral (Reduktion der Arzneimittelausgaben inkl. Pflegepersonalzeit – ohne Berücksichtigung der Erlöseffekte durch kürzere Liegedauern und erhöhte Fallzahlen). In einer niederländischen Studie wurden im Rahmen der Tätigkeit eines ABS-Teams innerhalb eines Jahres Nettoeinsparungen mit hoher Rentabilität (Vollkosten für eine Beratung/Konsil ~80 €, Einsparung ~500 € pro Fall durch verkürzte Verweildauer, weniger Krankenpflegeaufwand, geringere Arzneimittelkosten) erzielt [
28].
Das vorliegende Positionspapier geht entsprechend der obigen Angaben ebenfalls von einer begründbaren Mindestpersonalstärke für das ABS-Team in der Größenordnung von 1 VZÄ pro 500 Betten aus. Dies ist im Einklang mit den Empfehlungen der europäischen Gesundheitsbehörden (ECDC), die für die Durchführung kosteneffektiver ABS-Programme und unter Verweis auf die notwendige Sicherung einer optimierten Versorgungs- bzw. Verordnungsqualität 1–3 VZÄ pro 500 Betten fordern [
27]. Der über 1 VZÄ hinausgehende Bedarf pro 500 Betten wurde dort vor allem aufgrund eines französischen Surveys aufgenommen, der einerseits neben Infektiologen weitere Disziplinen im ABS-Team berücksichtigt und außerdem auch einen Zusatzbedarf bei größeren Krankenhäusern mit Spezialdisziplinen wiedergibt (siehe unten).
Bei der Berechnung der Mindestpersonalstärke sollen für die zugrunde zu legende Bettenzahl psychiatrische, psychotherapeutische/psychosomatische, nuklearmedizinische und Rehabilitationsbetten (außer Akutrehabilitation) nicht mitgezählt werden.
Gerade in kleinen Krankenhäusern wird sich ein eigenständiges ABS-Team je nach den lokalen Gegebenheiten aus einem oder mehreren infektiologisch qualifizierten Krankenhausärzten, dem vor Ort angestellten Krankenhaushygieniker, der gleichzeitig ABS-Experte sein kann, sowie je nach Präsenz einem infektiologisch qualifizierten Pharmazeuten und einem beratenden Mikrobiologen, die ebenfalls ABS-fortgebildet sein sollten, zusammensetzen.
Die Doppelqualifikation Infektiologe/ABS-Experte und Krankenhaushygieniker sollte gefördert, die jeweiligen Stellenanteile gemäß Größe des Krankenhauses addiert werden. Alternativ könnte der errechnete ABS-Stellenanteil auch auf mehrere ABS-qualifizierte Personen verteilt werden.
Zusatzbedarf bis zu 0,5 Vollzeitstellenäquivalente bei bestimmten Krankenhausschwerpunkten
Neben der Mindestpersonalstärke wird je nach Krankenhausschwerpunkten (komplexitätsbedingt) und Anforderungen ein Zusatzbedarf gesehen. Hierzu gibt es keine systematischen Untersuchungen. Diese Sichtweise stützt sich aber auf Erfahrungswerte in deutschen Krankenhäusern und entspricht im Wesentlichen auch den bisherigen internationalen Erfahrungen und auch den Empfehlungen der ECDC und anderer Institutionen. So wurde in Frankreich früher als Mindestpersonalstruktur eine Rate von 0,375 VZÄ pro 500 Betten („référent d’antibiotiques“) angegeben [
55], jedoch aus der Praxis mit Hinweis auf einen wesentlich höheren Bedarf (insgesamt 3,3 VZÄ pro 500 Betten) korrigiert [
56]. Bezogen auf 500 Betten wurden dort für die einzelnen Fachdisziplinen im ABS-Team folgende Bedarfszahlen (VZÄ) genannt: ~1,8 Infektiologen, ~1,25 Apotheker, ~0,3 Mikrobiologen/Hygieniker [
56]. Ein über 1 VZÄ pro 500 Betten hinausgehender Bedarf findet sich auch in der australischen ABS-Empfehlung (2 VZÄ pro 500 Betten; [
57]), in einer früheren US-amerikanischen Studie (~1,5 VZÄ für mittelgroße Krankenhäuser; [
58]) sowie auch in den neuen Vorgaben der US-amerikanischen
Centers for Medicare & Medicaid Services zu neuen Qualitätsstandards für Krankenhäuser (~1,4 VZÄ pro 500 Betten; [
59]). Die oben genannte niederländische Arbeitsgruppe schätzte den Bedarf für ein intensiviertes Programm auf (umgerechnet) 1,3–2,1 VZÄ pro 500 Betten [
50].
In den Beratungen zum vorliegenden Positionspapier wurde mehrheitlich dafür gestimmt, dass folgende Krankenhausmerkmale und Schwerpunkte einen Zusatzpersonalbedarf für das ABS-Team von je 0,5 VZÄ definieren sollen – unabhängig von der Zahl der für diese Schwerpunkte vorgehaltenen Betten:
-
Krankenhäuser mit Organtransplantationszentrum bzw. -einheiten,
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Krankenhäuser mit einem Schwerpunkt in der Hämatologie inkl. allogener Stammzelltransplantation,
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Krankenhäuser mit Fachabteilung für Kinder- und Jugendmedizin inkl. Neonatologie,
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Krankenhäuser mit eigenen Schwerpunkten im Bereich orthopädischer Gelenkersatz und/oder Herzchirurgie und/oder Neurochirurgie (wenn nur eine (0,2 VZÄ) oder 2 (0,4 VZÄ) der Disziplinen vorhanden sind, entsprechende Reduktion),
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Krankenhäuser mit mehr als 4 intensivmedizinischen Behandlungseinheiten/Stationen oder mehr als 50 Intensivbetten oder einer eigenen (bettenführenden) Fachabteilung Intensivmedizin.
Tab.
2 zeigt beispielhaft die Berechnung des Personalbedarfs für ein fachabteilungsübergreifendes ABS-Team.
Die exakte Aufteilung der Aufgaben und Stundenzahlen muss und kann nur unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit von Fachpersonal vor Ort, der konkreten Struktur der klinischen Schwerpunkte und im Einvernehmen mit der ABS-Teamleitung definiert werden. Zu berücksichtigen sind bei den Stellenanteilen für Hygieniker die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) zu personellen Voraussetzungen für eine sachgerechte Krankenhaushygiene [
60,
61].
Dem ABS-Team ggf. (zeitlich begrenzt) zugeordnete Ärzte in Weiterbildung in den einschlägigen infektionsmedizinischen Fächern übernehmen im Rahmen ihrer Weiterbildung Aufgaben in der Versorgung und sind daher in die Stellenkalkulation einzubeziehen. Dabei kann in den ersten beiden Jahren der Weiterbildung die Kapazität des Weiterzubildenden mit 50 % des Beschäftigungsumfanges und ab dem 3. Jahr der Weiterbildung mit 90 % des Beschäftigungsumfanges angerechnet werden.