Hintergrund
… über die Interaktion mit den Bindungsfiguren (meist den Eltern) vermittelt wird und sich seinerseits auf Affektregulation, Beziehungsgestaltung und deren neurobiologischer Korrelate auswirkt [23, S. 45].
Bindung und Sucht
… Bindung an eine appetitive (lustgesteuerte) Aktivität, welche so stark ausgeprägt ist, dass es für die Person schwierig ist, diese Aktivität zu zügeln, obwohl diese einen Schaden verursacht [16, S. 18; Übersetzung: HFU].
Messung des Bindungsverhaltens
Methode
Ergebnisse
Studie | Messmethode | Stichprobe | Psychometrie | Ergebnisse |
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De Rick et al. [17] | Fragebogen |
n = 101 stationäre alkoholabhängige Patienten (30 Frauen) | – European Addiction Severity Index (ASI) – Adult Attachment Style Questionnaire (AAQ) – Parental Bonding Instrument (PBI) – Bermond-Vorst Alexithymia Questionnaire (BVAQ) | Ein vermeidender Bindungsstil zeigt sich vor allem als starker Prädiktor für kognitive Alexithymie. Einen weiteren Einflussfaktor stellte mangelnde Wärmeerfahrung in der Beziehung zum Vater dar |
De Rick et al. [18] | Fragebogen |
n = 101 stationäre alkoholabhängige Patienten (30 Frauen) | – European Addiction Severity Index (ASI) – Adult Attachment Style Questionnaire (AAQ) – Parental Bonding Instrument (PBI) – Bermond-Vorst Alexithymia Questionnaire (BVAQ) – Spielberger State Trait Anxiety Inventory (ZBV) – Beck Depression Inventory (BDI-IINL) – Assessment of DSM-IV Personality Disorders (ADP-IV) | Im Vergleich zu sicher gebundenen Patienten erleben unsicher gebundene Patienten ihre Mutter als mehr kontrollierend, berichten häufiger von psychiatrischen Problemen, wiesen mehr schizotype und depressive Persönlichkeitsanteile auf und zeigten mehr Probleme, ihre Emotionen zu kommunizieren |
De Rick et al. [19] | Fragebogen |
n = 101 stationäre alkoholabhängige Patienten (30 Frauen) | – European Addiction Severity Index (ASI) – Adult Attachment Style Questionnaire (AAQ) – Bermond-Vorst Alexithymia Questionnaire (BVAQ) – Spielberger State Trait Anxiety Inventory (STAI) – Beck Depression Inventory (BDI-IINL) – Assessment of DSM-IV Personality Disorders (ADP-IV) | Es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Schwere der psychiatrischen Symptomatik (Persönlichkeitsstörungen, Angst und Depression) und dem Ausmaß der Beeinträchtigung des Bindungssystems |
Schindler et al. [21] | Halbstrukturiertes Interview |
n = 71 opiatabhängige oder polytoxe Jugendliche (28 Frauen)
n = 39 Kontrollpersonen: gesunde Geschwister der drogenabhängigen Jugendlichen | – Family Attachment Interview (FAI) – European Addiction Severity Index (ASI) | Es zeigte sich ein erhöht ängstlicher Bindungsstil in der Suchtgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Schwere der Drogenabhängigkeit korrelierte positiv mit ängstlicher Bindung, aber negativ mit einem vermeidenden Bindungsstil. Auch das Vorherrschen komorbider psychiatrischer Erkrankungen zeigte einen positiven Zusammenhang mit ängstlicher Bindung, aber nicht mit der Schwere der Drogenabhängigkeit |
Schindler et al. [22] | Fragebogen Halbstrukturiertes Interview |
n = 22 Opioid-Konsumenten
n = 31 Ecstasy-Konsumenten
n = 19 Cannabis-Konsumenten
n = 22 Kontrollpersonen | – Family Attachment Interview (FAI) – Adaption des Addiction Severity Index (ASI) – Symptom-Checkliste (SCL 90-R) – Global Assessment of Functioning (GAF) | Ausgehend von der Selbstmedikationshypothese werden die Präferenzen für eine bestimmte Droge von bestimmten Bindungsstrategien gesteuert. Heroin wird als emotionale Substitution für fehlende Copingstrategien eingesetzt. Cannabis unterstützt existierende deaktivierende und distanzierende Strategien. Für Ecstasy konnte keine spezifische Bindungsstrategie gefunden werden |
Schindler et al. [6] | Halbstrukturiertes Interview |
n = 19 Cannabis-Konsumenten
n = 31 Ecstasy-Konsumenten | – European Addiction Severity Index (ASI) – Interview zum Konsumverhalten bezüglich verschiedener psychotroper Substanzen – ICD-10-Diagnose | In der Cannabis-Gruppe traten überwiegend abweisende und sichere Bindungsmuster auf. In der Ecstasy-Gruppe zeigten sich alle Formen unsicherer Bindung gleich häufig, aber kaum sichere Bindungsmuster |
Schindler et al. [20] | Halbstrukturiertes Interview |
n = 21 Borderline-Patienten ohne Suchtdiagnose
n = 14 Borderline-Patienten mit Suchtdiagnose
n = 22 Suchtpatienten mit
Borderline-Persönlichkeitsstörung | – Structured Clinical Interview (SCID) – Symptom Checklist (SCL-90) – Addiction Severity Index (ASI) – Bartholomew Attachment Interview | Es zeigte sich ein anklammernder Bindungsstil in der Borderline-Gruppe ohne Suchtdiagnose und ein ängstlich-vermeidender Bindungsstil in der Suchtgruppe ohne Borderline-Persönlichkeitsstörung. In der komorbiden Gruppe zeigten sich seltener ein anklammernder und häufiger ein ängstlich-vermeidender Bindungsstil |
Unterrainer et al. [28] | Fragebogen Magnetresonanztomographie |
n = 18 abstinente Polytoxikomaniepatienten
n = 15 Polytoxikomaniepatienten in Substitutionstherapie
n = 16 Kontrollpersonen (alle männlich) | – Adult Attachment Scale (AAS) – Brief Symptom Inventory (BSI-18) – Wonderlic Personnel Test (WPT) – Diffusion Tensor Imaging (DTI) | Schädigungen in der weißen Masse (vor allem im Fasciculus longitudinalis superiore und Corpus callosum superiore) gingen mit einem erhöhten Ausmaß an unsicherer Bindung in beiden Suchtgruppen einher |
Hiebler-Ragger et al. [11] | Fragebogen |
n = 66 Alkoholiker (24 Frauen)
n = 57 Polytoxikomane (10 Frauen)
n = 114 Kontrollpersonen (51 Frauen) | – Adult Attachment Scale (AAS) – Borderline Personality Inventory (BPI) | Die Gruppe der Suchtpatienten wies ein erhöhtes Ausmaß an Bindungs- und Persönlichkeitspathologie im Vergleich zur Kontrollgruppe auf; zwischen den Substanzgruppen zeigten sich keine Unterschiede |
Unterrainer et al. [29] | Fragebogen Magnetresonanztomographie |
n = 19 Polytoxikomane
n = 20 Freizeitdrogenkonsumenten (nicht abhängig)
n = 20 abstinente Kontrollpersonen (alle männlich) | – Adult Attachment Scale (AAS) – Brief Symptom Inventory (BSI-18) – Wonderlic Personnel Test (WPT) – Affective Neuroscience Personality-Scale (ANPS-short) – Multidimensionales Inventar zum religiös/spirituellen Befinden – Diffusion Tensor Imaging (DTI) | Ein erhöhter ängstlicher Bindungsstil in der Suchtgruppe zeigte sich mit erhöhter Ängstlichkeit und Traurigkeit korreliert. Auf neuronaler Ebene konnten die Ergebnisse von Unterrainer et al. [25] bestätigt werden |
Wedekind et al. [30] | Interview- und Fragebogenstudie |
n = 59 alkoholabhängige Patienten (16 Frauen) | – Strukturiertes Interview zu Persönlichkeitsstörungen (SKID II) – Relationships Style Questionnaire (RSQ) – State Trait Anxiety Inventory (STAI) – Anxiety-Coping-Inventory (ABI) – Temperament and Character Inventory (TCI) – Personality System Interaction Inventory (PSI) – Traumatic Experience in Adolescence Questionnaire | Ein unsicherer Bindungsstil war verbunden mit signifikant höheren Trait-Angstwerten, höherer kognitiver Vermeidung, stress- und angsterzeugenden Gedanken und Werthaltungen tendierend zu pathologischen Persönlichkeitsstilen |
Wyrzykowska et al. [31] | Fragebogenstudie |
n = 94 alkoholabhängige Patienten (53 Frauen)
n = 94 Kontrollpersonen (53 Frauen) | – Attachment Style Questionnaire (ASQ) – Adult Attachment Scale (AAS) | In der Gruppe der alkoholabhängigen Probanden zeigte sich häufiger ein ängstlich-ambivalenter und vermeidender Bindungsstil als in der gesunden Kontrollgruppe |
Diskussion
Fazit für die Praxis
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Der postulierte positive Zusammenhang zwischen unsicherer Bindung und Suchterkrankung konnte anhand der Zusammenschau empirischer Arbeiten tendenziell bestätigt werden.
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Unterschiedliche Messmethoden (Fragenbögen vs. halbstrukturierte Interviews) beeinträchtigen die Vergleichbarkeit der Studien.
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Teilweise ergeben sich Hinweise auf Zusammenhänge zwischen spezifischen Bindungsmustern und Substanzwahl.
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Als nächstes wichtiges Ziel ist die Erforschung der Veränderung von Bindungsmustern im Verlauf einer Suchttherapie zu nennen.