Wirksamkeit von Arzneien gegen Alkoholsucht nicht belegt

Das Konzept des medikamentös unterstützten reduzierten Trinkens erfüllt möglicherweise nicht die aktuellen Erwartungen. Einer französischen Netzwerkanalyse zufolge gibt es für die Wirksamkeit der eingesetzten Substanzen nur sehr geringe Evidenz. In der Therapie der Alkoholabhängigkeit ist man dabei, sich von dem Ziel der vollständigen Abstinenz zu verabschieden. Experten schätzen, dass dieses nach einer Entwöhnungstherapie nur von etwa 10 bis 15% der Alkoholabhängigen erreicht wird. Daher konzentrieren sich aktuelle Therapieansätze auf Ziele, die realistischer erscheinen: Hinter dem Konzept des „reduzierten Trinkens“ (früher auch als „kontrolliertes Trinken“ oder „kT“ bezeichnet) steckt die Idee, den Alkoholkonsum zumindest auf ein weniger schädliches Maß zu reduzieren. Zusätzlich zu verhaltensorientierten Empfehlungen sehen solche Reduktionsprogramme eine medikamentöse Unterstützung vor. Hierfür werden derzeit verschiedene Substanzen eingesetzt, zumeist im Off-label-Modus: Neben Acamprosat, Naltrexon und Nalmefen u. a. auch Baclofen sowie Topiramat. Bei Naltrexon und Nalmefen handelt es sich um Opioidantagonisten. Letzterer besitzt die EU-Zulassung für die Indikation „reduzierter Alkoholkonsum“. Acamprosat, Baclofen und Topiramat zielen auf das GABAerge System. Mit der wissenschaftlichen Evidenz für die einzelnen medikamentösen Strategien scheint es allerdings nicht weit her zu sein, monieren französische Wissenschaftler im Fachblatt „Addiction“. Das Team um Clément Palpacuer vom Clinical Investigation Centre in Rennes hat verschiedene Analysen durchgeführt, in denen die genannten Substanzen zum einen gegen Placebo, zum anderen auch indirekt gegeneinander verglichen wurden. Insgesamt flossen 32 randomisierte kontrollierte Studien, publiziert zwischen 1994 und 2015, in die Analyse ein. Die Patientenzahlen reichten von 14 bis 718. Was auffiel, waren vor allem die hohen Raten an Studienabbrüchen: Immerhin bei 26 Studien wurde ein hohes Risiko für unvollständige Datensätze festgestellt. Deutliche Heterogenität Als primärer Endpunkt diente der Gesamtalkoholkonsum. Diesbezüglich schnitten Nalmefen, Topiramat und Baclofen jeweils besser ab als Placebo. Sowohl in den Naltrexon- als auch in den Topiramat-Studien zeigte sich den Forschern zufolge jedoch „deutliche Heterogenität“. In einer Studie war Placebo der Vergleichssubstanz Naltrexon sogar signifikant überlegen. In weiteren Endpunkten wurden u. a. verschiedene Konsummuster sowie Sicherheitsaspekte berücksichtigt. Es zeigte sich, dass unter Topiramat die Zahl der Tage ohne Alkoholkonsum gegenüber Placebo deutlich stieg. Mit Nalmefen ging die Anzahl der Drinks pro Trinktag signifikant zurück, allerdings waren die geschätzten Effektstärken stets gering. Allein Topiramat zeigte mittlere bis große Effektstärken in allen konsumbezogenen Endpunkten. Vergleich mittels Netzwerkanalyse Ein direkter Vergleich zweier Substanzen gegeneinander wurde in keiner der ausgewerteten Studien geführt. Um dennoch Vergleichswerte zu bekommen, bedienten sich die Forscher eines statistischen Hilfsmittels, der Netzwerkanalyse: Dabei wurden die einzelnen Substanzen nach einer validierten grafischen Methode einander gegenübergestellt. Im Hinblick auf den primären Endpunkt erwies sich Topiramat in dieser Analyse effektiver als Nalmefen, Naltrexon und Acamprosat. Baclofen zeigte sich überlegen im Vergleich mit Naltrexon und Acamprosat. Nichts sprach dagegen für einen Unterschied zwischen Nalmefen und Naltrexon. Ergebnisse kaum verwertbar Wie die Forscher betonen, sind diese Ergebnisse jedoch kaum zu verwerten: Die Zahl der Studien, mit der die jeweiligen Endpunkte untersucht wurden, sei zu gering und die Teilnehmerzahlen pro Studie seien zu niedrig. Hinzu komme die erhebliche Heterogenität, bedingt auch durch die Vielzahl begleitender Interventionen, sowie nicht zuletzt die erwähnte hohe Abbruchrate. Für alle Behandlungsstrategien außer Topiramat seien die Effektstärken außerdem gering oder inkonsistent. Und schließlich gebe es keinerlei Hinweis, dass mit irgendeiner Substanz die Häufigkeit schwerwiegender Ereignisse oder die Mortalität gesenkt werden konnte. Ohnehin sei die Studiendauer in den meisten Fällen viel zu kurz gewesen, um längerfristige gesundheitliche Folgen beurteilen zu können. Zulassung basiert auf Subgruppenanalysen Wie Palpacuer et al. betonen, beruht die Zulassung von Nalmefen auf geringfügigen Unterschieden gegenüber Placebo, die zudem nur in einer nachträglich analysierten Subgruppe auftraten. Die Autoren weisen ferner darauf hin, dass eine vom Hersteller unterstützte Vergleichsstudie mit Naltrexon existiere, die angeblich eine Überlegenheit von Nalmefen gezeigt habe. Das Ergebnis sei jedoch dadurch verzerrt, dass die aus einer Subgruppenanalyse stammenden Daten zu Nalmefen mit den Ergebnissen einer Vollanalyse zu Naltrexon verglichen wurden. Aufgrund der Studienergebnisse könnte man den Autoren zufolge versucht sein, Topiramat zu empfehlen. Dieses habe schließlich eine signifikante Reduktion des Alkoholkonsums bewirkt, und das bei gutem Sicherheitsprofil. Palpacuer und sein Team halten ein solches Vorgehen jedoch für riskant. So seien in der Literatur Nebenwirkungen in Form von kognitiven Problemen beschrieben. „Das Konzept des pharmakologisch kontrollierten Trinkens basiert auf den Ergebnissen von Studien mit hohem Verzerrungsrisiko“, fassen die Forscher den Status quo zusammen. Gerade weil auf diesem therapeutischen Ansatz aktuell hoher Erwartungsdruck laste, sei es wichtig gewesen, die genannten Defizite auf den Punkt zu bringen.

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