Wenige Therapeuten – hohe Suizidrate unter Jugendlichen

Laut Daten aus den USA ist die Suizidrate unter Minderjährigen in Landkreisen mit schlechter psychiatrischer und psychotherapeutischer Versorgung besonders hoch. Das gibt Anlass, auch über die Folgen des Fachkräftemangels in Deutschland nachzudenken. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Noch ist weitgehend unklar, ob die Pandemie zu einer steigenden Suizidrate unter Jugendlichen geführt hat – es wird wohl noch eine Weile dauern, bis dazu belastbare Daten vorliegen. Klar ist jedoch, dass auch in Deutschland die Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Pandemie an ihre Grenzen gestoßen ist und viele Betroffene nicht adäquat versorgt werden konnten. Und das wiederum lässt einer US-Studie zufolge nichts Gutes erahnen: Die Untersuchung von präpandemischen Daten legt nahe, dass in Landkreisen mit unzureichenden Angeboten für psychisch kranke Minderjährige deren Suizidrate besonders hoch ist, und das liegt nicht nur daran, dass solche Landkreise auch noch viele andere Probleme haben. Die in der Pandemie noch verstärkte Mangelversorgung könnte also gravierende Begleiteffekte haben – auch in Deutschland. Für die US-Analyse hat ein Team um Dr. Jennifer Hoffmann von der Lurie-Kinderklinik in Chicago zum einen Sterbeurkunden von Minderjährigen nach Suizidvermerken durchforstet, zum anderen die Versorgungsrealität in den einzelnen Landkreisen durchleuchtet. Die jüngsten detaillierten Sterbestatistiken gibt es für das Jahr 2016, das Team um Hoffmann konzentrierte sich daher auf alle in den USA in den Jahren 2015 und 2016 registrierten Suizide bei Personen im Alter von 5–19 Jahren. Insgesamt waren in den beiden Jahren 5034 Suizide in dieser Altersgruppe offiziell erfasst worden. Wie gut Fachkräfte psychisch Kranke in den einzelnen Landkreisen versorgen, konnten die Forschenden anhand einer offiziellen Klassifizierung ablesen – der Einteilung nach „Health Professional Shortage Areas (HPSA)“ durch den staatlichen Versicherer Medicaid/Medicare. Solche Mangelgebiete werden landkreisweise für verschiedene Indikation ausgewiesen, unter anderem auch für psychische Erkrankungen. Etwa zwei Drittel der US-Landkreise gilt danach als Versorgungswüste für psychisch Kranke, in diesen Regionen lebt aber nur ein Viertel der Bevölkerung. Eine gute psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung gibt es in den USA also – ähnlich wie in Deutschland – primär in den Ballungszentren. Die HPSA werden weiter nach einem 25-Punkte-System beurteilt, wobei eine hohe Punktzahl einen besonders eklatanten Mangel an Gesundheitsfachkräften markiert. Insgesamt gibt es in den rund 2.100 versorgungsschwachen US-Landkreisen nur eine einzige kinderpsychiatrische Klinik, aber 23 davon in den übrigen 1.016 Landkreisen ohne HPSA-Status. In fast 90 % der HPSA-Landkreise findet sich nicht eine einzige Ärztin oder ein einziger Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, solche gibt es aber in mehr als der Hälfte ohne Mangelstatus. HPSA-Landkreise sind überwiegend ländlich, die Kinderarmut ist recht hoch und das Einkommen der Bewohner relativ gering – offenbar sind solche Landkreise für Therapeuten in den USA wenig attraktiv. Je schlechter das Versorgungsangebot, umso höher ist die Suizidrate Schaute das Team nun auf die Suizidinzidenz unter Kindern und Jugendlichen, so lag diese in den HPSA-Landkreisen um 41 % höher als in denen mit ausreichender therapeutischer Versorgung (5,1 versus 3,6/100.000). Innerhalb der HPSA-Landkreise war sie im Quartil mit den höchsten Scores um 30 % höher als in solchen mit den niedrigsten. Mit jedem Punkt im HPSA-Score stieg sie um 4 %. In Landkreisen mit vielen Kinderpsychiatern lag die Inzidenz bei 2,5/100.000, in solchen ohne war sie doppelt so hoch. Je schlechter das Versorgungsangebot, umso höher also die Suizidrate. Empfehlung der Redaktion Psychotherapie – Themenseite Die Seele bzw. seelische Probleme behandeln – das bedeutet Psychotherapie wörtlich übersetzt. Sie hilft bei Störungen des Denkens, Erlebens und Handelns. Auf der Themenseite finden Sie aktuelle Beiträge. Ein großer Teil der Unterschiede ließ sich zwar mit sozioökonomischen Faktoren erklären, aber eben nicht alles. Wurden Einflüsse wie Bildung, Einkommen und der Anteil der in Armut lebenden Kinder berücksichtigt, war die Suizidrate in den Versorgungswüsten noch immer signifikant um 17 % erhöht. Wurden dabei nur Suizide durch Schusswaffen betrachtet, lag die Inzidenz in den HPSA-Kreisen sogar um 27 % höher. Ein Problem, so Dr. Aaron Carrol und Dr. Denis Heyse von der Universität in Indianapolis in einem Editorial, sei nicht nur, dass sich gut ausgebildete Therapeuten in strukturschwachen Regionen ungern niederlassen, sondern dass es dort auch kaum Geld gebe, um sie zu bezahlen. Generell werde viel zu wenig in psychische Gesundheit investiert, mit der Folge, dass sich immer weniger für den Beruf als Psychiater oder Therapeuten entschieden. „Die psychiatrische Versorgung ist inzwischen so kaputt, dass sie sich auch mit Geld kaum reparieren lässt“, stellen Carrol und Heyse fest. So reiche es längst nicht mehr, zusätzliches Geld für die Versorgung in strukturschwachen Regionen zur Verfügung zu stellen, wenn es insgesamt zu wenige psychiatrische und psychotherapeutische Fachkräfte gebe. Gedanken, die sicher auch Therapeutinnen und Therapeuten in Deutschland vertraut sind. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie hängen Suizidraten bei Minderjährigen und therapeutische Versorgungsstrukturen in der Umgebung zusammen? Antwort: Je geringer die Dichte der psychiatrischen und psychotherapeutischen Fachkräfte in einem Landkreis, umso höher ist dort die Suizidrate. Bedeutung: Die Suizidrate bei Kindern und Jugendlichen hängt nicht nur an sozioökonomischen Faktoren, sondern auch an Versorgungsstrukturen. Einschränkung: Reine Querschnittsanalyse.

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