Hintergrund
Entwicklung der Onlineintervention
Telefonische Bevölkerungsbefragung
Zusammenarbeit mit dem australischen Projektteam von The Ripple Effect
Trialogische Entwicklung
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an der Entwicklung von Konzept, Struktur, Inhalt und Gestaltung der Onlineintervention,
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an dem strukturierten Reviewprozess der Textmaterialien der Intervention,
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als Protagonist:innen an der Erstellung von persönlichen Video- oder schriftlichen Erfahrungsberichten und
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an der Erstellung von kurzen „digitalen Postkartenbotschaften“, die später innerhalb der Onlineintervention dargestellt werden sollten (Abb. 2).
Erfahrungshintergrund der Protagonist:innen in den Videos | Altersgruppe, Geschlecht Protagonist:in | |
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1 | Einmaliger Suizidversuch nach einem Verkehrsunfall | 70–80 Jahre, männlich |
2 | Einmaliger Suizidversuch im frühen Erwachsenenalter nach einer Trennung | 60–70 Jahre, weiblich |
3 | Suizidgedanken in einer depressiven Episode | 20–30 Jahre, männlich |
4 | Wiederkehrende Suizidgedanken | 40–50 Jahre, weiblich |
5 | Wiederkehrende Suizidgedanken in Krisen | 50–60 Jahre, weiblich |
6 | Chronische Suizidalität mit Suizidversuchen | 40–50 Jahre, divers |
7 | Verlust der Mutter durch Suizid | 50–60 Jahre, männlich |
8 | Verlust des Vaters durch Suizid | 30–40 Jahre, weiblich |
Evidenzbasierung
Technische Umsetzung der Onlineintervention
Evaluation der Onlineintervention
Aufbau und Inhalte der interaktiven Onlineintervention
Pfad | Art der Betroffenheit bzgl. Suizidalität und/oder Suizid | |
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Betroffene | 1 | Selbst betroffen durch aktuelle Suizidgedanken oder Suizidgedanken in der Vergangenheit |
2 | Selbst betroffen durch einen oder mehrere Suizidversuche | |
Angehörige | 3 | Als Angehörige:r betroffen durch den Verlust einer nahestehenden Person durch Suizid |
4 | Als Angehörige:r betroffen durch die Sorge um eine nahestehende, suizidale Person | |
Interessierte | 5 | Allgemein an der Thematik Suizidalität interessiert, z. B. durch die Arbeit in einem Gesundheitsberuf |
Inhalte der interaktiven Onlineintervention
Kapitel | Beschreibung | Spezifizierung und Beispiele |
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Kapitel 01: ÜBER MICH | In Kapitel 1 wurden soziodemografische Angaben erhoben und es erfolgte die Zuordnung der Teilnehmenden zu einem der 5 Pfade anhand der Angabe zur eigenen Erfahrung mit Suizidalität. Es wurde eine digitale Postkartenbotschaft je nach angegebener Erfahrung dargeboten | Erfragt werden: Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Größe des Wohnorts, eigene Erfahrung mit Suizidalität bzw. Suizid, von der man am stärksten betroffen ist |
Beispieltext der Postkartenbotschaft Pfad 3 (Verlust durch Suizid): „Ich habe eine mir sehr wichtige und geliebte Person durch Suizid verloren. Dieser Verlust hat mich sehr aus der Bahn geworfen und ich habe viel Zeit gebraucht, um damit klarzukommen. Mir hat es geholfen, mit mir nahen, vertrauten Menschen darüber zu sprechen und Zeit in der Natur zu verbringen.“ – Johanna | ||
Kapitel 02: MEINE GEDANKEN | In Kapitel 2 wurden Messinstrumente zur Evaluation der Onlineintervention eingesetzt (Prämessung). Je nach Pfad wurden unterschiedliche Items angezeigt (Pfad 1 und 2: insgesamt 52 Items; Pfad 3, 4 und 5: insgesamt 35 Items) | |
Selbst entwickelter Fragebogen orientiert am Selbstwirksamkeitskonzept von Bandura [37, 38] zur Erfassung der Selbstwirksamkeitserwartung, mit belastenden Situationen umgehen zu können (6 bzw. 7 Items, intervallskaliert), z. B.: „Ich traue mir zu, über Verhaltensweisen zu sprechen, die mir langfristig nicht guttun (z. B. zu viel oder zu wenig schlafen oder essen, zu viel arbeiten, Alkohol‑/Drogenkonsum).“ | ||
Kapitel 03: MEIN WISSEN | In Kapitel 3 erfolgte eine Psychoedukation zu Suizidalität und Suizid sowohl anhand von Informationstexten als auch anhand von Videoerfahrungsberichten von Betroffenen und Angehörigen | Definition Suizidalität |
Kontinuumsannahme von Suizidalität [39], dargestellt als Grafik | ||
Unterschiede in Häufigkeit und Intensität von Suizidalität anhand eines Beispiels mit einem Videoausschnitt „Im Video berichtet Jenny, wann Suizidalität bei ihr stärker wird.“ | ||
Ursachen für Suizidalität anhand eines multifaktoriellen Erklärungsmodells [1], wobei ein Schwerpunkt auf belastende Lebensereignisse, gesellschaftliche und psychosozialen Faktoren gelegt wird; Videoausschnitte z. B.: „Andre wollte sich nach einem schweren LKW-Unfall das Leben nehmen. Er berichtet im Video, warum er sein Leben beenden wollte“; „David berichtet im Video, warum Menschen aus seiner Sicht Suizidgedanken haben. Er berichtet auch von Phasen, in denen er selbst Schwierigkeiten hatte, Alltägliches zu erledigen.“ | ||
Risiko- und Schutzfaktoren für Suizidalität [40] | ||
Optional: Eigene Risiko- und Schutzfaktoren reflektieren (nur Pfad 1 und 2) | ||
Warnsignale für (akute) Suizidalität aus Sicht von Angehörigen und Betroffenen | ||
Exkurs Prävalenzen | ||
Exkurs zum Werther- und Papageno-Effekt [41] | ||
Exkurs zum Verzicht auf die Begriffe „Selbstmord“ und „Freitod“ | ||
Kapitel 04: MEINE GESCHICHTE | In Kapitel 4 stellten sich 8 Betroffene und Angehörige mit Foto und Text vor. Stigmatisierung und Tabuisierung in Zusammenhang mit Suizidalität wurden erklärt und über Irrtümer aufgeklärt. Teilnehmende konnten ihre eigene Erfahrung mit Suizidalität in Form einer „digitalen Postkartenbotschaft“ mitteilen | 8 Videoerfahrungsberichte sowie ein Textbericht von Betroffenen und Angehörigen; Beispiele: „Im Video berichtet Birgit über ihre Erfahrung mit dem Wunsch oder Drang, sich umbringen zu wollen, und wie sie Kraft geschöpft hat, weiterzuleben“; „Regina berichtet, wie sie mit ihrem Suizidversuch umgegangen ist, wie sie bei der Entscheidung fürs Leben bleiben kann und was sie anderen, die mit Suizidgedanken leben, mitgeben möchte.“ |
Aufklärung zu bekannten Irrtümern über Suizidalität [47], z. B. Irrtum: „Über Suizid zu sprechen, bringt Menschen erst auf die Idee, sich das Leben zu nehmen.“ Wirklichkeit: „Fragen nach Suizidgedanken machen nicht suizidal: Entweder sind Gedanken an Suizid da oder nicht. Offen Suizidgedanken zu thematisieren, ist häufig eine Entlastung für alle Beteiligten. Zudem kann sie Betroffenen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie mit ihrer Situation umgehen können. Wegen des Stigmas um Suizid wissen Betroffene oft nicht, mit wem sie sprechen können.“ | ||
Möglichkeit, eigene Erfahrung mit Suizidalität bzw. Suizid anonym mitzuteilen per „digitaler Postkartenbotschaft“ (Fragen: „Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Thema Suizidalität?“; „Was hilft Ihnen, mit dem Thema Suizid/Suizidalität besser umzugehen?“; „Was wünschen Sie sich von anderen Menschen im Umgang mit dem Thema Suizid/Suizidalität?“) | ||
Exkurs: Tatsächliche Stigmatisierung vs. Wahrgenommene Stigmatisierung | ||
Exkurs: Suizidalität bei Gruppen mit einem höheren Risiko für Stigmatisierung (Migrationshintergrund, Intelligenzminderung, körperliche Erkrankung, höheres Alter, sexuelle Identität/Geschlechtsidentität) | ||
Kapitel 05: MEINE BEWÄLTIGUNG | In Kapitel 5 wurden kognitiv-behaviorale Selbsthilfestrategien zum Umgang mit eigener Suizidalität bzw. Suizidalität oder Suizid von Angehörigen vorgestellt. Das Konzept des Krisen- oder Notfallplans bei Suizidalität wurde eingeführt | Erneuter Hinweis: Intervention ist keine Krisenintervention, Hinweis zu weiterführenden Hilfsangeboten in (suizidalen) Krisen |
Einführung des Konzepts Notfallplan bei Suizidalität und Verweis auf geprüfte Vorlagen von Krisen- und Notfallplänen (nur Pfad 1 und 2) | ||
Trauerrituale, Thema Schuld (jeweils nur Pfad 3) | ||
Optional: Strategien zum Umgang bzw. zur Vorbeugung von Suizidalität auf Verhaltensebene (Fallbeispiele zu Teufelskreisen, Aufbau positiver Aktivitäten), Körperebene (progressive Muskelrelaxationstechniken), Kognitionsebene (Hinterfragen von negativen Gedanken), und Emotionsebene (Gefühle wahrnehmen und benennen) inkl. jeweils eines PDF-Arbeitsblatts pro Bereich | ||
Ergänzende Videos aus Betroffenen- und Angehörigensicht (z. B.: „Was hat mir geholfen, mit dem Suizid meines Vaters umzugehen?“; „Was kann in schwierigen Situationen helfen?“; „Was hilft mir mit Suizidalität umzugehen?“; Ausdrucksmöglichkeiten für Gefühle) | ||
Kapitel 06: AUSTAUSCH | In Kapitel 6 wurden Strategien zur Kommunikation über Suizidalität bzw. den Verlust durch Suizid vorgestellt | Strategien zur Kommunikation über Suizidalität mit unterschiedlichen Personengruppen wie Familie, Freund:innen, Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen und Umgangsmöglichkeiten bei Schwierigkeiten und Formulierungsideen (z. B.: „wie man in einem Arzt- oder Therapeutengespräch eigene Suizidgedanken ansprechen kann“; [48]) |
Videoerfahrungsberichte, z. B.: „Johanna möchte anderen Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben, und Menschen, die suizidal sind, aus ihrer Erfahrung mitgeben, wie wichtig es ist, sich nach außen zu wenden“; „Im Video beschreibt David, was man machen kann, wenn man akute Suizidgedanken hat.“ | ||
Reflexion zur Offenlegung von Suizidalität und Suizidversuchen bzw. Suiziden von nahestehenden Menschen; Benennung von Vor- und Nachteilen einer Offenlegung | ||
Kapitel 07: MEINE ZIELE | In Kapitel 7 konnten Teilnehmende sich ein Ziel setzen, an das sie optional per E‑Mail erinnert wurden | Ziele setzen nach SMART-Kriterien [49] bzgl. der vorgestellten Strategien in Kapitel 5 und 6. SMART ist ein Akronym für Specific (spezifisch), Measurable (messbar), Attractive (erstrebenswert), Realistic (realistisch), Time-bound (terminiert). Diese Beschreibungen können als Kriterien zur eindeutigen Definition von Zielen genutzt werden. |
Beispiele für Ziele: „Gespräch mit Ärztin suchen: Beim nächsten Termin sage ich meiner Hausärztin, dass ich Gedanken habe, mir mein Leben zu nehmen, und dass ich mir Hilfe wünsche“; „Austausch mit anderen: Ich melde mich morgen per E‑Mail im Verein für Suizidtrauernde AGUS e. V., um mich dort für ein erstes Treffen anzumelden. Im Treffen kann ich über den Verlust meines Partners sprechen“; „Mehr Kontakt: Ich möchte wieder mindestens einmal in der Woche Freunde treffen. Dazu melde ich mich morgen Abend bei einer/m Freund/Freundin, verabrede mich für einen Abend zu zweit“; „Weniger Alkohol: Ich trinke montags bis donnerstags und sonntags keinen Alkohol mehr und versuche, freitags und samstags maximal 2 Bier zu trinken.“ | ||
Möglichkeit, eigenes Ziel zu setzen und daran per E‑Mail erinnert zu werden | ||
Kapitel 08: FEEDBACK | In Kapitel 8 wurden (wie in Kapitel 2) Messinstrumente zur Evaluation der Onlineintervention eingesetzt (Postmessung): Wissen bzgl. Suizidalität, stigmatisierende Einstellungen gegenüber von Suizidalität Betroffenen, aktuelle Belastung und Selbstwirksamkeitserwartung, mit belastenden Situationen umgehen zu können. Zusätzlich wurde ein Feedback zur Intervention erhoben, hierbei wurde die Zufriedenheit mit der Intervention nach Abschluss quantitativ sowie qualitativ mittels Freitextantworten erhoben | Literacy of Suicide Scale (LOSS-SF; [35]) zur Erfassung von Wissen bzgl. Suizidalität, Adaption der Stigma of Suicide Scale (SOSS-SF; [21, 23]) zur Erfassung von Selbststigmatisierung bzgl. Suizidalität (Pfad 1 und 2) und wahrgenommener Fremdstigmatisierung bzgl. Suizidalität (alle Pfade), Adaption des Distress-Thermometers [36] zur Erfassung der aktuellen Belastung, selbst entwickelter Fragebogen orientiert am Selbstwirksamkeitskonzept von Bandura [37, 38] zur Erfassung der Selbstwirksamkeitserwartung, mit belastenden Situationen umgehen zu können |
Fragen zum Feedback umfassten Veränderung des Wissens über Suizidalität und Veränderung von Stigmatisierungstendenzen (Bsp.: „Durch meine Teilnahme am Programm ‚8 Leben – Erfahrungsberichte und Wissenswertes zum Thema Suizid‘ kenne ich die Risikofaktoren und Schutzfaktoren von Suizidalität besser.“); Fertigkeiten (Bsp.: „Durch meine Teilnahme am Programm ‚8 Leben – Erfahrungsberichte und Wissenswertes zum Thema Suizid‘ kann ich besser mit anderen über Erfahrungen mit Suizid sprechen.“); hilfreiche Elemente der Intervention („Bitte bewerten Sie, wie hilfreich Sie die einzelnen Elemente von ‚8 Leben‘ fanden: Videoerfahrungsberichte von Menschen, die Erfahrung mit Suizid haben“; „Was war am Programm ‚8 Leben‘ am hilfreichsten/am wenigsten hilfreich für Sie?“ mit optionalem Freitextfeld); Zufriedenheit mit der Länge des Programms; Auskunft zu Einstellungen bzw. Erfahrungen bzgl. Suizid/Suizidalität in der Intervention („Dies war das erste Mal, dass ich meine Einstellungen zum Thema Suizid und/oder Erfahrungen mit Suizid geteilt habe“; Antwortmöglichkeit: Ja/Nein; falls Nein: „Wo haben Sie bereits über Ihre Erfahrung gesprochen?“); Weiterempfehlung des Programms („Würden Sie das Programm ‚8 Leben‘ weiterempfehlen? Bitte begründen Sie warum.“) |