Kommentar
Die iatrogene orale Mukositis bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren, charakterisiert durch Entzündung, Atrophie und Abbau der Schleimhaut oder der Auskleidung der Mundhöhle, gehört zur täglichen strahlentherapeutischen Erfahrung. Die damit assoziierten Schmerzen, Odynodysphagie, Dysgeusie, verminderte orale Nahrungsaufnahme und systemische Infektionen stellen alle Strahlentherapeuten vor therapeutische Herausforderungen und kompromittieren gelegentlich den onkologischen Behandlungserfolg.
Die Behandlung der radiogenen Mukositis ist multifaktoriell. Seit Langem wird diesbezüglich den radioprotektiven Substanzen ein hohes therapeutisches Potenzial zugeschrieben. Die manganhaltige Verbindung GC4419 gehört zusammen mit Amifostin, Palifermin und RRx-001 zu den Radioprotektiva mit potenziellem oder geprüftem klinischem Effekt [
3].
Eine übermäßige Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies wie Superoxid (radikales O2) spielt eine zentrale Rolle in der Pathogenese der Mukositis. Das antioxidative Enzym Superoxiddismutase (SOD) entgiftet Superoxide durch Umwandlung in das relativ stabile und schlecht reaktive Oxidationsmittel Wasserstoffperoxid (H2O2). Dieser Effekt scheint eine klinisch messbare Reduktion der oralen Mukositis herbeiführen zu können.
Der indirekte Effekt der Strahlentherapie ist ebenfalls von der Radikalüberproduktion abhängig. Die Absorption von ionisierender Strahlung unterbricht direkt chemische Bindungen in Zellmolekülen oder verursacht Schäden durch Bildung von Radikalen, die mit nahegelegenen Molekülen reagieren und Proteine, Lipide und Nukleinsäuren schädigen. Die Summe aus Basenschäden, Zuckerschäden, Einzel- oder Doppelstrangbrüchen der DNA führt zum Zelltod [
5]. Wird die Menge der Radikale reduziert, liegt die Befürchtung nahe, dass der zytotoxische Effekt am Tumor reduziert sein könnte. Die Befürworter der Substanz argumentieren jedoch, dass GC4419 Superoxid selektiv in ein H
2O
2-Molekül zerlegt, das selbst ein eigenständiges Oxidationsmittel ist und somit ebenfalls einen zytotoxischen Effekt am Tumor entfalten kann.
Strahlenbiologischen Erkenntnissen folgend, spielt die Vernichtung basaler Stammzellen der Schleimhaut eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der radiogenen Mukositis. Der gleiche Mechanismus liegt der Tumorkontrolle durch Strahlentherapie zugrunde. Es wird interessant sein zu verfolgen, ob und wie die beschriebenen Wirkungen des SOD-Mimetikums zwischen den beiden Stammzellarten differenzieren können. Sollte GC4419 diese Wirkung entfalten, könnte es trotz recht aufwendiger Applikation künftig eine wichtige Rolle in der multifaktoriellen Behandlung der radiogenen Mukosaschäden einnehmen.
Fazit
Die Aufgabe des Radioonkologen ist in erster Linie die Tumorbekämpfung und erst in zweiter Linie die Kontrolle der radiogenen Mukositis. Aus diesem Grund sollte man künftig genau auf die Tumorkontrolle achten, wenn SOD-Mimetika eingesetzt werden. Inwieweit GC4419 diesen Anforderungen gerecht wird, müssen die künftigen Studien zeigen. Sollten die Parameter der Tumorkontrolle dabei kompromittiert sein, könnte es der Substanz so ergehen wie damals Amifostin, einer Substanz, bei der ein protektiver Tumoreffekt nie sicher ausgeschlossen werden konnte.
Irenäus A. Adamietz, Herne
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