Ziel der Arbeit
Erscheinungsbild und diagnostische Kriterien sozialer Angststörungen
Kriterien sozialer Angststörung | |
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A | Eine ausgeprägte Angst vor mind. einer sozialen Interaktions- oder Leistungssituationen bei Konfrontation mit unbekannten Personen und (antizipierter) negativer Beurteilung |
B | Die Konfrontation mit der gefürchteten Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer situationsgebundenen Panikattacke annehmen kann |
C | Die Person sieht ein, dass die Angst übertrieben ist (im DSM‑5 spielt dieses Kriterium keine Rolle) |
D | Die gefürchtete Situation wird vermieden oder nur unter intensiver Angst ertragen |
E | Die ängstliche Erwartungshaltung und/oder das Vermeidungsverhalten beeinträchtigen deutlich die Lebensführung, berufliche/schulische Leistung oder soziale Aktivitäten, verbunden mit erheblichem Leiden |
F | Personen < 18 Jahre: Symptome liegen mindestens 6 Monate vor |
G | Die Angst und/oder das Vermeidungsverhalten gehen/geht nicht auf die Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück und ist nicht durch andere psychische Störungen erklärt |
H | Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor oder eine andere psychische Störung vorliegen, steht diese nicht im Zusammenhang mit der in Kriterium A beschriebenen Angst (z. B. nicht Angst vor Stottern und Zittern bei Parkinson-Krankheit) |
Systemtherapeutisches Störungsverständnis
Entwicklungsbereich | Kind/Jugendliche | Eltern |
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Bezogene Autonomie | Wie kann ich eigenständig werden und einen Unterschied zu meinen Eltern machen und in Kontakt bleiben? | Wie kann ich (wieder) eigenständig(er) werden und (neue) freie (Zeit‑)Räume nutzen und in Kontakt bleiben? |
Selbstbild | Wie möchte ich der Welt begegnen und als wer? | Was möchte ich (noch) in der Welt erfahren und als wer? |
Soziale Kontaktgestaltung | Welche Freundschaften möchte ich pflegen? Wie möchte ich Vorgesetzten (vs. Eltern) begegnen? | Welche Freundschaften möchte ich (wieder) intensivieren? Welchen Teil meines Berufslebens möchte ich (noch) ausbauen? |
Körperliches Erscheinungsbild | Akzeptanz wachstumsbedingter Veränderungen | Akzeptanz altersbedingter Veränderungen |
Systemtherapeutische Ansätze und Wirksamkeitsstudien
Auswahlkriterien
PsycINFO via EBSCO host no time limit to 2021; Searched 21.05.2021 Limiter: Age Groups (Young Adulthood (18–29 yrs), Thirties (30–39 yrs), Middle Age (40–64 yrs)) | ||||
# | – | – | Searches | Results |
1 | – | TX All Text | „Social anxiety“ or „social phobia“ or „social anxiety disorder*“ | 4161 |
2 | AND | TX All Text | „Systemic*“ or „strategic*“ or „structural*“ or „solution*“ or „resource*“ | 288 |
3 | AND | TX All Text | „Therapy“ or „intervention“ or „treatment“ | 110 |
4 | AND | TX All Text | „Effect*“ | 18 |
5 | AND | TX All Text | „Random*“ | 7 |
Web Of Science Core Collection via Clarivate Analytics no time limit to 2021; Searched 21.05.2021 | ||||
# | – | – | Searches | Results |
1 | – | All Fields | „Social anxiety“ or „social phobia“ or „social anxiety disorder*“ | 16.415 |
2 | AND | All Fields | „Systemic*“ or „strategic*“ or „structural*“ or „solution*“ or „resource*“ | 1257 |
3 | AND | All Fields | „Therapy“ or „intervention“ or „treatment“ | 491 |
4 | AND | All Fields | „Effect*“ | 221 |
5 | AND | All Fields | „Random*“ | 88 |
Systemtherapeutische Ansätze
Acht Lösungen der Angst | |
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1 | Echte Ablenkung: Diskurs des Paradox, dass Angst nicht spontan und unwillkürlich erzeugt wird, sondern paradoxerweise auftritt, wenn wir versuchen, sie auszublenden, dabei aber umso mehr das Auszublendende, d. h. die Angst, fokussieren |
2 | Kanalisierung der Energie echter Ablenkung: in Beruf, Sport, Hobbys |
3 | Depression: Diskurs der Lösung, wenn „keine Angst mehr zu haben“ mit dem Verlust (scheinbar) sinnstiftender Energie einhergeht |
4 | Vernichtung von Energie: Diskurs von kurzfristigen Lösungen (z. B. Psychopharmaka) und langfristig negativen Folgen (z. B. Substanzabhängigkeit) |
5 | Alkohol: Diskurs als kurzfristig kontrollierbarer Kontrollverlust, mit schädlicher Langzeitfolge |
6 | Wut: Diskurs als eine Verteidigungsstrategie, die die durch Angst freigesetzte Energie nutzt |
7 | Gottvertrauen (Religion): Diskurs als Selbstsuggestion, im Sinne, wer Gott vertraut, ist in der Lage, sich selbst und anderen zu vertrauen |
8 | „Schau’n mer mal“: Diskurs des „Nichts ist je sicher“ |
Phase 1: Anfangsphase zu Orientierung und Planung
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1. Sitzung | Joining und Vertrauensaufbau; Anliegenkonstruktion (Problemdruck/-aktualität), subjektive Theorie (Problemerklärung), Auftrag (Zielsetzung) |
2. Sitzung | Genogramm mit mind. 3 bis 4 Generationen (Großeltern, Eltern; Geschwister, Partner; Kinder) |
3. Sitzung | Wenn nicht bisher: Systemgesprächa (Doppelsitzung) |
4. Sitzung | Gemeinsames Fallverständnis und Therapieplanung |
Phase 2: Experimentieren mit Veränderungen
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5. Sitzung | Planung erster leicht bis mittelschwerer Intervention, mit Experiment für zu Hause |
6. Sitzung | Aufsuchend: Durchführung der Intervention |
7. Sitzung | Wenn noch nicht in Phase 2: Systemgesprächa (Doppelsitzung) zur Inszenierung einer zweiten schwierigeren Intervention, unter Einbezug bedeutsamer Systemmitglieder, mit Experiment für zu Hause |
8. Sitzung | Auswertung der Interventionen; Planung einer dritten Intervention, mit Experiment für zu Hause |
9. Sitzung | Aufsuchend: Durchführung der dritten Intervention |
10. Sitzung | Gruppensetting: Sprechchorübung (Patient:innen, Therapeut:innen, Supervisor:innen) |
11. Sitzung | Auswertung der Interventionen, ggf. Planung einer vierten Intervention, mit Experiment für zu Hause |
Phase 3: Rückfallprophylaxe und Therapieabschluss
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12. Sitzung | Bilanzierung der Therapie, Vorausblick auf ein Leben nach der Therapie |
13. Sitzung | Wenn noch nicht in Phase 3: Systemgesprächa zur Bilanzierung der Therapie |
14. Sitzung | Rückfallprophylaxe, je nach Bilanzierungsergebnis |
Phase 4: Auffrischungsgespräche zur Konsolidierung
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15. Sitzung | Bilanzierung und konsolidierende Experimente für zu Hause |
16. Sitzung | Wenn noch nicht in Phase 4: Systemgesprächa |
17. Sitzung | Bilanzierung und konsolidierende Experimente für zu Hause |
Systemtherapeutische Wirksamkeitsstudien
Schlussfolgerungen und Ausblick
Fazit für die Praxis
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Die Systemische Therapie ist wirksam in der Behandlung sozialer Angststörungen im Erwachsenenalter aus Sicht von Patient:innen und wichtigen Bezugspersonen.
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Es werden v. a. ressourcenorientierte, problemaktualisierende, symptomverschreibende und systemtherapeutisch-integrative Interventionen genutzt. Die Symptomverschreibung gilt als die am häufigsten genutzte systemtherapeutische Intervention.
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Bedeutsame Effekte zeigen sich sowohl in der Reduktion der störungsspezifischen Symptomatik als auch in der Verbesserung des systembezogenen Funktionsniveaus.
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Expertenberichte aus der Praxis fokussieren v. a. das mehrpersonale Setting (z. B. Patient:innen, Bezugspersonen, Therapeut:innen), Wirksamkeitsstudien im Sinne randomisierter kontrollierter Studien (RCT) hingegen v. a. das dyadische Setting (Patient:in, Therapeut:in).
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Mehrpersonale Settings sollten daher essenzieller Bestandteil der theoretischen und praxisbasierten Curricula in der Aus- bzw. Weiterbildung psychologischer Psychotherapeut:innen im Schwerpunkt Systemische Therapie sein.
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Umfassender Forschungsbedarf besteht in der klinisch-psychotherapeutischen Untersuchung mehrpersonaler Settings hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Wirkmechanismen und Veränderungsindikatoren, v. a. auch in RCTs, und unter Einbezug aller bedeutsamen Mitglieder eines betroffenen sozialen Systems.