a) Herz-Lungen-Maschine im Stand-by nur bei TAVIs erforderlich
Die MHI-RL verlangt bei allen TAVIs, unabhängig vom Zugangsweg, d. h. sowohl bei endovaskulären als auch bei transapikalen TAVIs, eine Herz-Lungen-Maschine (HLM) inklusive Hypothermiegerät im Stand-by, § 4 Abs. 6 MHI-RL. Bei transvenösen Clip-Rekonstruktionen der Mitralklappe (Mitraclip-Eingriffen, [MitraClip, Abbott Laboratories, Abbott Park, IL, USA]) hingegen wird eine HLM nicht verlangt.
Grund für diese Differenzierung war für den G‑BA das Risikoprofil der Eingriffe. Komplikationen, die einen Wechsel von der TAVI auf eine offene herzchirurgische Operation erforderlich machen, verlangen, dass die hierfür erforderlichen apparativen Voraussetzungen auch unmittelbar vor Ort verfügbar sein müssen.
10 § 4 Absatz 6 MHI-RL formuliert, dass „eine Herz-Lungen-Maschine inklusive Hypothermiegerät (…) im Eingriffsraum oder in dessen unmittelbarer Nähe kontinuierlich zur Verfügung stehen müssen, sodass der Einsatz dieser Geräte ohne den Transport der Patientin oder des Patienten und ohne zeitliche Verzögerung erfolgen kann“.
Ein Krankenhaus darf TAVIs damit nur anbieten und durchführen, wenn die genannten Geräte einsatzbereit und kontinuierlich im Sinne einer 24/7-Einsatzbereitschaft zur Verfügung stehen. Aus der Formulierung „bei Durchführung“ könnte zwar gelesen werden, dass zu Zeiten, zu denen keine TAVIs geplant sind, auch keine HLM vorgehalten werden muss. In den tragenden Gründen führt der G‑BA jedoch aus, dass einer „kontinuierliche[n] Gewährleistung der Struktur- und Prozessqualität über 24 h an sieben Tagen der Woche“ bei „hochkomplexen Eingriffen wie TAVI (…) grundlegende Bedeutung zu[komme]“.
11 Da Komplikationen, die einen herzchirurgischen Notfalleingriff erforderlich machen, auch noch Tage nach der TAVI auftreten können,
12 ist mit den Worten „bei Durchführung“ nicht der Zeitraum der konkreten Intervention gemeint. Vielmehr ist die Regelung so zu verstehen, dass § 4 Abs. 6 MHI-RL für Krankenhäuser gilt, zu deren Leistungsspektrum die Durchführung von TAVIs zählt. Damit muss die Stand-by-Verfügbarkeit der HLM nicht nur während der Durchführung der konkreten TAVI, sondern ständig (24/7-Verfügbarkeit) gegeben sein.
Aus der Pflicht, eine HLM inklusive Hypothermiegerät einsatzbereit vorzuhalten, folgt, dass auch entsprechend qualifiziertes Bedienpersonal zur Steuerung dieser Geräte anwesend sein muss. Damit folgt aus der Verpflichtung, eine HLM einsatzbereit vorzuhalten, die Pflicht, Perfusionist:innen vorzuhalten. Nur diese sind fachlich zur Steuerung der HLM qualifiziert und damit legitimiert. Dies hat der G‑BA als Normgeber entschieden, indem er Perfusionist:innen unter dem damals noch gebräuchlichen Begriff „Kardiotechniker“ in § 5 Abs. 12 benennt.
13 Zudem handelt es sich bei der MHI-Richtlinie um eine Qualitätssicherungsrichtlinie. Entscheidend für die Frage, welches Personal vorgehalten werden muss, um die Geräte zu bedienen, ist daher insbesondere die tatsächliche Qualifikation. Ausweislich des Konsensuspapiers „Qualifikation, Kenntnisse, Aufgaben und Verantwortlichkeiten des klinischen Perfusionisten Kardiotechnik (KPK)“
14 zählten die Bedienung und Überwachung der für die extrakorporale Zirkulation notwendigen Geräte (Herz-Lungen-Maschine) nebst Zubehör zu den Kernaufgaben der Perfusionist:innen, die diese eigenständig durchführen. Unterzeichnende Fachgesellschaften des Konsensuspapiers sind neben der Deutschen Gesellschaft für Kardiotechnik insbesondere die Deutsche Gesellschaft für Thorax‑, Herz- und Gefäßchirurgie und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, die damit diese Qualifikation als beteiligte ärztliche Fachgesellschaften explizit anerkennen.
Ausweislich der tragenden Gründe geht der G‑BA wegen des Risikos jederzeit eintretender Notfallsituationen von einer ständigen 24/7-Einsatzbereitschaft der HLM aus.
15 Daraus folgt grundsätzlich die Pflicht, auch das erforderliche Personal in Form von Perfusionist:innen 24/7 vor Ort einsatzbereit vorzuhalten.
Diese Einsatzbereitschaft ist jedenfalls während der Durchführung einer TAVI arbeitsrechtlich nicht durch einen Rufdienst und auch nicht durch einen Bereitschaftsdienst, sondern vielmehr – wenn nicht durch Regelarbeitszeit – durch sog. Arbeitsbereitschaft sicherzustellen. Arbeitsbereitschaft zeichnet sich im Unterschied zum Bereitschaftsdienst dadurch aus, dass die Mitarbeiter:innen jederzeit unverzüglich die Arbeit aufnehmen können. Arbeitsbereitschaft wird definiert als Zeit wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung. Arbeitsbereitschaft liegt vor, wenn die Arbeitnehmer:innen am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen und sich ständig bereithalten müssen, um im Bedarfsfall von sich aus tätig werden zu können.
16 Bereitschaftsdienst hingegen liegt vor, wenn die Arbeitnehmer:innen sich in einer vorgegebenen Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten haben, um, sobald es notwendig ist, ihre Arbeit aufzunehmen. Während des Bereitschaftsdiensts dürfen die Arbeitnehmer:innen ruhen oder sich anderweitig beschäftigen, solange ihre beruflichen Leistungen nicht erforderlich sind. In Zeiten, in denen keine TAVI durchgeführt wird und auch aus anderen Gründen kein erhöhtes Risiko für einen medizinischen Notfall besteht, bei dem die HLM zum Einsatz kommen könnte, dürfte damit ein Bereitschaftsdienst ausreichen.
Eine Definition der verwendeten arbeitszeitrechtlichen Begriffe finden Sie in der Infobox.
b) Fachabteilung für Kardiologie und Herzchirurgie bei TAVI erforderlich
Die Einschätzung des G‑BA zu den unterschiedlichen Risikoprofilen von TAVI und Mitraclip-Eingriffen zeigt sich auch an anderer Stelle der MHI-RL. Während für TAVIs im Krankenhaus nach § 4 Abs. 1 MHI-RL sowohl eine Fachabteilung für Kardiologie als auch für Herzchirurgie vorhanden sein müssen, reicht für Mitraclip-Eingriffe nach § 4 Abs. 2 MNI-RL eine von beiden Abteilungen aus. Dabei ist zu beachten, dass es auch bei TAVIs nicht erforderlich ist, dass das Krankenhaus mit beiden Abteilungen im Landeskrankenhausplan geführt wird – dies bereits aus krankenhausplanungsrechtlichen Gründen. In einigen Ländern werden in den Krankenhausplänen keine Teilgebiete wie Kardiologie oder Herzchirurgie ausgewiesen. Erforderlich ist aber, dass das Krankenhaus in diesem Fall über organisatorisch abgegrenzte, fachlich und strukturell entsprechend ausgestattete Abteilungen verfügt.
Ausnahmsweise darf auch ein Krankenhaus, das nur über eine der erforderlichen Abteilungen verfügt, TAVIs im Rahmen einer Kooperation mit einem anderen Krankenhaus, das über die andere Fachabteilung verfügt, durchführen. Dafür ist erforderlich, dass die beiden Krankenhäuser eine räumlich und organisatorisch gemeinsame, beide Fachabteilungen umfassende Einrichtung betreiben, die auf eine beide Fachgebiete umfassende Versorgung von Herzerkrankungen spezialisiert ist und eine einheitliche organisatorische Gesamtverantwortung gewährleistet. Entscheidend ist, dass die „organisatorische Einheit der Behandlung gewährleistet ist“.
17 Es reicht daher nicht aus, dass einzelne Ärzt:innen im Rahmen einer Rufbereitschaft das andere Krankenhaus aufsuchen können. Selbst die Anwesenheit eines Interventions- oder Operationsteams des jeweils anderen Fachgebietes reicht ausdrücklich nicht aus; verlangt werden die Möglichkeiten einer vollständigen Fachabteilung.
18 Der G‑BA verlangt „die Sicherstellung eines gemeinsamen Komplikationsmanagements, die Sicherstellung der gemeinsamen Nutzung von Räumen, der gemeinsamen Durchführung von Schulungen sowie die Regelung von Weisungsbefugnissen“.
19 Faktisch bedeutet dies, dass zwar die Rechtsträgerschaft der beiden Abteilungen bei verschiedenen Krankenhäusern liegen kann, die tatsächliche medizinische Zusammenarbeit aber auch in diesen Ausnahmefällen so erfolgen muss, als handele es sich um eine einheitliche Einrichtung. Denn, so der G‑BA: „Gerade bei hochkomplexen Eingriffen wie TAVI kommt der Struktur- und Prozessqualität in kardiologisch/internistischer wie herzchirurgischer Hinsicht und deren kontinuierlicher Gewährleistung über 24 h an sieben Tagen der Woche grundlegende Bedeutung zu.“
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