Erfordert eine platinhaltige Therapie in jedem Fall eine Thromboseprophylaxe? Welche Rolle spielen Genmutationen im Tumor für die Entscheidung über eine Antikoagulation? Was tun, wenn unter einer antiangiogenen Therapie Thrombosen auftreten? Eine Expertengruppe aus Spanien hat versucht, solche Praxisfragen anhand der verfügbaren Evidenz zu beantworten.
Krebspatienten haben gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein deutlich erhöhtes Thromboserisiko. Gerade bei dieser Patientengruppe gibt es jedoch immer noch viele Unsicherheiten, wenn es um Praxisfragen geht, z. B. in welchen konkreten Fällen eine Antikoagulation erforderlich ist, wie diese aussehen und wie lange sie anhalten sollte.
Ein zwölfköpfiges Onkologenteam aus Spanien hat den Versuch unternommen, vor dem Hintergrund einer teilweise sehr dünnen Datenlage praktische Empfehlungen zu erarbeiten. Die Experten verfügen allesamt über mehrjährige klinische Erfahrung im Management krebsassoziierter Thrombosen. Bei der Literaturrecherche wurde der Fokus auf acht Themenkomplexe gelegt, die in der Praxis häufig Probleme machen. Die Schlussfolgerungen im Einzelnen:
1. Tumorpatienten mit hohem Thromboserisiko wie z. B. Patienten mit Pankreaskarzinom sollten bei niedrigem Blutungsrisiko und unter Berücksichtigung anderer thrombotischer Risikofaktoren eine primär ambulante Thromboseprophylaxe angeboten bekommen (starke Empfehlung, qualitativ hochwertige Evidenz).
2. Bei intermediärem bis hohem Thromboserisiko (vor allem Patienten mit Lungenkrebs und ALK/ROS1-Translokation) sollte über die Möglichkeit einer primär ambulanten Thromboseprophylaxe von Fall zu Fall entschieden werden. Dabei sind, neben validierten Thrombose-Scores wie dem Khorana-Score, folgende Faktoren auf der Tumorseite zu berücksichtigen: Zeitpunkt der Diagnose, Progressionsgrad sowie Beginn der antineoplastischen Therapie.
3. Treten unter einer antiangiogenen Therapie mit einem Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) oder einem monoklonalen Antikörper (MAB) venöse Thrombosen auf, sollte wie folgt vorgegangen werden: Ab Thrombosegrad 3 sollten sowohl MAB als auch TKI abgesetzt und eine indizierte antithrombotische Therapie begonnen werden. Die antiangiogenen Substanzen können bei einer höchstens drittgradigen Thrombose frühestens zwei Wochen nach Beginn der Antikoagulation vorsichtig wieder eingesetzt werden, bei Grad 4 sollte man sie jedoch dauerhaft weglassen. Insbesondere der Einsatz von TKI erfordert die enge Kontrolle von kardiovaskulären Risikofaktoren wie Hochdruck, Hyperlipidämie und Diabetes.
4. Obwohl platinhaltige Chemotherapeutika, insbesondere Cisplatin, mit einem deutlich erhöhten Thromboserisiko in Verbindung gebracht werden, spricht die Datenlage nicht zwingend für eine primäre Thromboseprophylaxe unter einer solchen Therapie. Sie kann jedoch insbesondere in Hochrisikosituationen (z. B. Khorana-Score ≥ 3) erwogen werden.
5. Eine langfristige Antikoagulation über sechs Monate hinaus wird, sofern kein erhöhtes Blutungsrisiko besteht und die Medikamente gut vertragen werden, in folgenden Situationen empfohlen: metastasierender Tumor, aktive antineoplastische Therapie, hohes Risiko für rezidivierende Thromboembolien (z. B. Tumor des Magen-Darm-Trakts, Lungenkarzinom, residueller Thrombus).
6. Für die fortgesetzte Antikoagulation können prinzipiell sowohl niedermolekulare Heparine (NMH) als auch direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) eingesetzt werden, wobei man mit DOAK vor allem bei Tumoren mit höherer Blutungsneigung (z. B. Tumoren des Verdauungstrakts oder des Urogenitaltrakts) vorsichtig sein sollte. Eine Dosisreduktion kann in solchen Fällen erwogen werden.
7. Kommt es trotz Antikoagulation erneut zu Thrombosen, sollte sichergestellt werden, dass die Medikamente regelmäßig eingenommen werden, der zugrundeliegende Tumor nicht aktiv ist und keine Heparin-induzierte Thrombozytopenie vorliegt. Therapeutische Dosen von NMH können ggf. um bis zu 25% gesteigert werden, zu erwägen ist auch ein Wechsel von NMH auf DOAK oder umgekehrt. Die Antikoagulation sollte im Fall von Rezidiven so lange aufrechterhalten werden, wie der Krebs aktiv ist.
8. Im letzten Punkt fassen die Autoren Situationen zusammen, die Patienten mit hohem Blutungsrisiko betreffen:
- Patienten mit Hirntumor und Thrombose sollten die volle NMH-Dosis erhalten, sofern keine Kontraindikation besteht.
- Bei hypervaskularisierten Hirnmetastasen und hohem Blutungsrisiko wird das Vorgehen kontrovers diskutiert; hier besteht den Autoren zufolge die Möglichkeit, die Dosis des Antithrombotikums um bis zu 50% zu reduzieren (schwache Empfehlung). Kontraindiziert ist die Antikoagulation bei Plättchenzahlen unter 25.000, zwischen 25.000 und 50.000 sollte man individuell zwischen Nutzen und Risiko abwägen, ab 50.000 aufwärts ist keine generelle Dosistitration erforderlich.
- Vorsicht ist auch bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung angezeigt: Bei einer GFR zwischen 15 und 30 wird eine Anpassung der NMH-Dosis empfohlen, bei Werten unter 15 sollte das Medikament abgesetzt werden.
- Und schließlich sollten bei allen Krebsarten, die per se mit einem hohen Blutungsrisiko einhergehen, grundsätzlich NMH statt DOAK eingesetzt werden.