Vollständiges und tiefgehendes Wunddébridement bei akuten Bissverletzungen unter Schonung von Nerven, Gefäßen und Sehnen.
Indikationen
Akut traumatische und verspätet vorgestellte Bissverletzungen.
Kontraindikationen
Allgemeine Kontraindikationen gegen Anästhesie und Operation.
Operationstechnik
Großflächige fächerförmige Lokalanästhesie oder Allgemeinnarkose, Wundspülung mit 0,9 %iger NaCl- oder antiseptischer Lösung, Entfernung avitalen Gewebes, Wunddébridement, Wundrandexzision, erneute ausgiebige Spülung, ggf. Drainage, ggf. Wundverschluss, außer bei älteren oder punktuell tiefgehenden Bissverletzungen, Verband, elastische Wickelung und Ruhigstellung. Gegebenenfalls plastische Deckung verbliebender Defekte.
Weiterbehandlung
Ruhigstellung mit zunächst täglicher Wundbeurteilung, Entfernung der Drainage oder Lasche am 2. postoperativen Tag, ggf. antibiotische Therapie mit Amoxicillin und Clavulansäure bei Hochrisikowunden (punktuelle Wunden, Gelenk- oder Knochenbeteiligung, ausgedehnte Weichteilquetschung usw.), Entfernung der Nähte am 10.–12. postoperativen Tag.
Ergebnisse
Bei insgesamt 142 therapierten und retrospektiv betrachteten Bissverletzungen handelte es sich in 46 % der Fälle um Hundebissverletzungen, in 32 % waren Katzen die Verursacher. Die Patienten waren im Durchschnitt 44 Jahre alt, von Hundebissen waren 55 % Frauen betroffen, von Katzenbissen 67 %. In 48 % der Fälle war eine Vollnarkose notwendig. Die postoperative Infektionsrate lag bei 6,3 %.
Hinweise
Redaktion
M. Blauth, Innsbruck
Zeichner
H.-J. Schütze, Köln
Lernziele
Nach Studium dieses Artikels ...
kennen Sie die epidemiologische Relevanz von Bissverletzungen.
sind Sie in der Lage, eine frische Bissverletzung unfallchirurgisch zu versorgen.
können Sie die korrekte antibiotische Therapie einleiten.
können Sie die Nachbehandlung einer Bissverletzung korrekt durchführen.
kennen Sie die möglichen Komplikationen einer Bissverletzung und deren Therapie.
Vorbemerkungen
Hundebisse treten in den USA bei 4,5 Mio. Menschen auf. Nur jeder Fünfte sucht medizinische Hilfe und 3–18 % der Betroffenen infizieren sich [1]. Die Häufigkeit von Bissverletzungen liegt bei 12,9 pro 10.000 Einwohnern. Im häuslichen Umfeld sind zu 80–90 % Hunde und Katzen beteiligt [2, 3]. An dritter Stelle finden sich Menschenbisse [4]. Seltener treten Bisse von Pferden oder Schlangen auf [5, 6]. Jeder Mensch in den USA wird folglich mit über 50 %iger Wahrscheinlichkeit in seinem Leben von einem Tier gebissen werden [7, 8]. Dies führt zu ca. 1 % aller Notaufnahmebesuche und direkten Kosten von mehr als 50 Mio. USD jährlich [9, 10]. In Großbritannien wird von 250.000 Hundebissen jährlich ausgegangen, für den deutschen Raum lassen sich einheitliche Zahlen nur schwer ermessen, angenommen werden bis zu 50.000 Bissverletzungen im Jahr [11, 12, 13].
Im häuslichen Umfeld sind zu 80–90 % Hunde und Katzen an Bissverletzungen beteiligt
Zumeist ist die rechte Hand betroffen, was an einer Abwehrbewegung mit dem dominanten Arm liegen mag [14]. Während Katzenbisse mit einer Häufigkeit von 1,5:1 häufiger das weibliche Geschlecht und die obere Extremität betreffen, verhält es sich bei Hundebissen umgekehrt [15, 16, 17]. Zumeist handelt es sich um ein bekanntes Tier [18]. Die Größe der Verletzung korreliert mit der Größe des Tieres, wohingegen die Infektionswahrscheinlichkeit unabhängig von der Tiergröße zu sein scheint [19].
Zumeist ist die rechte Hand betroffen
Insgesamt kommt es bei einer Bissverletzung meist zu einer perforierenden Verletzung mit gleichzeitiger Quetschung des Weichteilgewebes bis hin zu knöchernen Beteiligungen. Wundtiefe und das weibliche Geschlecht sind als Prädiktoren für eine Infektion zu werten [16]. Katzen verursachen aufgrund ihrer scharfen Zähne, insbesondere Eckzähne (Abb. 1), und schwächeren Bisskraft punktuelle Bissverletzungen (Abb. 2), während Hunde eher eine Quetschverletzung mit größerem Flurschaden herbeiführen ([2], Abb. 5 und 6).
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Hunde verletzen eher Kinder, die älter als 5 Jahre sind, während jüngere Kinder häufiger von Katzenbissen betroffen sind [14, 16]. Die bei ausgedehnten Bissverletzungen resultierenden Narben können die Betroffenen ein Leben lang ästhetisch und funktionell beeinträchtigen (Abb. 3 und 5). Kinder werden zudem häufiger als Erwachsene im Gesicht gebissen ([20, 21]; Abb. 4 und 5).
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Bissverletzungen lassen sich für alle Regionen außerhalb des Gesichts nach Rueff et al. [22] einteilen; für den Gesichtsbereich verwenden wir die Einteilung nach Lackmann ([12, 23]; Tab. 1).
Tab. 1
Einteilung von Bissverletzungen an Extremitäten und Rumpf nach Rueff et al. [22] sowie im Gesicht nach Lackmann [23]
Tiefere Verletzung mit Muskulaturbeteiligung (Abb. 5)
Grad III
Tiefe Gewebenekrose oder Substanzdefekt (Abb. 7 und 8)
Zusätzlicher Substanzdefekt
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Bei vom Menschen verursachten Bissen (3,6–23 % aller Bisswunden [4]) sind direkte von den gefährlicheren indirekten, z. B. durch einen Faustschlag gegen Zähne verursachten, Verletzungen zu unterscheiden [24]. Hier ist die besonders infektionsgefährdete „Fight-bite-clenched fist“-Verletzung zu erwähnen, die in einer septischen Arthritis münden kann. Hierbei trifft die geschlossene Faust auf die Zähne des Gegners. Die Beteiligung des Metakarpophalangealgelenks über eine typischerweise 3–8 mm lange Lazeration, ggf. mit Verletzung der Strecksehne, gilt als Risikofaktor für Infektionen von Menschenbissen, da die Gelenkkapsel beschädigt sein kann [25]. In der Folge einer Extension des Fingers gleitet der verletzte Sehnenanteil nach proximal und die intakte Sehne verdeckt die Perforationsstelle. Die initiale Unscheinbarkeit darf hier nicht zur Unterschätzung der Verletzung führen, da dramatische Verläufe bis zum Handverlust resultieren können. Um dies zu verhindern, muss das Gelenk exploriert und débridiert werden [26, 27].
Die Beteiligung des Metakarpophalangealgelenks gilt als Risikofaktor für Infektionen von Menschenbissen
Die häufige Superinfektion von Bissverletzungen, z. B. an Fingern im Rahmen einer Beugesehnenphlegmone, stellt einen Notfall dar. Ohne Therapie kann es im Rahmen der Infektion der Beugesehnenscheide zur Nekrose der Beugesehnen und zur Hohlhandphlegmone kommen. Die Prognose bei unzureichender Therapie ist sehr schlecht, es resultiert eine deutliche Funktionseinschränkung [28].
Die häufige Superinfektion von Bissverletzungen stellt einen Notfall dar
Ätiologisch spielen aggressives Verhalten, Sexualpraktiken, Sportunfälle oder selbstverletzendes Verhalten eine Rolle [29]. Besonderes Augenmerk sollte der Detektion übertragbarer Krankheiten gelten [30].
Primärer Wundverschluss
Ein primärer Verschluss von Bissverletzungen ist heute zulässig und nach korrektem und ausgiebigem Débridement auch angezeigt. Die von Friedrich 1898 geforderte offene Behandlung [31] ist nach randomisierten klinischen Studien [32, 33] und Metaanalysen [34, 35] nicht mehr haltbar.
Primär verschlossen werden können kleinere Verletzungen wie punktuelle Wunden und Abrasionen, Hundebisse sowie alle Verletzungen oberhalb der Dermis und tiefere Verletzungen, die nach akkurater Inspektion keine grobe Verunreinigung aufweisen [32, 34, 36, 37]. Gerade frische kleine Lazerationen oder Abrasionen ohne Risikofaktoren (s. nächster Absatz) sollten jedoch, v. a. an der Hand, keinesfalls unterschätzt werden und bedürfen vor einem primären Wundverschluss einer genauen chirurgischen Exploration und Therapie [5, 9, 17, 38].
Frische kleine Lazerationen oder Abrasionen ohne Risikofaktoren sollten keinesfalls unterschätzt werden
Als Kontraindikationen für einen primären Wundverschluss sehen wir die häufig unterschätzten Katzenbissverletzungen an der Hand mit unklarer Tiefenausdehnung sowie veraltete Wunden nach mehr als 24 h. Hier ist Vorsicht geboten und eine Second-look-Operation nach initial offener Wundbehandlung indiziert [18, 39, 40, 41].
Bei ästhetisch relevanten Stellen wie an Kopf oder Nacken sollte die Wunde bis zu 8 h nach der Verletzung primär verschlossen werden, auch um funktionelle Störungen wie Lidverletzungen und Narbenbildung zu verhindern [16, 19, 42, 43].
Prädiktoren für eine Infektion
Nach einem ausreichenden Wunddébridement liegt die Infektionswahrscheinlichkeit einer Hundebissverletzung um 2 % [44]. Als Risikofaktoren gelten:
Wunden an Arm und Hand,
punktuelle Wunden,
Gelenk- oder Knochenbeteiligung,
ausgedehnte Weichteilquetschung,
verzögerte Wundbehandlung nach 24–48 h,
Alter >50 Jahre,
Komorbiditäten sowie
weibliches Geschlecht.
Menschen- und Katzenbisse sind in dieser Hinsicht ungünstiger als Hundebisse [16, 40, 42, 45].
Keimspektrum
Die meisten Infektionen haben eine polymikrobielle Keimflora mit aeroben und anaeroben Bakterien. Im Falle eines Hundebisses findet sich v. a. Staphylococcus aureus oder Pasteurella multocida sowie Haemophilus influenzae [19]. Bei Katzenbissen wird hauptsächlich das Bakterium Pasteurella multocida gefunden, das in der natürlichen Mundflora von Hauskatzen in >90 % vorliegt [17]. In Menschenbissverletzungen wurden über 600 bakterielle Spezies entdeckt [46], wobei sich v. a. Streptococcus anginosus und Eikenella corrodens nachweisen lassen [24, 30, 47, 48]. Als häufiger Erreger von Infektionen wurde Pasteurella spp. identifiziert [49, 50, 51].
Als häufiger Erreger von Infektionen wurde Pasteurella spp. identifiziert
Tollwut
Bei Tollwutverdacht muss der betreffende Hund 10 Tage beobachtet werden. Deutschland gilt zwar seit 2008 laut World Health Organisation (WHO) als tollwutfrei, jedoch stellt der Import von Tieren aus Drittländern und unkontrollierten Zuchtbetrieben ein Risiko dar. Die Postexpositionsprophylaxe sieht eine großzügige Reinigung mit Wasser und 70 %igem Alkohol vor. Die Wunden sollten dann nicht primär verschlossen werden. Bei Kratzern eines tollwütigen Tieres ist die aktive Immunisierung mit Tollwutimpfstoff zu fordern, bei schweren Bissverletzungen zusätzlich eine passive Immunisierung mit Tollwutimmunglobulin [48].
Antibiotikatherapie
Zur Prophylaxe bei niedrigem Risiko kann die Antibiotikagabe nach prospektiven randomisierten Studien nicht empfohlen werden [10, 52], selbst bei Schlangenbissen nicht [4].
Bei Hochrisikowunden wird die 7‑tätige Prophylaxe mit z. B. Amoxicillin (875 mg) und Clavulansäure (125 mg) 2‑mal täglich empfohlen [2, 49, 50].
Im Falle giftiger Bisse und eindeutiger Vergiftungssymptome oder schwerer Komplikationen wird laut WHO die Applikation eines Antivenins empfohlen [53], auf die Schwierigkeiten der intravenösen Gabe tierischen Eiweißes ist jedoch hinzuweisen [54].
Das empirische Management infizierter Bissverletzungen beinhaltet eine Therapie mit Amoxicillin und Clavulansäure [51, 55]. Während Kulturen von a priori nicht infizierten Wunden keine Zusatzinformationen liefern können, sind bei infizierten Wunden Kulturen und Sensitivitätstestungen indiziert, um die erregergerechte medikamentöse Therapie einleiten zu können [10, 41, 56]. Bei infizierten Wunden nach Celsus [57] sowie bei Austritt von Pus, Rötung oder Abszessformationen ist die Antibiotikatherapie indiziert.
Das empirische Management infizierter Bissverletzungen beinhaltet eine Therapie mit Amoxicillin und Clavulansäure
Bisse und Toxine
Im deutschsprachigen Raum kommen gelegentlich Bisse von Schlangen oder Arthropoden vor. Bei Letzteren ist auf die in Deutschland heimische Kreuzspinne (Araneus) hinzuweisen, deren Biss i. d. R. ohne ernsthafte Komplikationen bleibt [58, 59]. Ferner ist die Dornfingerspinne (Eutichurida) als im europäischen Raum heimische Giftspinne zu erwähnen, deren Bisse lokale Schmerzen und Schwellungen hervorrufen können und symptomatisch behandelt werden sollten [60, 38, 61]. Außerdem findet sich im europäischen Raum die Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus), über deren Toxizität Uneinigkeit herrscht [62]. Der durch einen Biss mitunter hervorgerufene Symptomkomplex wird als Latrodektismus beschrieben und bezeichnet Schmerzen, Muskelkrämpfe und Erbrechen. Tödliche Verläufe wurden beschrieben, sind jedoch eine Rarität. Bestehen Symptome länger, wird eine Therapie mit Analgetika empfohlen; eine Antivenintherapie ist umstritten [63, 64, 65].
Der durch einen Biss der Schwarzen Witwe mitunter hervorgerufene Symptomkomplex wird als Latrodektismus beschrieben
Ein Biss der im deutschsprachigen Raum gewöhnlichen Kreuzotter (Vipera berus) verursacht geringe Lokalsymptome wie Schwellung und nur selten tödliche Vergiftungen. Der Biss der Aspisviper (Vipera aspis) kann tödliche Folgen haben. Für beide Vipernarten stehen jedoch Antiseren zur Verfügung [5, 66]. Die in Deutschland vorkommenden Natterarten sind allesamt für den Menschen nicht giftig. Aufgrund des verbreiteten Hangs zu exotischeren Haustieren können jedoch auch seltene Exemplare mitunter in deutschen Haushalten angetroffen werden [6, 67].
Für beide Vipernarten stehen Antiseren zur Verfügung
Generell gilt für das Management von Spinnen- und Schlangenbissen, dass die Identifikation des Tieres entscheidend zum Therapieerfolg beiträgt. Eine Immobilisierung der betroffenen Extremität und der umgehende Transport in ein Krankenhaus sind indiziert, im Zweifel kann die Giftnotrufzentrale wertvolle Hilfestellung geben [68]. Fälle von Kompartmentsyndromen nach Schlangenbissen sind keine Seltenheit; bestehen hier diagnostische Schwierigkeiten, können die intrakompartimentelle Druckmessung und eigens entwickelte Algorithmen Abhilfe schaffen [69, 70].
Die Identifikation des Tieres trägt entscheidend zum Therapieerfolg bei
Prävention
Am wirksamsten zur Verhinderung von Bissverletzungen kann die Vermeidung einer Bedrängung des Tieres, v. a. wenn es frisst oder schläft, durch das Kind im häuslichen Umfeld beitragen, da dies die häufigste Unfallursache jüngerer Kinder darstellt [71].
Zunehmend werden nicht mit einem Biss assoziierte Verletzungen durch Hunde beobachtet, die durch Bedrängen oder Stoßen eines Hundes in Richtung kleinerer Kinder zu schweren Verletzungen führen können [72]. Elterliche Beaufsichtigung ist also in jedem Fall einer Interaktion zwischen Hund und Kind zu fordern. Zumeist kennen sich Gebissener und beißendes Tier [71].
Rechtliches
Meldepflichtig sind Verdacht auf, Erkrankung an oder Tod durch Tollwut sowie die Verletzung eines Menschen durch ein tollwütiges oder tollwutverdächtiges Tier [12, 73, 74]. Bissverletzungen von Landwirten, Züchtern usw. sowie im Rahmen der veterinär- oder humanmedizinischen Tätigkeit und in der Pflege, der Schule und im Kindergarten u. a. sind Unfälle im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung.
Operationsprinzip und -ziel
Konsequente und zeitgerechte Behandlung von Bissverletzungen aller Art zur Vermeidung von Komplikationen und Folgeschäden. Die Notfallmaßnahmen umfassen Überprüfung des Tetanusstatus und ggfs. Impfung, eine gezielte Blutstillung, das ausgiebige Wunddébridement und mehrfache Spülen der Wunden sowie die Exploration und Behandlung von Zusatzverletzungen der Sehnen, Knochen und Gelenke. Bei sauberen Verhältnissen möglichst primärer Wundverschluss, bei infizierten Wunden und Hautdefekten zusätzlich Entnahme von Gewebeproben, Nekrosektomie, offene oder Vakuum(VAC)-Therapie für 24–48 h und sekundärer Wundverschluss im Rahmen der Second-look-Operation.
Reduzierung von Folgeeingriffen, Funktionsausfällen und anderen Komplikationen
Veraltete oder infizierte Bissverletzungen
Beschleunigter Heilungsverlauf
Reduzierung von Folgeeingriffen, Funktionsausfällen und anderen Komplikationen
Reduzierung von Ersatzoperationen
Indikationen
Jede Bissverletzung, von der punktuellen bis Bissen mit größerem Weichteilschaden und Verletzung tieferer Strukturen
Infizierte Bissverletzung
Kontraindikationen
Abrasionen, hier genügt eine Reinigung und aseptische Wundbehandlung
Patientenaufklärung
Allgemeine Operationsrisiken (z. B. Verletzung von Nerven und Gefäßen)
Wundinfektion
Wundheilungsstörung
Verletzung von Sehnen
Sekundärer Wundverschluss
Protrahierter Heilungsverlauf
Funktionelle und ästhetische Beeinträchtigung, z. B. durch Narben
Folgeschäden, die evtl. Sekundäreingriffe nötig machen
Operationsvorbereitung
Anamnese mit Abklärung von Risikofaktoren, z. B. Antikoagulanzien
Bei unbekanntem oder freilaufendem Tier Sicherstellung des Impfstatus des Tieres bezüglich Tollwut
Überprüfung des Tetanusschutzes. Aufgrund von immer noch 10–15 Tetanusfällen in Deutschland jährlich Booster-Impfung bei unsicherem Tetanusschutz oder weniger als 3 Tetanus-Immunisierungen, z. B. DTaP/Tdap [75, 76, 77].
Im Falle von Menschenbissverletzungen Überprüfung des Immunstatus und der Antikörpertiter bezüglich Hepatitiden (B, C, D) und HIV
Bei Eingriffen an der Hand und im Gesicht Verwendung einer Lupenbrille, bei Nerven- oder Gefäßverletzungen Einsatz des Operationsmikroskops
Radiologische Diagnostik: Zähne oder Schmutz in situ (Abb. 9 und 10), Beteiligung von Knochen oder Gelenken?
Eine Enthaarung zur Reduktion des Infektionsrisikos kann allgemein nicht empfohlen werden, jedoch existieren keine Leitlinien für Bissverletzungen [78]. Einem Cochrane-Review zufolge kann keine eindeutige Empfehlung ausgesprochen werden, Scheren sind jedoch mit einer niedrigeren Infektionsrate assoziiert als Rasierer [79]. Im eigenen Vorgehen werden Haare, die eine chirurgische Therapie behindern, mit einer Schere entfernt.
Scheren zur Haarentfernung sind mit einer niedrigeren Infektionsrate assoziiert als Rasierer
Material für Stützverbände (z. B. semirigides Stützverbandmaterial)
Gegebenenfalls bipolare Antikoagulation
Gegebenenfalls Blutsperre
Polihexanid-Lösungen oder hypochlorige Säurelösungen sowie isotone Kochsalz- und Ringerlösungen zur Spülung
Anästhesie und Lagerung
Behandlung in Abhängigkeit von der Größe der Verletzung entweder in der Notfallaufnahme oder im Operationssaal
Die lokale Feldblockanästhesie, ein regionaler Block oder die „Wide-awake-Technik“ [80] bei Bissverletzungen der oberen und unteren Extremität verbessern die Gründlichkeit der Wundsäuberung [12] und können auch für die Exploration genutzt werden, um alle tieferen Areale zu erreichen.
Bei Bissverletzungen im Gesicht Lokalanästhesie, bei ausgedehnten Befunden Vollnarkose
Applikation des Lokalanästhetikums durch die nichtverletzte Haut
Bauchlage oder Rückenlage, je nach Lokalisation der Verletzung unter Beachtung einer ausreichenden Polsterung
Anlage einer Blutsperre, die bei Bedarf aufgepumpt wird
Bei kleineren Verletzungen Klebe- oder Lochtuch, sonst reguläre Operationsabdeckung
Operationstechnik
Frische Bissverletzung mit primärem Wundverschluss
Eine Beugesehnenrekonstruktion ist frühestens 6 Monate nach Abklingen des Infektes möglich
Besonderheiten
Im Falle der seltenen ausgedehnten lebensbedrohlichen Bissverletzungen ist es das vorrangige Ziel, die Blutung zu stillen. Zumeist ist das Auswaschen und radikale Débridement avitalen Gewebes entscheidend [12, 36, 71, 85], um eine Infektion abzuwenden.
Postoperative Behandlung
Hochlagerung und Immobilisierung der Extremität, z. B. mit semiregidem Material
Hochhängen des Arms oder der Hand in einer Oberarmgipsschale
Häufig Second-look-Operation nach 24–48 h
Wundkontrolle nach spätestens 24 h
Entfernen des Spülkatheters nach Abklingen des Infekts, Entfernen der Drainage in Abhängigkeit vom Infektstatus
Nahtentfernung am 10.–12. postoperativen Tag
Bei Risikopatienten ist eine Antibiotikatherapie mit Amoxicillin und Clavulansäure (alternativ bei Penicillin-Allergie auch Carbapeneme wie Meropenem) bzw. nach Erregerspektrum resistenzgerecht indiziert.
Eine Phlegmone an der Hand wird obligat mit einem Antibiotikum behandelt, wobei zunächst mit Amoxicillin/Clavulansäure begonnen werden kann. Nach Erhalt des Antibiogramms wird auf die erregergerechte medikamentöse Therapie umgestellt.
Eine Phlegmone an der Hand wird obligat mit einem Antibiotikum behandelt
Fehler, Gefahren, Komplikationen
Unzureichende Primärversorgung und Infektion durch Unterschätzung des Schweregrads der primären Bissverletzung oder ungenügendes Débridement: septische Revisionen, Wunddébridement und sekundärer Wundverschluss sowie Antibiotikatherapie nach Antibiogramm [36, 44, 86, 87, 88]
Unzureichende Bestimmung des Verletzungsausmaßes durch ungenügende Analgesie: lokale Feldblockanästhesie oder regionaler Block (Handblock) mit gründlicher Wundsäuberung. Gegebenenfalls Wundinspektion in Vollnarkose [2, 12, 88]
Unnötige antibiotische Abdeckung bei fehlenden Risikofaktoren für eine Infektion: Es entstehen Resistenzen gegen die gängigen Antibiotika [89, 90, 91].
Unzureichende Antibiotikatherapie bei bereits infizierten Wunden sowie Hochrisikopatienten/-wunden: Die Infektion wird nicht suffizient therapiert. Bei infizierten Bissverletzungen wird Amoxicillin/Clavulansäure empfohlen [2, 20, 41, 51].
Große Hautdefekte bei ausgiebigem Débridement, ästhetisch nicht zufriedenstellendes Langzeitergebnis: plastische Deckungsverfahren wie Spalt- oder Vollhaut-Transplantation sowie Lappendeckung [43, 92, 93]
Verletzung von Gefäßen oder Nerven: sekundäre Rekonstruktion mit Gefäß- oder Nervennaht [2, 18, 19].
Zu lange Immobilisierung (resultiert in Einsteifung und Bewegungseinschränkungen, die physiotherapeutisch nur schwer zu therapieren sind): Nach Beruhigung der Infektion ist eine frühfunktionelle Therapie möglich, die Ruhigstellung sollte beendet werden [24, 94].
Ergebnisse
Von 1995 bis 2015 behandelten wir 142 Bissverletzungen im Operationssaal mit einer durchschnittlichen Dauer von 69,7 min. Dabei handelte es sich zumeist (46 %) um Hundebissverletzungen, dicht gefolgt von Katzenbissen mit 32 %. Andere Tiere wie Ratten (2 %), Meerschweinchen (2 %) oder Hausschweine (1 %) führten selten zu operationspflichtigen Verletzungen, Menschenbisse nur in 1 % der Fälle. Das Durchschnittsalter der gebissenen Personen betrug 43,9 Jahre. Von Hundebissverletzungen waren 55 % Frauen betroffen, von Katzenbissen 67 %. Die operative Behandlung war zu 52 % in Regionalanästhesie möglich, in 48 % war eine Vollnarkose erforderlich.
Nur einen Eingriff benötigten 120 Patienten (84,5 %), während ein Second-look-Eingriff 20-mal (14,1 %) notwendig wurde. Bei 2 Patienten (1,4 %) waren mehrfache Operation erforderlich. Tenolysen wurden bei 26 Eingriffen vorgenommen. Arthrolysen waren insgesamt in 5 Fällen notwendig: 3 während der ersten, 2 während der zweiten Operation. Lediglich 9,2 % der Patienten wurden ambulant weiterbetreut. Im Mittel waren die Patienten mit stationärer Behandlung 9,01 (±0,79) Tage im Krankenhaus. Bei einfacher Operation lag die Verweildauer bei 8,8 Tagen (±0,8), bei 2‑fachem Eingriff bei 11,7 Tagen (±3, 9). Die postoperative Infektionsrate betrug 6,3 % und entspricht den Literaturangaben von 5,2–17 % [4, 28, 32, 95].
Fazit für die Praxis
Bissverletzungen sollten niemals unterschätzt werden und bedürfen einer differenzierten chirurgischen Therapie.
Eine Fingerphlegmone stellt einen handchirurgischen Notfall dar.
Bei immunsupprimierten Patienten, verzögerter Wundheilung und Bissen an Hand und Arm ist eine antibiotische Therapie indiziert.
Ein ausgiebiges chirurgisches Débridement ist für einen komplikationsfreien Verlauf entscheidend.
Schlangenbisse und Verletzungen durch exotische Tiere bedürfen immer einer Abklärung der Toxizität.
Frische Bissverletzungen werden akribisch débridiert, nekrotische Wundanteile exzidiert und die Wunde primär verschlossen.
Bei Infektzeichen oder grober Verschmutzung sowie unzureichender Weichteildeckung lässt sich über eine VAC-Anlage und wiederholte -wechsel, ggf. mit plastischen Verfahren, ein sekundärer Wundverschluss erreichen.
Sekundär infizierte Bissverletzungen im Bereich der Finger bedürfen einer Inspektion der darunterliegenden Sehne.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
D. Saul und K. Dresing geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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