Erschienen in:
19.08.2015 | Traumatologie | Originalien
Zivile Explosionstraumata – ein unterschätztes Problem?
Ergebnisse einer retrospektiven Analyse aus dem TraumaRegister DGU®
verfasst von:
Dr. M. Kulla, DESA, J. Maier, D. Bieler, R. Lefering, S. Hentsch, L. Lampl, M. Helm
Erschienen in:
Die Unfallchirurgie
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Ausgabe 10/2016
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Zusammenfassung
Hintergrund
Explosionsverletzungen sind in Deutschland eine seltene Ursache schwerer Traumata und kaum Auslöser von Massenanfällen von Verletzten. Daher ist die Expertise in der Behandlung des individuellen explosionsverletzten Patienten eher als gering einzuschätzen.
Material und Methoden
Es erfolgte die manuelle retrospektive Identifikation aller Patienten des TraumaRegister DGU® (TR-DGU) der Jahre 1993–2011. Die deskriptive Beschreibung des Patientenkollektivs wurde im Vergleich zu 3 Vergleichskollektiven vorgenommen. Berechnet wurden Mittelwert, Standardabweichung und 95 %-Konfidenzintervall für verschiedene demographische Daten und Parameter der prähospitalen und innerklinischen Versorgung. Eine Prognoseabschätzung wurde mittels RISC (Revised Injury Severity Classification) und RISC II durchgeführt (TR-DGU-Projekt-ID 2012–035).
Ergebnisse
Im TR-DGU konnten 137 Patienten nach Explosionstrauma identifiziert werden. Die zu 90 % männlichen Patienten werden häufig (43 %) mittels Lufttransport in ein Traumazentrum geflogen. Das Kollektiv schwerverletzter Patienten (Injury Severity Score (ISS) = 18,0; 52 % mit ISS ≥ 16) muss bei kreislaufstabilen Vitalwerten nie notfallmäßig, jedoch auffällig häufig dringlich (59 %), d. h. noch vor der Aufnahme auf die Intensivstation, operativ versorgt werden. Im Verletzungsmuster imponieren mit 27 % schwere Weichteiltraumata (Abbreviated Injury Scale (AIS) ≥ 3), bei denen es sich in 90 % um Verbrennungen handelt. Bei sehr geringer innerklinischer Frühletalität von 3 % ist der Intensivaufenthalt tendenziell länger als in den Vergleichsgruppen (5,5 Beatmungs-, 10,7 Intensivtage). Organversagen trat in 36 %, Multiorganversagen in 29 % und septische Verläufe in 14 % der Fälle auf. Mit 16 % werden überproportional viele Patienten innerhalb von 48 h weiterverlegt. Der RISC sowie sein Nachfolger, der RISC II, unterschätzen die Verletzungsschwere/Letalität tendenziell (10,2 vs. 6,8 % bzw. 10,7 vs. 7,5 %) ebenso wie der Trauma-associated-severe-hemorrhage(TASH)-Score die Wahrscheinlichkeit einer Transfusion von mehr als 10 Erythrozytenkonzentraten unterschätzt (5,0 vs. 12,5 %).
Schlussfolgerung
Die Arbeit generiert Hypothesen, die einer weiteren konfirmatorischen Prüfung unterzogen werden sollten. Bis dahin muss aufgrund der gewonnenen Ergebnisse festgehalten werden, dass Patienten, die durch eine akzidentielle Explosion – nicht durch geplante (militärische/terroristische) Gewalt – verletzt werden, eine Kombination aus dem klassischen Schwerstverletzten mit zusätzlichem relevanten Anteil an schweren Verbrennungen aufweisen (thermomechanische Kombinationsverletzung). Ihr Intensivaufenthalt ist prolongiert und häufiger von relevanten Komplikationen gekennzeichnet, als dies bei anderen Traumapatienten der Fall ist. Scores, welche sich beim klassischen Schwerstverletzten bewährt haben (RISC/RISC II/TASH), unterschätzen dabei die Verletzungsschwere beim Explosionsverletzten tendenziell.