So gelingt die bessere Verteilung von Notfallpatienten – nicht

Um die Notaufnahmen zu entlasten, will die Bundesregierung integrierte Notfallzentren errichten, in denen die Patienten je nach Dringlichkeit auf Praxen bzw. Kliniken verteilt werden. Dabei gibt es jedoch einen entscheidenden Haken: Das MTS, das als Triage-Instrument infrage käme, ist für diese Indikation offenbar wenig geeignet. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Um zu verhindern, dass Patienten mit harmlosen Beschwerden die ohnehin schon überlasteten Notaufnahmen aufsuchen, plant die Bundesregierung, ein Gatekeeping-Modell zu implementieren. Wie der aktuelle Koalitionsvertrag vorsieht, sollen sich „gehfähige“ Notfallpatienten zunächst in integrierten Notfallzentren (INZ) vorstellen. Von dort werden sie dann mithilfe von Triage-Instrumenten je nach Dringlichkeit verteilt – entweder direkt in die zentrale Notaufnahme der angeschlossenen Klinik oder in eine Bereitschaftspraxis bzw. zum niedergelassenen (Allgemein-)Arzt. Manchester-Triage-System getestet Ein Team der Berliner Charité hat jetzt ein in Deutschland weit verbreitetes Triage-Tool getestet: Das in Großbritannien entwickelte MTS (Manchester-Triage-System) ist in deutscher Übersetzung seit 2008 an der Charité im Einsatz und gilt als valides Verfahren zur Ersteinschätzung in der Notaufnahme. Es basiert auf 50 Präsentationsdiagrammen und unterscheidet je nach empfohlener Wartezeit für den Patienten fünf Kategorien: blau („nicht dringend“): Die Wartezeit bis zum ersten Arztkontakt kann theoretisch bis zu 120 Minuten betragen. grün (Standard): Wartezeit 90 Minuten, gelb („dringend“): 30 Minuten, orange („sehr dringend“): 10 Minuten. Bei „rot“ ist eine unmittelbare Reanimation erforderlich (0 Minuten). „Blau“ oder „grün“ wären demnach Fälle, die man gemäß dem Gatekeeping-Konzept zum niedergelassenen (Allgemein-)Arzt bzw. außerhalb der Praxisöffnungszeiten in die Bereitschaftspraxis schicken könnte. „Gelb“, „orange“ und „rot“ würden in die Kategorie „dringlich“ fallen und in der zentralen Notaufnahme versorgt. Als Gatekeeping-Tool ungeeignet Laut Dr. Anna Slagman und Kollegen von der Abteilung für Notfall- und Akutmedizin der Charité lässt die Verlässlichkeit dieses Systems beim Herausfiltern geeigneter Kandidaten für den Allgemeinarzt jedoch zu wünschen übrig: Patienten, welche gemäß MTS in die Kategorie „nicht dringlich“ eingestuft worden waren, hatten in ihrer Studie zu einem erheblichen Anteil ernste Diagnosen aufgewiesen, die durchaus einen stationären Aufenthalt, in manchen Fällen sogar auf der Intensivstation, erforderten. Von den insgesamt 1152 an der Studie beteiligten Notfallpatienten – es handelte sich ausschließlich um nicht chirurgische Fälle – hatte die für die Triage verantwortliche Schwester 358 der Kategorie „nicht dringlich“ („blau“ oder „grün“) zugewiesen. Aus dieser Gruppe wurde dann doch fast jeder Dritte unmittelbar stationär aufgenommen, wobei zehn Patienten auf der ICU landeten. In der Kategorie „dringlich“ waren es knapp die Hälfte stationäre, davon 14% ICU-Aufnahmen. Im Mittel blieben die Patienten sechs bzw. fünf Tage lang in der Klinik. Dringliche Fälle übersehen Die insgesamt häufigste Diagnose war Angina pectoris (5,2%). Diese machte bei den „nicht dringlichen“ Fällen einen Anteil von 2,8% aus (gegenüber 6,5% bei den dringlichen). Immerhin vier Patienten, die man entsprechend ihrer MTS-Kategorie zum Allgemeinarzt geschickt hätte, waren innerhalb von 30 Tagen nach Ankunft in der Notaufnahme gestorben. Die Sterberate innerhalb eines Jahres, die man als Surrogatparameter für das langfristige Risiko verwendet hatte, lag bei den „nicht dringlichen“ statistisch gesehen in etwa auf gleicher Höhe wie bei den „dringlichen“ Patienten, nämlich bei 7,9% gegenüber 11,5%. Im Ranking der einzelnen Gruppen lag ausgerechnet „blau“ mit einer 1-Jahres-Mortalität von 12,5% vorne, gefolgt von „orange“ (13,5%). Patienten "vermeidbaren Gefahren" ausgesetzt Laut Slagman et al. würden Patienten durch Einsatz des MTS als Gatekeeping-Tool unter Umständen „vermeidbaren Gefahren“ ausgesetzt. Man könne nicht davon ausgehen, dass Patienten, die bei der Triage in der Notaufnahme mit dem Label „nicht dringlich“ versehen wurden, tatsächlich einer Niedrig-Risiko-Kategorie entsprächen, so die Experten. Um rasch eine angemessene Behandlung einzuleiten, seien in vielen Fällen immer noch die Strukturen einer Klinik und entsprechend ausgebildete Akutmediziner gefragt. Letztlich, so die Schlussfolgerung der Autoren, sei zumindest das deutsche MTS-System nicht geeignet, um Patienten im Sinne des Gatekeeping einer bestimmten Versorgungsebene zuzuweisen. Für andere Triage-Instrumente liegt derzeit noch keine entsprechende Evaluation vor. Das Wichtigste in Kürze Frage: Ist das Manchester Triage System (MTS) geeignet, als Grundlage für eine Verteilung von Notfallpatienten im Sinne des Gatekeeping-Modells zu dienen? Antwort: In einer prospektiven Kohortenstudie an der Berliner Charité wurden sowohl kurz- als auch langfristige Risiken nicht hinlänglich erkannt. Bedeutung: Den Autoren zufolge besteht die Befürchtung, dass Patienten durch das MTS „vermeidbaren Gefahren“ ausgesetzt werden. Einschränkung: Es ist unklar, ob die gewählten Endpunkte geeignete Surrogatparameter darstellen, um die kurz- und langfristigen Risiken der Patienten in der Akutsituation abzuschätzen.

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