Mehr schwere Hypoglykämien bei Typ-2-Diabetikern

Obwohl in Deutschland von 2006 bis 2011 die Verordnung von Antidiabetika mit hohem Hypoglykämierisiko zurückgegangen ist, hat die Häufigkeit schwerer Unterzuckerungen leicht zugenommen. Den Zusammenhang zwischen Antidiabetikaverordnungen und schweren Hypoglykämien – mit Krankenhausaufnahme oder Notfallversorgung – haben Mediziner von der Universität Jena und vom Wissenschaftlichen Institut der AOK untersucht. Dazu haben sie die Daten aller bei der AOK versicherten Typ-2-Diabetiker ausgewertet und auf Deutschland extrapoliert. Danach kam es im Jahr 2006 bei 28.892 von 6,6 Millionen Typ-2-Diabetikern zu mindestens einem solchen Ereignis, 2011 waren 33.741 von 7,9 Millionen betroffen. Die Ereignisrate erhöhte sich in diesem Zeitraum von 460 auf 490 pro 100.000 Patienten und Jahr. Generell traten schwere Hypoglykämien häufiger bei Älteren, bei Frauen und bei Patienten mit Nephropathie auf. Die Verordnung von Sulfonylharnstoffen (SH), allein oder in Kombination mit Metformin, ist seit 2006 insgesamt signifikant zurückgegangen. Auch bei den Patienten mit schweren Hypoglykämien standen sie 2011 seltener auf dem Rezept (Monotherapie von 10,9% auf 7,3%; Kombination mit Metformin von 12,7% auf 9,3%). Die meisten Fälle mit Mischinsulin DPP-4-Hemmer und GLP-1-Agonisten waren 2006 noch nicht verfügbar. Im Jahr 2011 hatten 1,55% bzw. 0,17% der Patienten mit schweren Hypoglykämien solche Medikamente erhalten, die aufgrund ihrer glukoseabhängigen Wirkung ein geringes Hypoglykämierisiko haben. Im Jahr 2011 wurden außerdem seltener freie Kombinationen von kurz und lang wirksamem Humaninsulin verschrieben. Wie schon 2006 war der Gebrauch bei Patienten mit schwerer Hypoglykämie höher als bei Patienten ohne (2006: 11,3% vs. 3,6%; 2011: 10,3% vs. 3,3%). Die Verordnung von kurz und lang wirksamen Insulinanaloga nahm dagegen zu; zu beiden Zeitpunkten standen sie häufiger bei Patienten mit als ohne Hypoglykämien auf dem Plan (2006: 5,4% vs. 1,3%; 2011: 8,1% vs. 2,0%). Die größte Gruppe der Patienten mit schweren Unterzuckerungen wurde mit humanem Mischinsulin behandelt, dies war trotz eines deutlichen Verordnungsrückgangs auch 2011 noch der Fall (2006: 19,7% vs. 5,0% ohne schwere Hypoglykämie; 2011 14,0% vs. 3,0%). Die definierten täglichen Tagesdosen der genannten Medikamente waren bei den Patienten mit schweren Hypoglykämien im Schnitt gleich hoch oder sogar etwas niedriger als bei den Patienten ohne diese Komplikation. Risikofaktoren für schwere Unterzuckerung Die Behandlung mit Insulinanaloga erwies sich in einer multivariaten Analyse als unabhängiger Risikofaktor für schwere Hypoglykämien. Wie die Studienautoren um Nicolle Müller von der Universität Jena betonen, lässt die Studie aber keine kausalen Rückschlüsse zu. „Das erhöhte Risiko unter Insulinanaloga ist sehr wahrscheinlich nicht in den Substanzen begründet, sondern in der Art ihrer Anwendung und den Therapiezielen.“ Für wichtiger erachten die Studienautoren das Risiko für schwere Unterzuckerungen, das mit Nephropathie und höherem Alter assoziiert war. Laut der AOK-Daten verzehnfacht eine Nephropathie das Hypoglykämierisiko, außerdem steigt es mit jedem Lebensjahrzehnt um jeweils 6,5%. Zu ehrgeizige Ziele bei Älteren? „Eine Veränderung der Therapie, die nur die Art oder Dosis des Antidiabetikums betrifft, führt allein offenbar nicht zu einem Rückgang von schweren Hypoglykämien“, folgern Müller und Kollegen. Schuld an der leicht gestiegenen Häufigkeit dieser Komplikation sei „wahrscheinlich die Übertherapie vor allem älterer Patienten mit fast normalen HbA1c-Werten“. Große Studien und ein Cochrane-Review haben gezeigt, dass gravierende Hypoglykämien den Nutzen einer intensiven Blutzuckersenkung zunichtemachten. Vor allem bei älteren Typ-2-Diabetikern fordert das Team um Müller daher ein vorsichtigeres Herangehen bei der antihyperglykämischen Therapie. Entsprechende Empfehlungen sind seit 2012 in der europäischen und seit 2014 auch in der deutschen Leitlinie verankert. Laut Letzterer kann bei neu entdecktem Diabetes im Alter bei gutem Allgemeinzustand „durchaus noch ein HbA1c-Ziel in Richtung 7,0 bis 7,5% angebracht sein“. Für ältere multimorbide Patienten mit eher kürzerer Lebenserwartung wird auch ein HbA1c-Ziel über 8% noch als tolerabel angesehen.

Springer Medizin

Mehr schwere Hypoglykämien bei Typ-2-Diabetikern

Weiterführende Themen

Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen

Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft