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Erschienen in:

01.03.2003

Über Einsamkeit, Narzissmus und Intimität

verfasst von: Prof. H. Shmuel Erlich, Ph.D.

Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 1/2003

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Zusammenfassung

Die komplexe Wechselwirkung zwischen narzisstischer Verwundbarkeit, adoleszenter Entwicklung und der Fähigkeit zu intimer Beziehung wird aus der Perspektive der unterschiedlichen, jedoch aufeinander bezogenen Erlebnismodalitäten von Sein und Tun dargestellt. Die hier entwickelte Sicht auf die Einsamkeit beginnt mit einer kritischen Neubewertung des Konzepts der Selbstbezogenheit in Verbindung mit den Schwierigkeiten, Intimität herzustellen. Die Schwierigkeiten entstehen im Misslingen der in der Entwicklung vorgezeichneten Integration der beiden Erlebnismodalitäten in der Zeit der späten Adoleszenz und des jungen Erwachsenenalters. Die Einsamkeit im Leben der Erwachsenen, ihre besondere Ausprägung und subjektiv erlebte Natur sind determiniert durch die spezifische Modalität ihrer primären Organisation. Zur Illustration der Bedeutung der Einsamkeit in der Anwesenheit des Objekts und der paradoxen Unfähigkeit, mit dem Objekt und ohne es zu sein, wird klinisches Material präsentiert.
Fußnoten
1
Der Mythos von Narziss ist selbst natürlich sehr passend. Wir werden ihn hier nicht aufgreifen. Seiner Komplexität gemäß wurde er in eigenen, in die Tiefe gehenden Arbeiten dargestellt (s. z. B. Grunberger 1971, 1987).
 
2
Obwohl es verlockend ist, zwischen gesundem und pathologischem Narzissmus zu unterscheiden, erfordert der Versuch einen übermäßigen theoretischen Aufwand und würde, so steht zu befürchten, in einer tief gehenden Analyse das Thema nicht wirklich klären. Ich neige dazu, Eagles Meinung zu akzeptieren: "Statt von gesundem Narzißmus zu sprechen,... ist es weniger verwirrend zu sagen, daß die Entwicklung eines grundlegenden Gefühls der Unversehrtheit, der Selbstschätzung und des Selbstwerts dazu führt, vorherrschend narzißtische Motive als organisierende Parameter für Verhalten und Beziehungen aufzugeben" (1984, S. 56).
 
3
Die Begriffe Sein und Tun haben ihren Ursprung und deutliche Parallelen in Winnicotts Werk (1971, S. 76–100). Dennoch gibt es einige signifikante und grundlegende Unterschiede zwischen seiner Konzeption und der hier vorgelegten. Diese Unterschiede können in verschiedenen Hauptpunkten zusammengefasst werden:
(1) Winnicott sah Sein als maßgeblich dem Tun in der Entwicklung vorhergehend an;
(2) Nach Winnicotts Ansicht ist Tun nicht angeboren, sondern entwickelt sich aus dem Sein. Ich sehe in Sein/Tun parallele und komplementäre Modalitäten, die von Anfang an gegeben und interaktiv wirksam sind. Bis auf wenige Ausnahmen gewinnt keiner der beiden Modi zu irgendeiner Zeit bestimmenden Einfluss und Vorherrschaft. Andererseits werden im Laufe der Entwicklung die Veränderungen ihrer komplementären Überlappungen und Vermischungen immer subtiler und symbolfähiger.
(3) Obwohl wir beide in diesen Modalitäten verschiedene Beziehungsaspekte sehen, sehe ich in Sein/Tun allgemeinere, umfassendere und inhärente psychologische Modi, die auf (Ich)Funktion und Adaptation einwirken.
(4) Winnicott verband Sein mit Weiblichkeit und Tun mit Männlichkeit. Guntrip weitete diese Unterscheidung auf mütterlich/väterlich aus (1969, S. 258). Ich sehe in Sein/Tun keine inhärente Verbindung zur Geschlechtlichkeit, sondern eine Wirkung über die Geschlechtsgrenzen hinweg. Dennoch sind Sein und Tun selektiven Verstärkungen durch eine Reihe von Faktoren unterworfen, von denen die Kultur das wichtigste Beispiel und der Hauptbestandteil ist.
 
4
Die schwierige komplementäre und dualistische Natur des Erlebniskontinuums von Sein und Tun kann durch die projektive Identifizierung veranschaulicht werden. Wie viele Kleinianische Konzepte wird sie im Modus des Tuns dargestellt und gibt das grundlegende Getrenntsein von Selbst und Objekt wieder. Doch hat die projektive Identifizierung auch am Modus des Seins teil, in dem sie eine Einheit von Selbst und Objekt durch Projektion eines Selbstaspekts in das Objekt mit einhergehender Identifizierung kreiert und dies als Selbstanteil erlebt. Diese subtile Überlappung war vielleicht verantwortlich für Meltzers Einführung einer "adhäsiven Identifizierung" (1975) und könnte auch Ogdens Modus "autistisch berührend'" (1989) beeinflusst haben.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Über Einsamkeit, Narzissmus und Intimität
verfasst von
Prof. H. Shmuel Erlich, Ph.D.
Publikationsdatum
01.03.2003
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Forum der Psychoanalyse / Ausgabe 1/2003
Print ISSN: 0178-7667
Elektronische ISSN: 1437-0751
DOI
https://doi.org/10.1007/s00451-003-0143-8

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