Skip to main content

30.09.2024 | Sonderbericht | Online-Artikel

Harnwegsinfektionen – Neue S3-Leitlinie

Upgrade für nichtantibiotische Therapieoptionen

Harnwegsinfektionen (HWI) zählen zu den häufigsten bakteriellen Infektionen im ambulanten Bereich und betreffen vermehrt Frauen [1]. Meist handelt es sich um akute unkomplizierte Zystitiden, bei denen die Indikation zur Antibiotikagabe kritisch gestellt werden sollte. Alternativtherapien zur Symptomlinderung gewinnen an Bedeutung. Die aktualisierte S3-Leitlinie zu unkomplizierten HWI zeigt, dass diese Alternativen aufgrund der besseren Evidenz ein Upgrade erhalten haben [2]. Eine pflanzliche Dreierkombination aus Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckel war in einer Studie ähnlich wirksam wie ein Antibiotikum [3].

Weltweit erkranken jährlich rund 150 Millionen Menschen an Harnwegsinfektionen. Uropathogene Escherichia coli sind dafür die vorherrschenden Auslöser. Das Risiko für Harnwegsinfektionen steigt mit zunehmendem Alter [4].

HWI-Leitlinie von hoher Relevanz für die Behandelnden

Die weite Verbreitung dieser Erkrankung bedingt ein starkes Informationsbedürfnis bezüglich HWI im klinischen Alltag. Ein Blick auf die Statistiken der Zugriffe auf verschiedene AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften)-Leitlinien unterstreicht dies: Die Kurzfassung der Leitlinie zum Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener HWI bei Erwachsenen aus dem Jahr 2017 belegt mit über drei Millionen Zugriffen den ersten Platz unter den am häufigsten aufgerufenen AWMF-S3-Leitlinien [5]. Die hohe Zahl erklärt sich hauptsächlich dadurch, dass viele verschiedene Fachdisziplinen (Allgemeinmedizin, Urologie, Gynäkologie, etc.) mit der Diagnose und Therapie betraut sind.

Die Wahl der Behandlung hängt maßgeblich davon ab, ob es sich um eine komplizierte oder unkomplizierte Harnwegsinfektion (uHWI) handelt. Eine Harnwegsinfektion gilt als unkompliziert, wenn keine relevanten anatomischen Anomalien, Nierenfunktionsstörungen oder andere schwere Begleiterkrankungen vorliegen. Bleibt eine uHWI auf die Harnblase beschränkt, sind auch bei wiederkehrenden Episoden keine ernsthaften Komplikationen zu erwarten.

Die Spontanheilungsraten sind vergleichsweise hoch: Etwa 30–50 % der Fälle heilen innerhalb einer Woche von selbst ab. Daher zielt die Therapie im Wesentlichen darauf ab, die klinischen Symptome schnell zu lindern, um die Morbidität zu verringern [2]. Antibiotika-Alternativen zur Symptomlinderung wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Phytotherapeutika können ausreichend sein. Bereits seit längerem wird in Leitlinien empfohlen, den Einsatz von Antibiotika stets kritisch zu hinterfragen, um unnötige Therapien und Antibiotikaresistenzen zu vermeiden.

Therapie-Update

Alternative Therapieoptionen sind in der 2024 aktualisierten Leitlinie bei uHWI aufgrund zunehmend besserer Evidenz aufgewertet worden. Statt der bisherigen „Kann“- Empfehlung für Antibiotika-Alternativen wird betont werden, dass „bei nicht-geriatrischen Patienten mit akuter unkomplizierter Zystitis die alleinige nicht-antibiotische Therapie als Alternative zu Antibiotika erwogen werden sollte.

Aktualisierte HWI  S3-Leitlinie

Erfahren Sie jetzt mehr über Phytopharmaka in der aktuellen Leitlinie. 

Dabei ist eine partizipative Entscheidungsfindung mit den Patientinnen und Patienten nötig“ [2]. Für die Erstellung der neuen Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie wurden zusätzlich zur Deutschen Gesellschaft für Geriatrie u. a. auch Fachgesellschaften für Phytotherapie und Naturheilkunde hinzugezogen.

Damit sollen im Zuge des demografischen Wandels die geriatrischen Patientinnen und Patienten stärker berücksichtigt und alternative Therapieoptionen, insbesondere die Phytotherapie, umfassender betrachtet werden. Um die Erklärungsansätze für Patientinnen und Patienten zu verbessern, gibt es erstmals eine separate Patientenleitlinie. Diese hat das Ziel , Patientinnen und Patienten verständlich und übersichtlich über eine bestimmte Erkrankung, deren Diagnose, Behandlungsmöglichkeiten, sowie präventive Maßnahmen zu informieren.

Gute Evidenz für Alternativen

In einer unabhängigen, auf individuellen Patientendaten beruhenden Meta-Analyse wurde untersucht, inwieweit nichtantibiotische Strategien zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes bei Frauen mit uHWI im Vergleich zu einer sofortigen Antibiotikabehandlung zu bewerten sind. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass der Gesamtantibiotikaverbrauch durch alternative Therapieoptionen wie NSAR und Phytotherapeutika um 63 % reduziert werden konnte [6]. Unter den alternativen Therapien muss allerdings ggf. eine etwas länger andauernde Symptomatik oder eine geringfügig erhöhte Rate von Komplikationen wie Pyelonephritis berücksichtigt werden.

Pflanzliche Dreifachkombination so wirksam wie Fosfomycin

Die Effizienz der verschiedenen Präparate zur Antibiotikaeinsparung variierte von 37 % (Diclofenac) bis zu 84 % in einer Studie zum Phytotherapeutikum BNO 1045 (enthalten in Canephron® Uno; s. Tab. 1) [3].

Behandlung

Dosierung

Kontrolle

Dosierung

Anzahl Personen

Antibiotika-einsparung

Ibuprofen

3×400 mg/3 Tage

Ciprofloxacin

2×250 mg/3 Tage

77

67 %

Ibuprofen

3×400 mg/3 Tage

Fosfomycin

3 g/Einmalgabe

494

65%

Ibuprofen

3×400 mg/3 Tage

Pivmecillinam

3×200 mg/3 Tage

383

53%

Diclofenac

2×75 mg/3 Tage

Norfloxacin

2×400 mg/3 Tage

253

37%

Uva Ursi

3×2 Tabletten (105 mg Arbutin)/5 Tage

Fosfomycin

3 g/Einmalgabe

398

64%

BNO 1045

3×2 Tabletten (Centaurii herba 18 mg, Levistici

Radix 18 mg, Rosmarini folium 18 mg)/7 Tage

Fosfomycin

3 g/Einmalgabe

657

84%

Tab. 1 Unterschiedliche Therapiealternativen reduzieren Antibiotikagebrauch um bis zu 84 % (modifiziert nach [2])

Die pflanzliche Dreierkombination aus Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckel zeigte in präklinischen Studien antiphlogistische, analgetische, spasmolytische und antiadhäsive Effekte [7–9]. In der CanUTI-7-Studie mit 659 Patientinnen mit akuter uHWI war eine siebentägige Phytotherapie mit BNO 1045 (3×2 Tabletten/Tag) der einmaligen Einnahme von Fosfomycin (3 g) im Hinblick auf die Einnahme eines weiteren Antibiotikums nicht unterlegen [3].

Bis Tag 38 benötigten 83,5 % der Patientinnen mit Phytotherapie (BNO 1045) vs. 89,8 % der mit Fosfomycin Behandelten keine zusätzlichen Antibiotika (primärer Endpunkt der Studie). Auch mit Blick auf die Symptomlinderung, gemessen mit dem Acute Cystitis Symptom Score (ACSS), erwies sich das Phytotherapeutikum als ähnlich effektiv wie das Vergleichspräparat. Bereits an Tag 4 konnte unter Phytotherapie eine Symptomlinderung um bis zu 50 % erzielt werden (s. Abb. 1) [3].

Unerwünschte Wirkungen wurden in beiden Gruppen mit einer Rate von 15,1 % (BNO 1045) bzw. 12,9 % (Fosfomycin) ähnlich häufig berichtet. Gastrointestinale Beschwerden waren in der Fosfomycin- Gruppe häufiger als in der Phytotherapie-Gruppe (22 vs. 13 Patientinnen). Zu einer Pyelonephritis kam es bei 1,5 % (BNO 1045) bzw. 0,3 % (Fosfomycin) der Behandelten [3].

Gemeinsame Entscheidungsfindung notwendig

In der partizipativen Entscheidungsfindung sollten Patientinnen und Patienten mit akuter unkomplizierter Zystitis über die Vor- und Nachteile eines Antibiotikaverzichts aufgeklärt werden. Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Phytotherapie verträglicher ist als Antibiotika und möglicherweise zur Reduktion des Rezidivrisikos beitragen kann. Es gibt Hinweise auf eine höhere Inzidenz von rezidivierenden HWI nach Antibiotikatherapie [10].

Außerdem sind bei der Anwendung alternativer Therapien weniger Nebenwirkungen wie Durchfall oder Pilzinfektionen im Vaginalbereich zu erwarten. Es findet keine Verschiebung des Mikrobioms statt und es besteht kein Risiko, eine antimikrobielle Resistenz zu fördern (s. Kasten).

Nachteile des Antibiotikaeinsatzes

Die Vermeidung der Kollateralschäden einer Antibiose – Mikrobiomverschiebung und Förderung von Antibiotikaresistenzen – sind wichtige Faktoren, die bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden sollten. Antibiotikaresistenzen sind eine der führenden Todesursachen weltweit. Im Jahr 2019 waren laut einer Analyse geschätzt fast 5 Millionen Todesfälle mit Antibiotikaresistenzen assoziiert [11].

Basierend auf Prognosen könnte die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen bis 2050 auf 10 Millionen pro Jahr ansteigen. Das würde bedeuten, dass bis 2050 alle drei Sekunden ein Mensch dadurch sterben könnte [12]. Gut dokumentiert sind inzwischen auch die schädlichen Auswirkungen von Antibiotika auf das Mikrobiom.

Bei Patientinnen und Patienten mit rezidivierenden HWI, die wiederholt mit Antibiotika behandelt wurden, konnte eine Dysbiose des Darmmikrobioms mit Abnahme der Diversität der Mikroben und der Zahl Butyrat-produzierender Mikroorganismen gezeigt werden [13]. Buyrat ist eine kurzkettige Fettsäure mit antientzündlicher Wirkung. Bereits nach einmaliger Einnahme von Ciprofloxacin, das noch vor einigen Jahren auch häufig bei akutem uHWI zum Einsatz kam, kann es zu starken Mikrobiomverschiebungen kommen [14]. Durch den Einsatz von Phytotherapeutika anstelle von Antibiotika kann das Mikrobiom geschützt worden.

Fazit

Zystitis ist eine häufige und oft unkomplizierte Erkrankung, insbesondere bei Frauen. Die Evidenz für nichtantibiotische Therapien hat sich deutlich verbessert, insbesondere bei nichtgeriatrischen Patientinnen und Patienten. In der aktualisierten AWMF-Leitlinie werden daher mehr alternative Behandlungsmethoden und ein häufigerer Verzicht auf Antibiotika bei uHWI empfohlen, um den routinemäßigen Einsatz von Antibiotika zu überdenken.

Nachteile des Antibiotikaeinsatzes

Die Vermeidung der Kollateralschäden einer Antibiose – Mikrobiomverschiebung und Förderung von Antibiotikaresistenzen – sind wichtige Faktoren, die bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden sollten. Antibiotikaresistenzen sind eine der führenden Todesursachen weltweit. Im Jahr 2019 waren laut einer Analyse geschätzt fast 5 Millionen Todesfälle mit Antibiotikaresistenzen assoziiert [11].

Basierend auf Prognosen könnte die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen bis 2050 auf 10 Millionen pro Jahr ansteigen. Das würde bedeuten, dass bis 2050 alle drei Sekunden ein Mensch dadurch sterben könnte [12]. Gut dokumentiert sind inzwischen auch die schädlichen Auswirkungen von Antibiotika auf das Mikrobiom.

Bei Patientinnen und Patienten mit rezidivierenden HWI, die wiederholt mit Antibiotika behandelt wurden, konnte eine Dysbiose des Darmmikrobioms mit Abnahme der Diversität der Mikroben und der Zahl Butyrat-produzierender Mikroorganismen gezeigt werden [13]. Buyrat ist eine kurzkettige Fettsäure mit antientzündlicher Wirkung. Bereits nach einmaliger Einnahme von Ciprofloxacin, das noch vor einigen Jahren auch häufig bei akutem uHWI zum Einsatz kam, kann es zu starken Mikrobiomverschiebungen kommen [14]. Durch den Einsatz von Phytotherapeutika anstelle von Antibiotika kann das Mikrobiom geschützt worden.

Literatur: 

[1] Foxman B, Infect Dis Clin North Am 2014, 28:1–13
[2] S3-Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen“, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/043-044 (letzter Zugriff: 30.09.2024)
[3] Wagenlehner FM et al., Urol Int 2018, 101:327–336
[4] Medina M, Castillo-Pino E, Ther Adv Urol 2019, 11:1756287219832172
[5] https://register.awmf.org/de/statistik/top25 (letzter Zugriff: 13.05.2024)
[6] Kaußner Y et al., Clin Microbiol Infect 2022, 28:1558–1566
[7] Künstle G et al., Kongress der European Association of Urology (EAU) 2013, Mailand, Italien, P671
[8] Nausch B et al., EAU 2016, München, P262
[9] Brenneis C et al., 13th International Congress of Ethnopharmacology 2012, Graz, Österreich, P318
[10] Cai T et al., Clin Infect Dis 2012, 55:771–777
[11] Antimicrobial Resistance Collaborators, Lancet 2022, 399:629–655
[12] https://amr-review.org/sites/default/files/160525_Final%20paper_with%20cover.pdf (letzter Zugriff: 22.04.2024)
[13] Schembri MA et al., Nat Microbiology 2022, 7:601–602
[14] Stewardson AJ et al., Clin Microbiol Infect 2015, 21:344.e1–e11

Impressum

Pharmawissen aktuell 534918 in: MMW – Fortschritte der Medizin 11/2024; Die Urologie 6/2024
„Harnwegsinfektionen – Aktualisierung S3- Leitlinie: Upgrade für nichtantibiotische Therapieoptionen“
Literaturarbeit

Aktualisierte Fassung vom 30.09.2024

Springer Medizin Verlag GmbH
Corporate Publishing
Heidelberger Platz 3
14197 Berlin

Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge 

Verantwortlich: Ulrike Hafner
Bericht: : Roland Fath, Frankfurt a. M.
Redaktion: Dr. Martin Zeeb
© Springer Medizin Verlag GmbH. Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature.
Druck: Presse-Druck und Verlags-GmbH, Augsburg

Mit freundlicher Unterstützung der Bionorica SE, Neumarkt


Das könnte Sie auch interessieren

Leitlinien-Update Harnwegsinfektionen

  • Sonderbericht

Die deutsche S3-Leitlinie zu unkomplizierten Harnwegsinfektionen (HWI) wird ein Update erhalten. Eine wesentliche Änderung in der Therapie der akuten unkomplizierten HWI wird die stärkere Empfehlung nicht-antimikrobieller Alternativen sein. Hier hat sich die Evidenz in den letzten Jahren deutlich verbessert.
 

Mit freundlicher Unterstützung von:
  • Bionorica SE

PMS – Eine Expertin teilt ihre Erfahrung aus der Praxis (Link öffnet in neuem Fenster)

  • Sonderbericht

Prämenstruelles Syndrom oder kurz PMS: fast jede dritte Frau hat mit PMS-Beschwerden zu kämpfen. Aber, unter welchen Symptomen leiden die Betroffenen genau, und wie kann PMS behandelt werden? Antworten auf diese und weitere Fragen bekommen Sie hier im Podcast mit Frau Dr. Dorothee Struck.

ANZEIGE

Evidenzbasierte Phytotherapie in der Frauenheilkunde

  • Content Hub

Ein Drittel aller menstruierender Frauen hat mit prämenstruellen Beschwerden zu kämpfen. Um Symptome, wie sie beim PMS auftreten, nicht nur symptomatisch zu therapieren, können pflanzliche Präparate mit Mönchspfefferextrakt nachhaltig helfen. Erfahren Sie mehr zur Studienlage und dem Wirkmechanismus.

Bionorica SE