Die Hautverletzungen an beiden Beinen des Säuglings ließen sich zunächst allein durch die Erklärung der Eltern, das Kind sei gegen den Nachtspeicherofen im Kinderzimmer gekrabbelt, nicht in Gänze nachvollziehen. Bei unklaren thermischen Verletzungen ist der Anteil an Kindesmisshandlungen bekanntermaßen hoch [
12]. Gemäß der Leitlinie Kinderschutz sollte zudem „die Frage nach Vernachlässigung bei jeder thermischen Verletzung als Ursache der Verbrühung/Verbrennung multiprofessionell eingeschätzt und geklärt werden“ [
12]. Es wurden bis auf die genannten Hautverletzungen keine auffälligen Untersuchungsbefunde wie Knochenbrüche oder andere Verletzungen festgestellt, die gerade in Kombination mit Verbrennungen und Verbrühungen an eine Kindesmisshandlung denken lassen sollten [
13]. Bei einer Ortsbegehung ließen sich die Luftauslassgitter der Nachtspeicheröfen in Wohn- und Schlafzimmer mit den Hautverletzungen des Kindes in Deckung bringen, jedoch nicht die Luftauslassgitter des Nachtspeicherofens im Kinderzimmer (Abb.
4). Ergänzend eingeholter technischer Sachverstand ergab, dass im Regelbetrieb bei kalten Außentemperaturen regelmäßig Werte zwischen 80 und 100 °C am Luftauslassgitter der Nachtspeicheröfen erreicht werden, wobei auch Spitzentemperaturen bis zu 150 °C möglich sind. Laut Literatur [
14] reicht bei Erwachsenen bereits ein Kontakt von 1/10 s mit auf 82 °C erhitzten Flüssigkeiten aus, um Verbrühungen 3. Grades zu verursachen. Die Haut von Säuglingen ist jedoch nur etwa ein Fünftel so dick wie die Haut Erwachsener. Bei ihnen reichen bereits 0,5 s Kontakt mit einer auf 65 °C erhitzten Flüssigkeit aus, um Verbrennungen 3. Grades hervorzurufen [
15]. Tabellen zu Einwirkzeiten bei Kontaktverbrennungen durch verschiedene Feststoffe in Abhängigkeit der Oberflächentemperatur finden sich in der gängigen Literatur nicht. Zu berücksichtigen ist, dass die meisten Metalle bei gleicher Temperatur und gleichen Druckverhältnissen eine deutlich höhere Wärmeleitfähigkeit als Wasser oder Wasserdampf aufweisen, weshalb bei Kontaktverbrennungen durch Hautkontakt mit einem Metall vereinfacht von einer größeren Wärmeübertragung pro Zeiteinheit und Kontaktfläche im Vergleich zu dem Kontakt mit Wasser oder Wasserdampf anzunehmen ist [
16]. Darum kann davon ausgegangen werden, dass bei Säuglingen ein Kontakt der unbekleideten Haut mit dem Luftauslassgitter eines Nachtspeicherofens von deutlich kürzerer Dauer ausreichend ist, um Kontaktverbrennungen wie im dargestellten Fall zu erzeugen. Somit lässt sich ein mögliches Unfallgeschehen wie folgt rekonstruieren: Der Säugling krabbelte mit unbekleideten Beinen (beispielsweise wie angegeben mit einem Body bekleidet) an das Luftauslassgitter des Nachtspeicherofens. Bereits nach einer minimalen Kontaktzeit drehte sich das Kind als Reaktion auf den Schmerzreiz auf den Rücken. Möglicherweise aufgrund der sehr beengten Raumverhältnisse, wie im elterlichen Schlafzimmer vorgefunden, führte dies jedoch dazu, dass das Bein der Gegenseite ebenfalls in Kontakt mit dem heißen Gitter kam, mit hieraus resultierenden weiteren Kontaktverbrennungen.
Die rechtsmedizinischerseits erhobenen Befunde und die resultierenden Schlussfolgerungen hatten zur Folge, dass die Nachtspeicheröfen gegen Kontakt gesichert wurden, um künftig derartigen Unfällen vorzubeugen. Die Erkenntnis, dass das Luftauslassgitter des Nachtspeicherofens im Kinderzimmer nicht zu den im Rahmen der Untersuchung festgestellten Verletzungen passte, offenbarte eine Diskrepanz zwischen den Angaben der Eltern und dem rekonstruierbaren Unfallhergang. Obwohl der Verdacht auf eine Misshandlung entkräftet werden konnte, lag aber zumindest eine Verletzung der Aufsichtspflicht vor. Als Konsequenz wurde eine Unterstützung für die Familie durch das Jugendamt eingerichtet.