Verlust eines Osteomyokutanlappens der Fibula zum Ersatz des Oberkiefers

In der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg wurden in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt 32 mikrochirurgisch reanastomosierte Transplantate eingesetzt. Von diesen heilten 31 verlustfrei ein. Ein Transplantat wurde wieder entfernt. Über diesen Fall wird aufgrund des ungewöhnlichen Verlaufs berichtet. Fallbeschreibung Eine 68-jährige Frau mit bekannter Neurofibromatose Typ 1 (NF1) stellte sich mit zwei etwas geröteten und druckdolenten Schwellungen vor, die in der Gaumenmitte und im oberen Vestibulum paramedian links lagen. Ein CT des Mittelgesichtes zeigte, dass beide Befunde Teil eines zentral im Oberkiefer liegenden Tumors waren, der den Knochen in diesem Bereich zerstört hatte und bis in das Nasenseptum reichte. Eine Gewebeprobe konnte nur einen spindelzelligen malignen Tumor nachweisen. Da bei der Grunderkrankung das Vorliegen eines MPNST (maligner peripherer Nervenscheidentumor, früher auch malignes Schwannom oder Neurofibrosarkom) nahelag, wurde die Patientin unter diesem Verdacht behandelt. Die durchgeführte PET zeigte noch keine Metastasierung. Wir entfernten den Oberkiefer rechts knapp unter dem Orbitaboden, links mit einem Teil des Orbitabodens. Die Prognose eines MPNST – insbesondere bei einem Patienten mit NF1 [1] und in dieser Lokalisation – ist sehr schlecht. Die Operation war daher palliativ intendiert, und der bei kurativer Intention notwendige Sicherheitsabstand wurde zum Gesicht hin nicht eingehalten. Dieser hätte die Entfernung der äußeren Nase und größerer Teile der Wange erfordert und die Lebensqualität minimiert. Der Defekt wurde mit einer Tamponade gefüllt und die Oberkieferprothese mit Drahtligaturen an den Jochbeinen aufgehängt. Die Untersuchung des gesamten Tumors konnte ebenfalls keine endgültige Diagnose erbringen. Der Referenzpathologe kam zu dem Ergebnis, dass es sich entweder um ein undifferenziertes Sarkom mit einer ausgedehnt aberrierenden Zytokeratinexpression oder um ein sarkomatoides Karzinom handeln könnte. Ein MPNST wurde für unwahrscheinlich gehalten, die Malignität als hoch eingeschätzt. Eine Bestrahlung oder Chemotherapie lehnte die Patientin ab. Die provisorische Versorgung mit der aufgehängten Prothese und die notwendigen Tamponadenwechsel wurden von der Patientin zunehmend als Belastung empfunden, sodass wir eine dauerhafte prothetische Lösung anstrebten. Für Implantate standen nur die extrem dünnen Jochbeine zur Verfügung (Abb. 1). Aus diesem Grund wurden nach 5 Monaten zwei 30-mm-Zygomaimplantate des Brånemark-Systems® inseriert, die lateroorbital zu liegen kamen (Abb. 2). Die nach innen gedrehten Implantatschultern ermöglichten eine Versorgung in dieser ungewöhnlichen Position. Für weitere Implantate fand sich kein Knochenlager. Nach weiteren 8 Monaten war die Freilegung der Implantate vorgesehen. Eine erneute PET zeigte weder ein lokales Rezidiv noch Metastasen. Der dringende Wunsch der Patientin bei unerwartet günstigem Krankheitsverlauf führte zur Entscheidung, den Oberkiefer entgegen der ursprünglichen Planung mit körpereigenem Gewebe zu rekonstruieren. Eine Angio-MRT der Unterschenkel zeigte keine Auffälligkeiten der arteriellen Versorgung. Daher entnahmen wir der 158 cm großen Patientin ein 15 cm langes Stück der linken Fibula mit den versorgenden Gefäßen und einer Hautinsel von 8 cm Durchmesser, die über zwei Perforatoren versorgt wurde. Der Knochen wurde unter Schonung der Blutversorgung fünfmal durchtrennt und die sechs Teile zu einem Kieferkamm geformt (Abb. 3). Die beiden endständigen Segmente wurden abgewinkelt befestigt, um sie auf dem ortsständigen Knochen abzustützen (Abb. 2). Ein ebenfalls entnommenes avaskuläres Teilstück der Fibula wurde gespalten und hiermit eine Oberkiefervorderwand zur Abstützung im anterioren Bereich gebildet. Zur Mundhöhle wurde der Defekt mit dem Hautanteil verschlossen. Zwei über die Nase in den Pharynx eingebrachte Tuben sicherten die Atmung bei geschlossenem Mund bis zur Abschwellung des Lappens. Verlust eines Osteomyokutanlappens der Fibula zum Ersatz des Oberkiefers Die kurze A. fibularis wurde in der rechten Wange an die A. facialis angeschlossen. Hierbei wurde offenbar, dass eine mit 5 mm Innendurchmesser sehr weite A. fibularis mit verkalkter Gefäßwand an eine zarte A. facialis mit einem Innendurchmesser von 1,5 mm zu anastomosieren war. Die beiden Venenanastomosen bereiteten keine Schwierigkeiten. Postoperativ war zunächst eine gute Perfusion des Hautanteils zu beobachten. Da die Perforatoren im Bereich der Osteotomien zwischen dem vierten und fünften und zwischen dem fünften und sechsten Knochensegment abzweigten (ab der Anastomose gezählt), zeigte dies eine ungestörte Funktion der Fibulagefäße entlang des gesamten Knochens. Nach 3 Tagen entwickelte die Patientin eine schwere Pneumonie, die zur Reintubation zwang. Nach 4 Tagen begann der Hautanteil, sich von den Rändern her zu verfärben (. Abb. 4), sodass hier auch keine Blutung nach Einstechen einer Kanüle mehr erfolgte. Ein Problem mit dem venösen Abstrom bestand zu keinem Zeitpunkt. Trotz der Gabe von Rheologika und Heparin dehnte sich der nicht mehr perfundierte Bereich über eine Woche immer weiter aus, bis der gesamte Hautanteil keine Durchblutung mehr zeigte. Unter Berücksichtigung des immer noch schlechten Allgemeinzustandes der Patientin entschlossen wir uns am 12. Tag nach der Operation, das Transplantat wieder zu entfernen. Gleichzeitig wurden die beiden Zygomaimplantate mit Gingivaformern versehen. Bei der Entfernung des Transplantates zeigte sich, dass die A. fibularis bei ihrem Austritt aus der Wange in das Transplantat blutete, im weiteren Verlauf entlang des transplantierten Knochens aber zunehmend thrombosiert war, sodass auch der Knochen nicht mehr ausreichend durchblutet wurde. Der Entnahmedefekt heilte teilweise sekundär. Dauerhafte Probleme beim Gehen traten nicht auf. Die Implantate waren trotz des dünnen Knochens sehr gut osseointegriert. Nach Abheilung der Wunden wurden sie von unserer zahnärztlichen Abteilung mit Geschieben versehen (Abb. 5), an denen eine Platte zur Trennung von Mund und Nase aufgehängt wurde (Abb. 6). Diese Platte wiederum trägt einen Steg, an der eine Prothese befestigt ist (Abb. 7). Mit dieser Konstruktion kommt die Patientin seit nunmehr einem Jahr gut zurecht, sodass derzeit kein erneuter Versuch einer Rekonstruktion des Oberkiefers geplant ist. Fehleranalyse Bei der Auswertung der Angio-MRT der Unterschenkel, die wir vor Entnahme einer Fibula standardmäßig durchführen, fielen keine ungewöhnlichen Gefäßmerkmale auf und auch die Fußpulse waren beidseits gut tastbar. Der ungewöhnlich große proximale Durchmesser der A. fibularis zeigte sich erst während der Operation. Die Patientin rauchte nicht, hatte jedoch schon einen Schlaganfall erlitten und nahm seitdem ASS 100. Kommentar/Empfehlung Selten erfordert ein Tumor die beidseitige Entfernung des Oberkiefers und sehr häufig werden Oberkieferdefekte prothetisch versorgt, wie es auch von uns ursprünglich geplant war. Daher finden sich kaum Fallbeschreibungen einer vergleichbaren beidseitigen Rekonstruktion von Knochen und Weichgewebe des Oberkiefers mit einem Transplantat. Für eine prothetische Lösung sprechen die besseren Möglichkeiten, ein Rezidiv frühzeitig zu entdecken, und der deutlich geringere Aufwand bei häufig gutem Komfort für den Patienten, was besonders bei ungünstiger Prognose der Erkrankung zählt. Die von uns ursprünglich geplante und dann letztendlich auch umgesetzte prothetische Lösung trennt Nasen- und Mundhöhle und gibt der Patientin ihr ursprüngliches Profil annähernd zurück. Die Rekonstruktion mit einem Osteomyokutanlappen hätte dagegen (nach der Einheilung des Knochens, der Abschwellung und Schrumpfung des Hautanteils sowie der Insertion von 6 bis 8 Implantaten und späterer Eingliederung einer Stegprothese) neben der psychologisch wichtigen Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse auch die Kaufunktion durch höhere Belastbarkeit erheblich verbessert. Ausschlaggebend für die Entscheidung zur Rekonstruktion war für uns der ausdrückliche Wunsch der Patientin nach Bestätigung einer einjährigen Rezidivfreiheit. Der geschilderte Eingriff war zwar anspruchsvoll, es war aber nicht die ungewöhnliche Aufgabe, die zum Scheitern führte. Das Transplantat selbst erwies sich in den ersten Tagen als technisch korrekt ausgeführt und war grundsätzlich nicht aufwendiger als andere, die wir an anderer Stelle problemlos eingesetzt haben. Daher würden wir in einem vergleichbaren Fall und dem entschiedenen Wunsch des Patienten entsprechend wieder den Weg einer einzeitigen Rekonstruktion mit einem Osteomyokutanlappen wählen. Mit einem Skapulalappen [2] oder einem lateralen Oberarmlappen mit Humerusspan [3] hätte bei der kleinen Patientin vermutlich nicht die gleiche Knochenlänge erreicht werden können, der Zustand der Gefäße wäre in diesen Bereichen aber wahrscheinlich besser gewesen. Die A. facialis war zwar zart, aber ausreichend zur Versorgung eines solchen Lappens. Die Gefäßwand befand sich in gutem Zustand. Eine routinemäßige Gefäßdarstellung am nicht voroperierten Hals, über die übliche Doppler-sonographische Orientierung hinaus, führen wir nicht durch. Das Pumpen in ein Gefäß mit ungleich größerem Querschnitt und unelastischen Wandungen und dem damit verbundenem verlangsamten und verwirbelten Blutfluss erscheint uns als das Problem, das letztendlich zum Verlust des Transplantates führte. Möglicherweise wurde der Hautanteil durch Mikrothromben langsam zugesetzt, bis auch die A. fibularis thrombosierte. Eventuell hätte man durch eine konsequente Flachlagerung die Druckverhältnisse in der Arterie verbessern können. Diese kam bei den pulmonalen Problemen der Patientin jedoch nicht infrage und wäre wiederum für den venösen Abstrom ungünstig gewesen, weswegen wir eine solche Lagerung bei derartigen Transplantaten vermeiden. Im Nachhinein wäre evtl. der gleichzeitige Anschluss einer weiteren Arterie (über ein Veneninterponat, da lokal keine weitere zur Verfügung stand) eine Möglichkeit gewesen, einen stabilen Blutfluss in der großlumigen A. fibularis zu gewährleisten. Als weitere Möglichkeit der Versorgung eines solchen Defektes steht eine Verbesserung des Knochenangebotes ohne den Anspruch auf eine anatomische Rekonstruktion zur Verfügung. Hier kämen revaskularisierte Knochentransplantate insbesondere des Beckenkamms infrage, um die Voraussetzungen für weitere Implantate zur Fixierung einer Defektprothese zu schaffen. Für freien Knochen fehlte im vorliegenden Defekt die allseitige Weichgewebeabdeckung bei gleichzeitig geringsten knöchernen Anlagerungsflächen. Freier Knochen mit einer Abdeckung durch gestielte Lappen aus dem Temporalismuskel oder der Wange bzw. mit einem Radialislappen oder ALT-Flap wäre denkbar. Eine gleichzeitig Trennung von Mund und Nase wäre im Falle der beiden mikrochirurgischen Transplantate möglich. Fazit für die Praxis Die vor der Entnahme der A. fibularis zur Klärung einer ausreichenden Blutversorgung der Füße empfohlene Angio-MRT gibt keine hinreichende Information über besondere Merkmale des Gefäßes. Selbst nach sehr ausgedehnten Oberkieferresektionen mit minimalem Knochenangebot zur Implantation ist die prothetische Rehabilitation durch eine Defektprothese möglich. Sie erleichtert zudem die frühzeitige Entdeckung von lokalen Rezidiven. Neben der Kombination von avaskulärer oder revaskularisierter Knochentransplantation mit verschiedenen Weichgewebstransplantaten zur Verbesserung der Voraussetzungen für eine Defektprothese ist bei unbefriedigender Funktion einer solchen Lösung oder anderweitig intendiertem Wunsch des Patienten aber grundsätzlich auch die einzeitige Rekonstruktion von Hart- und Weichgewebe des gesamten Oberkiefers technisch möglich.

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